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Filmabend in Duisburg: Only one Hero, the People đŸ‡©đŸ‡ż

„Un seul heros, le Peuple“ (Nur ein Held: das Volk) prangte wĂ€hrend des Befreiungskrieges in vielen algerischen StĂ€dten an den HauswĂ€nden. Die Doku, die diesen Slogan zum Titel hat und die wir uns ansehen werden, entstand 2020 und beschĂ€ftigt sich mit den antikolonialen Massenaktionen in Algerien ab 1960.

Der Filmabend ist Teil unseres Antikolonialen Studienkreises, es kann aber jeder ohne Voraussetzung teilnehmen!

Der Eintritt ist wie immer frei!

🗓 Sonntag, 27.4.2025

🕐 16:00 Uhr

📍 Kaiser-Wilhelm-Str. 284, 47169 Duisburg

Imperialismus: Ein HerrschaftsverhÀltnis!

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Textanalyse der Imperialismusschrift Lenins – Ein Zwischenstand

Vertiefungsgruppe 12 zum Thema Imperialismus

von Klara Bina

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text ist im Rahmen unserer Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine und der Imperialismusdiskussion entstanden. Wir haben 2022 beschlossen, uns kollektiv der EinschĂ€tzung des Charakter und der Vorgeschichte des Krieges zu widmen. HierfĂŒr wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die sich u.a. mit den Interessen und der Politik des westlichen imperialistischen Block, mit Russlands Entwicklung sowie mit den Erkenntnissen der sozialistischen Arbeiterbewegung zum Imperialismus und der Bedeutung der Nationalen Frage beschĂ€ftigen. Veröffentlicht wurden in diesem Rahmen bereits BeitrĂ€ge zur Kriegsvorbereitung der NATO, zur Unterwerfung der Ukraine, zu Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg, zur Entwicklung der Volksrepubliken, zur Entwicklung des russischen Kapitalismus und zum VerhĂ€ltnis von Nationaler Selbstbestimmung und sozialistischer Revolution.

Abstract

Was ist eigentlich mit Imperialismus gemeint? DarĂŒber scheiden sich innerhalb der linken und kommunistischen Bewegung, aber auch in der Akademie die Geister. UnĂŒbersehbar ist, dass die Imperialismusschrift von Lenin fĂŒr alle einen Referenzpunkt darstellt und fĂŒr viele die Grundlage ihrer Argumentation ist. Aus der Tatsache, dass sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen auf Grundlage dieser Schrift gezogen werden, widmet sich die vorliegende Textanalyse der Fragestellung, welche Bedeutung mit dem Begriff ‚Monopol‘ transportiert wird und wie er als ein HerrschaftsverhĂ€ltnis verstanden werden kann. Das Ergebnis ist eindeutig: Lenin verwendet den Begriff des ‚Monopols‘ als eine konkrete Abstraktion, um die Epoche des Imperialismus als eine Epoche der Herrschaft weniger monopolistischer EntitĂ€ten ĂŒber den Rest der Welt zu charakterisieren. Diese Epoche ist, so Lenin, durch die Tendenz zu monopolistischer Weltherrschaft gekennzeichnet. Andere Interpretationen, die entweder ein Ende der nationalen UnterdrĂŒckung oder eine mögliche Einebnung dieser HerrschaftsverhĂ€ltnisse unterstellen, können sich nicht auf Lenin stĂŒtzen.


Einleitung

Politische Einordnung

Die zeitgenössische Anti-Kriegs-Bewegung1 entfaltete sich als pazifistisch- teilweise proimperialistische2 Bewegung. Teils mit linksradikalen Charakteristika, zeitgleich mit der so genannten Zeitenwende, die vom bald Ex-Kriegskanzler Scholz mit der Ansage eingelĂ€utet wurde, jetzt gelte es den Westen zu verteidigen gegen den „imperialistischen Angriffskrieg“ Russlands. Gemeint war die MilitĂ€roperation der Russischen Föderation im Osten der Ukraine. Von Seiten der herrschenden Kreise wurde beabsichtigt, dass dem deutschen Imperialismus, argumentative SchĂŒtzenhilfe im kriselnden kommunistischen Lager geleistet wird. Dabei reichte es völlig aus, den Krieg der NATO gegen die Russische Föderation als einen beidseitig imperialistischen Krieg zu bezeichnen und mindestens zu verhindern, dass die NATO als der Aggressor entlarvt wird.

Es sollte verhindert werden, dass sich in der noch rest-antiimperialistischen Blase in der BRD etwas zusammenbrauen könnte, was den KriegsplĂ€nen des deutschen Imperialismus im Wege stand. Nichts leichter als das: mit Referenz auf Lenins Imperialismusschrift (1916)3, der den Ersten Weltkrieg als einen zwischen-imperialistischen Krieg identifizierte, musste nicht viel Eigenleistung erbracht werden. Abschreiben war angesagt. Das Konstrukt – beidseitiger imperialistischer Krieg – basiert auf der Behauptung, dass im jetzigen Stadium des Imperialismus alle kapitalistischen LĂ€nder das monopolistische Stadium „mehr oder weniger“ erreicht hĂ€tten und sich deshalb als Konkurrenten gegenĂŒberstehen wĂŒrden – es könnte unter wesentlich Gleichen keine gerechten Kriege geben, so heißt es.

Es mag Nuancen in der Beschreibung der Unterschiede der LĂ€nder geben, aber nicht eine grundlegende Differenz in ihrer Charakterisierung4. LĂ€nder, die Monopole besitzen, seien „Teilnehmer im imperialistischen Weltsystem“ und damit selbst im imperialistischen Entwicklungsstadium. Diese Argumentation wird affirmativ mit Referenz auf Lenin begrĂŒndet., konkret bezogen auf die Aussage, dass das „Monopol“ der ökonomische Kern des imperialistischen Stadiums ist. Dabei wird „Monopol“ als ein isoliertes PhĂ€nomen betrachtet, so meine die These. Seine Existenz wird in formaler Hinsicht als Marker fĂŒr das Erreichen des imperialistischen Stadiums genommen. Im Großen und Ganzen sei „das Weltsystem ein System gegenseitiger AbhĂ€ngigkeiten“- man gibt zuweilen zu, es seien „asymmetrische“ oder „ungleiche“ Beziehungen5.

Nach den erfolgreichen BefreiungskÀmpfen vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts sei die Kolonialzeit jedoch vorbei und damit die Phase im Imperialismus, die durch einseitige AbhÀngigkeitsverhÀltnisse geprÀgt war. Das durchaus auch in der sozialistischen Literatur intensiv beschriebene PhÀnomen des Neokolonialismus, das auf Lenins Beschreibung halbkolonialer LÀnder referiert6, findet in der oben beschriebenen Darstellung der heutigen Weltordnung keine ErwÀhnung.

Interessanterweise vereinigen sich hier – mit Sicherheit unfreiwillig und unbewusst – die verschiedenen Strömungen der kommunistischen Weltbewegung in ihren Imperialismusvorstellungen. Dazu sei beispielhaft aus Deutschland die MLPD7 und Marx218 genannt.

Die geistige Misere beschrĂ€nkt sich aber keineswegs auf Deutschland. Sehr zu empfehlen ist hier auch der Überblick von John Bellamy Foster im Monthly Review9. Er liefert zwar keinen vollstĂ€ndigen Überblick, aber eine Erkenntnis ist treffend formuliert: „Hence, the gap between the views of imperialism held by the Western left and those of revolutionary movements in the Global South is wider than at any time in the last century.“10 WĂ€hrend viele Nationen der Welt im Kampf gegen ihre Erdrosselung bis hin zur Vernichtung durch das von den USA angefĂŒhrte imperialistische Ungeheuer nach solchen Tiefenanalysen lechzen wie sie Lenin seinerzeit fĂŒr den Imperialismus lieferte, wird in den Zentren des Imperialismus Lenin tunlichst entsorgt.

In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass verkehrte Vorstellungen, wie sie oben skizziert wurden, auf groben Fehlern in der Interpretation bzw. Anwendung der Leninschen Imperialismusschrift beruhen. Dabei ist die falsche und völlig unzureichende Kritik des Imperialismus, die diesen als Interventionismus, also auf seine politische Seite reduziert, weiterhin richtig. Diese falsche Imperialismus-Kritik wird von Lenin in seiner Schrift zu GenĂŒge analysiert und vernichtend kritisiert.

Mir geht es in diesem Text vor allem um die neuen Imperialismusvorstellungen, die sich auf Lenin beziehen. Ich stelle die These auf, dass die „Theorie“ des Imperialismus als ein „Weltsystem gegenseitiger AbhĂ€ngigkeiten“, so wie sie u.a. die Griechische Kommunistische Partei (KKE)11 vertritt, eine Neuinterpretation, aber vor allem eine VerfĂ€lschung der Leninschen Imperialismusanalyse darstellt. Solche Vorstellungen verfĂ€lschen und relativieren die wirklichen MachtverhĂ€ltnisse und prĂ€sentieren eine Welt voller Monopole, die in einem KonkurrenzverhĂ€ltnis zueinanderstehen sollen. Der Konkurrenzkapitalismus ist aber vorbei und wird auch nie wieder Wirklichkeit werden.

Ich denke, es wĂ€re angebracht, dass Parteien und Einzelpersonen, die eine solche Neuinterpretation vorlegen, transparent und ehrlich ihre Positionen als eine von Lenin abgekoppelte und ihm widersprechende Sichtweise auf den Imperialismus prĂ€sentieren. Sie mĂŒssten sagen: Lenin hatte grobe Fehler in seiner Analyse. Eine Analyse, die nicht imstande war, die kommende Entwicklung zumindest in ihrer grundlegenden Tendenz darzulegen. Viele seiner Feststellungen sind heute obsolet geworden. Wir leben in einer anderen internationalen Wirklichkeit als die, die Lenin seinerzeit beschrieben hat.

Leider ist diese Art Ehrlichkeit in der politischen Auseinandersetzung nicht wahrnehmbar. Genauso wenig ist Transparenz bezĂŒglich der theoretischen Quellen der Positionen gegeben, zumindest in den mir vor liegenden Texten. Die Textanalyse soll prĂŒfen, ob solche Neuinterpretationen sich in irgendeiner Weise mit Lenin argumentieren lassen.


Monopol als HerrschaftsverhĂ€ltnis – die Fragestellung

Der vorliegende Beitrag sollte zunĂ€chst einmal nur herausarbeiten, was Lenin tatsĂ€chlich unter weltbeherrschenden Monopolen versteht. Diese Frage war deshalb so wichtig, weil in der Debatte die These vertreten wurde, dass alle LĂ€nder der Welt – mit sehr wenigen Ausnahmen – die monopolistische Phase insofern erreicht hĂ€tten, dass sie Monopole aufzuweisen hĂ€tten. Mit ‚Monopol‘ wird dabei ein großer Konzern in einem Land gemeint. Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Sektor der Konzern ist oder welche (Aktien-) Beteiligungen es gibt.. Die LĂ€nder, die nachweislich Monopole vorzuweisen hĂ€tten, wĂ€ren imperialistische LĂ€nder12, so z. B. Russland.

Diesen Vorstellungen wurde entgegnet, dass Monopole weder nur als große Konzerne vorgestellt noch isoliert betrachtet werden können, sondern immer nur im VerhĂ€ltnis zur höchsten und entfaltetsten Form des Monopols in der imperialistischen Epoche, nĂ€mlich dem Finanzkapital, ĂŒberhaupt erst einsortiert und als empirische und historisch spezifische PhĂ€nomene verstanden und im internationalen MachtgefĂŒge eingeschĂ€tzt werden können. Vor diesem Hintergrund wurde zunĂ€chst die Frage nach der Bedeutung des Monopolbegriffs bei Lenin im Zusammenhang mit Weltbeherrschung aufgeworfen. Im Laufe der Arbeit wurde die Fragestellung jedoch allgemeiner gefasst und die Imperialismusschrift Lenins mit Blick auf die Konzepte ‚Monopol‘ und ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘ untersucht. Diese Verfeinerung erlaubte es, den Text etwas umfassender zu behandeln.

Warum ist eine Textanalyse nötig?

Der zentrale theoretische Bezugspunkt der heutigen Imperialismusdebatte steht zur Disposition. NatĂŒrlich ist mir bewusst, dass seit der Existenz des Kommunismus in dieser Frage alle theoretischen Aussagen von allen möglichen Akteuren beliebig interpretiert und angewendet wurden. Ein Teil des ideologischen Kampfes bestand und besteht bis heute darin, um die richtige Auslegung und Interpretation zu streiten. In diesem Sinne fĂŒhlen sich bitte alle eingeladen, ihre eigene/widersprĂŒchliche Interpretation in den Ring zu werfen. Jedoch muss es auch hierfĂŒr Spielregeln geben. Diese sind primitiver Natur: Nachweise mĂŒssen erbracht werden, Textstellen dĂŒrfen nicht verzerrt oder verfĂ€lscht werden oder in einer Weise gekĂŒrzt werden, dass der Sinnzusammenhang verloren geht. Ich denke nicht, dass das zu viel verlangt ist.

Doch ist es ĂŒberhaupt nötig, einen Text, der ĂŒber 100 Jahre existiert und Gegenstand vieler Untersuchungen und Erörterungen gewesen ist, einer akribischen Untersuchung zu unterziehen? Womit ließe sich eine solche MĂŒhe rechtfertigen? Die Antwort ist einfach. Wenn er bis heute noch unterschiedlich interpretiert wird, dann ja.

Offensichtlich wird dieser Text, um den es hier geht – die Imperialismus-BroschĂŒre von Lenin, geschrieben 1916 –, von diametral entgegengesetzten Positionen zum Imperialismus als Beleg fĂŒr die eigene Argumentation herangezogen.

Wie kann das sein? Ist der Text so ambigue und entsprechend fĂŒr verschiedene Interpretationen offen? Die unterschiedlichen Lesarten reichen von der in der maoistischen Strömung besonders verbreiteten Vorstellung eines so genannten ‚Sozialimperialismus‘, der der Sowjetunion (SU) eine imperialistische Politik unterstellt, bis hin zu Positionen, die von einem ‚Weltsystem gegenseitiger AbhĂ€ngigkeiten‘ sprechen und der Vorstellung, dass die Welt immer noch in ‚unterdrĂŒckende und unterdrĂŒckte Nationen‘ aufgeteilt werden kann. Ohne Zweifel wĂŒrden die Protagonisten der verschiedenen Positionen fĂŒr sich die richtige Auslegung in Anspruch nehmen. Alle Seiten wĂŒrden es negieren mĂŒssen, dass der Text interpretationsoffen ist.

Dieses Festhalten an der Imperialismusschrift hat etwas mit dem welthistorischen Stellenwert dieses Textes zu tun. Immerhin ist er von Wladimir Iljitsch Lenin, dem großen FĂŒhrer der bolschewistischen Partei in Russland und nicht zuletzt der siegreichen Oktoberrevolution unter dem Eindruck des ersten imperialistischen Weltkrieges geschrieben worden. Seine Wirkung und Ausstrahlung sind kaum zu ĂŒberschĂ€tzen. Und da es hier um Positionen innerhalb der kommunistischen Bewegung geht, ist eine positive Bezugnahme auf Lenin und ganz besonders auf seine Imperialismusschrift zum regelrechten Glaubensbekenntnis geworden. Dort, wo IdentitĂ€t und Glauben herrschen, ist ObjektivitĂ€t nicht gerne gesehen, auch und gerade dann nicht, wenn die eigenen Grundlagen als Objekt der Untersuchung dienen,– entsprechend ist auch die Analyse eines solchen Textes schnell tabuisiert. Das ist verstĂ€ndlich. Denn erstens erfordert eine Analyse eine gewisse Distanz zum Objekt der Analyse und das fĂ€llt bei einer hohen Identifikation mit einem Text sehr schwer. Zweitens birgt Analyse die Gefahr der Entdeckung von Problemen, Leerstellen, offenen Fragen oder gar gegenteiligen Inhalten, als die, die man sich in der eigenen Position zurechtgelegt hat. KlĂ€rungsarbeit oder die Schaffung von Klarheit ist nicht nur mĂŒhsam, sondern auch riskant.

Die Notwendigkeit einer Textanalyse von Lenins Imperialismusschrift bleibt bestehen, solange erstens die Interpretationen derart auseinanderfallen und zweitens der Text der Hauptbezugspunkt fĂŒr die Imperialismusanalyse innerhalb der kommunistischen Bewegung ist. Die langen AusfĂŒhrungen zur Notwendigkeit einer solchen Textanalyse werden angeregt dadurch, dass es nachvollziehbare Zweifel und viele Fragen bezĂŒglich der Notwendigkeit einer solchen Arbeit gegeben hat und sicherlich noch gibt.

Eine weitere BegrĂŒndung fĂŒr eine solche Arbeit ist auch, dass sich die Imperialismusschrift dem Leser nicht einfach erschließt. Sie erscheint auf den ersten Blick als eine BroschĂŒre fĂŒr den schnellen Gebrauch und wie der Autor verspricht, soll sie in allgemeinverstĂ€ndlicher Sprache auch den Massen zugĂ€nglich sein. Mehr als ein Jahrhundert nach dem Erscheinen der Imperialismusschrift ist eine Einigung auf den Inhalt der Aussagen nicht einfacher geworden. Nach etlichen Kontroversen, Spaltungen bis hin zu blutigen KĂ€mpfen in der kommunistischen Bewegung und nicht zuletzt nach dem Sieg und der (zeitweiligen) Niederlage des Sozialismus, nach den Siegen und vielen Niederlagen der nationalen BefreiungskĂ€mpfe, leider auch nach dem massiven Vormarsch der imperialistischen LĂ€nder, aber auch der Infragestellung ihrer kriegerischen Politik, nach all diesen Erfahrungen scheinen sich die Strömungen und festgefahrenen Positionen in der kommunistischen Weltbewegung kaum bewegt zu haben.

Zugegeben, es wĂ€re viel einfacher gewesen, eine Unmenge an Zitaten aus der Imperialismus-BroschĂŒre herauszupicken und meine eigene Position damit zu begrĂŒnden. Motiviert wird die Arbeit nicht durch die Absicht der BestĂ€tigung der eigenen Position, sondern davon, nachvollziehen zu wollen, ob es der Text ist, der bestimmte Interpretationen ermöglicht oder ob es richtig ist, zu behaupten, er wĂŒrde falsch ausgelegt, ja vielleicht sogar revidiert werden.

Es kann jetzt schon verraten werden, dass es ein paar solche Stellen in der Imperialismusschrift gibt, die so interpretiert werden könnten, dass nicht-imperialistische LĂ€nder, – Beraubte, nicht RĂ€uber – zu imperialistischen MĂ€chten aufsteigen können. Eine solche Interpretation ist aber nur möglich, wenn der Gesamttext ausgeblendet wird und ganz besonders die Stellen, die sich explizit auf diese ‚Möglichkeiten‘ beziehen, aus dem Kontext gerissen werden. Das nennt man selektives Lesen.

Es gibt eine weitere Schwierigkeit mit dem Text. Das sind die verschachtelten Abstraktionsebenen und der stĂ€ndige Wechsel zwischen abstrakten Begriffen und empirischen Beschreibungen. Die Unterscheidung zwischen diesen verschiedenen Ebenen drĂ€ngt sich dem Leser nicht unbedingt auf. Es ist möglich und wahrscheinlich sehr gelĂ€ufig, dass der Text als ein historisches Zeugnis, als eine Beschreibung der Zeit, in der er geschrieben wurde, gelesen wird. Das heißt nicht, dass die Textstellen, in denen offenkundig von GesetzmĂ€ĂŸigkeiten oder von grundlegenden Merkmalen die Rede ist, nicht als solche erkannt und als allgemeingĂŒltige Aussagen verstanden werden. Was bei einer solchen Lesart passiert, ist, dass die Analyse des Imperialismus durch Lenin auf zwei Ebenen lediglich registriert, nicht begriffen wird. So stellen wir fest, dass am Anfang des Textes das Monopol in seiner historischen Genese beschrieben ist, und könnten diese Eröffnung als zufĂ€llig oder rein historisch verstehen. Dass aber hierbei eine begriffliche Abstraktion eingefĂŒhrt wird, aus der sich die nĂ€chsten Bestimmungen ableiten lassen, das ist nicht unmittelbar begreiflich. Die Textanalyse konnte zumindest den Blick fĂŒr solche Fragestellungen schĂ€rfen und hoffentlich fĂŒr die weitere Arbeit damit produktiv sein.

Ein paar allgemeine Anmerkungen zur Textanalyse

ZunĂ€chst einmal sehr einfach formuliert: Texte sind in ihrer allgemeinsten Form13 – metaphorisch gesprochen – der Transmissionsriemen zwischen Praxis und Theorie, zwischen dem lebendigen Austauschprozess von Natur und Gesellschaft auf der einen Seite und dem Spiegeln dieses Austausch- und Produktionsprozesses im Bewusstsein der Menschen. Nun wissen wir aber, dass die Menschen gesellschaftliche Wesen sind und als solche treten sie sich in Klassengesellschaften als Klassen gegenĂŒber. So sind Texte immer auch klassenparteiische14 Texte. Aber Achtung: sie sind nicht nur klassenmĂ€ĂŸig geschriebene oder gesprochene Texte, sondern auch genauso klassenparteiisch gelesene Texte. der gleiche Text ganz gleich welches Klasseninteresse tatsĂ€chlich darin zum Ausdruck gebracht wird, wird auch in seiner Rezeption nicht klassenneutral gelesen. FĂŒr die vorliegende Arbeit ist das deswegen relevant, weil dieser Fakt den Anlass fĂŒr die Analyse des Textes darstellt. Wir haben gegenwĂ€rtig in der kommunistischen Bewegung sehr unterschiedliche Lesarten dieses Textes. Gibt es eine andere Möglichkeit, als dass jede dieser Lesarten eine klassenmĂ€ĂŸige Interpretation darstellt? Ich meine nicht. Es gilt herauszufinden, welche Lesart welches Klasseninteresse zum Ausdruck bringt.

BezĂŒglich der Textanalyse ist vorausgesetzt, dass wir wissen und anerkennen, dass sich rund um die Frage der Textanalyse eine ganze Wissenschaft entwickelt hat (etwa seit den 1950/60er Jahren), diesehr prĂ€zise Methoden der Textanalyse hervorgebracht hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir von diesen Wissenschaften profitieren können, wenn wir lernen, sie anzuwenden. Ich bin auch davon ĂŒberzeugt, dass wir das mĂŒssen, wenn wir bestimmte Fehler vermeiden wollen: Phraseologie, arbeiterfeindliche Interpretation unserer Geschichte und Theorie, Prahlerei und Profilneurose in der Bewegung und so weiter und so fort. Und: Kritik und Selbstkritik als eine Kunst der Kommunikation mit den entwickeltesten Methoden kommt meines Ermessens nicht ohne solche Methoden aus.

Einen Text zu analysieren, heißt grundsĂ€tzlich ihn zuerst zerlegen und wieder zusammensetzen (Analyse und Synthese)15. Dieser Prozess findet auf unterschiedlichste Weise und mit den unterschiedlichsten Methoden statt, wobei sich die Methoden ĂŒberschneiden und ergĂ€nzen. Die hermeneutische Methode hilft uns dabei, den Text im VerhĂ€ltnis zum Lesenden in sich wiederholenden so genannten hermeneutischen Spiralen (Zirkeln) in seiner Gesamtbedeutung und in seinem Zusammenhang (seinen ZusammenhĂ€ngen) zu erschließen, aber auch gleichzeitig zu kontextualisieren und den Lesenden als Subjekt (mit einem bestehenden und sich wandelnden Vorwissen) transparent zu machen, jedoch mit dem Ziel eine so weit wie möglich objektive Darlegung der Textaussage(n) herauszufiltern.

Diese Methode hĂ€ngt eng mit der KohĂ€renzanalyse (Linguistik) zusammen, aber auch mit einer Analyse des Textes nach seiner inneren Methodologie, z. B. im vorliegenden Text danach, ob die materialistisch-dialektische Methode darin erkennbar ist und wenn ja wie und woran genau. Des Weiteren können quantitative Methoden die Analyse ergĂ€nzen, z. B., indem man den Text danach scannt, wie viele Anteile Objektsprache oder Metasprache sind, wieviel Empirie/Theorie oder welche Wörter/AusdrĂŒcke wie hĂ€ufig wiederholt werden. Es gilt hier zu beachten, die Aussagekraft der Ergebnisse weder zu ĂŒberbewerten noch isoliert von den anderen Methoden zu verwenden. Schließlich kann auch eine formal logische Analyse (fragt nach der inneren SchlĂŒssigkeit und Korrektheit der Argumente, ohne etwas ĂŒber ihre Wahrheit auszusagen) oder sprachanalytische Anwendung (z. B. etymologische oder KohĂ€sionsanalyse) sehr hilfreich sein, um Texte oder Textstellen oder sich wiederholende semantische Elemente zu analysieren. Schließlich ist die Analyse des Textes nach bestimmten Kategorien, Begriffen, Wörtern und zusammenhĂ€ngenden Inhalten, die sich von der Fragestellung ableiten, notwendig. Ist diese Arbeit geleistet, gilt es den Text als Ganzes (Synthese) wieder greifbar zu machen. Jedoch findet die Betrachtung des Gesamtzusammenhangs in Arbeitsschleifen statt. Teilweise beinhalten Methoden schon die Herstellung des Zusammenhangs, wie z. B. die hermeneutische, die dialektische und etwas abgestufter die KohĂ€renzanalyse.

Um welchen Text geht es? Es geht um den deutschsprachigen Text „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus “, Lenin Werke, Band22. Achtung: es geht nicht um den Originaltext oder eine intertextliche Analyse nach KohĂ€renz / Übereinstimmung / VerĂ€nderung. Es geht also nicht um einen Vergleich des deutschen Textes mit dem russischen Original. Die Textanalyse beschĂ€ftigt sich mit dem oben genannten deutschen Text und bezweckt eine wissenschaftliche BegrĂŒndung fĂŒr eine – möglichst objektive16 – Lesart dieses Textes.

Wie steht die allgemeine Analyse des Textes mit der oben genannten konkreten Fragestellung im Zusammenhang? Die Textanalyse steckt einerseits den Rahmen fĂŒr die Beantwortung der Fragestellung ab, andererseits dient sie teilweise als Instrument fĂŒr die Beantwortung der Fragestellung. Es stellt sich hier vielleicht manchen Lesern die Frage, warum es nicht ausreicht, nur nach den Textstellen Ausschau zu halten, die unmittelbar mit der Fragestellung zusammenhĂ€ngen. Diese Herangehensweise wĂŒrde insofern nicht ausreichen oder sogar fehlerhaft sein und sicherlich auch zurecht kritisiert werden, weil sie die Aussagen, die in einem textlichen Zusammenhang stehen, aus genau diesem Zusammenhang herausreißen und sie isoliert behandeln wĂŒrde. Hier gilt es einem MissverstĂ€ndnis vorzubeugen: natĂŒrlich ist es völlig legitim und auch notwendig, Zitate zu verwenden, wenn man einen bestimmten Inhalt behandelt und Verweise auf andere Literatur etc. verwendet. Jedoch nimmt eine allgemein thematische Behandlung einer Fragestellung nicht fĂŒr sich in Anspruch, einen konkreten vorliegenden Text zu analysieren, sondern eben ein Thema zu behandeln. Hier aber beinhaltet die Fragestellung die Frage nach dem Sinn des Textes, also danach welcher Gedanke mit den artikulierten SĂ€tzen/Begriffen verknĂŒpft ist,ob diese stringent nachvollziehbar sind und ob dessen theoretischer Hintergrund als intentionaler Akt erkennbar ist. Aus diesem Grund kann diese Art der Fragestellung (nach dem Sinn eines Textes) nicht ohne eine Textanalyse auskommen.

Darstellung und Ergebnisse der Textanalyse

In diesem Abschnitt möchte ich dem Leser die Möglichkeit geben, sich ein Bild von der Vorgehensweise und Methodik zu machen und die inhaltlichen Fragen, die mich beschĂ€ftigt haben, nachvollziehen zu können. Vor der LektĂŒre und Arbeit mit dem Text in der ersten Runde wurde die Fragestellung und die damit zusammenhĂ€ngenden inhaltlichen Standpunkte ins Bewusstsein gerufen. Dieses Herangehen hat die Funktion, noch einmal von einer Metaebene aus auf sich und die beteiligten Diskussionsteilnehmer mit ihren jeweiligen Sichtweisen zu blicken. DafĂŒr wurden noch einmal Artikel aus der Debatte gelesen und ein paar Notizen gemacht. Da ich nicht unvoreingenommen an diesen Text und auch nicht an die Debatte herantrete, ist diese Methode der Vergewisserung und ÜberprĂŒfung ein wichtiger erster Schritt, um nicht unbewusst Aspekte der Debatte, die vielleicht nicht zu meinen Vorstellungen passen, zu vernachlĂ€ssigen.

Die Fragestellung wurde noch einmal durchdacht. Ist die Kernfrage tatsĂ€chlich die nach Weltbeherrschung? Ja, meiner Ansicht nach ist die Kernfrage in der Debatte, ob es sich im Imperialismus um die Herrschaft Weniger, sowohl weniger HĂ€nde, in denen Kapital konzentriert ist, als auch weniger Staaten – ĂŒber die gesamte Welt handelt oder nicht. Dabei sind es die unterschiedlichen Formulierungen wie einseitige versus gegenseitige AbhĂ€ngigkeit, Weltsystem versus unterdrĂŒckende und unterdrĂŒckte LĂ€nder etc., die teilweise kaschieren, dass es sich letztlich um die Frage dreht, ob der Imperialismus notwendig ein System ist, bei dem es sich um die Herrschaft weniger Staaten ĂŒber die absolute Mehrheit handelt.

In einer ersten Runde wurde der Lenin-Text recht schnell gelesen. Hierbei wurden alle Wörter, die in einem Sinnzusammenhang mit „Herrschaft“, „Monopol“ und aber auch mit Begriffen aus der Debatte wie „AbhĂ€ngigkeit“ oder das Wortpaar „ungleichmĂ€ĂŸige Entwicklung“ stehen, markiert. In dieser ersten Runde sollte gerade durch das schnelle Lesen das Gesamtbild des Textes erfasst und festgehalten werden. In der Reflexionsphase ĂŒber die erste Runde wurde außer der Konkretisierung der SchlĂŒsselbegriffe auch die Gesamtstruktur des Textes reflektiert.

Hinweise durch die Gesamtstruktur des Textes

Folgende auf sehr unterschiedlichen Ebenen zu verortende Einsichten sind ein Ergebnis einer expliziten Anschauung der Gesamtstruktur des Textes: erstens ist die Gesamtaufteilung des Textes in vier verschiedene Teile, die nicht als solche gekennzeichnet sind, auffĂ€llig. In den ersten drei Kapiteln werden die drei Erscheinungsformen des monopolisierten Kapitals, das Industriekapital, das Bankkapital und das Finanzkapital vorgestellt. In den darauf folgenden drei Kapiteln wird ihre Wirkungsweise, das ist vornehmlich ihre Herrschaftsweise, dargestellt. Im siebten und achten Kapitel werden BlĂŒte und Verfall, dann in den letzten beiden Kapiteln die Reflexion des Imperialismus als Stadium analysiert. Zweitens also sind die ersten acht Kapitel der Darstellung der objektiven Seite, die letzten zwei Kapitel der subjektiven Seite der Entwicklung des Imperialismus gewidmet. Drittens ist die organische Darstellungsweise der verschiedenen Seinsweisen der jeweiligen Erscheinungen festzustellen: die empirische, die historisch-genetische, die wesentliche Weise, wobei letztere sich wie ein roter Faden vom ersten Kapitel bis zum letzten durchzieht und am Begriff des Monopols festmachen lĂ€sst – anders gesagt an der zentralisierten Form des konzentrierten Kapitals, eigentlich mĂŒsste man korrekterweise den prozessierenden Charakter wie folgt ausdrĂŒcken: die sich notwendig und stets zentralisierende Form des unvermeidlich konzentrierenden Kapitals.

Diese ‚Hinweise‘ durch die Beachtung der Gesamtstruktur des Textes waren sehr hilfreich fĂŒr die Analyse des Textes und sollen hier nicht als fertige Analyse oder feste Annahme postuliert werden, sondern lediglich als AuffĂ€lligkeiten festgehalten werden. Inwiefern diese Struktur wirklich Sinn ergibt oder tatsĂ€chlich in diesem Sinne bewusst von Lenin angelegt wurde, kann nicht nachgewiesen werden.

Jedenfalls lassen diese Hinweise nicht nur den Blick fĂŒr die verschiedenen Ebenen des Textes, also seine Tiefenstruktur, schĂ€rfen, auch wird durch die Gesamtstruktur die Einordnung der einzelnen Teile in das Ganze zugĂ€nglicher. Wir werden weiter unten sehen, welche Bedeutung der Blick fĂŒr die Gesamtstruktur des Textes fĂŒr die Textanalyse hatte, sowohl was die Formanalyse des Monopols, die Frage nach dem Anfang der Analyse fĂŒr Lenin (Monopol) und die Frage nach der dialektischen Logik der Imperialismusschrift angeht.

Analyse und Synthese: ‚Monopol‘ und ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘

Um zu verstehen, was Lenin mit dem HerrschaftsverhĂ€ltnis als das Typische des Monopolkapitalismus (LW 22, S. 211) meint, wurde die Imperialismusschrift zunĂ€chst nach den Stichworten ‚Monopol‘ und ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘ durchsucht, die damit transportierten SinnzusammenhĂ€nge untersucht und diese dann wieder im Zusammenhang betrachtet. Der Sinnzusammenhang Monopol und HerrschaftsverhĂ€ltnis wurde nach den einzelnen Begriffen zergliedert, um ihre jeweiligen Erscheinungsformen und Bedeutungen genauer analysieren zu können.

Schon auf dieser Ebene der Untersuchung konnte die gegenseitige Durchdringung der beiden Begriffe festgestellt werden. So ist das Monopol in seinen verschiedensten Erscheinungsformen das Subjekt der Herrschaft, wobei die Objekte der Herrschaft des Monopols aus der Analyse des Begriffs ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘ herausgearbeitet werden konnten. Es wird ersichtlich, dass beide Wörter in ihren unterschiedlichen Verwendungen wesentlich das Gleiche beinhalten. Monopol ist nichts anderes als ein HerrschaftsverhĂ€ltnis. Die weiteren Implikationen werden weiter unten dargestellt.

Die beiden Begriffe ‚Monopol‘ und ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘ wurden nach ihrer jeweiligen KohĂ€renz17 und nach ihrem VerhĂ€ltnis untersucht. Es ist festzustellen, dass außer kleinen Unterschieden in den quantitativen Angaben in Bezug auf die Subjekte der Herrschaft (mal drei, mal fĂŒnf, mal sieben LĂ€nder) keine inhaltlichen InkohĂ€renzen und widersprĂŒchliche Bedeutungszuschreibungen zu verzeichnen sind.

Jedoch gibt es – wohlwollend im Sinne einer Gegenprobe durch die Brille der oben dargestellten Position gelesen – durchaus sprachliche AmbiguitĂ€ten, die zu offenen Interpretationen verleiten könnten. Diese sind aber nur möglich, wenn die Textstellen aus dem Kontext gerissen werden und / oder der Gesamtzusammenhang des Textes und damit der Sinnzusammenhang der Begriffe nicht beachtet wird. Die Gegenproben werden weiter unten ausgefĂŒhrt.

Die Zusammensetzung (Synthese) der analysierten Einzelteile (Begriffe und ihre Vorkommnisse) und ihre verschiedenen Aspekte ergibt ein eindeutiges Bild: das Monopol bedeutet nichts anderes als die Herrschaft von tendenziell Wenigen, letztlich von tendenziell immer weniger werdenden Finanzkapitalzentren, also Staaten, aufbauend auf der zentralisierten Macht des konzentrierten Kapitals, also ĂŒber tendenziell mehr Nationen, Menschen, Kapital etc. Das Monopol ist insofern das Wesen des Imperialismus, dass es dieses prozessierende HerrschaftsverhĂ€ltnis wie ein Nucleus in sich trĂ€gt.

Analyse „Monopol“

Die Untersuchung der mit Monopolen zusammenhĂ€ngenden Textstellen, wurde entlang von sieben Weisen sortiert, in denen ‚Monopol‘ vorkommen kann18. Damit wurde jede Weise erfasst, in der das Wort ‚Monopol‘ tatsĂ€chlich im Text auftritt, aber auch welche empirischen Erscheinungen, Merkmale, Instrumente usw. dem Monopol zugeordnet werden.

Die Stichwortanalyse bezĂŒglich des Begriffs „Monopol“ ergibt, dass die Verwendungsarten des Wortes ‚Monopol‘ variieren. Wir treffen im Text viele konkrete Formen des Monopols an: Syndikate, Konzerne, branchenspezifische Monopole usw. Jedoch ist der gesamte Text durchzogen von der Verwendung eines abstrakten Monopolbegriffs, der im Laufe des Textes in seine konkreten Erscheinungsformen und Charakteristika entfaltet wird. Diese Erscheinungsformen sind Industriemonopole, Bankmonopole und Finanzkapital, wobei Letzteres die entwickelteste Form des Monopols darstellt. Im Begriff des Finanzkapitals heben sich die vorher entfalteten Formen (Bank- und Industriekapital bzw. Bank- und Industriemonopole) auf, sie sind sozusagen im Begriff des Finanzkapitals enthalten.

Auch wenn die wichtigste Erkenntnis der Analyse auf dieser Ebene ist, dass die Verwendung des Wortes ‚Monopol‘ in seinen verschiedenen Weisen eine begriffliche Verwendung darstellt, soll hier hervorgehoben werden, dass der Text mit einem Reichtum an konkreten, empirischen Beispielen aufwartet und es deshalb vorstellbar ist, dass eine Lesart, die vor allem die Darstellung von vielen konkreten empirischen Monopolen wahrnimmt, möglich ist.

UnĂŒbersehbar ist jedoch, dass Lenin ‚Monopol‘ als allgemeines und wesentliches Merkmal der imperialistischen Epoche versteht. Zur Veranschaulichung hier einige Beispiele, die deutlich machen, dass das ‚Monopol‘ einen Wesenszug und nicht ein ausschließlich empirisches PhĂ€nomen darstellt19:

„Diese Verwandlung der Konkurrenz in das Monopol ist eine der wichtigsten Erscheinungen – wenn nicht die wichtigste – in der Ökonomik des modernen Kapitalismus.“ (LW 22, S. 201/202).

Und: „Das von uns hervorgehobene Wort deckt das Wesen der Sache auf, das von den bĂŒrgerlichen Ökonomen so ungern und selten zugegeben wird und um das die heutigen Verteidiger des Opportunismus mit K. Kautsky an der Spitze so eifrig herumzureden versuchen. Das HerrschaftsverhĂ€ltnis und die damit verbundene Gewalt – das ist das Typische fĂŒr die ‚jĂŒngste Entwicklung des Kapitalismus, das ist es, was aus der Bildung allmĂ€chtiger wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich hervorgehen mußte und hervorgegangen ist.“ (LW 22, S. 211)

Und: „Das Monopol ist der Übergang vom Kapitalismus zu einer höheren Ordnung. WĂŒrde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so mĂŒĂŸte man sagen, daß der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist.“ (LW 22, S. 270)

Und: „Die tiefste ökonomische Grundlage des Imperialismus ist das Monopol. Dieses Monopol ist ein kapitalistisches, d.h. ein Monopol, das aus dem Kapitalismus erwachsen ist und im allgemeinen Milieu des Kapitalismus, der Warenproduktion, der Konkurrenz, in einem bestĂ€ndigen und unlösbaren Widerspruch zu diesem allgemeinen Milieu steht.“ (LW 22, S. 280/281)

Und: „Wir haben gesehen, daß der Imperialismus seinem ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus ist.“ (LW22, S. 304)

Bei genauerer Betrachtung der Verwendung des Wortes „das Monopol“ in diesen Zitaten:, kann man zweifellos von einer Verallgemeinerung sprechen, die dem ‚Monopol‘ eine Stellung zuweist, die als Charakterisierung bzw. als Attribut verwendet werden kann. Das ‚Monopol‘ in dieser Weise verstanden, ist eine Verallgemeinerung eines Prinzips. Was sind aber seine wesentlichen Merkmale und wie werden sie im Text herausgearbeitet?

Die Anordnung der empirischen Beispiele und Zitate, die den allgemeinen und konkreten Prozess und die Wirkungsweise der vor sich gehenden Monopolisierung darstellen, sind so zusammengestellt, dass sie systematisch folgende GrundzĂŒge des Monopols veranschaulichen:

Zusammenziehen bzw. Kontraktion von Kapital (Konzentration und Zentralisation): Ein Wesenszug, der in der Wortzusammensetzung Mono-Pol20zum Ausdruck kommt. Das ist hier in dem Sinne gemeint, dass Viele sich tendenziell zu Einem zusammenziehen.

Ein weiterer Wesenszug ist die Dynamik in dem Sinne, dass es keinen Stillstand gibt, sondern das Monopol dauernde Monopolisierung beinhaltet. Anhand vieler Beispiele und Beschreibungen der Prozesse wird diese Dynamik, die im Begriff enthalten ist, regelrecht dramatisch dargestellt. Eine weitere Seite des ‚Monopols‘ ist der notwendige Formwandel bis zur flexibelsten und flĂŒssigsten Form . dem Finanzkapital. Und schließlich die Seite des ‚Monopols‘, die darin besteht, dass es sich in seiner Bewegung im dauernden Widerspruch zum Kontext seiner Entstehung, seines Werdens und seines Vergehens befindet.

Diese WidersprĂŒche sind: Widerspruch zum kapitalistischen Umfeld, aus dem das ‚Monopol‘ entsteht, also zum Konkurrenzkapitalismus; Widerspruch zu ‚sich selbst‘ als Erscheinung. Das bedeutet, dass Monopole im Plural ein Widerspruch in sich trĂ€gt und zur Aufhebung drĂ€ngt, – anders gesagt: das Monopol tendiert zu einem Monopol; der Widerspruch zwischen dem Prozess der Monopolisierung auf internationaler Ebene und den nationalen Schranken; Widerspruch zwischen dem Prozess der Vergesellschaftung der Produktion und der privaten Aneignung, ein Widerspruch, der zwar schon im Allgemeinen in der kapitalistischen Produktionsweise existiert, aber durch den Prozess der Monopolisierung unvermeidlich zum Antagonismus werden muss, da die Konzentration und vor allem die Zentralisierung eine zentrale Planstelle einfordern, die aber u.a. durch die private Aneignung gehemmt werden.

Die GrundzĂŒge des Wesens von ‚Monopol‘ sind durch die Textanalyse erfasst worden, in dem alle Vorkommnisse, die sich einer Metaebene oder einer Abstraktion zuordnen ließen, herausgefiltert wurden. Die Erscheinungsformen des ‚Monopols‘ wurden wie folgt ausgemacht: Industriemonopol, Bankmonopol, Finanzkapital. Hierzu ist erstens zu sagen, dass das keine Reihenfolge darstellt, auch nicht historisch gemeint ist, aber durchaus hierarchisiert auftritt. Das bedeutet, dass die Darstellungsweise chronologisch und eindeutig inhaltlich schließen lĂ€sst, dass das Finanzkapital die Form ist, die alle anderen Formen in sich aufhebt, aber auch die letzte Form ist. Es gibt keine weitere Erscheinungsform, die folgt. In Aussagen wie der folgenden ist diese Form als letzte Form dargelegt: „Der Kapitalismus, der seine Entwicklung als kleines Wucherkapital begann, beendet seine Entwicklung als riesiges Wucherkapital.“ (LW 22, S. 237)

Des Weiteren ist zu diesen Formen zu sagen, dass sie die Formen des Monopolkapitals auf einer abstrakten Ebene begrifflich zusammenfassen. Gerade im Begriff des Finanzkapitals ist es sehr klar, dass es sowohl industrielles Kapital, also das Kapital, das in der Industrie angelegt ist, als auch gleichzeitig Bankkapital ist, wobei letzteres die Kontrollfunktion hat, da hier – in der ‚Bank‘ – das Kapital nicht nur konzentriert, sondern auch zentralisiert ist.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Staatsmonopol als solches nicht als Erscheinungsform des ‚Monopols‘ aufgefasst wurde, weil diese bei Lenin fast ausschließlich eine Hilfsfunktion im VerhĂ€ltnis zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Monopolkapitals einnimmt. Besonders klar wird das durch die Aussage, dass anschaulich gesehen werden kann, „wie sich in der Epoche des Finanzkapitals private und staatliche Monopole miteinander verflechten und die einen wie die anderen in Wirklichkeit bloß einzelne Glieder in der Kette des imperialistischen Kampfes zwischen den grĂ¶ĂŸten Monopolisten um die Teilung der Welt sind.“ (LW 22, S. 253)

Eine weitere Anmerkung ist nötig. Es geht um eine Textstelle, die auf den ersten Blick eine andere Zuordnung erfordert als die, die hier unter „Erscheinungsformen“ vorgenommen wurde. Gegen Ende des Textes (S. 304/305) spricht Lenin von „den vier verschiedenen Hauptarten der Monopole oder den Haupterscheinungsformen des Monopolkapitalismus“: den MonopolverbĂ€nden, den Rohstoffmonopolen, den Monopolisten des Finanzkapitals und schließlich dem Monopol ĂŒber das Wirtschaftsgebiet ĂŒberhaupt. Hier befindet sich der Text auf der konkretesten Ebene der Darstellung. Die Formen wurden in ihrer Abstraktheit Schritt fĂŒr Schritt entfaltet und sind jetzt auf der OberflĂ€chenebene angelangt.

In den ersten drei Kapiteln wurde das Kapital in seiner monopolisierten Form in seinen GrundzĂŒgen, seinem Wesen nach dargestellt. Die Darstellung erfolgte immer organisch mit empirischen und historischen Beispielen. Jedoch ist die Quintessenz dieser Darstellung, das ökonomische Wesen des Monopols aufzudecken und zu zeigen, dass es seine höchste Form im Finanzkapital findet, ohne die anderen Formen zu eliminieren.

Im letzten Kapitel, aus dem die „vier Hauptarten“ (siehe oben) zitiert wurden, wird die konkrete Erscheinungsform beschrieben. Im Folgenden betrachtet Lenin diese Hauptarten historisch und beschreibt ihre Genese, die letztlich „zum endgĂŒltigen Sieg des internationalen Finanzkapitals“ (LW 22, S. 305) gefĂŒhrt hat.

FĂŒr die Textanalyse ist es relevant, diese unterschiedlichen Ebenen zu registrieren und die einzelnen AusfĂŒhrungen in diese Gesamtstruktur einzuordnen. Alle weiteren Weisen, in denen das ‚Wort‘ Monopol im Text verwendet wird, dienten in der Analyse lediglich als KohĂ€renznachweis, der hiermit bestĂ€tigt wird. Es wurden keine InkohĂ€renzen in den verschiedenen Verwendungsweisen vorgefunden.

Die begriffliche Entwicklung ist nicht oder nicht nur historisch, auch wenn die eine Form unvermeidlich aus der anderen erwĂ€chst. ‚Historisch‘ hieße, dass der Übergang der einen in die andere Form einen historischen Abschluss der vorhergehenden Form markiert. Auch wenn das tendenziell geschieht, bleiben alle Formen noch weiter bestehen, wĂ€hrend sich die nĂ€chste Form entfaltet. So ist die Epoche der Monopole zwar durch das Finanzkapital erzeugt worden (LW 22, S. 248), jedoch kommt das Finanzkapital erst durch die Entfaltung des Monopolkapitalismus zu seiner alles durchdringenden Entwicklungsstufe und wird zur herrschenden Form des Monopols. So hebt das Bankmonopol zwar das Industriemonopol auf, aber vernichtet dieses nicht. Lenin nimmt das Monopol zu seinem Ausgangspunkt und setzt die Konzentration und Zentralisation des Kapitals als den Motor der Monopolisierung voraus. Diese Monopolisierungstendenz beschleunigt die Konzentration und Zentralisation und diese wiederum die Monopolisierungstendenz.

Die Untersuchung der gesamten Textstruktur stĂŒtzt die Annahme, dass ‚Monopol‘ eine begriffliche Ebene darstellt, in der viele der weiteren Bestimmungen enthalten sind. Der Text beginnt mit der Darstellung des Monopols, wobei hier die Betonung darauf liegt, dass die Untersuchung mit dem PhĂ€nomen ‚Monopol‘ anfĂ€ngt. Wenn auch die Darstellung am Anfang selbst historisch-konkret vorgenommen wird, ist der Ausgangspunkt der Untersuchung insofern gesetzt, als dass alle weiteren Erscheinungsformen sich wesentlich vom ‚Monopol‘ ableiten lassen bzw. ihm zugeordnet werden können. So werden in jedem weiteren Kapitel verschiedene Seiten des Monopols aufgeschlĂŒsselt.

Fritz Kumpf, der 1968 eine Studie zur dialektischen Logik der Imperialismusschrift vorlegte, kommt zu folgendem Ergebnis: „Das Monopol ist im System des Imperialismus eine solche konkrete Abstraktion, die den Übergang zu anderen Bestimmungen und zu deren systematischer Entwicklung notwendig in sich einschließt. Die Notwendigkeit des Übergangs liegt vor allem darin, daß das Monopol das ökonomische Wesen des Imperialismus darstellt.“ (Kumpf 1968, S. 98)

Dabei markiert das ‚Monopol‘ deshalb den Beginn, weil alle weiteren Bestimmungen, die fĂŒr das System ‚Imperialismus‘ bestimmend sind, diese zur Voraussetzung haben, aber nicht umgekehrt. „Wir können daher aus zwei GrĂŒnden von einer konkreten Abstraktion sprechen. Einmal deshalb, weil das Monopol die einfachste Kategorie im Hinblick auf ein konkretes System, auf den Imperialismus, nicht aber fĂŒr den Kapitalismus oder die Gesellschaft schlechthin ist. Zweitens, weil diese abstrakte Bestimmung in Relation zum System des Imperialismus zugleich eine konkrete Bestimmung ist, da sie den Reichtum der Bestimmungen des vormonopolistischen Kapitalismus in sich enthĂ€lt.“ (Kumpf 1968, S. 94)

Das Monopol wird im weiteren Verlauf des Textes von Lenin nach seinen Charaktermerkmalen und Dynamiken entfaltet. Das Hauptmerkmal, das Wesen des Monopols wird als „HerrschaftsverhĂ€ltnis“ identifiziert. Darunter fallen Eliminierung anderer Unternehmen, auch von Monopolen, Steigerung der Macht, (Neu-)Aufteilung der Welt, VerschĂ€rfung der nationalen UnterdrĂŒckung. Des Weiteren werden WidersprĂŒche verschĂ€rft: höhere Vergesellschaftung der Produktion bei gleichzeitig steigender Tendenz zur privaten Aneignung, VerschĂ€rfung der Krisenhaftigkeit und Chaos in der Produktion bei gleichzeitiger Erhöhung der Plan-Notwendigkeit, Tendenz zur Stagnation und FĂ€ulnis und gleichzeitig Übergang zu einer höheren Gesellschaftsordnung, und Entstehung der Arbeiteraristokratie in den imperialistischen LĂ€ndern bei VerschĂ€rfung der Ausbeutung anderer Nationen, um hier nur einige Aspekte zu nennen, die im Text entfaltet werden.


Analyse ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘

Der Sinnzusammenhang „HerrschaftsverhĂ€ltnis“ wurde in Mengen- und Ortsangaben, Subjekt und Objekt der Herrschaft und verschiedene Herrschaftsweisen und -instrumente aufgeteilt. Das Subjekt der Herrschaft sind ökonomische und politische EntitĂ€ten, Konzerne, Trusts, Banken, das Finanzkapital und Staaten. Objekt der Herrschaft sind andere Unternehmungen, darunter auch Konzerne, sogar Monopole, Kolonien, Halbkolonien, auch nicht-abhĂ€ngige LĂ€nder und zuallerletzt Menschen.

Quantitative Angaben im Sinnzusammenhang „HerrschaftsverhĂ€ltnis“ bleiben konsistent durch die gesamte Schrift: auf der Seite der Subjekte der Herrschaft werden durchgehend wenige Herrschende, UnterdrĂŒckende etc. angegeben, auf der Seite des beherrschten Objekts durchgehend eine große Menge mit Zahlenangaben oder mit quantitativen Zuschreibungen der Menge, „viele“, „meisten“ usw. HĂ€ufig findet sich im Text eine Tendenzaussage mit „immer weniger“ oder „immer mehr“. Ortsangaben bezĂŒglich der Subjekte der Herrschaft sind entweder eindeutige LĂ€ndernamen oder kontinentale Attribute wie z. B. „das europĂ€ische Kapital“ oder bezĂŒglich der Objekte Kontinente, hĂ€ufig Afrika und Asien.

Des Weiteren wurden alle Textstellen, die in irgendeiner Weise ein Synonym fĂŒr ‚Herrschaft‘ darstellen bzw. als Akt der Beherrschung interpretiert werden können, herausgefiltert. Diese Synonyme sind folgende: (u.a. koloniale) UnterdrĂŒckung, finanzielle Erdrosselung, weltbeherrschende RĂ€uber, AusplĂŒnderung, BemĂ€chtigung, Gewalt, Kontrolle (u.a. Kapital ĂŒber Kapital), Ausbeutung, Unterwerfung, ‚an sich reißen‘, AbhĂ€ngigkeit, Aufteilung, Eroberung zwecks Sicherung der eigenen Hegemonie, Untergrabung der Konkurrenten, ‚schalten und walten, wie sie wollen‘, Annexion, Verletzung der nationalen UnabhĂ€ngigkeit.

Synthese von ‚Monopol‘ und ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘

Bei der Synthese von ‚Monopol‘ und ‚HerrschaftsverhĂ€ltnis‘ sind folgende Aspekte zu unterscheiden: Erstens Herrschaft als Wesen des Monopols oder Monopol als HerrschaftsverhĂ€ltnis, zweitens die Herrschaftsweise, drittens die Herrschaftsinstrumente und viertens die Subjekte und Objekte der Herrschaft. Da in der Analyse des Monopolbegriffes klar wurde, dass im Begriff selbst die Bedeutung der Herrschaft ĂŒber andere angelegt ist, wird auf diese Stellen oben verwiesen.

Die Herrschaftsweise des Monopols kulminiert in ökonomische Macht, jedoch ist sie nicht darauf beschrĂ€nkt, vielmehr ist die Art und Weise der Herrschaft vor allem durch Gewaltherrschaft zu charakterisieren, wenn die dafĂŒr verwendeten Wörter zur Charakterisierung dieser Herrschaft betrachtet werden. Die Instrumente der Herrschaft sind vielseitig und durchdringen alle Ebenen der Gesellschaft. FĂŒr die heutige Debatte um die Frage der Identifizierung von imperialistischen LĂ€ndern oder um die Frage der ökonomischen AbhĂ€ngigkeit, bzw. EigenstĂ€ndigkeit (SouverĂ€nitĂ€t) sind die AusfĂŒhrungen zu den Instrumenten, die bei der Kontrolle von nationalen Monopolen durch internationales Finanzkapital zum Einsatz kommen, besonders interessant.21

Und schließlich fehlt es Lenins AusfĂŒhrungen bei der Betrachtung der Herrschaftssubjekte und -objekte kaum an Eindeutigkeit. Lenin beschreibt sehr plastisch, wie nicht nur die eigene Arbeiterklasse oder ĂŒberhaupt die Arbeiterklasse, sondern eben auch andere Monopole und Nationen, auch solche mit scheinbar eigenstĂ€ndiger Staatlichkeit, vom internationalen Finanzkapital unterworfen werden. Seine Zuspitzungen kulminieren in Aussagen, die die UnterdrĂŒckung der vielen / meisten Nationen, LĂ€ndern, Staaten der Welt durch eine kleine Gruppe von Staaten, die als Vertreter des zentralisierten Finanzkapitals auftreten, beschreiben.

HierfĂŒr ein paar Zitate, die exemplarisch angefĂŒhrt werden: „Das ist eine neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion, eine unvergleichlich höhere Stufe als die vorangegangenen. Wir wollen sehen, wie dieses Übermonopol heranwĂ€chst.“ (LW22, S. 250)

Und: „Der Imperialismus ist die Epoche des Finanzkapitals und der Monopole, die ĂŒberallhinden Drang nach Herrschaft und nicht nach Freiheit tragen. Reaktion auf der ganzen Linie, gleichviel unter welchem politischen System, Ă€ußerste Zuspitzung der GegensĂ€tze auch auf diesem Gebiet – das ist das Ergebnis dieser Tendenzen. Insbesondere verschĂ€rfen sich auch die nationale UnterdrĂŒckung und der Drang nach Annexionen, d.h. nach Verletzung der nationalen UnabhĂ€ngigkeit (denn Annexion ist ja nichts anderes als Verletzung der Selbstbestimmung der Nationen).“ (LW 22, S. 302/303)

Und: „Monopole, Oligarchie, das Streben nach Herrschaft statt nach Freiheit, die Ausbeutung einer immer grĂ¶ĂŸeren Anzahl kleiner oder schwacher Nationen durch ganz wenige reiche oder mĂ€chtige Nationen – all das erzeugte jene Merkmale des Imperialismus, die uns veranlassen, ihn als parasitĂ€ren oder in FĂ€ulnis begriffenen Kapitalismus zu bezeichnen.“ (LW 22, S. 305)

Die Logik der Imperialismusschrift

Lenin hatte explizit gemacht, dass er mit der Imperialismusschrift eine allgemein verstĂ€ndliche Schrift vorlegen wollte, die als LektĂŒre fĂŒr den politischen Kampf geeignet war. Diese Funktion erfĂŒllte die Schrift ohne Zweifel, nicht zuletzt im Kampf gegen revisionistische, faktisch pro-imperialistische Positionen innerhalb der Arbeiterbewegung. Aber ist die Imperialismusschrift nun ein theoretisches Werk oder nicht?

Die meisten wĂŒrden zustimmen, dass das so ist, weil Lenin explizit Definitionen liefert, ZusammenhĂ€nge aufdeckt und nicht nur rein empirische Beobachtungen beschreibt. In diesem Sinne wurde und wird die Imperialismusschrift auch tatsĂ€chlich in der Bewegung behandelt. HĂ€ufig werden die Definitionen, die darin enthalten sind, herausgeholt und die darin aufgefĂŒhrten Begriffe wie „Monopol“, „Finanzkapital“ und „faulender Kapitalismus“ als Marker fĂŒr die Charakterisierung des imperialistischen Entwicklungsstadiums des Kapitalismus – richtigerweise – benannt. Und wer kennt es nicht: die fĂŒnf Merkmale werden auswendig gelernt.

Jedoch ist das nicht alles und leider ist auf dem mehr als hundertjĂ€hrigen, steinigen Weg bis hierher seit Entstehung des Textes, quasi im Eifer des Kampfes um Sozialismus und gegen Imperialismus, einiges an Erkenntnis wieder verloren gegangen und es gilt, diese Erkenntnisse und Anstrengungen, die vor allem in den 50er und 60er Jahren gleistet wurden, wieder zu sammeln und der Bewegung zur VerfĂŒgung zu stellen. Zur Frage der logischen Struktur der Imperialismusschrift gibt es, das sei an dieser Stelle vorgemerkt, noch einiges zu tun.

Kurzum: Dass Lenin sehr bewusst eine bestimmte Textstruktur angelegt hat und sich etwas dabei gedacht hat und dass diese Struktur eine logische innere Bedeutung der Begriffe spiegelt und ihre Anordnung konsequent einer Begriffsentwicklung folgt, kann und soll hier als These vertreten werden. Warum ist das von Bedeutung und welche Rolle spielt das in der heutigen Debatte? Es spielt deshalb eine wichtige Rolle, weil die Begriffe, die in der Debatte benutzt werden, sehr unterschiedlich verwendet werden, entweder als Katalogisierungsmarker, so wie es verschiedene Erscheinungsformen des Dogmatismus verwenden oder als Begriffe, die das Wesen einer Erscheinung zum Ausdruck bringen. Letzteres, so hier die These, ist das nachweisbar richtige VerstĂ€ndnis. Diese These wird unter anderem gestĂŒtzt auf die Arbeit von Fritz Kumpf, der wiederum seine Auseinandersetzung mit der Logik der Imperialismusschrift vor allem auf sowjetische Forscher der Zeit aufbaute.

Der Imperialismus, so Lenin, sollte als monopolistischer Kapitalismus verstanden werden, als Monopolkapitalismus. Monopol ist nicht als ein rein empirisches PhĂ€nomen und auch nicht als ein Überbegriff fĂŒr verschiedenartige monopolistische Unternehmen zu verstehen, sondern als ein Begriff, der das Wesensmerkmal22 des Imperialismus zum Ausdruck bringt: Herrschaft! In ihm ist die gesetzmĂ€ĂŸige und unaufhörliche Bewegung des Kapitals, nĂ€mlich Konzentration und Zentralisation, aufgehoben. Aus ihm leiten sich notwendigerweise, also gesetzmĂ€ĂŸig, alle weiteren Erscheinungsformen und Tendenzen im Imperialismus ab: Industriemonopole, Bankmonopole, das Finanzkapital, die nationale UnterdrĂŒckung, die Arbeiteraristokratie und der unauflöslich mit ihr verbundene Opportunismus und der FĂ€ulnischarakter. Alle diese Erscheinungsformen sind wesentlich Ausdruck von Herrschaft tendenziell immer weniger und immer zentralisierterer Monopole und ihrer Staaten gegenĂŒber tendenziell immer grĂ¶ĂŸer werdendenTeilen der Welt. Das ist die Quintessenz des Begriffs23 Monopol, wie Kumpf sagt, der konkreten Abstraktion.

Die logische Struktur des Textes spiegelt genau diesen Inhalt: Lenin setzt Monopol an den Anfang und leitet alle (Erscheinungs-)Formen des Monopols ab. Dabei ist unĂŒbersehbar, dass Lenin, ohne den theoretischen Hintergrund explizit zu machen, eine Form logisch von der anderen ableitet. Jedoch haben wir es hier nicht mit einer formal-logischen Schlussfolgerung, sondern mit der dialektischen Logik, also einer Widerspruchslogik zu tun. So wie der Begriff des Monopols schon in sich den Widerspruch zwischen Vergesellschaftung und privater Aneignung in zugespitzter Weise beinhaltet, so entwickeln sich alle weiteren Erscheinungen aus diesem Widerspruch.24

Die Spannung bzw. auch Schwierigkeit ist dabei – und das ist es immer – die Gleichzeitigkeit der historischen Entwicklungsschritte und die logischen Entfaltungen miteinander zu versöhnen. Die Zick-Zack-Bewegungen der Geschichte verstellen den Blick fĂŒr die sich durchsetzende dialektisch-logische GesetzmĂ€ĂŸigkeit. Hier kommt es sehr stark auf die Lesart an: liest man empirisch-historisch oder erkennt die gesetzmĂ€ĂŸige dialektische Entwicklung, die im Text dargelegt ist. Die erste Lesart kann viele, teilweise sehr unterschiedliche Ergebnisse zeigen. Das wiederum ist logisch, denn Empirie und Geschichte im Sinne einer Beschreibung der OberflĂ€chenphĂ€nomene kann relativiert, ergĂ€nzt und erweitert werden.

Die Imperialismusschrift wird gerade von den Neuinterpretationen, die oben beschrieben wurden, so verwendet – nĂ€mlich als eine historische Arbeit ĂŒber eine konkrete historische Zeit. Bei dieser Lesart wird unterstellt, dass z. B. eine der wesentlichsten Aussagen der Imperialismusschrift, nĂ€mlich die Zuspitzung der WidersprĂŒche zwischen den UnterdrĂŒckernationen und den unterdrĂŒckten Nationen als eine notwendige Erscheinung des Imperialismus nach den (wohlgemerkt ersten und unvollendeten) antikolonialen BefreiungskĂ€mpfen beendet wurde. WĂŒrden sie verstehen, dass Lenin sehr deutlich macht, dass das unter monopolistischem Kapitalismus unmöglich sei, weil das PhĂ€nomen der nationalen UnterdrĂŒckung zum Wesen des Monopolkapitalismus gehört, dann könnten sie diesen Fehler vermeiden. NatĂŒrlich wĂ€re das auch möglich gewesen, wenn sie nur die Augen aufgemacht hĂ€tten oder wenn man die bĂŒrgerliche Presse als Feindespresse liest,– aber ich hatte ja vor, mit so wenig Polemik wie möglich auszukommen.

Zwecks Transparenz möchte ich hier noch aufzeigen, wie im Rahmen der Textanalyse die logische Struktur des Textes ersichtlich wurde und noch einmal bewusst angesehen werden konnte: Die erste Runde ermöglichte es, durch die zeitlich sehr zĂŒgige Sichtung des Textes als Gesamttext, den Blick fĂŒr die Gesamtstruktur des Textes zu schĂ€rfen. Dabei ergab sich eine Frage, die zur weiteren BeschĂ€ftigung drĂ€ngte. ZunĂ€chst einmal war die Absicht, die Textgesamtstruktur auf einer rein inhaltlichen Ebene kenntlich zu machen bzw. zu berĂŒcksichtigen. Das sollte veranschaulichen, welche Themen der Text im Zusammenhang, oder besser gesagt in einem Zusammenhang, umfasst und dass man z. B. Aussagen ĂŒber die „Beherrschung von Kolonien und Halbkolonien“ nicht trennen kann von der „Beherrschung der Welt durch das Finanzkapital“ und diese wiederum nicht von der „Monopolisierung als Wesen des Imperialismus“. Dieser Zusammenhang war als Ergebnis der ersten Runde durch die innere VerknĂŒpfung der einzelnen Kapitel bzw. Aussagen des Textes erkennbar.

WĂ€hrend der Reflexion ĂŒber diesen Struktur- und Inhaltszusammenhang, stellte sich die Frage, warum der Text mit der Betrachtung des Monopols beginnt. Offensichtlich beinhalteten die nĂ€chstfolgenden Kapitel eine KontinuitĂ€t in der Beschreibung des „Monopolcharakters“, nur bezogen auf je verschiedene Erscheinungsformen, z. B. Banken, Finanzkapital, imperialistische Staaten, aber auch schienen die zwei wesentlichen WidersprĂŒche am ‘Monopol‘begriff festgemacht zu werden. Das Monopol gerĂ€t in einen Widerspruch zu dem Umfeld, aus dem es entstanden ist und beinhaltet und verschĂ€rft den Widerspruch zwischen Vergesellschaftung der Produktion auf der einen und privater Aneignung der Produktionsmittel und produzierten GĂŒter auf der anderen Seite. (LW, S. 209 ff)

Die Frage danach, ob es eine tiefere Bedeutung bzw. eine Implikation hat, dass der Text mit dem „Monopol“ beginnt, wurde durch diese Beobachtungen eher verschĂ€rft, nicht beantwortet. Es schien zu vieles einer theoretischen BegrĂŒndung zu widersprechen: das erste Kapitel „Konzentration der Produktion und Monopole“ ist auf den ersten Blick sehr empirisch und historisch. Außerdem gibt es Textstellen, die darauf hindeuten, dass die nĂ€chstbehandelten PhĂ€nomene wie ‚Banken‘ und ‚Finanzkapital‘ ‚das Monopol‘ hervorgebracht haben. Hier ist ein Hinweis auf die Gleichzeitigkeit der Darstellung historisch-konkreter Entwicklung einerseits und andererseits die logisch-dialektische Entwicklung zu erkennen. Einerseits also wie sich die Monopolisierung aufgrund der konkret vor sich gehenden Konzentration und Zentralisation des Kapitals in der vormonopolistischen Zeit entwickelte und dass fĂŒr diese Entwicklung Banken und auch die Entstehung der Verschmelzung von Bank- und Industriekapital relevant waren. Erst aber nach einem bestimmten quantitativen Grad dieser Entwicklung, das ‚System‘ in eine andere QualitĂ€t umschlĂ€gt, nĂ€mlich den monopolistischen Kapitalismus. Dass Lenin das Monopol als Wesen des Imperialismus ausmacht, deutete darauf hin, dass die Auswahl des Anfangs der Darstellung – analog auch bei Marx mit der Ware – nicht zufĂ€llig und ebenso nicht einfach nur historisch-konkret gemeint sei.

FĂŒr die Beantwortung der Frage nach der begrifflichen Einordnung des Monopols wurde – entgegen dem ursprĂŒnglichen Plan – doch zur SekundĂ€rliteratur gegriffen. Dankenswerterweise ging diese LektĂŒre auf einen Hinweis von Arnold Schölzel zurĂŒck, der bei einer Veranstaltung auf dieses Buch hinwies. Fritz Kumpf hatte eine Studie zur dialektischen Logik der Imperialismusschrift von Lenin vorgelegt, die seinerzeit mĂ€ĂŸig in marxistischen Kreisen beachtet wurde.

Das Heranziehen von Kumpfs Arbeit stellte sich als sehr produktiv heraus, denn er beschĂ€ftigt sich genau mit dieser Fragestellung. Er fragt nach dem Ausgangspunkt der Untersuchung bei Lenin. „Das Monopol bedarf fĂŒr sein VerstĂ€ndnis keiner weiteren Kategorie, die der Erfassung des Begriffes Imperialismus angehört. Das zeigt sich schon Ă€ußerlich in der Tatsache, daß Lenin bei der Analyse des Monopols an keiner Stelle genötigt war, auf Kategorien und Begriffe und damit auch auf die von ihnen erfaßten Sachverhalte zurĂŒckzugreifen, die erst spĂ€ter entwickelt werden.“ (Hervorhebung KB; Kumpf 1968, S. 93)

Alle weiteren „Momente“, die in der Imperialismusschrift behandelt werden, werden durch das Monopol bestimmt. Noch einmal zur Bedeutung der Tiefenstruktur der Imperialismusschrift fĂŒr die Imperialismusdebatte. Es gibt in der Debatte zwei einander diametral gegenĂŒber stehende Positionen: die Neuinterpretation behauptet, dass das imperialistische Stadium vor allem durch Monopolisierung im Sinne des Vorhandenseins von Monopolen, also empirisch existierenden großen Konzernen, alle LĂ€nder der Welt erfasst habe und somit die gesamte Welt, also alle Nationen der Erde ausnahmslos im imperialistischen Stadium angekommen seien, de facto also kein Land der Welt mehr eine unterdrĂŒckte Nationen sein kann oder, wie es gerne heißt, nicht einseitig abhĂ€ngig, sondern die Nationen in einem gegenseitigen AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnis zueinander stehen. Sie verstehen Monopolisierung oder Monopol als Wesen des Imperialismus in dem Sinne, dass das empirische PhĂ€nomen Monopol ĂŒberall existiert bzw. in irgendeiner Weise auffindbar ist.

Es wird jedoch eingerĂ€umt, dass es unterschiedliche StĂ€rken gibt, also die einen Monopole zeitweise stĂ€rker als die anderen sind. Durch das Gesetz der ungleichmĂ€ĂŸigen Entwicklung komme es aber zu einer stĂ€ndigen VerĂ€nderung in der Machtstellung. Das Bild, das wir hier vom imperialistischen Stadium des Kapitalismus erhalten ist mehr oder minder ein Bild der weltweiten Konkurrenz zwischen verschiedenen wesentlich gleichen Akteuren, nĂ€mlich Monopolkapitalisten.

Die andere Lesart der Imperialismusschrift versteht Monopol als Charakterisierung, als Wesenszug des Imperialismus in dem Sinne, dass der Kapitalismus mit seinem monopolistischen Stadium ein Stadium erreicht hat, in dem die Herrschaft mono-pol-isiert wird. Lenin wird nicht mĂŒde darauf hinzuweisen, dass es einen Unterschied gibt zwischen den OberflĂ€chenphĂ€nomenen und der sich durchsetzenden Wesenseigenschaft des Monopols. Es gibt weiterhin viele Kleinunternehmen, Großkonzerne, Monopole sogar in einer oder vielen Branchen, aber das ist nur die OberflĂ€che: in Wahrheit hat das konzentrierte und zentralisierte Finanzkapital durch ein Netz von Herrschaftsinstrumenten die Kontrolle ĂŒber alle diese Ă€ußerlich völlig unabhĂ€ngigen oder teil-abhĂ€ngigen Akteure. Dieser Prozess ist nicht mehr umkehrbar, weil die Konzentration und Zentralisation des Kapitals auf immer höherer Stufenleiter vor sich geht und die Monopolisierung, also auch Vereinseitigung der Herrschaft, die Unterwerfung immer grĂ¶ĂŸerer Teile, inklusive anderer einzelner Monopole und LĂ€nder der Welt zur Folge hat.

Dabei ist fĂŒr viele die Schwierigkeit hier erstens zu verstehen, was eine Begriffsbestimmung ist, aber auch was sie nicht ist. Was ist damit gemeint? Ich denke, dass die Herausforderung des VerstĂ€ndnisses von Begriff ist, dass es nie eins-zu-eins in der RealitĂ€t auffindbar ist und eben deshalb eine Abstraktion darstellt, jedoch viel genauer und schĂ€rfer das Wesen der Sache beschreibt und entsprechend auch das Konkrete wesentlich richtiger erfasst als eine unendliche oberflĂ€chliche Beschreibung es je könnte. Zweitens ist es sehr schwierig nicht statisch zu denken. Die Vorstellung, dass ein Begriff eine Tendenz, eine Bewegung, einen Charakterzug darstellt und eben nicht wie ein Abbild, eine Fotografie eines PhĂ€nomens ist, fĂ€llt sehr schwer. Wenn der Begriff Monopol Einseitigkeit oder Alleinherrschaft bedeutet bzw. beinhaltet, dann ist in der RealitĂ€t nie nur einer gemeint. Der Begriff drĂŒckt eine Richtung, eine Tendenz, ein Bewegungsgesetz aus – und ist kein statischer Ausdruck.

Gegenprobe I: „UnterdrĂŒckende und unterdrĂŒckte LĂ€nder“ oder „gegenseitige AbhĂ€ngigkeit“?

Ein Argument, das der hier vertretenen Auffassung widerspricht, beinhaltet die These, dass mit dem Ende des Kolonialismus, die durch die nationalen BefreiungskĂ€mpfe erwirkt wurde25 nun das gesamte Weltsystem, alle LĂ€nder der Welt mit Ausnahme einiger weniger Kolonien wie PalĂ€stina und Westsahara, die Stufe des Monopolkapitalismus erreicht hĂ€tten und man deshalb nicht mehr von unterdrĂŒckenden und unterdrĂŒckten LĂ€ndern sprechen könne. Diese These steht in klarem Widerspruch zu Lenins Imperialismusschrift. Wenn man die Imperialismusschrift auf eine historische Beschreibung der Zeit, in der sie geschrieben wurde, reduziert, kann diese These als eine ErgĂ€nzung der Leninschen Imperialismusschrift verstanden werden. ErgĂ€nzung meint hier eine historische ErgĂ€nzung, also in dem Sinne, dass Lenin eine bestimmte historische Zeit beschreibt und dann fĂŒr die Zeit, die Lenin nicht mehr erfassen konnte, etwas hinzugefĂŒgt wird. Das ist möglicherweise die Eigeninterpretation der Vertreter einer Sicht auf den Imperialismus als ein System gegenseitiger AbhĂ€ngigkeiten. Eine solche Lesart unterstellt aber, dass die Aussagen ĂŒber das HerrschaftsverhĂ€ltnis keine grundsĂ€tzlichen und allgemeinen Aussagen zur Epoche des Imperialismus, des Monopolkapitalismus darstellen. Eine Reihe von Aussagen in der Imperialismusschrift weisen aber darauf hin, dass eine solche Lesart nicht dem Charakter der Imperialismustheorie gerecht wird.

Das ist deshalb so, weil Lenin sehr klare Aussagen ĂŒber die unvermeidlichen Tendenzen in der imperialistischen Epoche zur VerstĂ€rkung der nationalen Frage macht. Das, was oben als das Wesen des Imperialismus, nĂ€mlich das Monopol als HerrschaftsverhĂ€ltnis ausgefĂŒhrt wurde, bestimmt die Tendenz zur weiteren VerschĂ€rfung der Unterwerfung großer Teile der Erde, das meint Nationen, LĂ€nder, aber auch die Bevölkerung, unter das Diktat des Finanzkapitals. Lenin weist in seiner Schrift mit Bezug auf Hilferding darauf hin, dass die Entwicklung dahin gehen muss, dass die unterdrĂŒckten Nationen gerade durch ihre kapitalistische Entwicklung den UnterdrĂŒckerlĂ€ndern den Garaus machen (LW 22, S. 303).

An dieser Stelle sei nur beispielhaft auf folgende Stelle im Text verwiesen: „Mit Recht hebt Hilferding den Zusammenhang des Imperialismus mit der VerschĂ€rfung der nationalen UnterdrĂŒckung hervor: ‚In den neu erschlossenen LĂ€ndern selbst aber‘, schreibt er, ‚steigert der importierte Kapitalismus die GegensĂ€tze und erregt den immer wachsenden Widerstand der zu nationalem Bewußtsein erwachenden Völker gegen die Eindringlinge, der sich leicht zu gefĂ€hrlichen Maßnahmen gegen das Fremdkapital steigern kann. Die alten sozialen VerhĂ€ltnisse werden völlig revolutioniert, die agrarische, tausendjĂ€hrige Gebundenheit der ‚geschichtslosen Nationen‘ gesprengt, diese selbst in den kapitalistischen Strudel hineingezogen. Der Kapitalismus selbst gibt den Unterworfenen allmĂ€hlich die Mittel und Wege zu ihrer Befreiung. Das Ziel, das einst das höchste der europĂ€ischen Nationen war, die Herstellung des nationalen Einheitsstaates als Mittel der ökonomischen und kulturellen Freiheit, wird auch zu dem ihren. Diese UnabhĂ€ngigkeitsbewegung bedroht das europĂ€ische Kapital gerade in seinen wertvollsten und aussichtsreichsten Ausbeutungsgebieten, und immer mehr kann es seine Herrschaft nur durch stete Vermehrung seiner Machtmittel erhalten.‘“ (LW 22, S. 302/303)

Das heißt nichts anderes, als dass die unterdrĂŒckten Nationen, unter anderem auch und gerade durch die kapitalistische Entwicklung, den UnterdrĂŒckernationen ihre Unterwerfung erschweren. Konkret bedeutet es z. B., dass sie den Anspruch erheben, selbst ĂŒber ihre Ressourcen zu bestimmen, die Handelswege zu kontrollieren etc. Das wiederum lĂ€sst die UnterdrĂŒckerlĂ€nder nicht gleichgĂŒltig, vielmehr werden sie ihre Machtmittel, vor allem Gewaltmittel, vermehren und die unterdrĂŒckten Nationen mit Krieg, Zerstörung und Besatzung dazu zwingen, ihre Bedingungen weiterhin zu befolgen. Wie blind muss man sein, um nicht zu sehen, dass sich genau das in den letzten Jahrzehnten in immer heftigeren Formen vor unseren Augen abspielt.26

Dieser Aspekt wurde hier herausgegriffen, um auf eine bestimmte Seite der Textanalyse hinzuweisen, die sich mit der Frage nach den im Text beschriebenen Tendenzen im Imperialismus beschĂ€ftigt. Die Untersuchungen zu weiteren Tendenzen finden sich weiter unten. Die Frage danach, ob Lenin unterstellt, dass es im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche zu mehr oder weniger nationaler UnterdrĂŒckung kommen wird, kann eindeutig beantwortet werden: Lenin geht von einer Ausweitung und VerschĂ€rfung der nationalen UnterdrĂŒckung aus. Wer also heute behauptet, dass im heutigen Imperialismus nicht mehr von „unterdrĂŒckenden und unterdrĂŒckten Nationen“ gesprochen werden kann, muss offen aussprechen, dass es eine falsche Diagnose von Lenin war, dies zu behaupten und dann im nĂ€chsten Schritt die Leninschen Aussagen widerlegen. Hier sei nur angemerkt, dass die faktische Entwicklung der Welt aus meiner Sicht die Leninschen Aussagen mehr als bestĂ€tigt hat. Wer ernsthaft behauptet, dass nach den nationalen BefreiungskĂ€mpfen vor allem in der zweiten HĂ€lfte des zwanzigsten Jahrhunderts die UnterdrĂŒckung der Nationen beendet wurde, der muss sich nicht wundern, wenn ihm angesichts der HĂŒlle und FĂŒlle historischer und gegenwĂ€rtiger Gegenbeweise vorgeworfen wird, ein Apologet des Imperialismus zu sein.

In der Argumentation wird hĂ€ufig der Ausdruck der „gegenseitigen AbhĂ€ngigkeit“ verwendet, um gegen die Vorstellung zu argumentieren, dass es einseitige AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnisse gibt. Um auch diesem Argument zu begegnen, wurde die Imperialismusschrift speziell danach untersucht27, ob es Hinweise auf ein solches VerstĂ€ndnis geben kann. Dabei wurde – entsprechend der Methode der Gegenprobe – darauf geachtet, wohlwollend diese Position wiederzufinden.

Unter den neunzehn expliziten Textstellen wurden zwei gefunden, die eine solche Lesart vorstellbar machen. An einer Stelle geht es um Portugal als einen politischen eigenstĂ€ndigen Akteur, der ja sogar noch Kolonien besaß. Hier geht es darum, dass England Portugal samt seines Kolonialbesitzes verteidigte und dafĂŒr als Gegenleistung Privilegien hinsichtlich der Handelswege etc. von Portugal bekam. Lenin fĂŒgt dieser Beschreibung folgendes hinzu: „Derartige Beziehungen zwischen einzelnen großen und kleinen Staaten hat es immer gegeben, aber in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus werden sie zum allgemeinen System, bilden sie einen Teil der Gesamtheit der Beziehungen bei der ‚Aufteilung der Welt‘ und verwandeln sich in Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals.“ (LW 22, S. 268)

Diese Textpassage kann dazu verleiten, daraus eine Aussage zu konstruieren, die im Kern besagt, dass in der imperialistischen Epoche „derartige Beziehungen“, im Sinne von Beziehungen gegenseitiger AbhĂ€ngigkeit zum „allgemeinen System“ werden. Eine solche Lesart ist aber nur möglich, wenn der Kontext – und damit ist nicht der ganz große Kontext i. S. der gesamten Imperialismusschrift gemeint – unbeachtet bleibt. Dieser Punkt wird von Lenin eingeleitet, um verschiedene Formen der AbhĂ€ngigkeit zu beschreiben. Er möchte MissverstĂ€ndnissen bezĂŒglich seiner wiederholten Formulierung „Kolonialpolitik“ vorbeugen und klarmachen, dass es sich bei der AbhĂ€ngigkeit und Unterwerfung, kurz Beherrschung, eben nicht nur um Kolonien handelt.

Er schreibt: „Spricht man von der Kolonialpolitik in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus, dann muß bemerkt werden, daß das Finanzkapital und die ihm entsprechende internationale Politik, die auf einen Kampf der GroßmĂ€chte um die ökonomische und politische Aufteilung der Welt hinauslĂ€uft, eine ganze Reihe von Übergangsformen der staatlichen AbhĂ€ngigkeit schaffen. Typisch fĂŒr diese Epoche sind nicht nur die beiden Hauptgruppen von LĂ€ndern – die Kolonien besitzenden und die Kolonien selber -, sondern auch die verschiedenartigen Formen der abhĂ€ngigen LĂ€nder, die politisch, formal selbstĂ€ndig, in Wirklichkeit aber in ein Netz finanzieller und diplomatischer AbhĂ€ngigkeit verstrickt sind.“ (LW 22, S. 267)

In Wirklichkeit sind also diese LĂ€nder, um die es hier geht, abhĂ€ngig und zwar einseitig. Argentinien und Portugal werden jeweils als sehr unterschiedliche Beispiele angefĂŒhrt. Lenin geht es also darum, die Bandbreite der Möglichkeiten hinsichtlich der unterschiedlichsten Formen der AbhĂ€ngigkeit darzulegen, um genau dem falschen VerstĂ€ndnis vorzubeugen, dem die Apologeten bis heute erlegen sind.

Aber schon aus dem obigen Zitat solche Schlussfolgerungen zu ziehen28, zeugt von einem sehr begrenzten Lesevermögen. Denn schon dort werden diese LĂ€nder mit formaler SelbstĂ€ndigkeit als „Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals“ bezeichnet. Sie sind nicht Kettenglieder des Weltfinanzkapitals, sondern Kettenglieder der Operationen, also Mittel zum Zweck der „Aufteilung der Welt“.

Zugegebenermaßen ist die zweite Textstelle29 wahrscheinlich keine StĂŒtze fĂŒr die ‚gegenseitige AbhĂ€ngigkeit‘, aber da nach der hier angewandten Methode, diese potenziell infrage kĂ€me, wird sie kurz erwĂ€hnt. Dabei geht es um ein Zitat von Hobson, bei dem es eigentlich um die AbhĂ€ngigkeit bestimmter Industriezweige von staatlichen AuftrĂ€gen geht. Aber auch darum, dass die „alten Imperien“ durch zwei Faktoren geschwĂ€cht werden: erstens durch ökonomischen Parasitismus und zweitens durch den Einsatz von Kolonialsoldaten. Der zweite Faktor könnte als ein Beispiel fĂŒr gegenseitige AbhĂ€ngigkeit genommen werden, aber nur dann, wenn man das Wort ‚abhĂ€ngig‘ hier rein technisch verwendet. Ob das so ist oder nicht, ĂŒberlasse ich dem Urteilsvermögen der Leser. Ganz so weit hergeholt scheint es mir jedoch nicht, zu unterstellen, dass eine solche Textstelle so gelesen werden könnte.

Denn heute wird argumentiert, dass der Imperialismus deshalb ein System gegenseitiger AbhĂ€ngigkeit wĂ€re, weil die einen von den Rohstoffen der anderen ‚abhĂ€ngig‘ wĂ€ren. Der Sinn des Wortes ‚AbhĂ€ngigkeit‘ wird also genau so gelesen, wie ich es als ‚technisch‘ bezeichnet habe. Mit ‚technisch‘ meine ich, dass jede Art von vermeintlicher Wertung, die auf Herrschaft oder UnterdrĂŒckung hinweisen könnte, ausgeblendet wird. So wie z. B. eine Pflanze von Wasser abhĂ€ngig ist. Man könnte auch sagen, dass der Sinn des Wortes ‚AbhĂ€ngigkeit‘ ganz neutral gelesen wird, weil man ja nicht von „unterdrĂŒckenden und unterdrĂŒckten Nationen“ sprechen möchte. Dass aber neutrales Lesen in einer Klassengesellschaft kaum möglich ist, wurde oben schon ausgefĂŒhrt. Im Sinne welcher Klasse NeutralitĂ€t‘ letztlich umschlagen muss, bleibt dem Urteil des Lesers selbst ĂŒberlassen.

Gegenprobe II: „UngleichmĂ€ĂŸige Entwicklung“

Einer der Bezugspunkte fĂŒr die These der neu aufsteigenden imperialistischen MĂ€chte wie Russland und China, ist das Gesetz der UngleichmĂ€ĂŸigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung30. Bevor hier auf die Ergebnisse der Textanalyse eingegangen wird, ganz kurz ein paar Worte zu diesem Gesetz. Lenin formulierte diesen Gedanken, um der falschen Vorstellung, es könne zwecks Einigung und Frieden zwischen den europĂ€ischen GroßmĂ€chten, die Vereinigten Staaten von Europa gefordert werden. Der Hauptgedanke dabei ist, dass die Krisenhaftigkeit einerseits und der technologische Fortschritt andererseits, aber auch andere besondere politische und sonstige Bedingungen dazu fĂŒhren, dass sich kapitalistische LĂ€nder unterschiedlich schnell, ja sprunghaft entwickeln oder schwere Niederlagen erleiden. ‚Gestörte Gleichgewichte‘ wie z. B. zwischen stagnierenden alten und mĂ€chtigen Ökonomien und neuen aufstrebenden kapitalistischen MĂ€chten, wĂŒrden nur durch zwei verschiedene Faktoren wieder ausgeglichen werden, entweder durch Krisen oder durch Kriege.

So weit so gut, möchte man meinen. Eine Welt, in der es auch ohne Krisen und Kriege möglich ist, zum Imperialisten aufzusteigen und als Imperialist jederzeit abzusteigen, fĂŒr den einen oder anderen ist es sogar möglich gleichzeitig oben und unten zu sein31. Polemik beiseite: dass das oben genannte Gesetz seine GĂŒltigkeit besitzt, ist offensichtlich, wenn man sich die Geschichte der letzten 100 plus x Jahre anschaut. Das VerhĂ€ltnis zwischen den imperialistischen LĂ€ndern ist durch ihre ungleichmĂ€ĂŸige Entwicklung stark verĂ€ndert. Auch hat der Kapitalismus in einigen der nicht-imperialistischen LĂ€nder Einzug erhalten und hat sich enorm entwickelt. Auch diese LĂ€nder entwickeln sich ungleichmĂ€ĂŸig.

Wo also liegt der Dissens? Dieser liegt schlicht darin, ob Nationen und ihre Ökonomien, die unterdrĂŒckt werden und abhĂ€ngig sind, rein durch ihre ökonomische Entwicklung den Sprung zum Imperialisten, oder sagen wir angemessenerweise UnterdrĂŒcker, schaffen können. Dies wird behauptet, und zwar nicht nur in Bezug auf einzelne große LĂ€nder wie China oder die Russische Föderation, sondern in Bezug auf alle LĂ€nder der Welt. Außerdem liegt der Dissens noch tiefer: es ist etwas anderes zu behaupten, dass LĂ€nder eine kapitalistische Entwicklung durchmachen und dabei sogar recht gut abschneiden und zu sagen, dass sie zu imperialistischen LĂ€ndern werden.

Überhaupt ist die Vorstellung, dass es in der Epoche des Imperialismus eine Entwicklung im gleichen Sinne – ohne Widerstand und nationale Befreiung oder ohne Kampf um nationale SouverĂ€nitĂ€t – geben kann wie zu Zeiten des Konkurrenzkapitalismus, – eine Zeit in der z. B. Deutschland sich sprunghaft entwickelte. Denn wie wir oben gesehen haben, muss eine solche kapitalistische Entwicklung unter imperialistischen Bedingungen stattfinden. Anstatt sich aber diese imperialistischen Bedingungen genau anzuschauen, z. B. die Netze des „Weltfinanzkapitals“ und das Monopol auf Ebenen der EinflusssphĂ€ren etc. pp., wird einfach die Tatsache, dass es in einem Land ‚große Banken‘ gibt, als Beleg fĂŒr den imperialistischen Charakter genommen. Die Aufgabenstellung wĂ€re, wenn man denn ĂŒberhaupt die Leninsche Methode richtig findet, zu schauen, ob diese Bank von anderen Banken und vom internationalen Finanzkapital durchdrungen wird oder grundsĂ€tzlicher in welchem VerhĂ€ltnis diese zueinander stehen.

Die Textanalyse wurde hier zum Zwecke der Gegenprobe durchgefĂŒhrt, um herauszufinden, ob es Textstellen gibt, die eine Lesart in dem Sinne zulassen, dass es in der imperialistischen Epoche zu dauerhaften und / oder sprunghaften32 Entwicklungen von nicht-imperialistischen LĂ€ndern zu imperialistischen LĂ€ndern kommen kann. Zu diesem Zweck wurde der Text nicht nur anhand des Stichwortes „ungleichmĂ€ĂŸig“ in Verbindung mit den Stichwörtern „Entwicklung“ und „Gesetz“ untersucht, sondern auch nach Ă€hnlich gelagerten BedeutungssphĂ€ren, die beispielsweise Hinweise auf unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Entwicklung, oder auf Machtverschiebungen geben. Es wurden auch unterschiedliche BezĂŒge untersucht, um zu prĂŒfen, ob sich die Entwicklung auf Industriezweige, LĂ€nder, oder anderes bezieht.

Außerdem wurde der Kontext der Aussagen untersucht. Erstens: um was geht es dem Autor in dem Textabschnitt, was möchte er erlĂ€utern, warum ist die Frage der UngleichmĂ€ĂŸigkeit der Entwicklung in diesem Kontext wichtig. Zweitens: um welchen historischen Kontext handelt es sich, vor allem um welche Entwicklungsstufe des Kapitalismus.

Folgendes Ergebnis kann vorerst festgehalten werden: Hinweise auf GesetzmĂ€ĂŸigkeiten werden vor allem durch das Wort „unvermeidlich“ gegeben. In einer anderen Schrift33 ist die Rede davon, dass die „UngleichmĂ€ĂŸigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung (
) ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus“ ist. Die UngleichmĂ€ĂŸigkeit selbst wird vor allem auf zwei verschiedene Weisen benutzt. Auf der einen Seite in Bezug auf die ungleichmĂ€ĂŸige Verteilung (insbesondere des Kolonialbesitzes) zwischen den imperialistischen LĂ€ndern, auf der anderen Seite in Bezug auf die ungleichmĂ€ĂŸige Geschwindigkeit und QualitĂ€t der (Produktivkraft-)Entwicklung sowohl unter den kapitalistischen, aber auch unter den nicht nur kapitalistischen, sondern auch imperialistischen Staaten. Es geht also entweder um die Frage der Entwicklung imperialistischer LĂ€nder und die Machtverschiebungen zwischen ihnen, anders gesagt um zwischenimperialistische WidersprĂŒche oder um die Frage danach, wann und wie es gelingt, sich durch ungleichmĂ€ĂŸige Entwicklung der ProduktivkrĂ€fte in den verschiedenen LĂ€ndern (auch in einem unterjochten Land) vom Imperialismus zu befreien, insbesondere durch sozialistische Revolutionen.

DarĂŒber, dass es im Imperialismus notwendig zu imperialistischen Kriegen um die Neuverteilung kommen muss und als eine der Ursachen die UngleichmĂ€ĂŸigkeit der Entwicklung angefĂŒhrt wird, kann es keinen Dissens geben. Wenn es jedoch, um die BegrĂŒndung von verĂ€nderten Machtkonstellationen (Auf- und Abstieg in der so genannten „Pyramide“ oder Entstehung neuer imperialistischer „Pole“) geht34, mĂŒsste zunĂ€chst nachgewiesen werden, wie sich Machtverschiebungen ergeben haben und wie diese heute aussehen. Das kann nicht durch Auflistung von BIP-Zahlen35 und isolierten Betrachtungsweisen, sondern durch die Untersuchung eines VerhĂ€ltnisses nachgewiesen werden. Außerdem mĂŒsste gezeigt werden, wie diese neuen Machtkonstellationen entstanden sind, wenn nicht durch Krisen oder durch „Gewalt“, also z. B. Krieg.

Die Aufteilung der Welt, so beschreibt es Lenin, geschieht nach Kapital und Macht. (LW 22, S. 257) Diese Verteilung verĂ€ndert sich und ob diese nun ökonomische Verschiebungen sind oder durch militĂ€rische Mittel gelöst werden mĂŒssen, ist eine konkrete Frage. An dieser konkreten Stelle beschĂ€ftigt sich Lenin mit den falschen Vorstellungen von Kautsky und anderen bĂŒrgerlichen Denkern, die davon ausgehen, dass die Monopolisierung zu mehr Frieden fĂŒhren kann, weil dann alles schon in einer Hand ist. Lenin geht es an dieser Stelle darum, den weiterhin bestehenden Kampf zwischen den Monopolkapitalisten, um die Aufteilung der Welt zu erklĂ€ren. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass sich die Macht verschieben kann. Der Punkt ist, dass diese Verschiebung sich anhand von Kapital und Macht konkret zeigen lassen muss.

Eine Entwicklung, die einen Machtwechsel und nicht nur eine Machtverschiebung sein soll, aber nicht gewaltsam vor sich geht, kann nicht auf Lenins Aussagen gestĂŒtzt werden. Zur Veranschaulichung sei am Beispiel Chinas erklĂ€rt, dass es nicht ausreicht zu sagen, dass es das unbedingte Gesetz der ungleichmĂ€ĂŸigen Entwicklung gĂ€be und deshalb auch China jetzt im Club der RĂ€uber sei. Stattdessen mĂŒsste die konkrete Verflechtung der chinesischen Monopole mit dem internationalen Kapital nachgewiesen werden, um zu zeigen, dass es sich hier um weltbeherrschende Monopole handelt und nicht einfach um ein bestimmtes Marktsegment (Konsumindustrie, Landwirtschaft, Rohstoffe
) an der Spitze der Produzenten.

Dieser Teil der Textanalyse ist wenig ertragreich. Denn die Argumentation, auf die sich hier bezogen wird, nimmt zwar das Gesetz der ungleichmĂ€ĂŸigen Entwicklung als StĂŒtze fĂŒr die eigene Position, aber bezieht nur die Aspekte ein, die fĂŒr ihre Argumentation nĂŒtzlich sind, nĂ€mlich die Tatsache, dass es eine ungleichmĂ€ĂŸige Entwicklung gibt und diese zur VerĂ€nderung von Machtkonstellationen fĂŒhrt. Wie aber diese VerĂ€nderungen von statten gehen, wie die GegenkrĂ€fte sind und unter welchen Bedingungen solche VerĂ€nderungen denkbar sind und – nicht weniger wichtig – wie die VerĂ€nderungen im VerhĂ€ltnis zum internationalen MachtgefĂŒge zu bewerten sind, alle diese Fragen bleiben unbeachtet und unbeantwortet.

Gegenprobe III: Entwicklungstendenzen in der imperialistischen Epoche des Kapitalismus – und die GegenkrĂ€fte

Aussagen, die in irgendeiner Weise Tendenzen beschreiben wurden in die Gegenprobe aufgenommen um feststellen zu können, ob Lenin Aussagen ĂŒber die Entwicklungstendenzen des Imperialismus macht, die möglicherweise so verstanden werden können, wie die Neuinterpretationen nahelegen, also z. B. in die Richtung eher gegenseitiger statt einseitiger AbhĂ€ngigkeit oder in Richtung weniger nationaler UnterdrĂŒckung. TatsĂ€chlich muss festgestellt werden, dass Lenin Tendenzen eher zur VerschĂ€rfung dieser VerhĂ€ltnisse beschreibt und nicht mögliche Einebnungen der VerhĂ€ltnisse und auch keine gegenlĂ€ufigen Tendenzen, außer wenn es um die Krisen und um den Kampf fĂŒr Sozialismus geht.

Folgende explizite Aussagen, die etwas ĂŒber Tendenzen im imperialistischen Stadium des Kapitalismus aussagen, konnten ausfindig gemacht werden. Hier mit einer Auswahl von Belegstellen:

  • Tendenz zur VerschĂ€rfung des Widerspruchs zwischen Vergesellschaftung der Produktion und Aneignung durch immer weniger private ‚HĂ€nde‘ (S. 209/210)
  • VerstĂ€rkung und Beschleunigung der Kapitalkonzentration durch Bankmonopole (S. 218) und Entstehung des Finanzkapitals
  • Tendenzielle Zuspitzung der innerimperialistischen WidersprĂŒche: z. B. durch den (tendenziell) verschĂ€rften Kampf um Rohstoffe (z. B. S. 265) und tendenzielle Konzentration der Macht in immer weniger HĂ€nde (S. 276)
  • Tendenzielle VerschĂ€rfung der nationalen UnterdrĂŒckung (S. 302/303; S. 305)
  • Tendenz zur FĂ€ulnis (S. 280/281; S. 305)

Die Auseinandersetzung mit der Frage der Tendenzen ist durchaus ergiebig, kann aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ausgeweitet werden. Diese sollte als eigene Fragestellung aufgenommen und bearbeitet werden. Dabei sollte es um die Frage der Bewegungsgesetze des Imperialismus und um ihre unvermeidliche Richtung gehen, die eben nur durch den Krieg oder durch Sozialismus negiert werden kann.

Ausblick

Die erste Feststellung dieses bescheidenen Aufschlages ist, dass diese Arbeit nicht mehr als nur ein Aufschlag sein kann. Der Versuch mit dem Instrument der Textanalyse bestimmte Fragen an den Text schĂ€rfer zu beantworten, war insofern befriedigend, weil er erstens eine gewisse BestĂ€tigung der eigenen Annahmen bezĂŒglich Lenins Aussagen als Ergebnis hatte. Zweitens aber, und das ist viel wichtiger: diese Art BeschĂ€ftigung mit dem Text hat – zumindest meinen – Horizont fĂŒr einige weitere Fragen eröffnet. Wie verhĂ€lt es sich mit der dialektischen Logik in Lenins Imperialismusschrift? Warum findet sich zu dieser Frage nur sehr wenig auf deutscher Sprache? In der Sowjetunion gab es zwar eine Ă€hnliche Arbeit zum ‚Kapital‘ von Karl Marx36, jedoch keine intensive Auseinandersetzung damit.

Überhaupt ist die Frage, ob eine solche Auseinandersetzung mit der Frage der Methode und dem tieferen VerstĂ€ndnis der Grundlagen fĂŒr die Untersuchung der Wirklichkeit zu unterschĂ€tzen ist und inwiefern die Bewegung heute das entsprechende Werkzeug besitzt, um diese Arbeit fortzusetzen. Hier gibt es offensichtlich noch viel zu tun.

Fest steht jedenfalls, dass diese Analyse nur sehr begrenzt war und sein konnte. Jetzt nach der Ausformulierung des (Zwischen-)Standes, bleibt das GefĂŒhl, dass die Arbeit noch nicht beendet ist, sondern erst begonnen hat.

Zum Beispiel wÀre es sehr wichtig die Gesamtstruktur noch einmal genauer zu analysieren und dessen Implikationen besser zu verstehen. Die Entfaltung des Begriffs des Monopols als eine konkrete Abstraktion sollte auch genauer analysiert werden, und zwar mit Beachtung der Frage, welche Rolle die Darstellungsweise spielt. Um die Darstellung besser zu verstehen, wÀre eine Veranschaulichung der verschiedenen Ebenen sehr hilfreich.

Außerdem wurde die Widerspruchslogik im Laufe der Arbeit immer deutlicher. Offensichtlich ist auch die in der politischen Praxis notwendige Auseinandersetzung gerade mit diesen WidersprĂŒchen, wie z. B. mit den WidersprĂŒchen nationale Befreiung und Imperialismus bzw. Arbeiterklasseund Imperialismus. Lenin selbst hatte sich hiermit schon auseinandersetzen mĂŒssen und wir haben heute die Aufgabe, uns diese Erfahrungen anzueignen, um die laufenden KĂ€mpfe, unter wohlweislich anderen Bedingungen (Niederlage des Sozialismus, VerĂ€nderungen im imperialistischen Lager, aber auch vor sich gehende Befreiungsbewegungen
) erst zu verstehen, um uns dann involvieren zu können.

Dies sind nur Hinweise auf mögliche weitere Arbeiten. Was die politische Dimension der Arbeit angeht, ist folgendes zu sagen: eigentlich hĂ€tte es vielleicht fĂŒr die Widerlegung der offensichtlich falschen Referenzen auf Lenin keine Textanalyse gebraucht. Jedoch ist es fĂŒr die Diskussion erst einmal hilfreich, denn es kann jetzt zumindest mit Sicherheit gesagt werden, dass hier Scharlatanerie im Spiel ist, wenn sich heute Apologeten des Imperialismus zwecks Einebnung der HerrschaftsverhĂ€ltnisse auf Lenin beziehen und im schlimmsten Falle dabei ihrem eigenen imperialistischen Land einen Dienst erweisen.

Kam inmitten des Ersten Weltkrieges den Kommunisten die Aufgabe zu nachzuweisen, dass es sich bei diesem Krieg um einen allseitig imperialistischen Krieg handelte, so kommt es heute darauf an, nachzuweisen, dass es heute um die Unterwerfung von LĂ€ndern und Regionen geht, die sich den Fesseln des Imperialismus zu entwinden versuchen. Hier ist der Widerspruch zwischen imperialistischer Erdrosselung und nationaler Befreiung auf der Tagesordnung und das haben Lenin und Hilferding richtig vorausgesehen37.

Völlig zu ignorieren, dass ein Land wie die Russische Föderation nach dem Kollaps und der Niederlage der Sowjetunion (SU), sofort zur vogelfreien Beute der imperialistischen MĂ€chte wurde und werden musste – das ist die Voraussetzung dafĂŒr, dass man die weitere Entwicklung nicht auf Grundlage dieser Voraussetzung, dieser Bedingungen versteht, sondern weiterhin blind und borniert von den verbrecherischen FeldzĂŒgen der eigenen Imperialisten ablenkt. Ein Land wie Russland soll unter den Bedingungen der Unterwerfung nach 1991 und im Umfeld eines siegreichen Imperialismus (gegen die SU) innerhalb kĂŒrzester Zeit zu einem imperialistischen Land aufgestiegen sein. Dieser Gedanke selbst zeugt davon, wie wenig die Vertreter solcher Positionen den allgemeinverstĂ€ndlichen kurzen Abriss von Lenin verstanden haben. Schon die Existenz solcher Positionen innerhalb der Bewegung ist Rechtfertigung genug, sich eingehend mit der Imperialismusschrift zu befassen.

Zum Schluss: Geschichte wiederholt sich nicht. Damals war es der Vorwand der „Vaterlandsverteidigung“, heute ist es der Vorwand gegen die „Vaterlandsverteidigung“, – der Russischen Föderation wohlgemerkt –, um nicht dem eigenen Imperialismus in den RĂŒcken zu fallen. Und der rote Faden der Geschichte bleibt dennoch: Damals wie heute geht es darum, den Betrug aufzudecken, egal unter welchem Deckmantel er erscheint und kompromisslos auf der Seite der UnterdrĂŒckten und Verdammten dieser Erde zu stehen. Wer das tut, setzt das Werk Lenins fort und an dieser Stelle lohnt es sich, mit einem lĂ€ngeren Zitat von Lenin zu enden:

„Der Imperialismus ist die fortschreitende UnterdrĂŒckung der Nationen der Welt durch eine Handvoll GroßmĂ€chte. Er ist die Epoche der Kriege zwischen ihnen um die Erweiterung und Festigung der nationalen UnterdrĂŒckung. Er ist die Epoche des Betruges an den Volksmassen durch die heuchlerischen Sozialpatrioten, d. h. durch die Leute, die unter dem Vorwand der „Freiheit der Nationen“, „des Selbstbestimmungsrechts der Nationen“, der „Vaterlandsverteidigung“ die UnterdrĂŒckung der Mehrheit der Nationen der Welt durch die GroßmĂ€chte rechtfertigen und verteidigen. Eben deshalb muß die Einteilung der Nationen in unterdrĂŒckende und unterdrĂŒckte den Zentralpunkt in den sozialdemokratischen Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht und von den Sozialpatrioten, Kautsky inbegriffen, verlogenerweise umgangen wird. Diese Einteilung ist nicht wesentlich vom Standpunkt des bĂŒrgerlichen Pazifismus oder der kleinbĂŒrgerlichen Utopie der friedlichen Konkurrenz der unabhĂ€ngigen Nationen unter dem Kapitalismus, aber sie ist eben das Wesentlichste vom Standpunkt des revolutionĂ€ren Kampfes gegen den Imperialismus.“ (LW 21, S. 416)38

Literatur

Kumpf, Fritz: Probleme der Dialektik in Lenins Imperialismus-Analyse, eine Studie zur dialektischen Logik, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1968

Lenin, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, GemeinverstĂ€ndlicher Abriss, In: Leninwerke, Band 22, Institut fĂŒr Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971. Im Text zitiert mit LW 22 + Seitenzahl.

Lenin, Wladimir Iljitsch: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, In: Leninwerke, Band 21, Institut fĂŒr Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971

Lenin, Wladimir Iljitsch, Das revolutionĂ€re Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1915, In: Leninwerke, Band 21, Institut fĂŒr Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971

Nkrumah, Kwame: Neo-Colonialism, The Last Stage of Imperialism, PANAF Books 1970.

Smith, John: Imperialism in the Twenty-First Century, Globalization, Super-Exploitation and Capitalism’s Final Crisis, Monthly Review Press, New York, 2016.

Vazjulin, Viktor A.: Die Logik des „Kapitals“ von Karl Marx, Aus dem Russischen von Gudrun Havemann, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2006.

1 Ob und in welchem Maße angesichts der PassivitĂ€t, der schreienden Ruhe und Desorientiertheit hier von „Bewegung“ gesprochen werden kann, soll hier unbeachtet bleiben.

2 Pazifistisch in dem Sinne, dass man gegen den Krieg ist, aber pro-imperialistisch, weil man das gleiche Narrativ eines ‚imperialistischen Angriffskrieges‘ und damit die Propaganda der eigenen Imperialisten verbreitet.

3 Lenin, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, GemeinverstĂ€ndlicher Abriss, In: Leninwerke, Band 22, Institut fĂŒr Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971. Im Text zitiert mit LW 22 + Seitenzahl.

4 Siehe Vertreter der SKP 2022: https://kommunistische-organisation.de/podcast/podcast-22-podcast-mit-andreas-soerensen-von-der-skp/ Dieser steht nur beispielhaft, wenn auch besonders plastisch, fĂŒr eine ganze Reihe kommunistischer Parteien und Organisationen, die sich einem vermeintlich revolutionĂ€ren Pol zuordnen und den Imperialismus in seiner heutigen BrutalitĂ€t relativieren.

5 Siehe Spanidis: Die Bourgeoisie im imperialistischen Weltsystem | Kommunistische Partei

6 Empfehlung: Nkrumah, Kwame: Neo-Colonialism, The Last Stage of Imperialism, PANAF Books 1970.

7 https://www.mlpd.de/broschueren/der-ukrainekrieg-und-die-offene-krise-des-imperialistischen-weltsystems/der-ukrainekrieg-und-die-offene-krise-des-imperialistischen-weltsystems

8 https://www.marx21.de/marx21-pocket-edition-der-krieg-um-die-ukraine-imperialismus-heute/

9 https://monthlyreview.org/2024/11/01/the-new-denial-of-imperialism-on-the-left/

10 Ebenda.

11 Eine Zusammenstellung der Positionen der KKE finden sich hier: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/imperialismus-krieg-und-die-kommunistische-bewegung/ und hier: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/dossier-die-kontroverse-zwischen-kke-kprf-und-rkap/

Mit jeweils entsprechenden Referenzen.

12 Die Debatte verlief nicht ohne komische ZĂŒge: die Protagonisten dieser Position ruderten insofern zurĂŒck, dass sie davon Abstand nahmen, dass es ĂŒberhaupt Sinn mache, Imperialismus adjektivisch zu benutzen. Vielmehr seien alle LĂ€nder in einem imperialistischen Weltsystem eingebettet, was an sich niemand bestreiten wĂŒrde. Eine Aussage, die so ziemlich nichts aussagt und diffuser nicht sein kann. Siehe dazu beispielhaft: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/russlands-imperialistischer-krieg/

13 Ob schriftlich oder mĂŒndlich spielt keine Rolle. Das Wichtigste ist jedoch, dass ein Text eine kommunikative Funktion hat. Etwas nur Gedachtes ist noch kein Text. Erst, wenn der Gedanke sich mitteilt, dann findet ein Formwandel statt und er wird zu einem Text.

14 Das heißt natĂŒrlich nicht, dass es nicht möglich ist, die Klassenschranken durch bewusste Reflexion und vor allem durch Handlungen zu durchbrechen.

15 Es hat sich eingebĂŒrgert von Text-Analyse zu sprechen, auch wenn diese Bezeichnung nur die eine Seite der Arbeit bezeichnet. Eigentlich wĂ€re die Bezeichnung der ‚Exegese‘ richtiger. Jedoch wird durch die vor allem in der Theologie angewandte Bezeichnung die Vermittlung dieser eigentlichen richtigen Bezeichnung nicht einfacher. Der Einfachheit halber wird hier von Textanalyse gesprochen.

16 Dieser Anspruch, der Anspruch der ObjektivitÀt, kann nur als Anstrengung verstanden werden, ein Versuch, den Text so weit wie möglich objektiv zu verstehen.

17 D.h., dass untersucht wurde, inwiefern diese Begriffe in einer kohÀrenten Weise in Satz und Satzkontexte und BedeutungssphÀren eingebaut sind, sodass sich ihre Bedeutung also nicht wandelt oder sogar widerspricht (InkohÀrenz).

18 Mit „Weisen“ sind hier vor allem Ebenen der Abstraktion, Zuordnungen (wie z. B. Instrumente) oder grammatikalische Formen gemeint. Dabei sind „Weisen“ eher reduktionistisch als Form bzw. Vorkommnis zu verstehen und weniger als SinnzusammenhĂ€nge oder Bedeutung. Es geht lediglich darum, die tatsĂ€chlichen Vorkommnisse im Text zunĂ€chst zu erfassen. Welche Bedeutung ihnen zukommt oder in welchem Sinnzusammenhang diese Formen eine bzw. eine weitere Bedeutung erhalten, ist erst nach der Untersuchung der Form feststellbar. Der Text gibt die erfassten Formen („Weisen“) selbst vor. In folgenden Weisen wurden die Vorkommnisse ‚Monopol‘ festgestellt: Metaebene und Abstraktion /Erscheinungsformen/WortverknĂŒpfungen/Konkreta/Instrumente/Als Adjektiv/ Mit Adjektiv. [ich kann hier keinen Kommentar setzen: Die Aussage, der Text gebe die Formen vor, stimmt ja nur bedingt. Er legt bestimmte, einzelne und konkrete, Vorkommnisse vor. Die Kategorisierung, die du vornimmst, passiert durch dich und sollte irgendwie begrĂŒndet sein. Zumal einmal morphosyntaktische/formale Merkmale und ein andermal inhaltliche Kategorien gesetzt werden, die sich ja keineswegs im vornherein gegenseitig ausschließen bzw. formal-logisch voneinander abgrenzen lassen]

19 Es wird hoffentlich im Laufe der vorliegenden Arbeit klar, dass es erstens eine solche empirische Lesart gibt und zweitens, dass das eine falsche Lesart ist. Dabei ist nicht die Frage, ob diejenigen, die eine empirische Lesart haben, nicht auch grundsĂ€tzliche Aussagen aus der Imperialismusschrift herausfiltern, sondern inwiefern ihre Schlussfolgerungen darauf schließen lassen, dass sie letztlich die wesentlichen Aussagen gegenĂŒber den empirischen Darlegungen depriorisieren. Besonders anschaulich ist eine solche Lesart, die die Kernbedeutung des Begriffs ‚Monopol‘ nĂ€mlich ‚Einseitigkeit‘ ablehnt und ĂŒberall in den unterschiedlichen Nationen „Monopole“ im Sinne von „großen Konzernen“ sucht, um sie als Marker fĂŒr die Teilnahme am imperialistischen System zu identifizieren.

20 Sowohl Griechisch als auch Latein: Allein-Verkauf oder Allein-Handel

21 Am deutlichsten wird das anhand des Beteiligungssystems erklÀrt.

22 S. 280 Monopol als „tiefste ökonomische Grundlage des Imperialismus“ / siehe auch LW 23, Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, Oktober 1916, „Das Monopol ist der ökonomische Grundzug, das Wesen des Imperialismus“.

23 Wie Kumpf sagt, Begriff hier verstanden als konkrete Abstraktion.

24 Siehe dazu Kumpf 1968, S. 134 ff: Die Rolle des Widerspruchs im Prozeß des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten.

25 Es gibt hier keinen Platz, um auf diese absurde These in der Weise einzugehen, die angemessen wĂ€re. Dass durch die nationalen BefreiungskĂ€mpfe die Phase des Neokolonialismus eingeleitet wurde und Lenins These, dass sich die nationale UnterdrĂŒckung noch massiv verschĂ€rft hat und keineswegs beendet wurde, scheint manchen völlig unbekannt zu sein. An anderer Stelle mĂŒsste eine intensive Auseinandersetzung auch mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem PhĂ€nomen des Neokolonialismus (siehe z. B. Kwame Nkrumah) und dessen Rezeption in den sozialistischen LĂ€ndern stattfinden.

26 Welche Rolle in diesem Zusammenhang die KlassenwidersprĂŒche in den unterdrĂŒckten LĂ€ndern spielen, darauf wird noch an anderer Stelle einzugehen sein. Das ist aber auch wirklich keine neue Frage, sondern beschĂ€ftigt seit Anbeginn die Köpfe des Antiimperialismus. Klar ist mittlerweile, dass die UnfĂ€higkeit sich diesen WidersprĂŒchen in all ihren konkreten und sehr komplexen Kampfbedingungen zu stellen, Parteien wie die KKE und anderen in die Falle der ideologischen Abweichung gefĂŒhrt hat. Man biegt sich lieber die MachtverhĂ€ltnisse so zurecht und vereinfacht sie so: es gibt nur noch den Widerspruch zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie in den jeweiligen Nationen, alles andere ist zwischenimperialistischer Krieg, also muss jeder nur noch in seiner Nation schauen, dass er die Arbeiterklasse organisiert.

27 Wörter, die in verschiedenen Weisen das Wort „abhĂ€ngig“ beinhalten, dienten zur Identifizierung aller möglichen Textstellen, die sich mit „AbhĂ€ngigkeit“ im weitesten Sinne befassen. Es wurden aber auch andere Textstellen herangezogen und der Gesamtkontext entsprechend den Methoden der Textanalyse als Korrektur einbezogen.

28 Milo Barus hat sich schon mit dieser Fehlinterpretation an anderer Stelle befasst: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/lenin-und-das-imperialistische-weltsystem/

29 LW 22, S.284, Zitat von Hobson

30 LW 21, S.342-346

31 siehe https://kommunistischepartei.de/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko/#Beherrscht

32 Eigentlich mĂŒsste man bei dem Aufholversuch von nicht-imperialistischen LĂ€ndern von sprunghaften AufwĂ€rtsbewegungen der Ökonomie ausgehen, sonst bewegt man sich in Ă€ußerst unrealistischen Fantasievorstellungen.

33 Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, LW 21, S. 344–346

34 https://kommunistische-organisation.de/artikel/imperialismus-multipolare-weltordnung-und-nationale-befreiung/

35 BIP (Bruttoinlandsprodukt) siehe dazu Smith, John: Imperialism in the Twenty-First Century, Globalization, Super-Exploitation and Capitalism’s Final Crisis, Monthly Review Press, New York, 2016. Im Kapitel “The GDP-Illusion” erklĂ€rt John Smith ausfĂŒhrlich, warum es keinen Sinn macht, diese Kennzahl fĂŒr die Identifizierung von Entwicklung und Macht zu verwenden.

36 Vazjulin, Viktor A.: Die Logik des „Kapitals“ von Karl Marx, Aus dem Russischen von Gudrun Havemann, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2006.

37 LW 22, S. 302/303.

38 Lenin, Wladimir Iljitsch, Das revolutionĂ€re Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1915, In: Leninwerke, Band 21, Institut fĂŒr Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971.

Kubas Internationalismus in Afrika am Beispiel Angola 🇹đŸ‡șđŸ€đŸ‡ŠđŸ‡Ž

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Eine gemeinsame Veranstaltung der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba Ortsgruppe DĂŒsseldorf und der KO

Ab 1963 schickte Kuba Ärzte, Ausbilder und KĂ€mpfer nach Afrika, um dort nationale Befreiungsbewegungen und fortschrittliche Regierungen zu unterstĂŒtzen. So etwa nach Algerien, Kongo, Kongo-Brazzaville, Guinea-Bissau und Mosambik.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser internationalen SolidaritĂ€t war jedoch der Einsatz fĂŒr Angola. 1975-91 unterstĂŒtzten 400.000 Kubaner das Land im Kampf gegen das sĂŒdafrikanische Apartheidregime und konterrevolutionĂ€re Milizen.

Wir haben Wolfgang Mix eingeladen. Er ist seit Jahrzehnten in der deutschen Kuba-SolidaritĂ€t aktiv und hat ein Buch zum Thema geschrieben. Er wird einen Vortrag halten und auch Filmmaterial zeigen. Anschließend wollen wir diskutieren.

🗓 Mittwoch, 2. April 2025

🕐 19:00 Uhr

📍ZAKK, Fichtenstraße 40, 40233 DĂŒsseldorf

Neofaschismus in Ostdeutschland

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Über die Zerschlagung des Antifaschismus und den Aufbau einer neofaschistischen Bewegung.

Ein Hintergrundartikel von Jakob Yasko

1          Einleitung

 Seit der Konterrevolution verbreiten westliche Medien das Bild einer ostdeutschen Bevölkerung die „aus sich selbst heraus“ Rechts sei. Die Berichte, Artikel und Reportagen strotzen meistens nur so vor Sozialchauvinismus und SchönfĂ€rberei der Regierungspolitik. Dabei wird gezielt ein Bild von „abgehĂ€ngten Ossis“ gezeichnet, die angeblich AuslĂ€nder und Demokratie einfach aus sich selbst heraus hassen.

Wer der Frage nach dem Rechten Osten nachgeht und sich bei ARD, ZDF oder Deutschlandfunk verirrt, verliert im Dschungel aus Totalitarismustheorien und pseudowissenschaftlichen BauchgefĂŒhlsjournalismus schnell den Durchblick. Schlau wird man jedenfalls nicht aus den dutzenden Reportagen, Artikeln und Dokumentationen. Schuld seien mangelnde Demokratiesozialisierung oder man fragt gleich gar nicht mehr nach Ursachen. Auch Auseinandersetzungen, die sich konkret mit der AfD beschĂ€ftigen folgen hĂ€ufig dem gleichen Schema. Erst die BaseballschlĂ€gerjahre und jetzt die AfD – so sind sie halt die Ossis. Wer hinterfragt, ob der Osten tatsĂ€chlich schon immer Rechts gewesen sei, wird schnell mit der DDR vertraut gemacht. Dem Staat, der den Faschismus nie aufgearbeitet hĂ€tte und ohnehin irgendwie latent faschistisch war,- die zweite deutsche Diktatur eben.

Die schrecklichen Bilder von faschistischen Mobs aus den Neunzigern oder aus aktuellen Berichten werden ausgeschlachtet und instrumentalisiert um die BRD als die ultimative Verteidigerin der Demokratie zu prĂ€sentieren. WĂ€hrend die öffentlich-rechtlichen Sender ihre pseudo-antifaschistischen Medienspektakel inszenieren, wird fleißig abgeschoben und gegen Migranten gehetzt. Auch der ganze Brandmauer-Zirkus hat höchstens das linksliberale Establishment abgeholt – glaubhaft war das nie, geschweige denn wirksam.

Über die tatsĂ€chlichen HintergrĂŒnde des sogenannten Rechtsrucks lernt man genauso wenig wie ĂŒber die gezielte staatlich betriebene Faschisierung des Ostens in den 1990ern. Keiner fragt, woher diese Faschisten kommen, wer Ihnen einen NĂ€hrboden bietet und sie fördert. Die Antwort wĂ€re zu unbequem.

Lenin hat uns folgendes mit auf den Weg gegeben: „Ist nicht sofort ersichtlich, welche politischen oder sozialen Gruppen, KrĂ€fte oder GrĂ¶ĂŸen bestimmte VorschlĂ€ge, Maßnahmen usw. vertreten, sollte man stets die Frage stellen: Wem nĂŒtzt es?“[1]

Wem nĂŒtzt ein starker Neofaschismus? Und zu welchem Zweck?

Wenn wir mit Recht davon ausgehen das Antifaschismus in der DDR tatsĂ€chlich Staatsdoktrin war wie konnte dann das Gift des Chauvinismus und Fremdenhasses so rasch verbreitet werden? Wie wurde die neofaschistische Bewegung in Ostdeutschland aufgebaut und gestĂ€rkt? Welche Interessen standen hinter dieser Entwicklung und welche WidersprĂŒche trieben sie voran?

Man darf nicht außer Acht lassen das die ostdeutsche Bevölkerung, bis heute eine postsozialistische Gesellschaft in der Transformation ist. Sozialismus, dann die Treuhand und der Ausverkauf – diesen Prozess haben nahezu alle ĂŒber 50jĂ€hringen zwischen Vogtland und Ostsee bewusst miterlebt.

Wie gehen wir also vor? Der Text widmet sich einleitend der DDR und ihrer antifaschistischen Politik. Um die Erstarkung der neofaschistischen Bewegung in Ostdeutschland nachvollziehen zu können muss die antifaschistische StaatsrĂ€son der DDR auf den PrĂŒfstein gestellt werden. Ausgehend davon soll die Entwicklung der neofaschistischen Bewegung der BRD schlaglichtartig beleuchtet werden. So können wir zu der grundlegenderen Frage vordringen welche Prozesse freigesetzt wurden als 1990 ein Staat voller KontinuitĂ€ten des Faschismus einen Staat der antifaschistischen StaatsrĂ€son annektierte, ausverkaufte und unter seine Ordnung unterwarf.

Um sich dem Prozess der Refaschisierung Ostdeutschlands zu widmen, mĂŒssen zwei Tendenzen untersucht werden: Einerseits der Aufbau einer neofaschistischen Bewegung in Ostdeutschland und andererseits der Abbau des DDR-Antifaschismus. Dabei muss unter die Lupe genommen werden wie sich Medien, Politik, Wirtschaft und die neofaschistische Bewegung an beiden Prozessen beteiligten.

2          Ein antifaschistischer Staat

2.1         Warum wir uns der DDR widmen mĂŒssen

Wer seine jeweilige Internet-Suchmaschine nach Antifaschismus in der DDR befragt, wird schnell feststellen, wie einig sich hier die MedienhĂ€user und Institute sind. Die Konrad Adenauer Stiftung, die Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung und die Bundestiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sind ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht jeglichen Dreck auf die DDR abzuladen. Man kann von einer regelrechten Anti-DDR Industrie in Wissenschaft, Journalismus und Kultur sprechen. Der Antifaschismus in der DDR wĂ€re ein „GrĂŒndungsmythos“, die „stalinistische Entnazifizierung“ sei ebenso wie jegliche antifaschistische Tradition ein Legitimationsinstrument fĂŒr die nĂ€chste Diktatur gewesen. Der Antifaschismus in der DDR wĂ€re die LebenslĂŒge der deutschen Linken, schreibt bspw. die Konrad Adenauer Stiftung.[2] Schlussendlich wĂ€re der Antifaschismus nur ein „identitĂ€tsstiftendes SED-UnterdrĂŒckungsinstrument“ gewesen. Die Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung setzt noch einen drauf und fragt: „Ist der Rechtsextremismus im Osten ein Produkt der autoritĂ€ren DDR?“[3]

Vielen Antifaschisten, die sich die Frage stellen, wie es zu Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Chemnitz und den starken AfD Wahlergebnissen kommen konnte wird eine bestechend einfache Antwort prÀsentiert: Die Schuld liegt bei der DDR. Der Antikommunismus ist mittlerweile so gesellschaftsfÀhig und so hegemonial, dass nur noch die wenigsten ihn erkennen, geschweige denn hinterfragen.

Die DDR, ein Staat, der ĂŒber 40 Jahre ein fortschrittliches und antifaschistisches Projekt darstellte, liegt heute unter einem Berg von VorwĂŒrfen und LĂŒgen bundesdeutscher Denkfabriken begraben. Ein positiver Bezug auf die DDR und ihren Antifaschismus ist weitgehend tabuisiert. Dabei ist eine Auseinandersetzung mit der antifaschistischen Politik der DDR nicht nur sehr lehrreich, sondern beweist auch umfangreich welche Zukunftsperspektive bis heute in diesem Anlauf zum Sozialismus liegt. UnbegrĂŒndete Distanzierungen gegenĂŒber der DDR sowie das Desinteresse und die Voreingenommenheit gegenĂŒber diesem Staat und seiner Gesellschaft mĂŒssen dringend ĂŒberwunden werden. Denn beides verhindert ein VerstĂ€ndnis ĂŒber die widersprĂŒchlichen politischen Entwicklungen heutzutage und macht es unmöglich zu verstehen, wie sich dieser erste deutsche Anlauf zum Sozialismus gestaltete, woran er scheiterte und wie sich die Rechtsentwicklung vollzog, die uns heute stĂ€rker denn je beschĂ€ftigt.

2.2         Mit Entnazifizierungen und Enteignungen zum neuen Staat

Springen wir zurĂŒck ins Jahr 1945, nur wenige Wochen nach der Befreiung vom Faschismus. Walter Ulbricht stellte am 25.Juni 1945 in seiner Rede auf einer KPD-FunktionĂ€rskonferenz fest, dass „[
] sich die große Mehrheit des deutschen Volkes als Werkzeug der NazifĂŒhrer und RĂŒstungsindustriellen gebrauchen ließ. Hitler konnte sechs Jahre lang sein Kriegsverbrechen durchfĂŒhren, weil im deutschen Volke die ideologischen AbwehrkrĂ€fte gegen die imperialistische und militaristische Ideologie nur ungenĂŒgend vorhanden waren, weil das Gift der Raubideologie und militĂ€rische Kadavergehorsam tief im Volke stecken.“[4] Aus diesem Satz könne wir die 3 großen Aufgaben ableiten, denen sich die Antifaschisten und Kommunisten auf dem Boden der spĂ€teren DDR widmeten.

  1. Die NazifĂŒhrer mussten gesĂ€ubert und verfolgt werden.
  2. Die Kriegsindustriellen und Völkermordprofiteure mussten enteignet werden.
  3. Die wohl langfristigste und schwierigste Aufgabe: die faschistische Ideologie musste bekĂ€mpft und ĂŒberwunden werden.

Um diese Aufgabe in seiner Konsequenz zu gewÀhrleisten, musste ein neuer Staat aufgebaut werden.

Dabei ist nicht zu vergessen, dass all diese Aufgaben in einem Deutschland realisiert werden sollten das weitestgehend zerstört war. Es herrschten NahrungsengpĂ€sse, Wohnungslosigkeit und es mangelte an Industrie und Facharbeitern zum Aufbau einer Wirtschaft. Tausende Antifaschisten und Kommunisten waren ermordet worden,- die wenigen Überlenden reorganisierten sich kleinschrittig und setzten sich mit deutschen Emigranten aus der Sowjetunion und den politischen Kommissaren der Roten Armee in Verbindung.

Im Folgenden sind Meilensteine dieser Politik dokumentiert. Es sind Maßnahmen und Kampagnen, die teilweise nur wenige Wochen nach dem Sieg ĂŒber den Faschismus durchgefĂŒhrt wurden. Sie verdeutlichen anschaulich, welches neue Deutschland in der sowjetischen Zone errichtet wurde. Diese antifaschistische Ordnung wurde 1949 in die Verfassung der DDR ĂŒbertragen.[5]

In der Sowjetischen Besatzungszone begann auf Basis der BeschlĂŒsse der Potsdamer Konferenz eine antifaschistisch-demokratische UmwĂ€lzung. In den Folgejahren konnte sich der Erfolg dieser UmwĂ€lzungen immer stĂ€rker auf die politische Einheit der Arbeiterklasse unter der SED stĂŒtzen. Es ist allerdings nicht von der Hand zu weisen welche zentrale Rolle der Sowjetunion und ihrer MilitĂ€radministration in dieser Zeit zukam.

Eins sei an dieser Stelle bezĂŒglich des Kampfbegriffes „von Oben verordneter Antifaschismus“ vorweggenommen: Den Antifaschismus „verordneten“ 1945 alle 4 SiegermĂ€chte und zwar auf der Potsdamer Konferenz. Die Sowjetunion war lediglich der einzige Staat, der diesen Antifaschismus in die Tat umsetzte. Und Ja, er war „verordnet“. Mal weniger, mal mehr „von oben“ durchgesetzt und eingefordert,- dass war nach 12 Jahren Hitlerfaschismus auch dringend notwendig.

An die Stelle des zerschlagenen faschistischen Staatsapparates rĂŒckte eine antifaschistisch-demokratische Staatsmacht aus Parteien und Massenorganisationen die sich zur antifaschistischen und demokratischen UmwĂ€lzung unter der FĂŒhrung der Arbeiterklasse bekannten. Diese antifaschistische Ordnung stellte eine Übergangsform zum sozialistischen Aufbau dar und bedeutete gleichzeitig hĂ€rtesten revolutionĂ€ren Klassenkampf, auch wenn er sich ohne Ausbruch eines BĂŒrgerkrieges vollzog. Die Deutsche Verwaltung des Innern erklĂ€rte 1947: „Wer heute die frĂŒhere NSDAP als Urheber aller Machenschaften ansieht, begeht einen entscheidenden Fehler. Die Gegner sind in den geschlagenen KrĂ€ften zu suchen, nĂ€mlich Junker, GroßaktionĂ€re, Bankiers usw. usf.“[6] So wurden Großgrundbesitzer und Kriegsverbrecher auf Basis von Volksabstimmungen enteignet und die kommunalen Verwaltungen unter Mitarbeit des Volkes in die HĂ€nde von Antifaschisten, Demokraten, und WiderstandskĂ€mpfern gelegt.[7] In vielen StĂ€dten hatten sich nach Kriegsende spontan antifaschistische AusschĂŒsse oder Komitees gegrĂŒndet, einige arbeiteten schon vorher in der IllegalitĂ€t. Diese stĂ€rkten unter Schirmherrschaft der Sowjetischen MilitĂ€rverwaltung die lokalen Strukturen der FDJ, des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD), oder der SED und gingen spĂ€ter in sie ĂŒber. Viele wurden in die stĂ€dtischen Verwaltungen eingesetzt.[8]

Um den Faschismus ökonomisch auszurotten, wurden im Rahmen der Bodenreform 7200 Großgrundbesitzer und 4500 andere Kriegsverbrecher entschĂ€digungslos enteignet. Bis 1948 wurden darĂŒber hinaus 9200 Betriebe von Kriegsgewinnlern und Naziaktivisten in die HĂ€nde des Volkes ĂŒbergeben und enteignet. Den Maßnahmen stimmten 77,7 Prozent der Sachsen in einer Volksabstimmung zu.

Der Kampf gegen die EinflĂŒsse und Störversuche der alten reaktionĂ€ren Klasse die sich nicht geschlagen geben wollte wurde auch in der Kultur und Bildung hart gefĂŒhrt. 72 Prozent der alten Lehrerschaft gehörten der NSDAP an und mussten aus dem Schuldienst entfernt werden.[9] Um die Erziehung und Bildung weiterhin zu gewĂ€hrleisten entstand die Neulehrer-Bewegung als politische Kampagne der SED und der Sowjetischen Verwaltung. Insgesamt wurden 40.000 junge Arbeiter und Arbeiterinnen in mehrmonatigen LehrgĂ€ngen zu PĂ€dagogen ausgebildet. Diese Neulehrer wurden darauf geprĂŒft, ob sie „Willens und in der Lage waren die deutsche Jugend im Geiste des Antifaschismus, Humanismus, sowie der Demokratie und Völkerfreundschaft zu erziehen“.[10]

DDR-Historiker Stefan Doernberg bringt die Rolle der Entnazifizierung treffend auf den Punkt: „Obwohl die Entnazifizierung nicht die Hauptmethode der demokratischen Erneuerung der Verwaltungsorgane war, weil leitende Funktionen von Anfang an von Antifaschisten ĂŒbernommen wurden, trug sie dennoch wesentlich zur endgĂŒltigen Zerschlagung des imperialistischen Staatsapparats bei. [
] Die völlige politische Entmachtung der faschistisch-
militaristischen KrĂ€fte war ein lĂ€ngerer Prozess, dessen Hauptinhalt die Zerschlagung der imperialistisch-kapitalistischen Staatsmaschine und der Aufbau neuer antifaschistisch-demokratischer Staatsorgane war.“
[11]

Allein bis 1946 entließ man 390.478 ehemalige Nazis aus ihren Stellen und Funktionen in Verwaltung, Justiz, Bildung und vielem mehr. DarĂŒber hinaus ermittelte das Ministerium fĂŒr Staatssicherheit bis 1989 gegen alte Kriegsverbrecher und Nazis.[12] In der DDR war es nahezu unmöglich, mit einer SS- oder Wehrmachtshistorie in höhere gesellschaftliche Positionen aufzusteigen. Es gab zwar höhere Staatsbeamte und eine Hand voll Minister in der DDR mit ehemaliger NSDAP-Mitgliedschaft, diese waren allerdings weder in der SS, noch in leitenden Funktionen um Krieg und Massenmord zu koordinieren gewesen.[13] Das beweist der Fall des Ernst Großmann, der SS-Mann und KZ-Aufseher fĂ€lschte seine Biographie und stieg in das ZK der SED auf. Als seine Vergangenheit 1959 bekannt wurde schloss man Großmann sofort aus.[14]

Zur Wahrheit gehört auch, dass fĂŒr den Aufbau der DDR keine neuen Menschen vom Himmel fielen und zahlreiche Personen mit Nazi-Vergangenheit unangetastet bleiben mussten. Beispielhaft hierfĂŒr stehen die Kasernen und KrankenhĂ€user der jungen DDR, in denen einige Wehrmachtsoffiziere und NS-Ärzte weiter tĂ€tig waren, um die VerteidigungsfĂ€higkeit und Medizinversorgung der DDR nicht zusammenbrechen zu lassen. Das betraf allerdings weder die Ärzte die leitend hinter den T-4 Programmen zur Ermordung Behinderter steckten. Diese wurden verfolgt und hingerichtet. Auch namhafte Kriegsverbrecher der Wehrmacht waren in den RĂ€ngen der Nationalen Volksarmee nicht wiederzufinden.

Einzig und allein entscheidend in der Entnazifizierung war nicht die Zahl der Entlassungen oder Verhaftungen, sondern die BekĂ€mpfung der gesellschaftlichen TriebkrĂ€fte, die den Faschismus hervorgebracht hatten: den imperialistischen Kapitalismus. Aufarbeitung und Volksbildung war wohl die wichtigste Komponente neben den SĂ€uberungen und Enteignungen. Der Kampf gegen den Rassenhass und Chauvinismus war ein Kampf um die Köpfe der DDR-Bevölkerung. Dieser wurde nicht nur gegen den Einfluss alter Nazis und westlicher Medien gefĂŒhrt, sondern war auch ein Kampf um gute FunktionĂ€re und Lehrer, ein Kampf um eine öffentliche und anschlussfĂ€hige Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Dieser Kampf wurde mit Sicherheit nicht ĂŒberall gewonnen, dennoch schuf die DDR-Meilensteine in ihrer antifaschistischen Politik. Auf diese Auseinandersetzung sei im Folgenden verwiesen.

2.3         Aufarbeitung und antifaschistische Erziehung

In der DDR fand neben der Auseinandersetzung mit verschiedenen Opfergruppen, eine breite BeschĂ€ftigung mit dem Widerstand gegen den Faschismus statt, dessen Erbe der junge Staat antreten wollte. Zahlreiche Promotionen, aber auch kleinere Publikationen zeugen von einer breiten und umfangreichen wissenschaftlichen und populĂ€rwissenschaftlichen Auseinandersetzung. Publikationen wie „Der SS-Staat“ (1947), das hunderte Erlebnisberichte von KZ-HĂ€ftlingen sammelte, oder Walter Ulbrichts „Die Legende vom deutschen Sozialismus“ (1946), das breite Schichten in der Sowjetischen Besatzungszone ĂŒber die LĂŒgen und Verbrechen des Faschismus aufklĂ€rte, verdeutlichen dies. Auch die Literatur fĂŒr Kinder und Jugendliche leistete einen wichtigen Beitrag zur antifaschistischen Erziehung. Bruno Apitz’ Roman „Nackt unter Wölfen“ (1958) wurde ein zentraler Bestandteil der antifaschistischen Bildungsarbeit und fand Einzug in nahezu alle Klassenzimmer der DDR. Bereits zuvor war Anna Seghers’ „Das siebte Kreuz“ ein bekannter Titel in den Schulen. Auch die Behauptung, die DDR habe den Massenmord und die Verfolgung der Juden ignoriert oder nie aufgearbeitet, hĂ€lt einer ÜberprĂŒfung nicht stand. Insgesamt widmeten sich 1.086 Publikationen aus DDR-Verlagen der jĂŒdischen Geschichte, Religion, dem Alltagsleben und der Philosophie. Zwischen 1945 und 1990 wurden mindestens 238 literarische Werke – darunter Romane, Novellen und Gedichte – zum Völkermord an den europĂ€ischen Juden veröffentlicht, wissenschaftliche Literatur ausgenommen.[15]

Dennoch konnten die Organe und Forschungskommission nicht alle LĂŒcken in der Aufarbeitung öffentlich schließen. So kritisierte beispielsweise der 1989 ausgestrahlte Film „Coming Out“ die mangelhafte Aufarbeitung und EntschĂ€digung fĂŒr homosexuelle Opfer des Faschismus. Bis zu diesem Zeitpunkt erinnerte eine grĂ¶ĂŸere Gedenktafel in Berlin an die Opfer: „Totgeschlagen – Totgeschwiegen: Den Homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus“. Auch fĂŒr die Opfer der Euthanasie entstanden nur eher kleinere Gedenktafeln. Die Machenschaften und Mordprogramme der Ärzte wurden, allerdings breit in der wissenschaftlichen Literatur aufgearbeitet und zahlreiche Medien berichteten ĂŒber die Prozesse gegen die TĂ€ter. Ein wesentlicher Bestandteil der Erinnerungspolitik in der DDR war es, die Opfer des Faschismus nicht zu vereinzeln oder in Kategorien aufzuteilen, sondern allen Opfern gleichermaßen ehrwĂŒrdig zu gedenken. Dabei nahm der Widerstand gegen den Faschismus eine besondere Rolle ein, was jedoch nicht bedeutete, dass die spezifischen Ursachen der Verfolgung und des Leidens unbenannt blieben.

DenkmĂ€ler und Mahnmale fĂŒr Opfer des Faschismus prĂ€gten zunehmend die Stadtbilder der DDR. Diese wurden oftmals auf Initiative antifaschistischer WiderstandskĂ€mpfer und mit UnterstĂŒtzung von Organisationen der Arbeiterklasse wie dem „Buchenwald-Kollektiv“ errichtet. Ein Leseheft zur Kunstbetrachtung stellt dabei fest: „Bald nach der GrĂŒndung der Deutschen Demokratischen Republik wurde ein Kuratorium, ein gesellschaftlicher Rat also, fĂŒr den Aufbau Nationaler GedenkstĂ€tten gebildet. Dort, wo von den Faschisten die Menschlichkeit am ĂŒbelsten geschĂ€ndet worden war, dort aber auch, wo sich antifaschistisches KĂ€mpfertum unĂŒberwindbar bewĂ€hrt hatte, dort sollten die StĂ€tten der Mahnung und des Gedenkens errichtet werden: Buchenwald – RavensbrĂŒck – Sachsenhausen. Die besten Bildhauer und ein Kollektiv junger Architekten vollbrachten es, in stĂ€ndigem Kontakt mit dem gesellschaftlichen Auftraggeber, der Partei der Arbeiterklasse, ehemaligen HĂ€ftlingen, Arbeitern und KĂŒnstlern, Werke von herausragender Bedeutung zu schaffen.“[16]

Am Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, sowie dem Tag der Opfer des Faschismus, aber auch anlĂ€sslich der Befreiung einzelner Konzentrationslager oder an Orten faschistischer Verbrechen fĂŒllten sich die Straßen und Gedenkorte jĂ€hrlich mit breiten Menschenmassen. Durch solche Veranstaltungen in enger Zusammenarbeit mit Schulen, UniversitĂ€ten, Betriebskollektiven und FDJ-Gliederungen wurde die GedenkstĂ€ttenarbeit zu einem zentralen Bestandteil politischer Bildungsarbeit.[17] Zahlreiche Schulen, Straßen und andere GebĂ€ude waren nach Antifaschisten und Opfern des Faschismus umbenannt worden. Von einem ritualisierten und sonst bedeutungslosen Gedenken kann dabei nicht die Rede sein. Wie bereits am Beispiel der Literatur dargelegt, beschrĂ€nkte sich der Antifaschismus nicht auf einzelne Tage, sondern durchzog das politische Leben in der DDR.  Auch Film und Fernsehen waren von einer Aufarbeitung des Faschismus geprĂ€gt: Dutzende Spielfilme und Serien thematisierten die Verbrechen und Massenmorde des deutschen Faschismus. Diese wurden zugunsten von Schichtarbeitern zu verschiedenen Tageszeiten ausgestrahlt – auch im Kinder- und Jugendprogramm. Bereits 1947 erschien im „Augenzeuge“ (der Wochenschau in der SBZ) ein ausfĂŒhrlicher Bericht ĂŒber das einzige ĂŒberlebende Kind der Berliner JĂŒdischen Gemeinde.[18] Schon 1 Jahr nach dem Sieg ĂŒber den Faschismus vermittelte der Film „Die Mörder sind unter uns“ die dringende Notwendigkeit sich fĂŒr Entnazifizierungen einzusetzen. Fernsehprogramme wie die „Aktuelle Kamera“ oder „der Schwarze Kanal“ berichteten regelmĂ€ĂŸig ĂŒber alte und neue GrĂ€ueltaten von Faschisten.

Der Vorwurf eines verordneten, ritualisierten und inhaltsleeren Gedenkens ist genauso falsch wie die Behauptung von vergessenen, verdrĂ€ngten und nie entschĂ€digten Opfern des Faschismus. Das belegen nicht nur die Filme, Serien und Publikationen, sondern auch die umfangreichen Sozialleistungen. Alle ehemaligen KZ-HĂ€ftlinge und Opfer des Faschismus erhielten höhere Renten, mehr Urlaub, eigene Urlaubs- und Kurheime und bessere medizinische Betreuung. Ob sie religiös oder politisch verfolgt waren, machte keinen Unterschied. Sie erhielten UnterstĂŒtzung bei Wohnungssuche, Bildungs- und Berufswegen mit Stipendien und Zulassungen. Im Nahverkehr konnten Opfer des Faschismus mit einer Begleitperson kostenlos fahren. Diese sozialen EntschĂ€digungen wurden den ostdeutschen Juden, sowie allen Opfern des Faschismus mit der Annexion der DDR genommen.[19]

Die antifaschistische StaatsrĂ€son der DDR war damit alles andere als ideologischer Kitt. Sie war ein Selbstanspruch dem tausende Kader, FunktionĂ€re, Intellektuelle, Arbeiter, Bauern und Jugendliche nachgingen. Dieser Antifaschismus wurde von klein auf mitgegeben und so gut es möglich war in das politische Leben integriert. Dabei kam es ohne Zweifel zu Formalisierungen, die sich nicht in einen intrinsischen Antifaschismus ĂŒbersetzten. Weder die politische Bildungsarbeit, noch die Politik der Massenorganisationen waren ausgereift genug um alle, auch apolitische DDR-BĂŒrger, mitzuziehen. Im Wesentlichen war das politische Leben in der DDR und das Bewusstsein breiter Bevölkerungsmehrheiten allerdings bewusst antifaschistisch. Einen wichtigen Anteil an dieser Arbeit hatten die Massenorganisationen der DDR.

2.4         Antifaschistische Massenorganisationen und ihre Arbeit

Alle Parteien, Organisationen und VerbĂ€nde mussten sich auf Basis der antifaschistischen Ordnung der DDR grĂŒnden und ihre Arbeit danach ausrichten. Die Massenorganisationen durchzog ein klares Bekenntnis zur VölkerverstĂ€ndigung und der internationalen SolidaritĂ€t.

 WĂ€hrend der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands unter der FĂŒhrung von Johannes R. Becher regelmĂ€ĂŸig sondierte, wie sich eine kĂ€mpferische antifaschistische Kultur entfalten ließe, partizipierte der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) an internationalen Konferenzen gegen Krieg und Faschismus.[20] Die Gesellschaft fĂŒr Deutsch-Sowjetische Freundschaft organisierte regelmĂ€ĂŸig die VerstĂ€ndigung und den kulturellen Austausch mit den Völkern der Sowjetunion. Der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oblag neben den Institutionen der Volksbildung maßgeblich die antifaschistische Erziehung der Jugend. Sie organisierte gemeinsame AusflĂŒge und AktivitĂ€ten, wie bspw. GesprĂ€che mit Opfern des Faschismus oder dem Besuch von Konzentrationslagern. Auf internationalen Konferenzen widmete sich die FDJ nicht nur dem historischen Faschismus, sondern warnte auch immer wieder vor den Machenschaften deutscher Faschisten in der BRD.[21] Die Junge Welt, wie auch das Neue Deutschland verlegten regelmĂ€ĂŸig neue Aufarbeitungen faschistischer Verbrechen und neofaschistischer AktivitĂ€ten in der DDR, Europa und der ganzen Welt. Auch die Nationale Volksarmee und die Kampfgruppen der Arbeiterklasse waren immer ein lebendiger Teil der antifaschistischen Kultur. Mit der DDR-Singebewegung entstand eine politische Kraft, die sich in gesonderter Form auch kulturell dem antifaschistischen Widerstand widmete.

Besonders betont werden muss hier allerdings eine Massenorganisation: Das Komitee der antifaschistischen WiderstandskĂ€mpfer.  Es spielte in der antifaschistischen Politik eine bedeutende Rolle und setzte sich im Jahr 1953 als Vereinigung vieler verschiedener Vereine und Gruppen von KZ-HĂ€ftlingen zusammen: JĂŒdische, christliche, liberale, sozialdemokratische oder kommunistische Gruppen waren gleichberechtigt vertreten.[22] Sie alle erhielten die bereits genannten Sozialleistungen fĂŒr Opfer des Faschismus und betreuten gleichzeitig die korrekte Vergabe dieser. Das Komitee gliederte sich in 15 Bezirks- und 111 Kreiskomitees und war gleichzeitig in der Nationalen Front der DDR vertreten.[23] Neben der Betreuung von Opfern des Faschismus und der Organisation von Kundgebungen, Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen veröffentlichte das Komitee regelmĂ€ĂŸig Hefte und grĂ¶ĂŸere Schriften ĂŒber Konzentrationslager, Widerstandsgruppen, Verbrechen und Massaker oder Fragen des aktuellen antifaschistischen Kampfes. In „SS im Einsatz – Eine Dokumentation ĂŒber die Verbrechen der SS“ recherchierten und sammelten Mitglieder des Komitees umfangreiche Beweise fĂŒr die Machenschaften ihrer ehemaligen SchlĂ€chter und Peiniger.[24] Die Kasse des Komitees im Wert von 1,7Millionen D-Mark wurde 1991 von der Treuhandanstalt einkassiert und geraubt.[25]

2.5         BekĂ€mpfung und ZurĂŒckdrĂ€ndung des Faschismus

Die „operative Aufarbeitung“, wie Walter Ulbricht sie nannte, oblag dabei dem Ministerium fĂŒr Staatssicherheit in enger Zusammenarbeit mit den Justizbehörden der DDR. Diese Organe waren von Anbeginn ihrer GrĂŒndung mit dutzenden untergetauchten Nazi-Kadern, faschistischen Saboteuren und Terroristen, sowie faschistisch-motivierten Straftaten beschĂ€ftigt. Von faschistischen Verbrechern der Kriegszeit bis zu Hitlergruß zeigenden SchĂŒlern wurden sĂ€mtliche Straftaten penibel im NS-Archiv der Hauptabteilung IX/11 und IV der Staatssicherheit dokumentiert und verfolgt.[26] Das Justizministerium der jungen DDR sprach sich unter der Leitung der antifaschistischen WiderstandskĂ€mpferin Hilde Benjamin fĂŒr klare und harte Urteile gegen Faschisten und Kriegsverbrecher aus. Die BRD-Justiz erklĂ€rte die Urteile nach 1990 allesamt fĂŒr gegenstandslos.[27] Die Entnazifizierung des Rechtssystems in der DDR hatte die Entlassung nahezu aller Nazi-Richter, AnwĂ€lte und Justizangestellten zur Folge. An ihre Stelle traten Volksrichter und Justizpersonal aus der Arbeiter- und Bauernschicht.[28]

Die Hauptabteilung IX/11 versorgte die anderen Abteilungen des Ministeriums fĂŒr Staatssicherheit mit Informationen und kooperierte mit dem Generalstaatsanwalt der DDR bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. So unterstĂŒtzte beispielsweise die geheimdienstliche Analyse und Untersuchung der 30.000 Patientenakten von Opfern der Euthanasie die Verhaftung und Beurteilung der verantwortlichen Nazi-Ärzte.[29] Neben der Verfolgung alter und neuer Faschisten in der DDR war die Staatssicherheit mit der Forschung zu Faschisten in der BRD beschĂ€ftigt. Durch die Arbeit der Staatssicherheit konnten zahlreiche EnthĂŒllungen gegenĂŒber ranghohen BRD-Politikern gelingen. Ein Höhepunkt dieser Arbeit stellte das 1965 erschienene Braunbuch ĂŒber 1000 Kriegs- und Naziverbrecher in Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz und Wissenschaft der Bundesrepublik dar.[30] Der bĂŒrgerliche Historiker Götz Aly geht von einer Fehlerquote von nur 1% in den Recherchen aus.[31] In der Bundesrepublik wurde das Buch verboten. Derartige Recherchen nutzte die Staatssicherheit, um in SonderfĂ€llen auch Personen ĂŒber die Grenze der DDR zu entfĂŒhren und vor ein Gericht zu stellen.[32]

Der Antifaschismus der DDR war fest mit den Prinzipien der Völkerfreundschaft und internationalen SolidaritĂ€t verbunden. Die SolidaritĂ€tsbewegung fĂŒr Chile beweist das Zusammenwirken von Sicherheitsorganen und Massenorganisationen im antifaschistischen Kampf. Als Chile 1973 von einem faschistischen Putsch unter der FĂŒhrung Augusto Pinochets erschĂŒttert wurde litten tausende Antifaschisten unter Verfolgung, Haft und Folter. WĂ€hrend Mitarbeiter der Staatssicherheit zahlreichen verfolgten Antifaschisten zur Flucht verhalfen, fĂŒllten SolidaritĂ€tsdemonstrationen die StĂ€dte der DDR.[33] Begleitet wurde die antifaschistische SolidaritĂ€tskampagne mit dutzenden Zeitungsartikeln und spĂ€ter Filmen der DEFA, um umfangreich ĂŒber den Putsch in Chile aufzuklĂ€ren.[34] Auf der anderen Seite des antifaschistischen Schutzwalls lobte CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß den Mordterror des Pinochet-Regimes: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhĂ€lt das Wort Ordnung fĂŒr die Chilenen plötzlich wieder einen sĂŒĂŸen Klang.“[35] WestdeutscheBND-Agenten mit SS-Hintergrund leiteten Folterlager in Chile und unterstĂŒtzten die Verfolgungen und Ermordungen von Regimegegnern.[36] Der DDR-Antifaschismus war fest verbunden mit den Prinzipien der Völkerfreundschaft, sowie der praktischen und gelebten internationalen SolidaritĂ€t. Das beweisen darĂŒber hinaus die SolidaritĂ€tskampagnen fĂŒr Nelson Mandela und Angela Davis, aber auch die UnterstĂŒtzung des Kampfes griechischer und portugiesischer Antifaschisten gegen ihre reaktionĂ€ren MilitĂ€rdiktaturen.[37] Die Familien verfolgter griechischer Antifaschisten fanden in der DDR Schutz und Zuflucht, und konnten sich bspw. im „Komitee Freies Griechenland“ organisieren.[38]

In der gesamten Zeit ihres Bestehens, insbesondere vor der Grenzsicherung vom 13.August 1961, war die DDR von zahlreichen faschistischen Umtrieben und Aktionen betroffen. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Machenschaften der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KGU) und der „Bund Deutscher Jugend“ (BDJ).

Die KGU wurde vom amerikanischen Geheimdienst, sowie der Organisation Gehlen (eine von der SS durchsetzten VorlĂ€uferstruktur des BND) in der BRD aufgebaut und sollte in der DDR operieren. Koordinierung und Planung fanden grĂ¶ĂŸtenteils in Westberlin statt. In der Leitung der Kampfgruppe tummelten sich Nazis, wie der ehemalige General der Waffen-SS Sievers. Finanzielle Zuwendungen erhielt die Gruppe bspw. aus der Ford Foundation.[39] Sie rekrutierten sich dabei nicht nur aus den Reihen von Faschisten, sondern konnten auch zahlreiche Antikommunisten und DDR-BĂŒrger in ihr breites Netzwerk integrieren. Die Arbeit des KGU bestand aus MilitĂ€r- und Industriespionage und Sabotageaktionen wie BrandanschlĂ€gen, SprengstoffanschlĂ€gen, oder dem Vertrieb gefĂ€lschter GeschĂ€ftsbriefe. Auch Terror gegen Einzelpersonen und Drohungen gegen FunktionĂ€re der SED standen auf der Tagesordnung.[40] Beispielsweise wurden Wahlveranstaltungen der Parteien des antifaschistischen Blocks gestört und angegriffen. Als anlĂ€sslich der Weltfestspiele der Jugend 1951 tausende Demokraten und Antifaschisten, samt 204 internationalen Delegationen, die Straßen Berlins fĂŒllten schlug die KGU wieder mit Angriffen, Störaktionen und Hetzflyern zu.[41] Mit dem BDJ teilten die Gruppe sich ihre revanchistische und aggressiv antikommunistische Grundhaltung, die zu diesem Terror fĂŒhrte.

Der Bund deutscher Jugend (BDJ) wurde vom amerikanischen Geheimdienst im Kampf gegen die DDR aufgebaut und finanziert. Auf den Treffen des BDJ traten auch Bundestagsabgeordnete von FDP und CDU auf. Diese von Altnazis geleitete Jugendorganisationen ĂŒbertrumpfte die Kampfgruppen gegen Unmenschlichkeit in ihrem radikalen Antisemitismus und ihrem offenen positiven Bezug auf den Hitlerfaschismus. Die Gruppe griff unter anderem Synagogen, Juden und Antifaschisten in der BRD an und rĂŒstet zum Kampf gegen die DDR. Im April 1951 wurde eine Untergrundabteilung des BDJ gegrĂŒndet, die sich den Namen „Technischer Dienst“ (TD) gab. Er hatte den Zweck, eine bewaffnete Widerstandsbewegung gegen „den Bolschewismus“ parallel zum BDJ aufzubauen und Terror gegen die DDR zu verĂŒben. Binnen weniger Wochen entstand bundesweit eine paramilitĂ€rische Struktur mit schwerpunktmĂ€ĂŸiger „Partisanen-Schulung“, die zusammen mit US-amerikanischen Dienststellen durchgefĂŒhrt wurde. Der BDJ war eine von vielen faschistischen Stay-Behind-Organisationen die in der BRD aufgebaut wurden.[42] Stay-Behind-Organisationen waren geheime Netzwerke, die in Westeuropa eingerichtet wurden, um im Falle eines Krieges Sabotage und Terror zur verĂŒben,- sie werden auch als NATO-Geheimarmeen bezeichnet. Besondere Bekanntheit erlangte die 600 Mann starke „Wehrsportgruppe Hoffmann“, die verschiedene MordanschlĂ€ge verĂŒbte.[43]

Es waren faschistische Gruppen wie diese, welche am 17. Juni 1953 die Proteste von Teilen der DDR-Bevölkerung gegen die Normerhöhungen instrumentalisierten und eskalierten. Der von vielen westdeutschen Politikern lang ersehnte „Tag X“ war zum Greifen nah.[44] Faschisten und Provokateure, vorrangig aus Westberlin, plĂŒnderten und zerstörten GeschĂ€fte, Buchhandlungen, StraßenzĂŒge und ParteibĂŒros. Sie machten auch vor Brandstiftungen in Fabriken und Einkaufszentren keinen Halt.[45] WĂ€hrend Buchhandlungen gestĂŒrmt und öffentlich BĂŒcher und Fahnen verbrannt wurden, kam es zu StĂŒrmungen und Freilassungsaktionen in GefĂ€ngnissen. Verurteilte Faschisten, wie die Kommandeurin des Konzentrationslagers RavensbrĂŒck, Erna Dorn, waren wieder auf freiem Fuß.[46] Bertolt Brecht berichtet in seinem Brief an Peter Suhrkamp wie letztere aufhetzende Reden auf dem Marktplatz von Halle hielt. Auf die wenigen noch lebenden Juden wurden Überfalle verĂŒbt, so Brecht.

Aber Brecht berichtet auch, wie Teile der Bevölkerung versuchten, Faschisten, die das Deutschlandlied sangen, mit der Internationale zu ĂŒberstimmen.[47] Und tatsĂ€chlich kam es am 17. Juni zu einer Vielzahl antifaschistischer Gegenwehr und Selbstschutzaktionen. Jugendliche bildeten spontane Komitees, um ihre LehrwerkstĂ€tten oder FDJ-Einrichtungen zu schĂŒtzen und stellten sich Randalierern und Provokateuren in den Weg. Faschisten die „Heil Hitler“ rufend oder das „Horst Wessel Lied“ singend durch die Straßen zogen wurden von der Bevölkerung aufgehalten oder Niedergerungen. Zahlreiche Augenzeugenberichte in der jungen Welt und weiteren Zeitungen schilderten diese Verbrechen und die Gegenwehr aus Teilen der DDR-Bevölkerung.[48] In Reaktion auf diese Proteste, die durch faschistische Umtriebe zu einem Putschversuch instrumentalisiert wurden, entschloss sich die DDR-FĂŒhrung noch im Jahr 1953 zur GrĂŒndung von Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Diese bewaffneten Einheiten wurden auf Grundlage eines klar definierten antifaschistischen Programms gebildet und spielten in den folgenden Jahrzehnten eine wichtige Rolle bei der Sicherung der antifaschistischen Ordnung in der DDR.

3          Der Aufbau einer neofaschistischen Bewegung in der BRD

3.1         Klare KontinuitĂ€ten in Staat und Politik

Wie war es um den Antifaschismus in dem Staat bestellt der sich 1990 die DDR einverleibte?

Das Bundesverfassungsgericht fand im Jahr 1972 eine erschreckend eindeutige Antwort auf die Frage: „Das Grundgesetz geht davon aus, „dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 ĂŒberdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch AusĂŒbung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten OkkupationsmĂ€chte noch spĂ€ter untergegangen ist“. Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegrĂŒndet, sondern „ein Teil Deutschlands neu organisiert [
]. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger’ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich’, – in Bezug auf seine rĂ€umliche Ausdehnung allerdings ‚teilidentisch’, so dass insoweit die IdentitĂ€t keine Ausschließlichkeit beansprucht.“[49]

Das Bundesverfassungsgericht selbst, stellte also fest, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht einfach ein Nachfolger des Hitlerreiches darstellt, sondern in seiner historischen, politischen und juristischen KontinuitÀt steht.

Der imperialistische und militaristische Staatsapparat verlieh sich zwar mit dem Grundgesetz ein neues bĂŒrgerlich-demokratisches Antlitz, an umfangreiche Entnazifizierungen und Enteignungen dachte allerdings niemand in der westlichen Besatzungszone. Vielmehr stiegen alte SS-Mörder und Nazi-Wissenschaftler weit in den RĂ€ngen der Bundeswehr, des Geheimdienstes und der UniversitĂ€ten auf.[50] Die Monopole und Kriegstreiber behielten ihre Macht. Antimonopolistische Stimmen in der CDU wurden kaltgestellt und Massenproteste gegen Westanbindung, AufrĂŒstung und Fortsetzung der kapitalistischen Orientierung hart bekĂ€mpft. Vom Generalstreik 1948, dem grĂ¶ĂŸten Streik in der Geschichte Deutschlands, weiß heute kaum noch jemand. 9 Millionen Menschen in der britischen und amerikanischen Besatzungszone demonstrierten fĂŒr gesellschaftliche Mitbestimmung, Enteignung der SchlĂŒsselindustrien und eine Demokratisierung der Wirtschaft.[51]

Entgegen dieser Forderung wurde die Macht der Monopole restauriert. Die spĂ€tere Bundesrepublik erfuhr kaum Demontage, noch musste sie bedeutende EntschĂ€digungen zahlen. WĂ€hrend die BRD ihre EntschĂ€digungszahlen unter anderem mit Waffenlieferungen an Israel im Wert von 240 Millionen Euro abglich, zahlte die DDR alleine sĂ€mtliche Reparationen an Polen und die Sowjetunion.[52] Die Westalliierten verzichteten auf grĂ¶ĂŸere ReparationsansprĂŒche gegenĂŒber der Bundesrepublik, um sie nicht weiter zu schwĂ€chen. Mithilfe von tausenden ehemaligen und unbelehrbaren Nazis in den Reihen von CDU/CSU und FDP sollte die BRD zur antibolschewistischen Speerspitze gegen den Sozialismus aufgebaut werden.[53] Die BRD zahlte Reparationen in der Höhe von 3% ihrer IndustriekapazitĂ€t, wĂ€hrend die DDR sie mit dem zehnfachen Wert ĂŒbertraf. Unterdessen machte die USA Westeuropa, und vor allem die BRD, mit dem Marshallplan fit fĂŒr die Aggression gegen den sozialistischen Block. Schon 1948 beauftragte Adenauer ehemalige WehrmachtsgenerĂ€le mit Studien zum Aufbau einer europĂ€ischen Armee. Der „Manteuffel-Plan“ schlug nur ein Jahr spĂ€ter die Aufstellung einer 600.000 Mann starken Stoßarmee fĂŒr den Kampf gegen die Sowjetunion vor. Die PlĂ€ne wurden noch im selben Jahr mit Vertretern im US-ReprĂ€sentantenhaus diskutiert.[54]

Die BesatzungsmĂ€chte zögerten GrĂŒndungen von demokratischen und antifaschistischen Parteien hinaus, wĂ€hrend sie die Bildung von UnternehmerverbĂ€nden unterstĂŒtzten. Die SchlĂŒsselpositionen in Staat und Wirtschaft wurden mit 300 ReprĂ€sentanten von Monopolunternehmen wie der Flick AG, der Deutschen Bank, der Thyssen AG usw. besetzt.[55]

Die in ihr absolutes Gegenteil umgekehrten Entnazifizierungsmaßnahmen, stießen selbst bei Teilen des amerikanischen MilitĂ€rs auf Kritik. Der MilitĂ€rgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, General Lucius Clay, zeigte sich 1946 enttĂ€uscht: „Es wird mehr und mehr offenbar, dass das ganze Verfahren dazu benutzt wird, um so viele wie möglich ihren alten Berufen wiederzugeben, anstatt die Schuldigen festzustellen und ihrer Strafe zuzufĂŒhren.“[56] Alte Nazis konnten sich entweder mit korrekt ausgefĂŒllten Fragebögen (sogenannten Persilscheinen) oder sich mit 2 BĂŒrgen im GepĂ€ck vor den vielen Spruchkammern selbst freisprechen.[57] Selbst wenn man die Zahl des bĂŒrgerlichen Historikers Wolfgang Benz heranzieht, der von 140.000 entlassenen Altnazis spricht, ist diese Zahl nichtig.[58] Denn im 1951 erlassenen Gesetz 131 wurden alle Personen, die bis zum 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst arbeiteten, rehabilitiert und wiedereingestellt.[59] Dieses Gesetz war angesichts einer Adenauer Regierung, in der 16 von 25 StaatssekretĂ€ren eine schwer belastete faschistische Vergangenheit hatten nicht verwunderlich.[60] Im nie entnazifizierten Justizsystem ging die Strafverfolgung von Nazis und Kriegsverbrechern immer deutlicher in die Richtung flĂ€chendeckender Amnestie und sogar EntschĂ€digung.[61] Nur ein Jahr zuvor im September 1950 beschloss die Bundesregierung Mitglieder der KPD oder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aus dem öffentlichen Dienst zu suspendieren,- die Mitgliedschaft wĂ€re mit den Dienstpflichten unvereinbar.[62] Das umfassende Verbot des VVN platzte 1962, weil die braune Vergangenheit der Richter und des Staatsanwaltes schließlich ans Licht kam und die Regierung dann doch den internationalen Skandal fĂŒrchtete. Zu diesem Zeitpunkt waren die FDJ und KPD schon lĂ€ngst von alten Nazi Richtern verboten und ihre Mitglieder verhaftet worden.

Die personellen KontinuitĂ€ten im Staatsapparat der BRD waren gravierend: Noch Ende der 1960er Jahre hatten 75 Prozent der Mitarbeiter des BKA eine NSDAP-Mitgliedschaft, und 50 Prozent waren ehemalige SS-Mitglieder. In der FĂŒhrungsebene des Justizministeriums lag die NSDAP-Quote 1966 bei 66 Prozent.[63]

Genau dieser neofaschistischen Bewegung in der Bundesrepublik wollen wir uns im Folgenden widmen, um besser zu verstehen, welche KrÀfte ab 1990 auf den Osten Deutschlands einwirken und welche KontinuitÀten des Neofaschismus bis heute fortbestehen.

3.2         Die Reorganisierung des Neofaschismus: Geburtsstunde der Neuen Rechten

Warum widmen wir uns der Neuen Rechten in Westdeutschland, wenn wir doch den Neofaschismus in Ostdeutschland verstehen wollen? Weil hier politische KrÀfte aufgebaut wurden die bis heute Gewalt und Chauvinismus verbreiten: Im Ostdeutschland der 1990er und der Bundesrepublik im Allgemeinen wirken sie damals wie heute und stÀrker denn je. Eine BeschÀftigung mit der Geschichte rechter und neofaschistischer Parteien deckt auf, wie diese immer wieder aus der CDU hervorgehen und von Beginn an bestens in die herrschende Klasse integriert sind, und zwar finanziell, aber auch durch Netzwerke und Kontakte.

Nach 1945 wirkten neofaschistische KrĂ€fte nicht nur innerhalb des Staatsapparates, der Bundeswehr und der Polizei, sondern auch in breiten gesellschaftlichen Organisationen. Die 1949 gegrĂŒndete Sozialistische Reichspartei (SRP) ĂŒbernahm die NSDAP Programmatik nahezu wortgemĂ€ĂŸ, wĂ€hrend die 1964 gegrĂŒndete NPD gemĂ€ĂŸigter auftrat. Das Verbot der SRP 1952, diente dabei als juristische Blaupause fĂŒr das KPD-Verbot. Die SRP-Mitglieder konnten sich umgehend als Deutsche Reichspartei neu aufstellen.[64]

Die NPD achtete trotz, und vielleicht gerade wegen, ihrer dutzenden Nazi-Biografien darauf einen „gesitteten Konservatismus“ zu vertreten. Die Partei hielt dabei gute und persönliche Kontakte zur CDU/CSU und lies sich vom Bonner Verteidigungsministerium, sowie Teilen der BundeswehrfĂŒhrung finanzieren.[65]

Die ideologische Basis dieser neofaschistischen Strömungen wurde von intellektuellen Zirkeln wie dem 1949 gegrĂŒndeten „Deutschen Kulturwerk EuropĂ€ischen Geistes“ mit rund 3.000 Mitgliedern gestĂ€rkt. Die ab 1960 offen mit der NPD kooperierende Kaderschmiede und VerlagsstĂ€tte erhielt finanzielle ZusprĂŒche vom Bundesverband der deutschen Industrie.[66] Dieser entlang der CDU/CSU organisierte Neofaschismus hatte seine Massenbasis lange Zeit in verschiedenen SS- und Wehrmachts-Traditionsvereinen und im erzreaktionĂ€ren und revanchistischen „Bund der Vertriebenen“, der eigenen Angaben zufolge 2 Millionen Mitglieder zĂ€hlte.[67] In weiteren VerbĂ€nden und Landsmannschaften tummelten sich CDU-Bundestagsabgeordnete gleichermaßen wie alte SS-Offiziere. Wobei ohnehin CDU-Mitgliedschaft und gleichzeitige SS-Vergangenheit keine Seltenheit waren.[68] Die SS-TraditionsverbĂ€nde zĂ€hlten 40.000 Mitglieder,- unter ihnen waren auch viele Bundeswehr-Offiziere.[69]

Ab den 1970er Jahren vollzog sich in diesen Kreisen ein erkennbarer Wandel, der zur Geburtsstunde der „Neuen Rechten“ wurde. Mit dem Regierungsantritt der Sozialliberalen Koalition von SPD und FDP, sowie den Studentenprotesten von 1968/69, geriet einige Dynamik in die Reihen dieser neofaschistischen Strukturen. Die NPD war in nahezu allen Landtagen vertreten und verfehlte 1969 den Einzug in den Bundestag nur knapp,- scharfe Diskussionen und Abspaltungen waren die Folge.[70] 1971 war die Partei bereits auf die HĂ€lfte ihrer Mitglieder (14.000) geschrumpft und deutlich stĂ€rker vom offen neofaschistischen FlĂŒgel der Partei dominiert. Damit einher ging das schlechte Image der Partei als extremistische Splittergruppe.[71]

Um die SPD und FDP, aber auch die CDU selbst unter Druck zu setzen inspirierte Franz Joseph Strauß (CSU) 1971 die GrĂŒndung der neofaschistischen Deutschen Volksunion (DVU).[72] Schon ein Jahr zuvor Ă€ußerte sich Strauß in Bezug auf das CDU-NPD VerhĂ€ltnis wie folgt: „Man muß sich der nationalen KrĂ€fte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionĂ€r sind. Hinterher ist es immer möglich, sie elegant abzuservieren. Denn mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein“.[73] Nur brauchten diese Hilfstruppen einen neuen Anstrich. Die politische Mission dieser neuen Bewegung brachte die Zeitung „Nation Europa“ folgend auf den Punkt: „Die deutsche Rechte insgesamt ist zur Zeit ein ziemlich desolater Haufen, der – will er nicht warten, bis das Rad der Weltgeschichte endlich auch einmal griffbereit an ihm vorbeischwingt – erst wieder Tritt fassen kann, wenn er es zu einer vernĂŒnftigen Konzeption in theoretischer und strategischer Hinsicht gebracht hat.“[74] Im Zuge der DVU-GrĂŒndung entwickelte die neofaschistische Bewegung der 1970er zunehmend eine Selbstkritik ihrer Strategie, Taktik und ihres Auftretens.

Faschistische Gruppen und Arbeitskreise wie das „junge Forum“ in Hamburg und die „Initiative der Jugend“ in Berlin beschĂ€ftigten sich schon bereits lĂ€nger mit dem „Theoriedefizit“ in den Reihen ihrer Bewegung und drĂ€ngten auf eine intellektuelle Neuorientierung.[75] Diese neue Generation stand in festen Austausch zu Gleichgesinnten und ihren Organisationen in ganz Europa. Auf sogenannten „Jungeuropa“-Konferenzen und Schulungen vernetzten sich ab den spĂ€ten 1960ern vorrangig spanische, portugiesische, französische, britische und deutsche Faschisten.[76]

Derartige Initiativen zur Neuorientierung einer rechten Avantgarde wurden zunehmend aus dem rechten Rand von CDU und CSU unterstĂŒtzt. Die Streitigkeiten in der NPD um einen nationalkonservativen Kurs entgegen dem Willen militanter Gruppierungen sorgte fĂŒr RichtungskĂ€mpfe und Unklarheiten, die letztlich zur anhaltenden Krise der NPD fĂŒhren sollten und gleichzeitig den Aufstieg der DVU unterstĂŒtzten.

Der sowjetische Historiker Frumkin offenbart im VerhĂ€ltnis NPD-CDU/CSU eine interessante historische KontinuitĂ€t: „Trotz der Mißerfolge und Niederlagen der Neonazis in den letzten Jahren braucht das Monopolkapital der BRD die NPD und die anderen neonazistischen Gruppierungen. Und vor allem werden sie von der CDU/CSU benötigt, der politischen Hauptpartei der aggressiven Kreise des Monopolkapitals in der BRD. Die NPD funktionierte schon als „Stoßtrupp der CDU/CSU“, als diese an der Spitze der Bonner Regierung standen. CDU/CSU konnten immer weiter nach rechts rĂŒcken und sich den Anschein geben, als wollten sie die „gemĂ€ĂŸigte“ und „liberale“ Linie gegen den „Extremismus“ und â€žĂŒbertriebenen“ Nationalismus der NPD verteidigen.“[77] Auch in dieser Hinsicht benötigten CDU und CSU neue, weniger verbrauchte politische KrĂ€fte.

3.3         Ideologische Modernisierung

Der Neofaschismus vollzog ab den 1970ern zunehmend eine ideologische Modernisierung ihrer Leitlinien. Die wesentliche ideologische Entwicklung bestand dabei in einer Retuschierung der „nationalsozialistischen“ Ideologie durch eine Zuwendung zu prĂ€faschistischen Ideen.[78] Grundlegende weltanschauliche Prinzipien wurden mit Elementen aus dem traditionellen faschistischen Denken sowie Theorien der bĂŒrgerlichen Soziologie, Politikwissenschaft, Anthropologie und PĂ€dagogik kombiniert.[79] Mit BezĂŒgen auf Ideologen der Konservativen Revolution wie Ernst JĂŒnger, Oswald Sprengler, Arthur Moeller van den Bruck und Carl Schmitt ließ sich scheinbare Distanz zu einem offenen Hitler-Bezug herstellen. Sie alle waren als Intellektuelle in der Weimarer Republik tĂ€tig, verfassten zahlreiche BĂŒcher und Denkschriften, die sich die BefĂŒrwortung nationalistischer und völkischer Expansionspolitik teilten. Sie verknĂŒpften nationale StĂ€rke, Einheit und Kultur mit Vorstellungen von Kampf, Raum und Macht, die in der Lebensraum-Ideologie der Faschisten aufgegriffen und radikalisiert wurden. Dabei kultivierten sie bereits die ersten Ideale des Nazi-Militarismus.

Eine SchlĂŒsselfigur bei der ideologischen Neuformierung der neofaschistischen Bewegung war der Schweizer Armin Mohler. Mit seiner Dissertation „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932“ (1950) legte er einen der wichtigsten Grundlagentexte fĂŒr die Neue Rechte vor. Mohler, der 1942 aus der Schweizer Armee desertierte, um sich der Waffen-SS anzuschließen, schuf eine ideologische Tradition, die sich vom historischen „Nationalsozialismus“ abgrenzte, ohne jedoch die faschistischen Ideen aufzugeben.[80] Er betrieb eine Ehrenrettung des Faschismus und machte Konzepte populĂ€r, die wir bis heute von der Neuen Rechten kennen: Bewaffnung der Sprache, Metapolitik und Arbeit im vorpolitischen Raum. SpĂ€ter mehr dazu.

Nach dem Krieg engagierte Mohler sich als PrivatsekretĂ€r von Ernst JĂŒnger und blieb zeit seines Lebens in engem Kontakt mit Carl Schmitt.[81] Mohlers Ideen schienen schnell Anklang in herrschenden Kreisen zu finden: Ab den 1960ern holt ihn die Siemens-Stiftung als Vorsitzenden ins Boot. Als regelmĂ€ĂŸiger Autor fĂŒr Zeitungen wie die Zeit oder die Welt erlangte Mohler erheblichen Einfluss auf den westdeutschen Konservatismus. Über seine Kontakte zu Franz Josef Strauß verfĂŒgte er zeitweise ĂŒber einen direkten Zugang zur BRD-Politik.[82] Alle grĂ¶ĂŸeren Parteien, Verlage und Arbeitskreise, die der Neuen Rechten nahestanden, trugen spĂ€ter seine ideologische Handschrift. Sein Einfluss reichte tief hinein in die FĂŒhrungsriegen der Deutschen Volksunion (DVU) und Republikaner (REP). In der Criticon oder der jungen Freiheit schrieb er nicht nur regelmĂ€ĂŸig, sondern leistete auch Aufbauhilfe. Der Mohler-begeisterte Verleger und neurechte Stratege Götz Kubitschek bezeichnete ihn spĂ€ter als „Vordenker und Mentor unseres politischen Milieus“.[83] Es ist fraglich ob Mohler ohne das Kapital des ehemaligen Zwangsarbeitskonzerns Siemens so weit gekommen wĂ€re,- in der Stiftung zog er noch bis 1985 die FĂ€den und scharte zahlreiche Gleichgesinnte um sich.[84]

Was ist nun das Neue an dieser Neuen Rechten? Der sowjetische Historiker Frumkin stellt fest: „Die Lehre der „konservativen Revolution“ richtete sich in erster Linie gegen die Ideologie der Arbeiterklasse, gegen den Marxismus. Sie lehnte aber jede Demokratie, auch die bĂŒrgerliche, jeden Parlamentarismus und Liberalismus, alle humanistischen Gleichheitsideen der AufklĂ€rung und der französischen bĂŒrgerlichen Revolution, jeden Glauben an Menschenverstand und gesellschaftlichen Fortschritt rundweg ab.“[85]  In diesen rassistischen Ideen einer klaren Ordnung der Völker, von biologisch ĂŒberlegenen Rassen, LebensrĂ€umen und einer völkischen Reinkultur tauchen bereits die VersatzstĂŒcke der faschistischen Ideologie auf.

Was die Faschismusforschung der DDR und Sowjetunion bereits als ideologische Modernisierung erkannten und wir heute als Neue Rechte bezeichnen ist ein integraler der neofaschistischen Bewegung. Intellektuelle, Neurechte Denkfabriken und Organisationen der Konservativen Revolution sind objektiv Teil der gleichen politischen Bewegung die auch neofaschistische SchlÀgerbanden und nationalrevolutionÀre Kleingruppen hervorbringt. Die Neue Rechte arbeitete gezielt in die Reihen des westdeutschen Konservatismus und bewegte sich in der Grauzone zwischen faschistischer Bewegung, Konservatismus und Liberalismus. Die Ideologie der Neuen Rechten ist eindeutig neofaschistisch.

Entlang des politischen Werdegangs der Deutschen Volksunion und der Republikaner können wir das plastischer machen. Sie waren neben der NPD die ersten beiden grĂ¶ĂŸeren Projekte zur Rehabilitierung einer faschistischen Partei in Deutschland.

3.3.1        Die Deutsche Volksunion

Die Deutsche Volksunion (DVU) wurde als Sammlungsbewegung genau dieser ideologischen Linie hochgezĂŒchtet. Gerhard Frey, ihr GrĂŒnder, Geldgeber und politischer FĂŒhrer, war der perfekte Kandidat fĂŒr ein solches Projekt. Er pflegte enge Beziehungen zur CSU und Franz Joseph Strauß und war durch sein millionenschweres Verlagsimperium wohlwollend in die Kreise des deutschen Kapitals integriert.[86] Sein Beziehungsgeflecht reichte von BND-GrĂŒnder Reinhard Gehlen bis zum BRD-Innenminister Seidl. Mit dem ab 1969 einsetzenden AbwĂ€rtskurs der NPD und Sammlungsbewegungen wie Aktion Widerstand (viele gingen wieder zur CDU ĂŒber) erkannten Gerhard Frey und seine Netzwerke die Gunst der Stunde. Frey beklagte, dass beide Organisationen „zu eng“ angelegt gewesen seien und sprach sich fĂŒr eine offenere Partei aus. Die DVU-Mitgliederzeitung schrieb 1971: „Letzter Anlass fĂŒr die GrĂŒndung war die sich steigernde Kapitulationspolitik der roten Regierung gegenĂŒber dem Osten, insbesondere die VertrĂ€ge von Moskau und Warschau 
 Die DVU ist keine Partei. Sie will alle verfassungstreuen KrĂ€fte von mitte bis rechts zusammenfĂŒhren“[87] Die rechtskonservative Stahlhelmfraktion innerhalb der Union versprach sich von der DVU-GrĂŒndung einen stĂ€ndigen revanchistischen und extremen antikommunistischen Druck auf CDU und CSU. An der GrĂŒndungskonferenz beteiligten sich mehrere NPD, CDU und CSU-Mitglieder und zahlreiche Altnazis.[88] Mit der offen neofaschistischen Aktion Widerstand, kam es zuvor zu Absprachen. Sie begrĂŒĂŸten die GrĂŒndung, da sie in der DVU grĂ¶ĂŸere Möglichkeiten sahen „ins bĂŒrgerliche Lager zu wirken“.[89] Die aus der Aktion Widerstand stammenden Verleger der Zeitschrift Mut wandelten ihr Organ schrittweise zu einer nationalkonservativen neurechten Zeitschrift um, in der fortan auch CDU-Mitglieder publizierten. Selbst Helmut Kohl verfasste fĂŒr die Zeitung einen wohlwollenden Leserbrief und gab sich als regelmĂ€ĂŸiger Leser zu erkennen.[90]  Die DVU war mit ihrem Programm die erste grĂ¶ĂŸere politische Kraft, die ihre Politik im Sinne der Konservativen Revolution antrat. Die Kampagnen der DVU, fĂŒr die man sich intellektuelle Rechte aus ganz Europa einlud, wurden zu einem zentralen Bindeglied hinein in liberal-konservative Kreise.

Die Deutsche Volksunion konnte sich durch die umfangreichen finanziellen Mittel und Netzwerke Freys bestĂ€ndig formieren und ab 1976 zu einer festen politischen Kraft heranwachsen. In den 1980er Jahren sollte die Partei auf eine MitgliederstĂ€rke von anfĂ€nglichen 15.000 bis 25.000 ansteigen und in den 1990ern erste grĂ¶ĂŸere Wahlerfolge verzeichnen. An den Positionen der DVU zu Fragen der Migration, Europapolitik und dem VerhĂ€ltnis zum deutschen Faschismus im Sinne einer SchuldkultbekĂ€mpfung wird die programmatische NĂ€he zur heutigen AfD deutlich.[91]

3.3.2        Die Republikaner

Mit dem Niedergang der sozialliberalen Regierung und dem neuen Antritt der CDU/CSU im Jahr 1982/83 entstand 10 Jahre nach der DVU-GrĂŒndung ein neuer Impuls. Der radikal-antikommunistische rechte FlĂŒgel der CDU war entsetzt ĂŒber die von Franz Joseph Strauß bewilligten Milliardenkredite an die DDR und den vermeintlichen Linkskurs in der CDU/CSU. Dies fĂŒhrte 1983 zur GrĂŒndung der Republikaner durch die CSU-Mitglieder Ekkehard Voigt und Franz Handlos.[92] Ein weiteres GrĂŒndungsmitglied, der Fernsehmoderator Franz Schönhuber, war 1981 wegen beschönigender Aussagen zur Waffen-SS aus dem Dienst entlassen wurden.[93] In den Jahren zwischen 1985 bis 1989 kletterte die Mitgliederzahl der Republikaner von 2.500 auf 25.000 und die Partei zog in mehrere Landtage ein.[94]

Der Konservatismus in der Partei wurde zunehmend um nationalistische und revanchistische Ideen ergĂ€nzt. Hinter dieser Entwicklung standen die Politik Schönhubers und die Denkfabrik Deutschlandrat. Der Deutschlandrat entstand auf Initiative Armin Mohlers als Arbeitsgruppe der millionenschweren Siemens-Stiftung.[95] Vorsitzender Franz Schönhuber konnte sich mit seinem  Kurs der UnterstĂŒtzung aus den Reihen der Mitgliederstarken VertriebenenverbĂ€nde sicher sein und die Partei fĂŒr zahlreiche Neofaschisten öffnen.[96] Auch hier entstand eine interessante Parallele zur AfD, die ebenfalls als konservative Korrektur zur CDU entstand und sich anschließend immer tiefer ins neofaschistische Spektrum bewegte. Auch hier hatte eine Neurechte Denkfabrik entscheidenden Einfluss: das Institut fĂŒr Staatspolitik. Ohne solche Denkfabriken wĂ€re die Neue Rechte der Bundesrepublik kaum denkbar. Sie schulen FunktionĂ€re und Kader, organisieren Strategien und Taktiken und knĂŒpfen breite Netzwerke.

3.3.3        Verlage, Zirkel und Arbeitsgruppen

Eine nennenswerte Entwicklung dieser Neuorientierung in der neofaschistischen Bewegung war die GrĂŒndung des Thule Seminars im Jahr 1980. Die von Pierre Krebs und dem Verlegerehepaar Grabert in Kassel gegrĂŒndete Denkfabrik versammelte zahlreiche Mitglieder von CDU/CSU, NPD und DVU mit dem Ziel Strategiedebatten „zur Erringung der kulturellen Hegemonie“ zu fĂŒhren und eine „Kulturrevolution von rechts“ durchzufĂŒhren.[97] Neben dem Thule Seminar fungierte die Zeitschrift Criticon als Theorieorgan fĂŒr rechtskonservative und neofaschistische Intellektuelle.[98]

Im Zusammenhang mit diesen neuen Entwicklungen entstand 1986 ein weiteres wichtiges Organ zur Debatte und strategischen Orientierung:  die junge Freiheit. Die Zeitung richtete sich vorrangig an studentische Kreise und widmete sich „AktivitĂ€ten im nationalkonservativen vorpolitischen Raum“.[99] Sie vollzog damit den Spagat zwischen Konservatismus und neofaschistischen Kreisen. Auch die GrĂŒnder des Instituts fĂŒr Staatspolitik Karl Heinz Weitzmann und Götz Kubitschek schrieben regelmĂ€ĂŸig fĂŒr die Junge Freiheit, welche ab den 1990ern auch SommeruniversitĂ€ten organisierte. Heute sind zahlreiche Mitglieder und Sprecher der AfD ehemalige Autoren des Blattes.[100] Der CDU-Stahlhelmer und spĂ€tere AfD-Bundessprecher Alexander Gauland offenbarte in einem Interview: „Wer die AfD verstehen will, muss die ,Junge Freiheit’ lesen.“[101]

Durch den Aufschwung der Neuen Rechten wurde im Theorieorgan Criticon breit darĂŒber diskutiert, wie Parteien wie die Deutsche Volksunion (DVU) und Die Republikaner dazu beitragen können, vermehrt Einfluss auf den Konservatismus in Deutschland zu nehmen. DarĂŒber hinaus wurden Bestrebungen zur Formierung einer geeinten Partei diskutiert, wodurch der Blick zahlreicher Autoren auch vermehrt auf die Republikaner fiel. 1989 formulierte der Neurechte Ideengeber Karl-Heinz Weißmann: „In dieser Perspektive erscheinen die Republikaner eher als erster Aggregatzustand einer kĂŒnftigen konservativen Basisbewegung, die innerhalb und außerhalb des parlamentarischen Raumes agieren muss.“[102]

3.4         Schlussfolgerungen

Die neofaschistische Bewegung war historisch immer entlang des rechten Randes der CDU/CSU organisiert. Die Neue Rechte, ihre Denkfabriken, Parteien und Zeitungsorgane forcierten und bestĂ€rkten diese Orientierung auf konservative und liberale politische Kreise. Die Reorganisierung der neofaschistischen Bewegung bedeutete eine Hinwendung zu den Ideen der Konservativen Revolution und der Strategie des Hineinwirkens in liberale gesellschaftliche Kreise. Projekte wie die Deutsche Volksunion oder die Republikaner, die der CDU/CSU abtrĂŒnnig wurden, sollten die neofaschistische Bewegung politisch reorganisieren, um in das konservativ-liberale Lager hineinzuwirken. DieNeue Rechte der 1970er und 80er warebenso in kleineren Verlagen, Zirkeln und Arbeitskreisen organisiert, um parteipolitisch-unabhĂ€ngig Einfluss nehmen zu können.

Die FĂŒhrung der DVU und der Republikaner waren jederzeit bestens in die Kreise der herrschenden Politik integriert. Auch Teile des deutschen Kapitals standen den Neuen Rechten hilfsbereit zur Seite – die Siemens-Stiftung bot Neofaschisten jahrelang einflussreiche Spitzenposten; die Daimler-Benz-Stiftung finanzierte das neurechte Studienzentrum Weikersheim; auch die Zeitung der NPD wurde durch Inserate von Konzernen wie Bayer und Bertelsmann unterstĂŒtzt.[103] Diese Parteien waren Projekte die man gezielt im Interesse des BRD-Imperialismus und seiner Politik aufbaute. Die antikommunistischen, revanchistischen und faschismusrelativierenden Theorien sollten im nationalistischen Freudentaumel der „Wiedervereinigung“ gefragter sein denn je. Im Rahmen der „DDR-Aufarbeitung“ konnten die DDR und ihr Antifaschismus nicht genug geschmĂ€ht werden.

In der BRD zĂ€hlten allein die Mitgliederzahlen der DVU, der Republikaner und der NPD in den 1980er Jahren zusammen etwa 58.000 organisierte AnhĂ€nger neofaschistischen Gedankengutes.[104] Hinzu kommen die Mitglieder der zahlreichen SS- und WehrmachtstraditionsverbĂ€nde sowie der Landsmannschaften und VertriebenenverbĂ€nde und der dutzenden neofaschistischen Kleingruppen. Das Entscheidende ist: Sie alle konnten legal arbeiten und wurden staatlich unterstĂŒtzt. Reinhard Opitz untersucht dieses gesamte Spektrum in seiner Breite und GĂ€nze deutlich genauer. Ein Blick in seine Schrift „Faschismus und Neofaschismus“ lohnt sich also.

Eine Arbeitsgruppe des Institutes fĂŒr Staatspolitik zieht folgendem Schluss: „Allerdings ist schwer vorstellbar, dass es ohne Zusammenbruch des Ostblocks und die Wiedervereinigung Restdeutschlands so rasch zu einer Renaissance der konservativen Rechten gekommen wĂ€re.“[105] Die etablierte BRD-Politik,- seine Medien und Geheimdienste lieferten die nötigen Argumente, Finanzen und Straffreiheiten fĂŒr die Wiedergeburt rechten Terrors und Fremdenhasses.

4          Neofaschismus in der DDR

Bei diesem Thema offenbart die deutsche Medienlandschaft abermals, mit welchem Eifer gegen die DDR gehetzt wird, um sich selbst von den eigenen faschistischen KontinuitĂ€ten in der BRD reinzuwaschen. Die auf ihr Ende zusteuernde DDR sei von Neonazis durchsetzt gewesen. Die Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung schreibt von einer „vertuschten Gefahr“[106], wĂ€hrend der Deutschlandfunk erkannt haben will, dass der Neofaschismus ein hausgemachtes Problem gewesen sei und unter der OberflĂ€che der DDR regelrecht gebrodelt habe.[107] Dabei beziehen sich nahezu alle Artikel prominent auf den Skinhead-Überfall auf die Zionskirche im Jahr 1987.

Ziehen wir Bilanz und legen unser Augenmerk auf den Niedergang der DDR. Die immer offeneren Auflösungstendenzen im Sozialismus brachten in den spĂ€ten 1980er Jahren auch vereinzelte neofaschistische AktivitĂ€ten hervor. ZusammenschlĂŒsse von Neonazis vor der Grenzöffnung waren maßgeblich von faschistischen Strukturen aus der BRD und ihrer Subkultur beeinflusst. Der Aufbau von braunen Netzwerken und Gruppierungen war kaum möglich. Diese, in ihrer Organisierung stark gehinderten, Gruppierungen waren marginal und wurden (wie jegliche faschistische Propaganda) verfolgt.[108] Die GrĂ¶ĂŸe neofaschistischer ZusammenhĂ€nge ĂŒberstieg kaum die von Kleingruppen mit 10-12 AnhĂ€ngern.[109]

Und dennoch: In Teilen gewaltorientierter Fußballfans und der ohnehin von Antikommunismus geprĂ€gten „Subkultur“ in der DDR entwickelten sich rassistische und nationalistische Skinhead-Gruppen, nach westlichem Vorbild.[110] Ein verordnetes Schweigen ĂŒber diese Umtriebe gab es nicht. Die Aktuelle Kamera der DDR berichtete beispielsweise umfangreich ĂŒber GrabschĂ€ndungen auf dem jĂŒdischen Friedhof in Ostberlin. Filme wie „Unsere Kinder“ setzten sich mit der entstehenden neofaschistischen Szene auseinander.[111] Der Gerichtsprozess gegen die neofaschistischen SchlĂ€ger von der Zionskirche wurde sowohl medial als auch öffentlich begleitet.[112]

Die Behörden der DDR, die mit Abteilungen in der Staatssicherheit solche Umtriebe genau beobachteten, reagierten umgehend mit Repressionsmaßnahmen. Allein im Jahr 1988 wurden 94 Skinheads fĂŒr ihre Hetze und Fremdenfeindlichkeit verhaftet, und eine Arbeitsgruppe des Innenministeriums zur Erforschung und BekĂ€mpfung der rechten Skinheads wurde aufgestellt. In den FDJ-Gliederungen wurden diese Entwicklungen diskutiert und sich ĂŒber mögliche Gegenmaßnahmen beraten.[113]

In den Diskussionen der FDJ wurde gleichermaßen ein schwindender Einfluss auf die Jugend konstatiert. Gleichzeitig ergaben die Gerichtsprozesse gegen die faschistischen SchlĂ€ger, dass bereits in den Arbeits- und Schulkollektiven kaum eine Auseinandersetzung mit der Denk- und Handlungsweise der Neonazis stattfand. Eine Ursachenforschung der Sektion Kriminalistik der Humboldt-UniversitĂ€t zu Neofaschisten und Rechtsradikalen ergab im Dezember 1989, dass die fruchtbare und gezielte Agitation westlicher Neofaschisten sowie die gesellschaftlichen Probleme in der DDR zwei Hauptursachen darstellten.[114]

Die Vermittlung antifaschistischer Inhalte in den FDJ-Jugendprogrammen und dem Schulunterricht der DDR war offensichtlich nicht mehr so fruchtbar wie zu Beginn der DDR. Auch die antifaschistischen Massenorganisationen standen teilweise weit abgeschlagen neben ihren eigentlichen Aufgaben und hĂ€uften Karteileichen an. Anspruch und Wirklichkeit des DDR-Antifaschismus klafften immer offener auseinander. Das schrittweise Zusammenbrechen des Arbeiter- und Bauern Staates zeigte sich am deutlichsten im Versagen der Massenorganisationen und der SED, welche die Interessen und Entwicklungen in der Gesellschaft weder konstruktiv aufnehmen konnten, noch dazu fĂ€hig waren mit Unzufriedenheiten umzugehen. Wo die gesellschaftlichen Organisationen des Sozialismus versagten und nicht mehr ein Ort der KollektivitĂ€t und des gemeinsamen Zusammenlebens darstellten, entstanden Individualismus, Zynismus, RĂŒckzug ins Private und Apolitische oder eben in Szenen und Subkulturen wie die der Neonazis.

Die Untersuchungen der Arbeitsgruppe des DDR-Innenministeriums legten offen, dass sich Neo-Nazis aus Ost und West konspirativ trafen und austauschten: „Das KnĂŒpfen von kommunikativen Verbindungen diente der Entwicklung von Kommunikationsbeziehungen. Die Kommunikation diente dem Transport von Informationen und dem Materialaustausch. Diese Kooperation war daher geeignet, den beteiligten Gruppen AnstĂ¶ĂŸe zur weiteren Entwicklung zu geben. Um kooperationsfĂ€hig zu sein, mĂŒsste man etwas „bieten“ können, mit OrganisationsqualitĂ€t und Erfolgen eigener AktivitĂ€ten aufwarten können.“[115] Besonders hĂ€ufig seien Propagandamaterialien der Republikaner, der Freien Arbeiter Partei (FAP) und der NPD durch direkte Reisen und konspirative Treffen in DDR in Umlauf gebracht worden.[116] Hinzu kam die von V-Leuten infiltrierte Nationalistische Front die Kontakte in die Skinhead und Hooligan Szene der DDR aufbaute.[117] Kader der Nationalistischen Front nutzten beispielsweise Kontakte hinein in Ostberliner Fußballclubs wie Union Berlin und den BFC-Dynamo. AnfĂŒhrer Andreas Pohl erhielt deswegen ab 1985 ein Einreiseverbot in die DDR.[118] SpĂ€ter sollte sich der Rechtsradikalismus quer durch die Fußballclubs der ehemaligen DDR-Ligen ziehen: Lokomotive Leipzig, Energie Cottbus, Hansa Rostock und der Chemnitzer FC blicken bis heute auf rechte Strukturen in ihren Reihen zurĂŒck. Im Falle des Chemnitzer FC seien hier die Gruppen HooNaRa (Hooligans, Nazis, Rassisten), die NS-Boys oder Kaotic Chemnitz erwĂ€hnt. Von ihnen gehen seit den Neunzigern brutale Gewaltaktionen aus, wie der Mord an Patrick ThĂŒrmer, Kontakte zum NSU (Nationalsozialistischen Untergrund) oder die Hetzjagden in Chemnitz 2018.

ZurĂŒck zur DDR: Dort entstand der Neofaschismus nicht als der Sozialismus stark war, sondern als er bröckelte – allein das ist bezeichnend fĂŒr die letzten Jahre des Sozialismus. Vorbild der jungen Nazis war immer die neofaschistische Bewegung des Westens, die fleißig Impulse lieferte.

Die Ermittlungen der Staatssicherheit ergaben ein rechtsradikales Personenpotential von 1067 Personen, grĂ¶ĂŸtenteils Skinheads. Die grĂ¶ĂŸtenteils in Berlin ansĂ€ssigen Rechtsradikalen waren bestens mit Westberliner Neofaschisten vernetzt. Sie nutzten ihre Musik und ihr Propagandamaterial.[119]

Kaderschulungen, eigene Organe, grĂ¶ĂŸere Vernetzungsmöglichkeiten, geschweige denn staatliche Finanzierung oder UnterstĂŒtzung – das war undenkbar solange die SED an der Macht blieb.

Die antifaschistische Kultur und Bildung wurde von der Paralyse und Entfremdung nahezu aller Organisationen der DDR erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Zahlreiche nach 1990 vorgenommene Studien weisen trotzdem eindeutig nach, dass die ostdeutsche Gesellschaft ein deutlich höheres „Problembewusstsein und Wissen ĂŒber die faschistische Vergangenheit“ hatte – und zwar in allen Generationen. Ein AbwĂ€rtstrend der JahrgĂ€nge ab 1972 wird zwar an verschiedenen Stellen deutlich,- ĂŒbertraf dennoch weiterhin den Wissensstand der BRD-Bevölkerung.[120] In diesem AbwĂ€rtstrend zeigt sich das Problem der DDR-Organe mit Generationen umzugehen, die in den Sozialismus hineingeboren wurden und viele politische und soziale Errungenschaften fĂŒr SelbstverstĂ€ndlich hielten.

Eine Emnid Umfrage aus dem Jahr 1991 (da war die neofaschistische Bewegung im Osten bereits stark) stellte fest das 16% der Westdeutschen Bevölkerung eine „extrem antisemitische“ Einstellung vertraten, wĂ€hrend dies nur fĂŒr 4% der DDR-Bevölkerung zutraf.[121] Deutlicher wird die Tendenz anhand von Straftaten. In 40 Jahren DDR wurden 85 jĂŒdische Friedhöfe geschĂ€ndet. Die BRD verzeichnet im gleichen Zeitraum 1400 GrabschĂ€ndungen.[122]

Vor Öffnung der Grenze waren von der BRD freigekaufte Faschisten ein bedeutender Faktor zum Aufbau von Verbindungen in die DDR hinein. Im Gegensatz zur BRD waren die GefĂ€ngnisse der DDR gefĂŒllt mit alten und neuen Nazis. Sie saßen ein fĂŒr Verbrechen im Hitlerfaschismus oder Rassenhetze, Gewaltaktionen oder Propaganda in der DDR – hĂ€ufig jedoch in den gleichen GefĂ€ngnissen und mit Möglichkeiten zum Austausch untereinander.[123] Um sich Devisen zu beschaffen ĂŒberlies die DDR-HĂ€ftlinge, die ohnehin in ausreisen wollten, der Bundesrepublik und erhielt im Gegenzug mehrere tausend D-Mark pro HĂ€ftling. Von dem GeschĂ€ft profitierten auch dutzende Faschisten die in den GefĂ€ngnissen kaum politische Arbeit leisten konnten.[124] Sie erhielten in der BRD ihre Freiheit, galten zum Teil als politisch verfolgt und konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen. An diesem Beispiel wird besonders deutlich zu welch fatalen FehlschlĂŒssen das Devisenproblem in der DDR fĂŒhren konnte.

Unter den freigekauften Faschisten waren nicht wenige, die nach 1990 wieder ihre Arbeit im Osten aufnahmen. Da ist beispielsweise, der 1967 inhaftierte und ein Jahr spĂ€ter freigekaufte, Faschist Arnulf Priem. Er konnte seine Erfahrungen aus der DDR in Michael KĂŒhnens Netzwerk Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front einbringen. Auch ein spĂ€terer Cottbusser FĂŒhrungskader des Netzwerkes war in den 1980ern zuerst fĂŒr Verbindungsaufnahme zu Westnazis inhaftiert worden, wurde dann aber freigekauft und ebenfalls in das besagte Netzwerk aufgenommen.[125]

Das Netzwerk stellte sich in den 1980ern zunehmend zu einer breiten Dachorganisation zusammen, die nicht nur Kontakte in die DDR in den Blick nahm, sondern auch bestens mit Neofaschisten aus den USA und weiteren LĂ€ndern vernetzt war.[126] Die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) unterhielt dutzende Vorfeldstrukturen und enge Kontakte zu zahlreichen Parteien.[127] Nicht nur die Vorfeldorganisationen, sondern auch die FĂŒhrungsriege waren mit V-Leuten durchsetzt, die ihre nicht gerade knappen Verfassungsschutz-GehĂ€lter in die politische Arbeit investierten.[128] Der AnfĂŒhrer Michael KĂŒhnen war nicht nur europaweit in der faschistischen Bewegung vernetzt, sondern unterhielt auch Kontakte zum Verfassungsschutz. WĂ€hrend das niedersĂ€chsische Landesamt fĂŒr Verfassungsschutz sĂ€mtliche Akten zu diesen Umtrieben und Netzwerken nicht mehr vorfinden kann, deckt ein Dossier der Staatssicherheit die Verbindungen auf. Die Staatssicherheit, welche seit 1970 Untersuchungen zu KĂŒhnen sammelte und seine politische Arbeit genau beobachtete stellt in einem Bericht fest, dass KĂŒhnen nach einer Haftentlassung 1982 mit einem Fahrzeug des niedersĂ€chsischen Verfassungsschutzes (LfV) vom GefĂ€ngnis abgeholt wurde.[129] Der ĂŒberlieferte „Sachstandsbericht“ der fĂŒr funkelektronische AufklĂ€rung zustĂ€ndigen Hauptabteilung (HA) III zog folgendes Fazit: „Möglicherweise war die mehrjĂ€hrige Inhaftierung des K. dazu genutzt worden, ihn als Informanten oder fĂŒr eine Zusammenarbeit in anderer Form zu gewinnen.“[130] Wenige Jahre spĂ€ter entwickelten KĂŒhnen ein Strategiepapier fĂŒr die Dachorganisation GdNF, namens „Arbeitsplan Ost“. Diesen Arbeitsplan nahmen sich sĂ€mtliche Vorfeldstrukturen, sowie andere neofaschistische Organisationen und Parteien an. Die Grenzöffnungen vom 9. November 1989 gaben den Startschuss. Michael KĂŒhnen konnte laut eigenen Aussagen, „mithilfe ortsansĂ€ssiger Kameraden“ einen GrenzĂŒbergang passieren.[131] Dutzende Neofaschistische Kader folgten KĂŒhnens Polit-Joint-Venture in die DDR.

5          Aufbau einer neofaschistischen Bewegung in Ostdeutschland

5.1         Übersiedeln, Anheizen, Losschlagen – Nazis nach der Grenzöffnung

Die nun in der DDR aktiven Neofaschisten bauten Strukturen und Gruppen auf und gingen rasch dazu ĂŒber Immobilien und HĂ€user zu kaufen, oder zu besetzen, um ganze Stadtviertel zu dominieren. Es sollte nicht lange dauern bis diesem, vor allem auf die Jugend fokussierten Aufbau, Gewaltakte und Pogrome gegen Antifaschisten und AuslĂ€nder folgten. Unter der Schirmherrschaft Michael KĂŒhnens und des Netzwerkes Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front, wurden Ableger der FAP und NPD aufgebaut und dutzende neue Organisationen aus dem Boden gestampft,- so auch die Lichtenberger Front, oder die Deutsche Alternative.[132] Unter die Montagsdemonstrationen mischten sich immer hĂ€ufiger und auffĂ€lliger neofaschistische Akteure, die einen AnknĂŒpfungspunkt im antikommunistischen Charakter der Demos fanden. Neofaschisten konnten spĂ€testens ab MĂ€rz 1990 unwidersprochen mit Bannern und Transparenten auftreten.[133]

Die Amnestie fĂŒr politische Gefangene der DDR vom 6. Dezember 1990 stĂ€rkte von einer Entlassung zur NĂ€chsten schrittweise die Reihen der Neofaschisten.[134] Unter Ihnen waren auch die SchlĂ€ger vom Überfall auf die Zionskirche, sowie der spĂ€tere „FĂŒhrer von Berlin“ Ingo Hasselbach.[135] Die grĂ¶ĂŸtenteils entweder freigelassenen, oder aus Westdeutschland eingereisten faschistischen Kader unterstĂŒtzten nicht nur den Aufbau von Strukturen und Netzwerken, sie tourten auch mit verschiedenen VortrĂ€gen als Redner quer durch die ehemalige DDR. Auch Faschisten aus anderen LĂ€ndern beteiligten sich an diesem Aufbau. So wurde beispielsweise auf Einladung der Deutschen Volksunion David Irving nach Dresden einzuladen um in mehreren Reden den Mythos des „alliierten Bombenholocausts“ zu prĂ€gen. Die Kosten seiner AuftrĂ€ge und Reden ĂŒbernahm MillionĂ€r und DVU-GrĂŒnder Frey.[136]

In Berlin grĂŒndete der freigelassene Neonazi Ingo Hasselbach in Zusammenarbeit mit Michael KĂŒhnen die Nationale Alternative. Die 800 Mitglieder starke Organisation, besetzte ein Haus und hortete dort ĂŒber 100 Maschinengewehre und 20 PanzerfĂ€uste. Gegen das Haus in der Weitlingstraße fanden regelmĂ€ĂŸig antifaschistische Demonstrationen statt. In nahezu allen StĂ€dten wurden Nazi-Strukturen aufgebaut.[137] In Cottbus ĂŒberlies KĂŒhnen dem Österreicher Gottfried KĂŒssel die FĂŒhrung. Der gewaltbereite Faschist und Holocaustleugner gilt heute als politischer Ziehvater Martin Sellners, der sich heute um ein weniger offen faschistisches Image bemĂŒht.[138]

Die gesteigerte AktivitĂ€t dieser neofaschistischen Gruppen ging Hand in Hand mit Gewaltexzessen und Pogromen. JĂŒdische Friedhöfe und GrĂ€ber fĂŒr Rotarmisten und Kommunisten wurde verschandelt. „Sau Juden“ und „Juden Raus“ Schmierereien wie jene am Grab von Helene Weigel und Bertolt Brecht waren kein Einzelfall.[139] Auch die GedenkstĂ€tte am Treptower Park fiel neofaschistischen Randalierern zum Opfer, die Sarkophage und Statuen zu Ehren der sowjetischen Befreier wurden mit faschistischen Losungen beschmiert. Die Aktion blieb allerdings nicht unbeantwortet und hatte einen starken antifaschistischen Protest zur Folge, dem sich am 3. Januar 1990 250.000 DDR-BĂŒrger anschlossen.[140] Auf Montagsprotesten und eigens organisierten Demonstrationen waren zum ersten mal seit dem Putschversuch von 1953 wieder lautstark rechtsradikale Parolen wie „Rotfront Verrecke“ oder „Kanaken Raus“ zu hören.[141]

Den Parolen und Schmierereien folgten Angriffe und Pogrome. 1992 werden so viele rechtsradikale Gewaltdelikte verzeichnet, wie nie zuvor seit 1949 auf dem Gebiet der BRD. Ohne das bewusste Wegschauen bundesdeutscher Behörden, sowie der Aufbau-UnterstĂŒtzung durch den Verfassungsschutz wĂ€re das undenkbar gewesen. In Dresden, Leipzig, Halle, Jena und Weimar konnten rechtsradikale Mobs nahezu ungehindert Angriffe und BrandanschlĂ€ge verĂŒben.[142] Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock sind sicherlich bekannt. Mehrer Tage lang konnten gewaltige Mobs Jagd auf AuslĂ€nder machen. Diejenigen die klatschten und zuschauten, waren sicherlich nicht von den faschistischen Gruppen mobilisiert wurden, sondern vorrangig durch die rassistischen Hetzkampagnen in den deutschen Medien. Die tagelangen Verfolgungen und Angriffe auf AuslĂ€nder wurden medial flankiert von Berichterstattungen ĂŒber das sogenannte „Asylproblem“, wĂ€hrend die Polizei die Faschisten gewĂ€hren ließ.[143]

Die CDU/FDP-Bundesregierung nutzte die Welle rassistischer Gewalt, um die von ihr selbst entfachte „Asyl-Debatte“ weiter anzuheizen und zwar bis zur de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl im Juli 1993. Unmittelbar nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen erklĂ€rte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag, Eckhardt Rehberg: „Dass die AuslĂ€nder unsere Sitten und GebrĂ€uche nicht kennen und vielleicht gar nicht kennenlernen wollen, stört die Befindlichkeit unserer BĂŒrger.“[144]  In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990, der Nacht zur endgĂŒltigen Annexion der DDR, griffen ĂŒber 1500 bewaffnete Neonazis in teils pogromartigen Situationen Antifaschisten, Hausbesetzer und Vertragsarbeiter in der DDR an. Insgesamt kam es zu 30 gewalttĂ€tigen Angriffen in verschiedenen StĂ€dten.[145]

Auf Dauer wĂ€re ein solcher Ausnahmezustand dem bĂŒrgerlich-parlamentarischen Ansehen der BRD nicht sehr zutrĂ€glich gewesen. Hoyerswerda und Lichtenhagen hatten ihren Zweck erfĂŒllt: Der Asylkompromiss stand, die faschistische Bewegung auch. Mithilfe der Polizei sollte die allzu offene Straßengewalt kĂŒnftig eingedĂ€mmt werden. Um die Nazis ein wenig zu zĂ€hmen, machte Bundesjugendministerin Merkel 20 Millionen D-Mark fĂŒr „Jugendarbeit im Osten“ locker. Das Geld floss in Projekte, in denen Neonazis weitestgehend unter sich blieben, keine Spur von Sozialarbeitern, geschweige denn antifaschistischer AufklĂ€rung. Ganz im Gegenteil konnten Neonazis diese Gelder fĂŒr eigene RĂ€umlichkeiten und Subkulturen aus den kommunalen Fonds nutzen. In einem NDR-Interview vom Oktober 1992 erklĂ€rt der junge Neonazi Andreas Irrgang völlig gelassen, wie sie Gelder und RĂ€ume vom Jugendamt und Rat der Stadt beantragen, um Plakate fĂŒr die Jungen Nationalisten (JN) herzustellen. Nazis auf Jobsuche konnten sich so auch schnell in der Jugendarbeit mit einer sicheren Anstellung wiederfinden und sich die Organisation rechter Zeltlager als soziale Arbeit auszahlen lassen. All das hatte System. Merkel hatte, wie ein Interview beweist, Kenntnis von der rechten Unterwanderung und blieb tatenlos.[146]

Faschisten konnten sich mit finanzieller UnterstĂŒtzung des Verfassungsschutzes und weitestgehend unbehelligt von der Polizei auf dem Gebiet der DDR breit machen und in allen großen StĂ€dten Netzwerke und Strukturen aufbauten, die vorher verboten und verfolgt worden wĂ€ren. Die Gewaltexplosion der frĂŒhen 1990er kostete dutzende Leben und ist bis heute nicht aufgeklĂ€rt. Die bundesdeutsche Politik unterstĂŒtzte diese faschistische Siedlungsbewegung durch ihr Wegschauen und profitierte maßgeblich von ihr, wĂ€hrend Springerpresse und Co. mit ihrer „Das Boot ist voll Rhetorik das passende Futter lieferten.

Dieser ganze Prozess, den wir hier bruchstĂŒckhaft abbilden konnten, verlief als politisches Projekt der Konterrevolution und zur Niederschlagung einer ganzen Gesellschaft. Die BaseballschlĂ€ger- und Springerstiefelnazis waren nur ein kleines, wenn auch damals sehr bedeutsames, PhĂ€nomen in dieser gesamten Entwicklung.

Antifaschistische Gruppen, Bewegungen und Aktionen lassen sich vor allem auf drei gesellschaftliche Bereiche zurĂŒckfĂŒhren. Da waren einerseits erste Antifa-Gruppen die bereits in der spĂ€ten DDR entstanden und sich in Folge der politischen Entwicklungen ausbreiteten. Sie waren hĂ€ufig von starkem Antikommunismus und Antiautoritarismus geprĂ€gt. Auch die noch junge antideutsche Bewegung fand hier schnell Anklang. Vernetzungsversuche zur westdeutschen Antifabewegung blieben hĂ€ufig erfolglos. Antifaschismus als Kampffeld wurde und wird von ihnen hĂ€ufig vereinzelt und getrennt von anderen KĂ€mpfen behandelt. Dadurch sektierte sich die ostdeutsche Antifabewegung zĂŒgig von der Arbeiterklasse, die gerade die volle Wucht der Treuhandpolitik zu spĂŒren bekam.

Außerdem gingen von den reformistischen Überbleibseln der SED, der Partei Demokratischer Sozialismus (PDS, heute die LINKE), einige antifaschistische Bestrebungen aus. Auch hier herrschte ein ambivalentes VerhĂ€ltnis zu marxistischem und antiimperialistischen Antifaschismus. Außerdem gingen auch immer wieder spontane Protest- und Gedenkaktionen aus der ehemaligen DDR-Bevölkerung selbst hervor. An vielen Stellen meiner Recherche tauchen diese antifaschistischen Gegenwehrmaßnahmen bereits auf. Dennoch sei hier nochmal konkreter darauf verwiesen und gleich mit angemerkt das die Auseinandersetzung mit der antifaschistischen Bewegung eines eigenen Textes bedĂŒrfte.[147]

5.2         Soziale Ursachen und Desorganisierung

Mit dem „Einigungsvertrag“, der „Wirtschafts-, WĂ€hrungs- und Sozialunion“, dem „RĂŒckgabe-vor-EntschĂ€digungs-Gesetz“, der „Altschuldenregelung“, sowie der vom Bund garantierten Straffreiheit fĂŒr die Treuhandanstalt wurde der Ausverkauf vorbereitet und ermöglicht.[148] 1993 fanden sich 3 Millionen DDR-BĂŒrger in Arbeitslosigkeit wieder.[149] Nahezu sĂ€mtliche Großbetriebe und Kombinate der DDR wurden eingestampft oder Investoren hinterhergeworfen. Das einstige Volkseigentum wurde zu 85 Prozent an Westdeutsche, zu 10 Prozent an internationale Investoren und nur zu knapp 5 Prozent an Ostdeutsche ĂŒbertragen.[150]  Faktisch wurde Kapital im Wert von 850 Milliarden DM fast ausschließlich an die deutschen Monopole verschachert. Dazu kamen noch die Ersparnisse der DDR-BĂŒrger die sich westdeutsche Versicherungen, Banken etc. aneigneten.[151]

Was diese Abwicklung fĂŒr die Gesellschaft der DDR bedeuten sollte, beschrieb Ringo Ehlert auf der Hauptfeindkonferenz 2010 ausfĂŒhrlich und zutreffend. Der Schock der Massenarbeitslosigkeit in der DDR lag nicht einfach nur im Jobverlust per se. Die Arbeit in der DDR war mehr als nur ein Job. In den Arbeitskollektiven entstanden feste soziale Bindungen und gemeinsame AktivitĂ€ten. Mit Blick auf die Zerschlagung dieses Lebens formuliert Ehlert:

„Das Auseinanderbrechen der Kollektive durch die Massenentlassungen war sehr oft nur das Ende einer Hatz, in der nun genau der Individualismus und Egoismus wieder sein Haupt erhob, der gerade durch die solidarische Struktur der Kollektive und die Integration vieler sozialer Aspekte ins Kombinat zurĂŒckgedrĂ€ngt werden sollte. Die Ungewissheit schĂŒrte dies und brachte nun einen widerwĂ€rtigen Konkurrenzkampf um die schwindenden ArbeitsplĂ€tze hervor. Schnell bemerkte man, dass nicht diejenigen ihren Arbeitsplatz ein wenig lĂ€nger behielten, die fĂŒr den Zusammenhalt der Kollektive eintraten, sondern diejenigen, die sich vermeintliche Vorteile verschaffen konnten, die fĂŒr sich im Verborgenen Absprachen trafen, denunzierten und sich den neuen Besitzern anbiederten. Mit dem Wegbrechen der ProduktionsverhĂ€ltnisse der DDR und der Transformation in die privatkapitalistische Produktion – in der annektierten DDR hieß das zuallererst Schließung der ProduktionsstĂ€tten – kamen schnell all die typischen Begleiterscheinungen des »althergebrachten« LohnarbeitsverhĂ€ltnisses wieder.“[152]

Dutzende Gruppen verloren zahlreiche rechtliche Errungenschaften, sowie die Gleichstellung am Arbeitsplatz und ihr Recht auf Arbeit im Allgemeinen.[153] Die massenhafter Aberkennung von Dienstjahren und Qualifikationen, die Aberkennung der Existenzberechtigung ganzer Produktions- und Forschungsbereiche und ganzer Lebensleistungen bildeten nur einen Teil des neoliberalen Psychoterrors der mit den MĂ€rzwĂ€hlen 1990 nochmal Fahrt aufnahm. Viele lĂ€ndliche Regionen wurden bis heute regelrecht entvölkert. Insgesamt verließen 2 Millionen Menschen die DDR.[154] 

Hundertausende Demonstrierten in dieser Zeit gegen die Werksschließungen und die Massenarbeitslosigkeit. International begannen Arbeiter sich mit ihnen zu solidarisieren. Auch in Ostdeutschland selbst kannte die SolidaritĂ€t keine Grenzen: KĂŒnstler und Kulturschaffende beteiligten sich an Aktionen der Arbeiter und umgekehrt. Es ging darum seine Heimat nicht zu verlieren. Nicht selten, wie bspw. im Fall von Bischofferode, ging es sogar um die Überlebensinteressen ganzer Regionen. FĂŒr die Regierung Kohl und die westdeutschen Monopole entwickelte sich ein immer ernsteres Problem. Wohin die deklassierten Millionenmassen ihre Wut lenken sollten, diktierte Ihnen seit 1990 die Springerpresse: Auf die SchwĂ€chsten, die Asylanten, die roten Socken und Linken. Die gezielt geschĂŒrte gesellschaftliche Verrohung fand viele Ventile, darunter auch die neofaschistische Bewegung. Darin lag die gesellschaftliche Funktion des Neofaschismus zu jener Zeit.

Das politische Leben in der DDR, auch der Antifaschismus, war immer ĂŒber verschiedene Kollektive organisiert, diese wurden nun zerschlagen. Hinzu kamen die antikommunistischen Medienkampagnen und die wirtschaftlichen Folgen der Konterrevolution und Annexion. In diesem Prozess wurden nahezu sĂ€mtliche soziale Beziehungen auf den Kopf gestellt. Eins wird dabei deutlich: Zwischen Armut und Fremdenhass besteht kein Automatismus. Vielmehr waren es die fremdenfeindlichen Medienkampagnen, der neu erzeugte Konkurrenzkampf, die Spaltung und die gleichzeitige Zerschlagung und Desorganisierung von jeglichem Kommunismus und Antifaschismus mit welcher der Neofaschismus gestĂ€rkt wurde.

Die fortwĂ€hrende Politik des sozialen Kahlschlags und des Ausverkaufs ist bis heute in nahezu allen Belangen der ostdeutschen Gesellschaft deutlich: Armut, Arbeitslosigkeit, ein riesiger Niedriglohnsektor, niedrigere Renten, Abwanderung von ArbeitskrĂ€ften, Überalterung und weniger Industrieproduktion, um nur einige wenige Aspekte zu benennen die einem eigenen Artikel bedĂŒrften. Die ganze Vermögens- und Klassenstruktur der ostdeutschen Gesellschaft unterscheidet sich bis heute drastisch von der Westdeutschen. Dementsprechend hat auch der Klassenkampf stark ausgeprĂ€gte Spezifika und Besonderheiten. Das zeigen die im Osten deutlich stĂ€rkeren Hartz-IV Proteste der 2000er Jahre, sowie die schwĂ€cher aufgestellten Gewerkschaften und BetriebsrĂ€te. Auch die die antifaschistische Bewegung und Friedensbewegung in Ostdeutschland schauen auf eine weitestgehend andere Tradition und Geschichte zurĂŒck – auch die kommunistische Bewegung ist davon nicht ausgenommen. All diese Faktoren mĂŒssen wir berĂŒcksichtigen, wenn wir uns dem ostdeutschen Neofaschismus widmen. Vor allem mĂŒssen wir genau sein und dĂŒrfen uns nicht von einfach erscheinenden ZusammenhĂ€ngen (wie sie viele Medien prĂ€sentierten: Osten = Arm = Rechts) tĂ€uschen lassen.

Man muss verstehen, dass die Arbeit, die Freizeit, das politische Leben und die Kultur – alles was das Leben bis 1989 ausmachte – abgeschafft und neue VerhĂ€ltnisse ĂŒbergestĂŒlpt wurden. VerhĂ€ltnisse die ein absoluter Großteil damals nicht wollte und bis heute nicht will. Konkreter betrachtet können wir feststellen, wie soziale Einrichtungen, Angebote und Beziehungen restlos zerstört wurden, die ein kapitalistischer Staat nicht bieten kann. Hier knĂŒpften die Neofaschisten an. Die rechte Hegemonie in Ostdeutschland baut immer mehr auf einer Zivilgesellschaft von Rechts auf,- einer „neuen“ Massenbasis der Rechtskonservativen und Neofaschisten. Ihre UrsprĂŒnge hat sie in den Leerstellen die ab 1990 durch Neofaschisten besetzt wurden. Sie profitieren bis heute von fehlenden sozialen Perspektiven in Stadt und Land. Neofaschisten agitieren gezielt in Vereinen und Orten des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Bis heute siedeln Neofaschisten aus dem Westen der Republik in vorrangig lĂ€ndliche Regionen Ostdeutschlands. Was hĂ€ufig als „Normalisierung“ bezeichnet wird, mĂŒssen wir zutreffend als bewusstes wegschauen und gewĂ€hren lassen seitens der Politik bezeichnen. Viele antifaschistische Projekte haben hier versagt und sich in der eigenen Subkultur von derartigen Problemen losgesagt. Dennoch sind vor allem jene Antifaschisten, die sich an Orten der absoluten Unterlegenheit und Defensive gegenĂŒber den Faschisten aufrecht und ehrlich entgegenstellen sehr positiv hervorzuheben. Viele Initiativen, die nicht das „Privileg“ eigener Zentren und Szene genießen, riskieren oft ihre PrivatsphĂ€re und Gesundheit im Kampf gegen Neofaschisten. Der Faktor der sozialen Desorganisierung unterstreicht in besonderer Form, welche Bedeutung das Zusammenwirken sozialen Forderungen und Bewegungen, breiter Agitation und Bildung, sowie der Rolle von Antifaschismus als Massenarbeit hat.

Im Folgenden wollen wir genauer nachvollziehen, welche Rolle der Neofaschismus fĂŒr die Herrschende Klasse im Deutschland der 1990er Jahre hatte. Die Betrachtung bietet bestenfalls einen aufschlussreichen Überblick, der dazu anregt solche Funktionen an der heutigen Zeit zu ĂŒberprĂŒfen.

5.3         Die Rolle des Neofaschismus im Prozess der Annexion

Welches Interesse hatte das westdeutsche Kapital an einer derartig heftigen Verbreitung des Neofaschismus? Welche Funktion erfĂŒllten die rechtsradikalen Gruppen und Netzwerke fĂŒr die BRD?

Die Rolle des Neofaschismus in der annektierten DDR bestĂ€tigt Reinhard Opitz’ Analyse zur Funktion des Neofaschismus in monopolkapitalistischen Gesellschaften. Der marxistische Faschismusforscher untersuchte den Faschismus sowohl als Herrschaftsform als auch als Bewegung und zog daraus wertvolle Erkenntnisse fĂŒr die Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus. Dabei arbeitete er verschiedene Funktionen heraus, die der Neofaschismus in liberal-parlamentarischen Gesellschaften erfĂŒllt.

Dabei nennt Opitz beispielsweise die „Alibifunktion fĂŒr reaktionĂ€re Regierungspolitik“. Die Regierung kann sich auf die neofaschistische Bewegung berufen und anschließend verschĂ€rfte reaktionĂ€re Maßnahmen rechtfertigen. Diese Funktion lĂ€sst sich besonders deutlich am Asylkompromiss von 1993 nachweisen.[155] Man ließ die aufgestachelten Faschisten und ihre MitlĂ€ufer in Hoyerswerda und Rostock ungehindert randalieren, ohne einzugreifen. Anschließend musste eine „Lösung“ fĂŒr das sogenannte Asylproblem her – das Asylrecht wurde drastisch eingeschrĂ€nkt.

Neurechten Zirkeln und Akteuren gelang es im Zuge der DDR-Annexion immer wieder, bis tief in die CDU und FDP, aber auch in die SPD vorzudringen – das belegen zahlreiche Interviews in der Jungen Freiheit mit CDU-Politikern sowie die „Enquete-Kommission“ zur DDR-Aufarbeitung und der „Bund der SelbstĂ€ndigen“, in denen sich neben Politikern aus SPD, CDU/CSU und FDP auch neurechte Ideologen tummelten.[156]  Ein wichtiges Ziel der Neuen Rechten ist dabei auffallend Ă€hnlich zu Opitz’ Funktionen – die „langfristige ideologische Umorientierungsfunktion“. DafĂŒr setzen sie nicht auf jugendliche Fußballfans und gewaltbereite Skinheads, sondern vielmehr auf Studenten, Intellektuelle und Eliten.

In dieser Zeit der immensen StĂ€rkung des deutschen Imperialismus wurde die Neue Rechte durch eine stĂ€rkere Betonung nationaler Kultur, Heimat und SouverĂ€nitĂ€t nicht nur anschlussfĂ€higer, sondern auch immer interessanter als Stichwortgeberin und Vordenkerin fĂŒr die bundesdeutsche Politik. Die Deutsche Volksunion, die in den 1990ern kontinuierlich ihre Strukturen in Ostdeutschland ausbaute, konnte 1998 in einer Landtagswahl in Sachsen-Anhalt große Erfolge einkassieren. Der Neurechte Ideologe Karl Heinz Weitzmann lobte die Demagogie der Partei: „Aufmerksame Beobachter haben rasch festgestellt, wie groß die Übereinstimmung ihrer AnhĂ€nger mit den Forderungen der Ă€ußersten Linken ist, wie gering die Bindung an rechte Positionen, soweit diese als bĂŒrgerlich im weitesten Sinne verstanden werden können und traditionell konservative oder traditionell liberale Vorstellungen umfassen.“[157]

Die Partei erreichte mit 12,9 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis einer neofaschistischen Partei in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bei den Wahlen in Brandenburg konnte die DVU 1999 ein weiteres Mal mit 5,3 Prozent der Stimmen in einen Landtag einziehen.[158] Nicht nur konnte die Partei zahlreiche Protestpotentiale auffangen und umlenken, ihr gelang es auch weiterhin sich an CDU und CSU anzubiedern und Impulse in die bundesdeutsche Politik zu geben. Die Republikaner unterstĂŒtzten den Erfolg in Ostdeutschland. Viele ihrer Spitzenpolitiker stĂ€rkten die Reihen der Deutschen Volksunion und unterstĂŒtzten den Wahlkampf.[159]

„Die terroristische EinschĂŒchterungs- und Hilfspolizei-Funktion“ zeigte sich abseits der erwĂ€hnten Pogrome von Rostock und Hoyerswerda sowie der 30 ÜberfĂ€lle am 2. Oktober 1990 in vielen weiteren Angriffen und EinschĂŒchterungen gegen Antifaschisten, Kriegsgegner und Migranten. Hier kommt der Begriff „BaseballschlĂ€gerjahre“ zu seiner dennoch zutreffenden Bedeutung. Die TĂ€ter waren oftmals Skinheads und jugendliche Neofaschisten, die mit der DVU-Parteipolitik oder neurechten Diskursen zwar wenig Überschneidung fanden, sich jedoch dennoch gerne an ihrem Propagandamaterial und Argumenten bedienten. Das ZurĂŒckweichen der Polizei vor den Pogromen in Rostock und Hoyerswerda steht dabei symptomatisch fĂŒr den Freibrief, den diese gewalttĂ€tige neofaschistische Bewegung im „wilden Osten“ erhielt. Kein Wunder: Im April 1992 bekundeten 20 % der Polizisten Sympathien fĂŒr die neofaschistischen Republikaner.[160] Der aus Westdeutschland importierte sĂ€chsische MinisterprĂ€sident Kurt Biedenkopf diagnostizierte den Sachsen Anfang der 2000er „ImmunitĂ€t gegenĂŒber Rechtsextremismus“[161]. Was angesichts der RealitĂ€t völlig Irre klingt, war kein Ausrutscher – Biedenkopf wiederholte 2017 diese Aussage. Das Verleugnen und Ablenken fĂŒhrender CDU-Kreise, gab der neofaschistischen Bewegung genau die RĂŒckendeckung die sie brauchte. Das gilt fĂŒr die junge BRD, fĂŒr die Annexion der DDR – und es gilt bis heute.

Zu guter Letzt sollte die „Auffangfunktion bzw. die Funktion der Ableitung und Umfunktionierung von Protestpotenzialen“ nicht vergessen werden. Diese Potenziale waren durchaus vorhanden. Die Wut und Frustration gegenĂŒber der neuen kapitalistischen RealitĂ€t war allgegenwĂ€rtig – da war ein anderes Ventil herzlich willkommen. Die Annexion der DDR und der Treuhand-Raub stießen auf starke soziale Bewegungen, wilde Streiks, Werksbesetzungen und Protestaktionen. Vom Schiffbau, bis zum Chemiefaserwerk, egal ob großes Kombinat oder kleiner Betrieb ĂŒberall in der Republik regte sich Widerstand. So fĂŒllten Montagsdemonstrationen gegen den Ausverkauf ab 1991 erneut die Straßen von Leipzig und bald auch Ostberlin. Insgesamt 100.000 Menschen demonstrierten Montag fĂŒr Montag . Es ist dem Druck der GewerkschaftsfĂŒhrung, sowie der Politik und Medien zu verdanken, dass diese KĂ€mpfe nicht ĂŒberregional und langfristig koordiniert werden konnten.[162] Dass diese Vielzahl an KlassenkĂ€mpfen heute vergessen ist muss nicht so bleiben. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung versammelt beispielsweise zahlreiche Berichte und Erfahrungen des Widerstandes gegen die Treuhand in einem Sammelband. Diese Protestpotentiale mussten abgelenkt und eingehegt werden – genau hier kommt die neofaschistische Bewegung ins Spiel.

5.4         Von Völkerfreundschaft zu Fremdenhass

Wie konnte fremdenfeindliche Einstellungen derartig Fuß fassen, wenn wir mit Recht davon ausgehen können das die DDR eine Politik der Völkerfreundschaft betrieb? Wir konnten mittlerweile ergrĂŒnden welche Funktionen der Neofaschismus erfĂŒllte. Widmen wir uns nun nochmal konkreter der Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen, die sich bis heute durchsetzen.

WĂ€hrend des Bestehens der DDR wurden 40 GastarbeiterunterkĂŒnfte angegriffen, wobei sich fast alle Angriffe nach 1975 ereigneten.[163] . Die Hauptabteilung XVIII des MfS untersuchte bspw. im September 1987 fremdenfeindliche Angriffe auf Mosambikaner und stellte fest, „daß diese AuslĂ€ndergruppe Provokationen durch negativ eingestellte, vorwiegend jugendliche DDR-BĂŒrger ausgesetzt ist, die im Ergebnis zu tĂ€tlichen Auseinandersetzungen fĂŒhren. Derartige Provokationen und auftretende Hetzlosungen wurden aus dem Bezirk Dresden und auch gegen dunkelhĂ€utige WerktĂ€tige aus der VR Angola und der Republik Kuba bekannt. Hierbei ist eine Entwicklung zu erkennen, daß durch Rechtspflegeorgane (Staatsanwaltschaft) einseitig gegen die auslĂ€ndischen WerktĂ€tigen vorgegangen wird“[164]. Die Hauptabteilung 18 reagierte auf die Fremdenfeindlichen Tendenzen in der Jugend: „Aus aktuellen Vorkommnissen im Zusammenhang mit mocambiquischen WerktĂ€tigen ergibt sich das Erfordernis, die massenpolitische Arbeit unter Teilen der Bevölkerung zu aktivieren, um möglichen AnfĂ€ngen einer AuslĂ€nderfeindlichkeit wirksam zu begegnen“.[165]

Der proletarische Internationalismus, die Politik der Völkerfreundschaft und die Vertragsarbeiterpolitik der DDR als Gegenentwurf zur Rassenhetze, Aufwiegelung, Ausbeutung und Spaltung in den Gesellschaften der kapitalistischen LÀnder wurde zwar weiterhin breit und öffentlich von der Gesellschaft mitgetragen, schien aber zunehmend angeschlagen und formalisiert.

Inmitten der Zeit des Zusammenbruchs sollten die kapitalistischen Verheißungen aus Funk und Fernsehen sich schnell als heiße Luft erweisen. Das erkannten die Mehrheit der DDR-Gesellschaft und selbst Teile der BĂŒrgerbewegung schon vor der Annexion der DDR am 3. Oktober 1990. Eine Mehrheit wollte weder die „Wiedervereinigung“ noch die Auflösung des Volkseigentums.[166] Angesichts der dramatischen Entwicklungen unter der Treuhand ist es nur wenig verwunderlich, dass neuere Forschungen von einer massenhaften und nachhaltigen Traumatisierung der DDR-Gesellschaft ausgehen.[167] Noch im Jahr 1990 lehnten 50% der DDR.-Gesellschaft das System der BRD als Ganzes und 22% seine Politik ab.[168]

Dass Migranten politisch und wirtschaftlich ausgenutzt werden, um Konkurrenzdruck, Lohndruck zu erzeugen und um Spaltung und Sozialabbau zu legitimieren, war ein neues PhĂ€nomen fĂŒr die Gesellschaft im angegliederten Osten. Die Vertragsarbeiter der DDR wurden nicht genutzt, um ArbeitsplĂ€tze streitig zu machen oder gesellschaftliche Spannungen zu erzeugen. Sie wurden durch gleichberechtigte VertrĂ€ge mit anderen Staaten eingeladen und ausgebildet, um „Know-How“ in ihre LĂ€nder zu bringen, die nicht selten durch Krieg und Kolonialismus gezielt unterentwickelt worden waren. Hetze gegen Migranten wurde nicht nur politisch verfolgt – es wĂ€re auch undenkbar gewesen, dass die Parteien und Medien in der DDR zu regelrechten Kampagnen gegen Migranten aufgestachelt hĂ€tten.

Die auslĂ€ndischen ArbeitskrĂ€fte der DDR waren im Land, um ausgebildet zu werden und spĂ€ter ihre HeimatlĂ€nder zu unterstĂŒtzen, nicht, um ihnen wie heute FachkrĂ€fte zu rauben, die man hier billig ausbeutet. Das Ziel dieser Politik bestand also nicht darin, sie langfristig in die DDR-Gesellschaft zu integrieren. Kontaktaufnahmen und aktive Verbindungen zu auslĂ€ndischen ArbeitskrĂ€ften wurden natĂŒrlich dennoch in den Betriebskollektiven und der Freizeit gefördert.

Ein altbewĂ€hrtes Mittel musste her: Ängste schĂŒren und Fremdenhass erzeugen, wo sonst Klassenbewusstsein entstehen könnte oder noch da war. CDU/CSU und FDP, mit etwas Verzögerung auch die SPD, eröffneten eine großangelegte Anti-Asyl-Kampagne. Die grĂ¶ĂŸeren Migrationsbewegungen des Jahres 1990 kamen den Herrschenden da sehr gelegen. Bis 1992 stieg die Zahl von 50.000 neuen Migranten auf 440.000. Die meisten flohen vor den Kriegen in Jugoslawien, die aktiv von BRD, USA und NATO geschĂŒrt wurden. Zwischen Äthiopien und Eritrea tobten Grenzstreitigkeiten, ebenso zwischen Mali und Burkina Faso. WĂ€hrenddessen wĂŒteten in Burundi, der Republik Kongo, Senegal und Simbabwe BĂŒrgerkriege. Auch hier mischte der Westen in Sorge um den Zugang zu Rohstoffen fleißig mit.[169]

In der 1990 eröffneten Anti-Asyl-Kampagne aller großen Bundestagsparteien und dem Großteil der Medien wurden die BĂŒrger rasch und radikal auf die neuen VerhĂ€ltnisse, den rassistischen Normalzustand eingenordet. Eine Auswahl von BILD-Schlagzeilen macht die Ausmaße deutlich: „Die Flut steigt – wann sinkt das Boot?“ „Fast jede Minute ein neuer Asylant“. „Asylanten jetzt auf Schulhöfen – Neue Welle! Und bis Weihnachten kommen noch 40.000.“ „Wohnraum beschlagnahmt. Familie muss Asylanten aufnehmen.“.[170] Um die Situation weiter anzuheizen verbreiteten CDUler Musteranfragen fĂŒr die Kommunen in Ost und West: „Sind Asylbewerber in Hotels oder Pensionen untergebracht worden? In welchem Zeitraum? Zu welchen Kosten?“.[171] Der SPD-Fraktionsvorsitzende schlussfolgerte das AuslĂ€nder die LebensverhĂ€ltnisse deutscher BĂŒrger verschlechtern wĂŒrden.[172]  WĂ€hrend Edmund Stoiber (CSU) von einer „Durchrassung der Gesellschaft“ sprach, propagierte die SPD die „Verslumung der GroßstĂ€dte“ durch AuslĂ€nder.[173] Mit solchen Schlagzeilen und politischen Kampagnen trieb man Teile der Bevölkerung gezielt in die Arme der faschistischen Bewegung. Die neue kapitalistische Konkurrenz sollte im Bewusstsein vieler Menschen somit nicht als Klassenkonflikt erscheinen, sondern als Verteilungskonflikt mit den eigenen Klassengeschwistern.

Besonders fĂŒr die ostdeutsche Arbeiterklasse, die sich ohne jegliche sozialdemokratische Almosen, enteignet, entrechtet und desorganisiert in der Bundesrepublik wiederfand, war diese Ideologie von großer herrschaftssichernder Bedeutung. Der Marxismus in den Köpfen der DDR-Bevölkerung musste mit aller Kraft zersetzt werden. Das Mittel der Wahl waren Antikommunismus und Rassismus.

6          Die Zerschlagung des Antifaschismus

6.1         Mit der Neuen Rechten zurĂŒck zur alten StĂ€rke

Ohne auch nur einen Schuss abzufeuern, konnte eine der stĂ€rksten Volkswirtschaften Europas komplett ausgeplĂŒndert werden. Dem Kapitalexport waren keine Schranken mehr gesetzt – von Berlin bis Sibirien. BeflĂŒgelt vom Siegesrausch ĂŒber den Sozialismus forderte der CSU-Bundestagsabgeordnete Eduard Lintner schon im September 1989, dass „Ausgangspunkt fĂŒr kĂŒnftige Friedensverhandlungen das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 sein“ mĂŒsse.[174] WĂ€hrenddessen bezeichnete Wolfgang SchĂ€uble die annektierte DDR als Mitteldeutschland.[175] Nur ein Jahr spĂ€ter sollte Deutschland wieder bis Moskau reichen, zumindest wenn es nach Welt-Chefkorrespondet Kremp ging, der im September 1990 festhielt: „Das kĂŒnftige Deutschland steht als Großmacht vor den TrĂŒmmern Osteuropas, und die Halde reicht bis in die Tiefen Russlands.“[176] Heider, Herausgeber der Wirtschaftswoche, forderte 1991 einen Bruch mit den Tabus der Nazizeit, dafĂŒr wĂŒrden alleine schon die Wachstumsraten der Wirtschaft unter Adolf Hitler sprechen.[177] 1942 habe er es nur nach Stalingrad geschafft, erklĂ€rte Franz Joseph Strauß auf seinem ersten Besuch in Moskau gegenĂŒber Gorbatschov.[178]

Um als „Ordnungsmacht“ in die „Neustrukturierung Osteuropas“ einzugreifen, entsprach das offene Kokettieren der politischen und wirtschaftlichen Elite mit Elementen faschistischer Ideologie und Geschichte in zweierlei Hinsicht den Interessen des deutschen Monopolkapitals. Zum einen bot es der neofaschistischen Bewegung in der annektierten DDR genau die UnterstĂŒtzung, die sie benötigte, um Teile der dort unterworfenen Gesellschaft zu spalten. Zum anderen sollte diese nationalistische Entwicklung dazu dienen, jeglichen Antifaschismus und Antimilitarismus in der gesamten Gesellschaft abzuschĂŒtteln, um neue deutsche Großmachtprojekte und Kriege auch ideologisch nach innen zu legitimieren.

Ein willkommenes Mittel in dieser ideologischen Offensive war die Totalitarismusdoktrin: Rot gleich Braun. Der Historiker Ernst Nolte, geachtet und studiert von vielen der Neuen Rechten, und nicht weniger beliebt in Kreisen von SPD bis CDU, stellte 1986 folgendes fest: „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine asiatische Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer asiatischen Tat betrachteten?“ Und weiter: „War nicht der Archipel Gulag ursprĂŒnglicher als Ausschwitz? War nicht der Klassenmord der Bolschewiki, das logische und faktische Prius des Rassenmord der Nationalsozialisten?“[179] Hier wird besonders deutlich, welche Funktion diese Totalitarismusdoktrin tatsĂ€chlich einnimmt. Sie dient im besonderen Interesse der herrschenden Klasse, weil sie scheinbar nur den Faschismus mit dem Kommunismus vergleicht – tatsĂ€chlich entlastet die Doktrin jedoch den Faschismus und damit auch die Verbrechen der herrschenden Klasse. Zudem findet eine DĂ€monisierung des Kommunismus statt, die sich bis hin zur antikommunistischen Rhetorik neofaschistischer Kreise ausdehnen lĂ€sst. Wo sich diese Idee durchsetzte, gab es keine Schranken mehr fĂŒr die Beschönigung des Faschismus bei gleichzeitiger Abwertung des Sozialismus. Antifaschismus wurde so verbĂŒrgerlicht und gegen den Kommunismus instrumentalisiert.

Das neue deutsche Selbstbewusstsein, der moderne Nationalismus, der Großmachtanspruch nach dem Sieg ĂŒber den Sozialismus sowie die rassistischen Kampagnen gegen AuslĂ€nder boten diesen Bewegungen eine optimale Arbeitsgrundlage. Die Neue Rechte wurde dringend fĂŒr die Durchsetzung der reaktionĂ€ren Politik der BRD gebraucht und auch zunehmend in Staat und Politik integriert. Der Neuen Rechten gelang es ab 1990 gezielt, Einfluss auf alle etablierten Parteien Westdeutschlands zu nehmen – ideologisch und personell.

Dass Neofaschisten in Staat und Politik bis zu einem gewissen Grad schon immer integriert waren, konnten wir bereits anhand des Neofaschismus der Nachkriegsjahre feststellen. Dass die Neue Rechte nun also TĂŒr und Tor in verschiedenste Kreise der herrschenden Politik einrannte, mag auch daran liegen, dass diese nie wirklich verschlossen waren. Dennoch musste die Neue Rechte auf solche Erfolge erst lange hinarbeiten und hatte mit 1990 das passende historische Moment gefunden, um die antikommunistischen Diskurse mitzugestalten, anzuheizen und zu verbreiten. Dieser erste kleine Marsch durch die Institutionen wurde willkommen geheißen. So ist es wenig verwunderlich, dass die Neue Rechte die „Wiedervereinigung“ als ihre Renaissance bezeichnete. Vertreter der Neuen Rechten konnten in dieser Zeit zahlreiche Gruppen und ĂŒberparteiliche Initiativen aufbauen, mit denen sie direkten Einfluss auf Parteijugenden und Bundestagsabgeordnete ausĂŒbten.[180] Wie erfolgreich die Neue Rechte die DDR-Annexion fĂŒr sich nutzen konnte, lĂ€sst sich darĂŒber hinaus besonders stark an ihrer Mitwirkung in der Aufarbeitung des „SED-Unrechts“ nachvollziehen. Das Kapitel „Neofaschismus in der DDR-Aufarbeitung“ wird spĂ€ter genauere Belege dafĂŒr liefern.

Im Folgenden soll dargestellt werden, welche aktive Rolle die neofaschistische Bewegung im Prozess der „DDR-Aufarbeitung“ spielte – ein Prozess, der Hand in Hand mit der Demontage und Umdeutung wichtiger antifaschistischer GedenkstĂ€tten in der DDR ging. Angesichts der Millionen Arbeitslosen und der Abwicklung der DDR-Gesellschaft mag dieser Prozess unbedeutend erscheinen. Allerdings zielte diese Politik darauf ab, das antifaschistische Erbe der DDR sowie die kollektive Erinnerung der Bevölkerung so gut wie möglich zu verfĂ€lschen.

6.2         Neofaschismus und DDR-Aufarbeitung

Die Junge Freiheit und spĂ€ter das Institut fĂŒr Staatspolitik samt seinem Antaios Verlag erkannten großes Potenzial zur Rehabilitierung faschistischer Ideologie im Kontext der sogenannten DDR-Aufarbeitung. Autoren der Jungen Freiheit beteiligten sich zahlreich und intensiv an der Arbeit in Vereinen wie der Union der OpferverbĂ€nde Kommunistischer Gewalt und dem Bund der Stalinistisch Verfolgten. Im wichtigsten Organ dieser VerbĂ€nde, dem Stacheldraht, publizierten Dutzende Autoren aus den Reihen der Wochenzeitung Junge Freiheit.[181] Junge Freiheit Autoren wie Werner H. Krause stiegen bis in GeschĂ€ftsfĂŒhrung der VerbĂ€nde auf.[182]

Die Überschneidungen sind wenig verwunderlich. Nicht nur war man geeint im radikalen Antikommunismus und der Ablehnung jeglichen Antifaschismus – der Bund der Stalinistisch Verfolgten und die Vereinigung der Opfer des Stalinismus blicken beide auf eine lange Geschichte zurĂŒck. Bereits in den 1950er Jahren sammelten sich SS- und NSDAP-Angehörige in den Reihen der VerbĂ€nde.[183] Mit der Zerschlagung der DDR versuchte man sich erneut in AnschlussfĂ€higkeit und Einfluss auf die etablierte Politik. Mitglieder wie Hugo Diederich sollten damit Erfolg haben,- der junge Freiheit Autor wurde Mitglied des ZDF-Fernsehrates.[184] MĂ€nner von diesem Kaliber waren willkommene Stichwortgeber zur DĂ€monisierung der DDR und ihres Antifaschismus. Außerdem arbeitete man gezielt an der Rehabilitierung von faschistischen Verbrechern die man nun als Opfer des Kommunismus darstellen und reinwaschen konnte. So organisierte beispielsweise der Waldheim-Kameradschaftskreis Ehrungen von Euthanasie-Ärzten, die in der DDR eine Todesstrafe erhalten hatten. Sie hĂŒbschten fleißig die Biografien von faschistischen Verbrechern auf.[185]

Nach der Annexion der DDR dauerte es nicht lange bis einer der Chefredakteure der „OpferverbĂ€nde“, Sigurd Binski, verkĂŒndete, die „Opferprozente“ der Toten der „Sowjet-KZ Sachsenhausen und Buchenwald“ seien jeweils höher gewesen als im Konzentrationslager bis 1945.[186] Im gleichen Zeitraum entstand die staatlich geförderte Gedenkbibliothek fĂŒr Opfer des Stalinismus in deren Verlagsprogramm sich Holocaustleugner, Neofaschisten und Neurechte wie David Irving, Germar Rudolf, Horst Mahler, Gustav Sichelschmidt und Franz Schönhuber tummelten.[187]

Ein weiterer nennenswerter Fall ist der von Herbert KĂŒhn. Im Zuge des 17. Juni 1953 brachte er mehrere SprengsĂ€tze an RegierungsgebĂ€uden an, von denen glĂŒcklicherweise nur einer zĂŒndete. SpĂ€ter, im April 1961, schmierte er „Freiheit fĂŒr Eichmann“ an das AuswĂ€rtige Amt in Bonn und beteiligte sich zwei Jahre spĂ€ter an rechten TerroranschlĂ€gen in Italien. 1994 leitete der Rechtsterrorist eine Landesgruppe der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und organisierte „Zeitzeugenprogramme“ an westdeutschen UniversitĂ€ten. Noch 2015 wurde KĂŒhn in einer Vorlesung an der Ruhr-UniversitĂ€t Bochum zur „friedlichen Revolution und den Opfern der SED-Diktatur“ befragt.[188] Auch Josef Kneifel konnte sich auf Uni-Veranstaltungen und in Zeitungsartikeln immer wieder als „Oppositioneller“ stilisieren lassen. Der Rechtsterrorist verĂŒbte 1980 einen Sprengstoffanschlag auf ein antifaschistisches Denkmal in Chemnitz. Nach seiner Freilassung durch einen Gefangenaustausch mit der BRD trat Kneifel einem faschistischen Gefangenhilfenetzwerk bei, hielt mehrere VortrĂ€ge bei der NPD und bewegte sich im Umfeld des NSU. FĂŒr dutzende Zeitungen bis hin zu Spiegel und TAZ, fĂŒr Professoren wie Eckehard Jesse und die Bundestiftung zur SED-Aufarbeitung blieb er ein FreiheitskĂ€mpfer gegen den Unrechtsstaat DDR. Als politischer Gefangener erhielt er obendrein eine EntschĂ€digung.[189]

6.3         Kampf um die antifaschistische Kultur

Die Überreste des Antifaschismus prĂ€gten nach 1990 immer noch die StĂ€dte und Dörfer des Ostens. Den Herrschenden war das natĂŒrlich ein Dorn im Auge. Die DenkmĂ€ler, Bauwerke und Institutionen aus der DDR stellten einen Störfaktor fĂŒr die Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur der BRD dar.

Überall auf dem Gebiet der DDR wurden deshalb DenkmĂ€ler von Kommunisten und Antifaschisten entfernt.[190] Proteste die den Abriss der DenkmĂ€ler verhindern sollten, hatten nur selten Erfolg. In der Zeit nach 1990 wurden darĂŒber hinaus dermaßen viele Straßen, PlĂ€tze, BrĂŒcken, Betriebe, Clubs und Schulen umbenannt, dass viele Kommunen neue StadtplĂ€ne herausgeben mussten. Den Umbenennungen fiel das Andenken an dutzende antifaschistische WiderstandskĂ€mpfer zum Opfer.[191] Weniger bekannte und kleinere KZ-GedenkstĂ€tten traf es besonders hart. Ganze Ausstellungen wurden entfernt, und die GebĂ€ude wurden sich selbst ĂŒberlassen. Nichts sollte mehr an sie erinnern.

Die Schriftstellerin Daniela Dahn fĂŒhrt in einer ihrer Reflektionen zur DDR-Annexion ein Beispiel an, dass sinnbildlich fĂŒr diese Radikalkur steht: „Die Ost-BĂŒrgermeister der Berliner Bezirke Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain weigerten sich, die Änderungen der Namen von Clara Zetkin, Arthur Becker, Hans Beimler und Georgi Dimitroff zu akzeptieren. Schließlich setzte sich (Senator) Haase durch, indem er erklĂ€rte, dass das Geschichtsbewusstsein der Bewohner der Ostbezirke zu sehr von der Parteipolitik der DDR geprĂ€gt sei und dass sie nicht in der Lage seien, ein Urteil zu fĂ€llen. Weshalb auch die AntrĂ€ge auf BĂŒrger- und Anwohnerbefragungen von den Westberliner Senatoren entschieden abgelehnt wurden. Perfekter hĂ€tte die EntmĂŒndigung nicht sein können. Nicht in der Lage, ein Urteil zu fĂ€llen – wer nun noch protestierte, outete sich als Altlast.“[192]

Dem Rabbinersohn und PolitbĂŒromitglied Albert Norden, wurde seine Herausgeberschaft des Braunbuches ĂŒber Nazis und Kriegsverbrecher in der BRD nicht verziehen. Auch sein Name sollte aus dem Stadtbild Ostberlins weichen. Das traf auf den Protest von Vorstandsmitgliedern des Berliner jĂŒdischen Kulturvereins, der sich gegen die Streichung jĂŒdischer Namen stellte. Vorstandsmitglied GĂŒnter Nobel fasst die politische WirkmĂ€chtigkeit dieser Umtriebe in einer Beschwerde an die Marzahner Bezirksverordneten treffend zusammen: „Begreifen Sie wirklich nicht, dass in einer Zeit wachsenden Rassismus und Antisemitismus solche BeschlĂŒsse neofaschistischen Tendenzen Auftrieb geben können?“[193]

Auch die Umbenennung einer Straße, die den Namen des WiderstandskĂ€mpfers und Juden Bruno Baum trug, stieß auf Protest. „Offenbar ist ihm nicht bekannt, dass Bruno Baum zu den fĂŒhrenden Köpfen des internationalen Widerstands noch in den Vernichtungslagern, Ausschwitz und Mauthausen zĂ€hlte. Wer wagt es heute, solche Menschen zu beleidigen?“, so GĂŒnther Nobel.[194] 

Diese Politik des Abrisses und der Demontage drehte sich um mehr als nur PlĂ€tze und Straßen. Es ging darum jegliche Überbleibsel des marxistischen Antifaschismus verschwinden zu lassen.

6.4         Nationale Mahn- und GedenkstĂ€tten: Erinnerungskultur ohne Antifaschismus

Im Folgenden sei auf den Umbau der GedenkstĂ€tten Buchenwald, RavensbrĂŒck und Sachsenhausen verwiesen. Sie zĂ€hlten zu den wichtigsten antifaschistischen GedenkstĂ€tten. An ihrem Beispiel lĂ€sst sich exemplarisch und eindrĂŒcklich nachweisen, wie Neofaschisten und staatliche Politik an einem Strang zogen um den Antifaschismus aus der Geschichte und Erinnerung strichen.

Hier traf der BRD-Geschichtsrevisionismus besonders empfindliche Punkte der fortschrittlichen DDR-Erinnerungskultur. Die ehemaligen Konzentrationslager waren Nationale Mahn- und GedenkstĂ€tten die nahezu alle DDR-BĂŒrger kannten und auch (meist im Rahmen der Jugendweihe) besucht hatten. Den Ausstellungen im Frauenkonzentrationslager RavensbrĂŒck, wurde sich genauso wie denen Buchenwald und Sachsenhausen schon kurz nach der Annexion entledigt.[195] Die erinnerungspolitischen Schwerpunkte passten nicht ins Bild. Sie zeigten das Leiden der Opfer im Zusammenhang mit den faschistischen TĂ€tern und den Unternehmen, die aus den sich zu Tode arbeitenden HĂ€ftlingen Gewinn schlugen.[196] Die reichhaltige Forschung der GedenkstĂ€tten wurde nun von einem Staat verwaltet, der bis 1995 noch nicht einmal eine eigene KZ-Forschung betrieb.[197] Das Geld, das nun investiert wurde, um dieses Geschichtsbild umfassend zu korrigieren, kam auch erstmals seit 1945 der KZ-GedenkstĂ€tte Dachau zugute, die jahrelang den Forderungen der CSU nach Schließung widerstand.[198]

Mit der Zeit regte sich auch hier Widerstand. Beispielsweise auf der Veranstaltung zur Verabschiedung des langjĂ€hrigen Leiters der KZ-GedenkstĂ€tte Sachsenhausen, GĂŒnter Morsch. Er selbst und sein Historiker-Kollege Volkhard Knigge, Leiter in Buchenwald, erhoben heftige Klage ĂŒber staatliche Eingriffe in ihre Arbeit. Ihnen seien GeschĂ€ftsfĂŒhrer vor die Nase gesetzt worden, die eng an die Politik gebunden waren. GewĂŒnscht war eine Opferperspektive mit wenig Verbindungen zur NS-TĂ€terelite, da dies womöglich eine neue Debatte ĂŒber personelle KontinuitĂ€ten in der BRD heraufbeschworen hĂ€tte.[199]

Neuer Schwerpunkt wurden die Speziallager, der Roten Armee und des sowjetischen Geheimdienstes nach 1945. Die Nutzung ehemaliger Konzentrationslager fĂŒr die Internierung schwerbelasteter Nazis war auf den Konferenzen der vier Alliierten der Antihitlerkoalition schon 1943 in Teheran und erneut 1945 in Jalta beschlossen worden. Grundlage fĂŒr die Inhaftierungen waren keine WillkĂŒr des sowjetischen Geheimdienstes, sondern sie basierten auf Funktionslisten, die seit Oktober 1944 vom britisch-amerikanischen Oberkommando erstellt wurden. Die Amerikaner fĂŒllten nach dem Kriegsende 15 einstige KZs, die Briten, Franzosen und Sowjets jeweils 10.[200]

Die Kampfgruppen gegen Unmenschlichkeit bezeichneten diese Speziallager in einer BroschĂŒre aus dem Jahr 1952 als „sowjetische Konzentrationslager auf deutschem Boden“. Eine Auffassung, die sich in der Bundesrepublik weit verbreiten sollte.[201] Die Gleichsetzung und angebliche KontinuitĂ€t gehört heute zum guten Ton in der bundesdeutschen Erinnerungskultur. Die Charakterisierung als „sowjetische Konzentrationslager“ wurde bis dato weitestgehend von Verlagen der neofaschistischen Bewegung gefördert. In den 1990ern schlossen sich auch Bundespolitiker, wie Ex-BundesprĂ€sident Joachim Gauck und zahlreiche Historiker, der Deutung an. Gauck sprach von dem Speziallager als „Konzentrationslager nach dem Vorbild Stalinscher Todes- und Vernichtungslager“.[202]

Einige neofaschistische Aktivisten und ihre antikommunistische AnhĂ€ngerschaft warteten die Entscheidungen der zustĂ€ndigen staatlichen Stellen gar nicht erst ab und pilgerten selbst zu den KZ-GedenkstĂ€tten Buchenwald und Sachsenhausen, um dort Kreuze zu errichten und GrabmĂ€ler anzulegen. Gewidmet waren Sie den „Opfern der stalinistischen WillkĂŒr“. Dabei wurden logischerweise auch solche Personen geehrt, die sich nachweislich an den Verbrechen der deutschen Faschisten beteiligt hatten.[203] Das KZ-Sachsenhausen wurde ab 1990 zu einem regelrechten Wallfahrtsort fĂŒr Neofaschisten. „Ehre und Ruhm den deutschen Helden“ trug hier die Inschrift eines von Faschisten aufgestellten Schildes.[204]

Die neue Schwerpunktsetzung der GedenkstĂ€tten auf die sowjetischen Speziallager erwies diesen KrĂ€ften einen großen Dienst. Hier setzte sich klar erkennbar, die von rechten und neofaschistischen Medien betriebene Gleichsetzung durch, die sich an „GrĂ€ueltaten der Kommunisten“ abarbeitete.[205] Gegen diese geschichtsrevisionistische Umdeutung meldeten sich die Überlebenden der Konzentrationslager und zahlreiche Antifaschisten zu Wort. Die Überlebenden beharrten darauf, dass die Konzentrationslager StĂ€tten ihres Leidens und KĂ€mpfens gewesen waren, weshalb die an ihrer Stelle errichteten antifaschistischen GedenkstĂ€tten nicht einfach zu antikommunistischen GedenkstĂ€tten umfunktioniert werden dĂŒrften.[206] Der Protest wurde von den Springermedien, als Machenschaft kommunistischer Ideologen abgeschmettert.[207]  

Es wurden Forderungen laut, die eine finanzielle EntschĂ€digung der HĂ€ftlinge der Speziallager verlangten, und zwar in gleicher Höhe wie die der KZ-HĂ€ftlinge. Schließlich hĂ€tten die Opfer des Kommunismus mindestens genauso schlimm gelitten wie die Opfer des Faschismus.[208] SS-Angehörige aus dem Baltikum erhielten zu dieser Zeit bereits Renten aus der BRD, schließlich waren sie bis 1945 fĂŒr Deutschland im Dienst und wurden danach politisch verfolgt.[209]  Die neu gegrĂŒndete Historikerkommission in Buchenwald rĂ€umte den ehemaligen SS-Leuten und Wehrmachtssoldaten ihren Opferstatus ein und nahm gleichzeitig die DDR-Erinnerungskultur ins Visier. So entstanden drei Ausstellungen, jeweils zu den faschistischen Konzentrationslagern, den Speziallagern der Sowjetunion und der Nationalen Mahn- und GedenkstĂ€tte der DDR. Einzelne Ehemalige KZ-Aufseherinnen wie Hertha Pakozdi (Aufseherin in RavensbrĂŒck und Majdanek) wurden so tatsĂ€chlich als Opfer des Stalinismus entschĂ€digt.[210]

Welche Verbrechen an diesem Ort und im Faschismus tatsĂ€chlich geschahen und wie es zu ihnen kommen konnte, wurde so weit und so gut es ging vermischt mit TotalitarismuserzĂ€hlungen und Hetztiraden gegen die DDR. Zwangsarbeit fĂŒr das deutsche Monopolkapital oder die Speziallager als Teil einer konsequenten Entnazifizierung – davon sollte bestenfalls niemand mehr etwas wissen.

Dieser erinnerungspolitische Feldzug offenbart alte KontinuitĂ€ten. Kein Antikommunismus konnte aggressiv genug sein, wenn es darum ging, den Faschismus im Osten Deutschlands zu rehabilitieren. Von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit bis zu Joachim Gauck, von faschistischen Pilgergruppen bis zur neu eingesetzten GedenkstĂ€ttenleitung – man war geeint im mehr oder weniger fanatischen Antikommunismus.

Die Geschichte des Ganzen 17-Millionen Volkes und ihrer Partei musste umgeschrieben werden. Ein SelbstverstĂ€ndnis das 40 Jahre lang auf dem Schwur von Buchenwald basierte, konnte fĂŒr die neuen Machthaber nicht schnell genug entsorgt werden.

„Wir werden den Kampf erst aufgeben, wenn der letzte Schuldige vom Gericht aller Nationen verurteilt ist. – Die endgĂŒltige Zerschmetterung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“ – Schwur von Buchenwald

6.5         DDR-Aufarbeitung: Geschichte ohne Antifaschismus

Wie wir gesehen haben war es von großer Bedeutung fĂŒr die neuen Machthaber die Deutungshoheit ĂŒber die Geschichte zu gewinnen. KĂŒnftig kĂŒmmerte sich die „Enquete-Kommission zur politischen Aufarbeitung von 40 Jahren Vergangenheit der DDR“ um das neue Geschichtsbild.

Was sich hinter dem sperrigen Titel verbirgt, war eine vom Bundestag eingerichtete Instanz, in der Politiker sĂ€mtlicher Parteien sowie Mitarbeiter und Berater aus verschiedenen Bereichen tĂ€tig waren. Diese Enquetekommission war die erste ihrer Art, die sich der Geschichtsschreibung widmete. Die Kommissionen zuvor befassten sich ausschließlich mit Problemen der Gegenwart wie Aids, Flutkatastrophen, Kernenergie und Ähnlichem. Nun sollte die Geschichte des „alten Feindes“ umgeschrieben werden. Eine Enquetekommission zur Aufarbeitung des Faschismus gab es ĂŒbrigens nie. FĂŒr dieses neue Projekt musste notwendigerweise das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit weichen.[211]

Zum Leiter der Kommission wurde der CDU-Politiker und radikale Antikommunist Rainer Eppelmann auserkoren.[212] Eppelmann polarisierte nicht nur mit Kampfansagen gegen die DDR und ihren Antifaschismus, sondern lud sich auch munter Akteure der Neuen Rechten in seine Kommission ein. So zum Beispiel den Politikprofessor Klaus Hornung, der Mitglied in Organisationen wie der „Konservativen Aktion“ und dem neurechten „Studienzentrum Weikersheim“ war. Oder auch der Rechtskonservative Eckhard Jesse, der sich lange Zeit der Betonung von „modernen und progressiven Seiten des Dritten Reiches“ widmete.[213]

Die Kommission werkelte bis 1998 an dem, was heute Einzug in zahlreichen SchulbĂŒchern hielt: Die DDR als zweite deutsche Diktatur – verglichen und oft gleichgesetzt mit dem faschistischen Deutschland.

Die Umsetzung des neuen Geschichtsbildes, war nur mit einer umfassenden SÀuberungswelle an UniversitÀten und anderen akademischen Institutionen möglich. Diese SÀuberung richtete sich vor allem gegen marxistische Historiker und Dozenten, die sich der vorgegebenen Geschichtsschreibung widersetzten. Es ging darum, ein neues Narrativ zu etablieren, das die DDR und ihren Antifaschismus marginalisierte, wÀhrend gleichzeitig die neurechten und antikommunistischen Diskurse der Bundesrepublik gestÀrkt wurden. Historiker, die sich gegen diese Deutungen stellten, wurden entweder aus ihren Positionen entfernt oder ihre wissenschaftliche Arbeit diskreditiert.

Die SĂ€uberungen in den Sozial- und Geisteswissenschaften ĂŒbertrafen dabei die der BRD nach 1945 und sogar die SĂ€uberungswelle nach der MachtĂŒbergabe an den Hitlerfaschismus 1933. Über drei Viertel des Lehrkörpers und Personals mussten gehen.[214] FĂŒr die SĂ€uberungen von marxistischen Wissenschaftlern bekam die Humboldt-UniversitĂ€t zu Berlin Wilhelm Krelle als Verantwortlichen vorgesetzt. Er betreute fortan eine Kommission zur Durchleuchtung sĂ€mtlicher Mitarbeiter auf ihre DDR-NĂ€he. Krelle gehörte wĂ€hrend des faschistischen Raubkrieges der 164. Infanteriedivision des XXX. Armeekorps an, die in Griechenland an Kriegsverbrechen wie Massakern beteiligt war.[215] Als SS-SturmbannfĂŒhrer wurde er 1. Generalstabsoffizier einer SS-Panzerdivision.[216] In seiner Funktion an der Humboldt-UniversitĂ€t sorgte er fĂŒr die Entlassung von 170 LehrkrĂ€ften, weil sie „sich dem DDR-System nicht entzogen hĂ€tten.“[217] Entlassungswellen wie diese stießen auf den Protest zahlreicher Studenten. Im Falle der Humboldt-UniversitĂ€t, wo die gleichberechtigte Teilnahme der Studenten in allen Gremien noch nicht zerschlagen worden war, organisierten Studenten Protestdemonstrationen.[218] Ihr antifaschistischer Protest richtete sich gegen die Entlassungen und gegen Wilhelm Krelle. Der SS-Generalstabsoffizier blieb allerdings bei seinem Grundsatz: „Kein Marxist wird seinen Fuß jemals ĂŒber die Schwelle dieses Hauses setzen, solange ich hier das Sagen habe.“[219]

Ein Teil der vielen entlassenen DDR-Wissenschaftler ließ sich allerdings nicht brechen und entwickelte eine eigene, wenig beachtete Wissenschaftskultur und organisierte sich in Vereinen, Kleinverlagen und Zeitungen. Auch die Teile, die in DDR zu Faschismus und Vernichtungskrieg forschten, versuchten fortan hier einen wissenschaftlichen Antifaschismus-Diskurs weiter zu betreiben.[220]

WĂ€hrend diese Entwicklungen klare Fakten schufen, offenbarte Rainer Eppelmann, Vorsitzender der Enquetekommission, worum es in dieser Aufarbeitung tatsĂ€chlich ging. Auf der 30. Sitzung der Kommission im MĂ€rz 1993 beteuerte er: „Noch in der Zeit nach der Wende beschworen höchst achtenswerte Vertreter der BĂŒrgerbewegung, die die SED-Diktatoren zum Abdanken gezwungen hatten, den Antifaschismus als Kern jener DDR-Vergangenheit, den es durch alle UmbrĂŒche hindurch zu erhalten gelte. Diese Menschen hatten noch nicht erkennen können, in welcher skrupellosen Weise die SED-Machthaber auch das Ideal des Antifaschismus nur noch als Alibi der eigenen autoritĂ€ren Herrschaft einsetzten und mißbrauchten.“[221]

Diesen Menschen sollte man nun auf die SprĂŒnge helfen: Nie wieder Antifaschismus – dass war das Gebot der neuen Stunde. Nicht nur in den GedenkstĂ€tten, auch an den UniversitĂ€ten und der Forschung konnten alle an einem Strang ziehen: Politiker der Bundestagsparteien, Neurechte Ideologen und ehemalige SS-Mörder – im Antikommunismus vereint. Das ideologische Waffenarsenal, welches man im Kalten Krieg gegen die DDR anhĂ€ufte, konnte nun voll zum Einsatz kommen.

7      Ausblick: Wurzeln schlagen und Weiterentwickeln

Was bleibt ĂŒberhaupt ĂŒbrig von dieser neofaschistischen Bewegung? Ein Blick auf die heutige politische Landschaft zeigt das weder die gewaltbereite Skinhead Bewegung ihre alte Form halten konnte, auch wenn sie gerade wieder stark wĂ€chst. Auch die DVU, Republikaner und die NPD (heute Die Heimat) beschĂ€ftigen uns nicht mehr im grĂ¶ĂŸeren Stil.

Die AfD, die seit ĂŒber 10 Jahren Fremdenhass und Spaltung in so perfektionierter Form verbreitet, dass sie zunehmend Themen setzen und Diskurse dominieren darf, mĂŒssen wir in diesem Kontext verstehen. Bevor wir jetzt also ĂŒbereifrig ĂŒber die AfD urteilen begeben wir uns zurĂŒck in die 1990er um zu verstehen, wie die Refaschisierung Ostdeutschlands uns bis zur AfD und den rassistischen Hetzkampagnen von SPD, FDP, GrĂŒnen und CDU fĂŒhrt.

Die Annexion der DDR und die rassistischen Medienkampagnen verschafften den mitgliederstĂ€rksten neofaschistischen Parteien starken Auftrieb. DarĂŒber hinaus profitierten auch kleinere Zirkel und Kameradschaften von den Entwicklungen.

Überall im Osten Deutschlands waren als Folge von KĂŒhnens breitem Netzwerk und deren Abspaltungen Gruppen entstanden. Im Laufe der Zeit entstanden solche GrĂŒndungen immer „unabhĂ€ngiger“ von der westdeutschen Neonazi-Szene. Wer weiterhin tatkrĂ€ftig seine Finger im Spiel hatte war der deutsche Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz. Er vertuschte, schaute weg und finanzierte wo es ĂŒberall nur möglich war, der schrecklichste Beweis dafĂŒr ist das NSU-Netzwerk. Es ging aus der sĂ€chsischen und ThĂŒringer Neonazi-Szene hervor und konnte sich auf Kontakte in ganz Deutschland verlassen. In die MordanschlĂ€ge des NSU waren zahlreiche V-Leute involviert.[222]

Mit den großen neuen Aufgaben vor der die faschistische Bewegung in Ostdeutschland stand, konstatierte der Nazi-Jurist JĂŒrgen Rieger: „Wenn wir genĂŒgend UntercorpsfĂŒhrer hĂ€tten, könnten wir Zehntausende marschieren lassen.“[223] Eine EinschĂ€tzung, die viele faschistische Kader teilten. So entstanden mehrere Bildungswerke und Schulungszentren fĂŒr die Kaderschulung in Ostdeutschland. In den verschiedenen Initiativen wurden breite Netzwerke von Republikanern und Deutscher Volksunion, bis hinein in Kameradschaften und die Freie Arbeiterpartei (FAP) aufgebaut.[224]

Schon 1989/90 baute die Deutsche Volksunion erste Ortsgruppen im Osten auf. Unterdessen tourte Vorsitzender Bayrische MultimillionÀr Gerhard Frey quer durch die ehemalige Republik und hielt dutzende VortrÀge.[225]

Die Deutsche Volksunion (DVU) konnte im Jahr 1998 mit 12,9% in den Magdeburger Landtag einziehen. Dazu dienten auch die engen Beziehungen zu den Republikanern, die sie im Wahlkampf unterstĂŒtzen. Die Partei fand vor allem unter jĂŒngeren WĂ€hlern aus der Arbeiterklasse anklang und setzte auf ein Image als Protestpartei mit dem Wahlspruch: „Protest wĂ€hlen – Deutsch wĂ€hlen“. Die Erfolge in Sachsen-Anhalt und kurz darauf in Brandenburg (5,3%) konnte den AbwĂ€rtstrend bei den Mitgliederzahlen kurzzeitig umkehren.[226] Die Partei kĂ€mpfte sich in den Jahren mĂŒhselig auf 4.000 Parteimitglieder in Ostdeutschland hoch. Diese waren allerdings nur wenig aktiv oder geschult.[227] So war es wenig verwunderlich, dass die Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt noch vor Ende der Legislaturperiode auseinanderbrach.[228] Die Mitglieder der ersten Parlamentsfraktionen in Westdeutschland waren auch bereits weitgehend inaktiv, inkompetent und zerstritten.[229]

Darin zeigen sich bereits die Probleme, die trotz der Wahlerfolge in Ostdeutschland zum Niedergang der Deutschen Volksunion fĂŒhren sollten. Die Partei stand hochverschuldet in der Kreide von Gerhard Frey. Dieser ermöglichte keinerlei innerparteiliche Auseinandersetzungen oder Debatten, wodurch nie ein tatsĂ€chliches Parteileben entstehen konnte. Bis auf Parteistammtische entfalteten die nur schlecht geschulten Mitglieder kaum AktivitĂ€ten außerhalb des Wahlkampfes. Derartige MĂ€ngel glich Frey durch immense Ausgaben fĂŒr Flyer und Wahlplakate aus. SpĂ€testens ab 2004 befand sich die Partei in einer tiefen Krise, die sie 6 Jahre spĂ€ter zu einer Fusion mit der NPD veranlasste.[230]

Die Krise in den Reihen der Republikaner trug Ă€hnliche ZĂŒge. Die großen Wahlerfolge bei der Berliner Senatswahl und der Europawahl 1989, bei denen die Partei jeweils ĂŒber 7% erzielen konnte, beförderten MachtkĂ€mpfe und Richtungsstreitigkeiten. Auch hier entlud sich der Protest ĂŒber den „diktatorischen FĂŒhrungsstil“ des Vorsitzenden Schönhubers, der die Partei von ihrem konservativen, CDU-nahen Profil wegbewegte.[231] WĂ€hrend die Republikaner in Westdeutschland zunehmend Polizisten, Bundeswehrsoldaten und Akademiker in ihren FunktionĂ€rskörper aufnehmen konnten, scheiterte die Partei im Osten. Die wenigen angeworbenen FunktionĂ€re erwiesen sich als unerfahren, schlecht geschult und teils zu offen neofaschistisch. Die folgende massive Anti-Asyl Kampagne sollte der Partei einen letzten kleinen Aufwind verschaffen. So stiegen die Mitgliederzahlen der Republikaner in Ostdeutschland auf 3.000 Mitglieder im Jahr 1992.[232]

Franz Schönhuber und seinen Republikanern gelang in dieser Zeit das Eindringen in bĂŒrgerlich-liberale Kreise am erfolgreichsten. Um den Vorwurf des Rechtsextremismus gegen die Republikaner zu entkrĂ€ften, legte Schönhuber wĂ€hrend seiner Zeit als Parteivorsitzender in der Regel großen Wert auf die Abgrenzung zu DVU und NPD.[233] Die Zielstellung, eine „seriöse und demokratische Alternative der Parteien rechts von der Union“[234] zu schaffen, litt allerdings unter dem Druck des offen-rechtsradikalen FlĂŒgels in der Partei. Solche programmatischen Streitigkeiten sollten die Republikaner tiefer in die politische Bedeutungslosigkeit fĂŒhren.[235]

Die Entwicklung der neofaschistischen Bewegung erlitt durch den Niedergang dieser beider Parteien keinen großen DĂ€mpfer. Die NPD konnte von der fehlenden Konkurrenz profitieren, wĂ€hrend die zahlreichen rechtsradikalen Gruppen in Ostdeutschland weiter Wurzeln schlagen konnten. Der Bewegung mangelte es weiterhin an geschulten FunktionĂ€ren und Kadern. Obendrein war man sich inhaltlich und organisatorisch uneinig. Viele Strukturen mussten erst mĂŒhevoll aufgebaut werden.

Die Funktion der Neofaschisten als Spalter der Arbeiterklasse blieb ĂŒber die Zeit hinweg genauso bestehen wie die vielen kleineren Wahlerfolge, AufmĂ€rsche und Veranstaltungen, die sich zur politischen NormalitĂ€t entwickeln sollten.  Die neofaschistische Bewegung und die in der Grauzone zum Konservatismus arbeitende Neue Rechte waren aus der politischen Landschaft nicht mehr wegzudenken. Dennoch blieben Gewaltexplosionen wie in den frĂŒhen 1990er Jahren fĂŒr lange Zeit unĂŒbertroffen. Die Neue Rechte wusste bereits damals wie entscheidend ein nachhaltiger und langfristiger Aufbauprozess fĂŒr die neofaschistische Bewegung sein wird.

Vor dem Hintergrund des Niedergangs der neofaschistischen Parteien erkannte die Neue Rechte eine erneute Stagnation der Bewegung. So schrieb Karlheinz Weißmann 1998 in der Jungen Freiheit: „Man wĂ€re sich sicher gewesen, eine geschichtliche Tendenz erzeugt zu haben, die weite Teile des bĂŒrgerlichen Lagers zur eigenen Seite hinĂŒberzieht.“ Die großen Schritte, die in diese Richtung gemacht wurden, sind nicht zu ĂŒbersehen. Die herrschende Klasse des deutschen Imperialismus und ihre konservativen Vertreter schĂŒrten einen neuen deutschen Nationalismus und nahmen die Folgen dieser Politik dankend in Kauf. Die Deutsche Volksunion und die Republikaner stellten sich noch zu unprofessionell an, um zu einer wirklichen Option heranzureifen. Als Aufheizer und Ablenker waren sie dennoch gern gesehen. Einigen bĂŒrgerlichen Politikern ging der AbwĂ€rtstrend der rechten Parteien mit Sicherheit gegen den Strich.

Die Stabilisierung rechten Gedankenguts sollte fortan eine Hauptaufgabe der Neuen Rechten werden.[236]  In den verschiedenen Verlagen, Zirkeln und Arbeitskreisen wurde weiterhin kontinuierlich diskutiert und Propaganda fĂŒr die Konservative Revolution betrieben. Zeitgleich zum Niedergang von DVU und Republikanern bildete sich das Institut fĂŒr Staatspolitik heraus – heute eine der wichtigsten Neurechten-Denkfabriken in der Bundesrepublik. Die Schulungen und Seminare des Instituts wurden zahlreich und prominent besucht. Nahezu sĂ€mtliche Spitzenpolitiker der AfD gingen ein und aus beim Institut. Ihre Publikationen, sowie die hauseigene „Wissenschaftliche Reihe“ erfreut sich ebenso einer breiten Leserschaft und kann immer hĂ€ufiger Impulse in die neofaschistische Bewegung senden. Die feste Zusammenarbeit mit der Auflagenstarken Jungen Freiheit konnte den GrĂŒndern des Instituts von Beginn an sicher sein. In einem Interview mit der Wochenzeitung benannte einer ihrer GrĂŒnder, Karlheinz Weißmann, 2001 die Ziele des IfS: „Uns geht es um geistigen Einfluss, nicht die intellektuelle Lufthoheit ĂŒber Stammtische, sondern ĂŒber HörsĂ€le und SeminarrĂ€ume interessiert uns, es geht um den Einfluss auf die Köpfe, und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und MandatstrĂ€gern sitzen, umso besser.“[237] Die GrĂŒndung des Institutes steht dabei in einer klaren KontinuitĂ€t zur Entwicklung der Neuen Rechten und reagierte auf die  Stagnation der 2000er Jahre. Weißmann und Kubitschek, die beiden bekanntesten GrĂŒnder des Institutes, teilten sich ihre gemeinsame politische Herkunft aus der völkischen Studentenverbindung Deutsche Gildenschaft, sowie ihre Autorenschaft fĂŒr die Junge Freiheit.[238]

Mit dem Zentrum in Schnellroda knĂŒpften die grĂ¶ĂŸtenteils westdeutschen GrĂŒnder gezielt an die Siedlungsstrategien im Osten Deutschlands an. Mit Schulungen und Seminaren holte man die dringend notwendige Ausbildung von Kadern, FunktionĂ€ren, Rednern und Autoren nach. Über die Theoriezeitschrift Sezession wurde sich gezielt mit neuen Strategien auseinandergesetzt, wĂ€hrend man verschiedene KrĂ€fte sammelte, organisierte und schulte. Die Verleger und Organisatoren ĂŒbten sich seit ihrer GrĂŒndung im Jahr 2000 in Geduld und langfristigem Denken. Kubitschek gab noch im selben Jahr in der Jungen Freiheit ein Interview und betonte, dass sie „ihre Arbeit sehr ernst nehmen“, sie jedoch „derzeit nicht wirklich gebraucht“ werden: „Unsere vollkommen abgesicherte Gesellschaft wird durch unsere Warnrufe und Forderungen nicht berĂŒhrt.“ Es gelte, dass „Pulver trocken zu halten (…), weil die Stimmung fĂŒr uns arbeitet: Es liegt etwas in der Luft“, so Kubitschek anlĂ€sslich der GrĂŒndung des Instituts.[239]

Die Integrationskraft des imperialistischen Staates hÀlt nicht ewig, dann kann eine neofaschistische Bewegung zur Stabilisierung der kapitalistischen Herrschaft nicht schaden. Es deutet sehr viel darauf hin, dass die Finanzkrise von 2007 und 2008 genau eine solche Dynamik hervorbrachte.

Die mĂŒhevolle Arbeit an einer Konsolidierung der ĂŒbrigen KrĂ€fte formierte sich in den 2000er Jahren zu einem breiten Netzwerk. In ihm fungierte das Institut fĂŒr Staatspolitik als zentrale Denkfabrik, die andere Kreise, wie das von Daimler finanzierte Studienzentrum Weikersheim oder das Thule-Seminar, ergĂ€nzte. Dem hauseigenen Verlag Antaios kam dabei die Aufgabe zu, Strategiedebatten und politische Auseinandersetzungen zu organisieren und festzuhalten. Diese Arbeit wurde auf den Seminaren des Instituts fĂŒr Staatspolitik in Schulungen ĂŒbersetzt, wĂ€hrend die Junge Freiheit propagandistisch in die Breite wirken sollte. Dabei wurden bestĂ€ndige Kontakte zu Parteien wie der Freiheit oder dem Bund Freier BĂŒrger gesucht, die spĂ€ter die AfD mitgrĂŒnden sollten. Als sich 2014, mit RĂŒckenwind von Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab, die letzten verbliebenen rechtskonservativen Stahlhelmer aus der CDU verabschiedeten und mit weiteren rechtskonservativen Politikern die AfD grĂŒndeten, hatte dieses Netzwerk schon lĂ€ngst einen Fuß in der TĂŒr und begleitete den Aufbauprozess der Partei. „Eine Oase der geistigen Regeneration“[240] sollte Björn Höcke das Institut spĂ€ter beschreiben. Das Institut fĂŒr Staatsforschung entwickelte sich zum Motor der AfD-Entwicklung und der StĂ€rkung des neofaschistischen FlĂŒgels der Partei.[241]

Ein Achtungserfolg gelang 2017 mit der GrĂŒndung der Desiderius Erasmus Stiftung. Die Stiftung greift bis heute staatliche Finanzierung und Privatspenden fĂŒr ihre Projekte ab. Im Vorstand sitzen derweil einschlĂ€gige Charaktere wie der GrĂŒnder des Instituts fĂŒr Staatsforschung Karlheinz Weißmann. Ein weiteres Vorstandsmitglied, Hans Hausberger, wollte schon fĂŒr die Republikaner eine Stiftung grĂŒnden und konnte nun seinen großen Traum endlich verwirklichen. [242] Nicht nur das Institut fĂŒr Staatspolitik, sondern auch das neofaschistische Projekt Ein Prozent, die junge Freiheit, Compact und einzelne CDU-Politiker sind mit der Stiftung liiert.[243] Dabei ist alles eingebettet in die Strategie der Neuen Rechen, so gibt Hans Hausberger beispielsweise mittlerweile Seminare „was man als Rechter sagen kann und was nicht“, ganz im Geiste Armin Mohlers soll man sich fĂŒr die faschistische Vergangenheit nicht mit dem Nasenring durch die Manege fĂŒhren lassen, sondern sich so weit wie nötig und so wenig wie möglich distanzieren und gleichzeitig die Grenzen des Sagbaren immer weiter ausreizen.

An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass wir hier schon lĂ€ngst zu einer gesamtdeutschen Frage vorgestoßen sind. Wir können allerdings weiterhin erkennen, wie die Annexion der DDR und der Aufbau einer neofaschistischen Bewegung in Ostdeutschland noch heute auf die politischen Entwicklungen einwirken. Die Entwicklung der AfD selbst, ihre hohen Zustimmungswerte in Ostdeutschland – all diese Entwicklungen sind mit der Refaschisierung Ostdeutschlands verbunden. Die Saat, die man in den 1990ern gesĂ€t hat, blĂŒht bis heute.

Die Entwicklungen nach der Annexion der DDR sorgten nicht nur fĂŒr eine breite Kooptierung der Neuen Rechten in Staat und Politik, sondern auch fĂŒr einen reichhaltigen Erfahrungsschatz, aus dem die neofaschistische Bewegung bis heute lernt und SchlĂŒsse zieht. Wie schult und bildet man Kader, um nicht zu enden wie die Deutsche Volksunion? Wie sorgt man fĂŒr Einigkeit und Disziplin in den eigenen Reihen um nicht wie die Republikaner auseinanderzubrechen? Wie kann man die Phasen der Hochkonjunktur, die einem Medien und Politik der BRD gewĂ€hren, langfristig nutzen? Und die wohl entscheidendste Frage: Wie biedert man sich der herrschenden Klasse als seriöse Kraft zur Lösung der Probleme an? Was braucht es, um zur reellen Option fĂŒr die Herrschaft des Kapitals zu werden?

Der Neurechte Stratege Martin Sellner warnt beispielsweise vor zu starker Militanz und Gewalt auf dem Weg zur Macht. Militante Strategien wĂŒrden lediglich fĂŒr Repressionen sorgen und nicht langfristig die Köpfe der Menschen erreichen. Genauso lehnt Sellner das ab, was er als Parlamentspatriotismus beschreibt. Er meint damit eine Integration in das liberale Lager, bei gleichzeitiger Distanzierung vom Faschismus.[244] Was Sellner vorschlĂ€gt und weite Teile der AfD und der Neuen Rechten umsetzen ist eine langfristige RĂŒckeroberung politischer RĂ€ume und Deutungshoheiten, bei gleichzeitiger Anbiederung an das deutsche Kapital.

8         Schlussbemerkungen und Ausblick

Die Refaschisierung Ostdeutschlands beschreibt eine Etappe im Klassenkampf des deutschen Kapitals gegen die Überreste der annektierten DDR. Mit der Zerschlagung des Antifaschismus dieses Staates, einem marxistischen, klassenbewussten und kĂ€mpferischen Antifaschismus, der wissenschaftlich begrĂŒndet war, sollte die Arbeiterklasse weltanschaulich entwaffnet werden. In diesem Feldzug gegen den Antifaschismus war der Antikommunismus das wichtigste Scharnier auf dem Weg zu einem inhaltsleeren, ungefĂ€hrlichen und verbĂŒrgerlichten Antifaschismus, der den Neofaschismus langfristig eher stĂ€rkt als schwĂ€cht. Die Vorhut dieses Feldzuges boten Neofaschisten der Neuen Rechten, die man fleißig in die staatliche Politik, die DDR-Aufarbeitung und in die Erinnerungskultur integrierte. Die Ergebnisse beschĂ€ftigen uns bis heute. Marxistischer Antifaschismus ist zu einem RandphĂ€nomen degradiert worden, wĂ€hrend sich der staatstragende BRD-Antifaschismus und der neoliberale Antifaschismus der meisten Antifa-Gruppen kaum voneinander unterscheiden.

Von den neofaschistischen Gruppen, die man im Zuge der DDR-Annexion aufbaute, gehen bis heute Gewalt und EinschĂŒchterungen aus. Die Osten Deutschlands dient bis heute als RĂŒckzugsort und Freiraum fĂŒr Faschisten. Selbst eine neue rechtsradikale Siedlungsbewegung in den Osten der Republik nahm erst vor wenigen Jahren wieder an Fahrt auf. Mit der „Initiative ZusammenrĂŒcken“ entstand im Jahr 2020 eine Plattform, die UmzĂŒge von West nach Ost koordiniert und bewirbt – ganz im Stile Michael KĂŒhnens in den 1990er Jahren. Die faschistische Bewegung profitiert bis heute von den KontinuitĂ€ten und Netzwerken die man in den 1990ern etablierte und aufbaute. Der Mordterror des NSU, seine Netzwerke und Verstrickungen zum Geheimdienst belegen das eindeutig. Bis heute nutzen sie fortbestehende soziale Probleme im Osten der Republik aus.

Eine Untersuchung des modernen Neofaschismus und der Entstehung der AfD muss an anderer Stelle vorgenommen werden. Bestenfalls bieten diese Untersuchungen einen Beitrag dazu. Die gezielte StĂ€rkung des Neofaschismus im Prozess der Annexion hĂ€ngt unmittelbar mit den heutigen Entwicklungen zusammen. Mit dem ideologischen und organisatorischen Aufbau nach der Annexion wurden KontinuitĂ€ten geschaffen, die bis heute fortbestehen. Sie sind sogar stĂ€rker denn je – sowohl ideologisch als auch organisatorisch. Dass sich in dieser historischen Entwicklung die Neue Rechte als erfolgreichstes Projekt des Neofaschismus durchsetzen konnte, ist kein Zufall. Diese SchlĂ€gertypen und offenen Neonazis braucht man bis heute als MĂ€nner fĂŒrs Grobe. Aber die studierten Faschisten mit Hemd und Krawatte waren interessant genug, um sie im Zuge der Annexion der DDR in den Staat zu integrieren und zu einer relevanten politischen Kraft hochzuzĂŒchten. Weiterhin bedrohen jugendliche, gewaltaffine Nazis Antifaschisten und Migranten in Ostdeutschland. Auch sie erleben gerade einen neuen Hype. Sie arbeiten nicht selten im Vorfeld der AfD, sind von ihr beeinflusst und oft eng mit AfD-Mitgliedern vernetzt.

Eine weitere Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Neofaschismus in der Bundesrepublik muss sich unweigerlich der AfD widmen. Wir mĂŒssen ihre Entstehung aus den Kreisen des Liberalismus und Konservatismus genau verstehen und gut nachvollziehen können welche Rolle die Neue Rechte in ihrem GrĂŒndungsprozess spielte. Es ist davon auszugehen das Sie ihre weitere Entwicklung maßgeblich beeinflusste. Etwas das der Neuen Rechten der 1990er gegenĂŒber der DVU und den Republikanern noch schlecht gelang. Wir mĂŒssen bezĂŒglich dieser Partei verschiedene Fragen klĂ€ren: Wie stark ist sie ideologisch und personell vom Neofaschismus durchsetzt? Welchen Weg geht die Partei? Götz Kubitschek hĂ€lt beispielsweise folgendes fest: „Die AfD musste aus der Mitte kommen und dann von Recht gekapert werden. Sie hat damals nicht begriffen, was sie sein soll und jetzt weiß sie es.“[245]

WĂ€hrend nahezu sĂ€mtliche neofaschistische Parteien Europas ihren nationalneutralistischen und NATO-kritischen Kurs verworfen haben, hielt die Alternative fĂŒr Deutschland lange daran fest – eine Position, die dem fest transatlantisch eingebundenen deutschen Kapital natĂŒrlich nicht passt. Jetzt, wo sich jedoch das US-amerikanische Kapital in den Wahlkampf 2025 einschaltet und die Trump-Administration offen eine AfD-Regierung einfordert, ist die Neue Rechte voll im Amerika-Hype. Nur wenige kritische Stimmen bemerken, dass der neue transatlantische Kurs nicht bedeuten darf, das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren: Remigration, Grundrechtsabbau, AufrĂŒstung. Dem sollte nur wenig im Weg stehen.

Fest steht, dass die ideologischen AnknĂŒpfungspunkte des Faschismus immer vielfĂ€ltiger waren als seine spĂ€tere Funktion. Die ganze russlandfreundliche Show der AfD fĂŒr ihre WĂ€hlerschaft mĂŒssen wir als das benennen, was sie ist: Eine Show.

Die Funktion des Neofaschismus geht schon lange ĂŒber die einer ideologischen Reserve des Kapitals hinaus. Zahlreiche Entwicklungen deuten darauf hin, dass er in den letzten Jahren wieder aktiver und gezielter aufgebaut wird. Der verbĂŒrgerlichte BRD-Antifaschismus bezweckt gleichzeitig das Gegenteil von dem, was er vorgibt – er stĂ€rkt den Neofaschismus und trĂ€gt zur Formierung einer liberalen Volksgemeinschaft bei. In der Frage, wie viel Macht und EinflusssphĂ€ren man dem Neofaschismus gewĂ€hren will, findet derzeit ein großer Aushandlungsprozess statt. Die AfD wird gebraucht um Krieg zu fĂŒhren und die Heimatfront zu mobilisieren.

9         Literaturverzeichnis

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[116] Kinner / Richter (2000), S. 289.

[117] Autorenkollektiv UdL (2024), S.5.

[118] Marulanda (2019), S. 89.

[119] Autorenkollektiv (2019), S.39.

[120] Ahbe (2007), S.44-50.

[121] Kunze (2022), S.297.

[122] Ebd.

[123] Der ehemalige Neofaschist Ingo Hasselbach berichtet in mehreren Artikeln und Dokumentationen darĂŒber, wie er und viele weitere Insassen durch Altnazis wie den Dresdner Gestapo-Chef Schmidt noch weiter radikalisiert wurden.

[124] Reich (2021).

[125] VHS Doku (2020).

[126] Marulanda (2019), S. 90f.

[127] Ebd.

[128] Wrusch (2011).

[129] Förster (2019).

[130] Ebd.

[131] Dokumentation Eskalation der Gewalt 1992.

[132] Marulanda (2019), S. 90f.

[133] Autorenkollektiv UdL (2024), S.5.

[134] Ahbe (2007), S. 43.

[135] Hockenos (2013), S. 86–87.

[136] Vollhardt (2024).

[137] Lewis (1996), S.25ff.

[138] Monroy (2024).

[139] Robert Havemann Gesellschaft (ohne Jahr).

[140] Robert Havemann Gesellschaft (ohne Jahr) 2.

[141] Autorenkollektiv UdL (2024), S.5.

[142] Werner (2022).

[143] Ohne Autor (2022) / Kleffner (2016).

[144] Kleffner (2016).

[145] Ohne Autor (2021).

[146] NDR Doku (2022).

[147] Das Buch 30 Jahre „Antifa in Ostdeutschland – Perspektiven auf eine eigenstĂ€ndige Bewegung“ zeichnet diese Standpunkte gut nach, allerdings ohne sich selbst kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.

[148] Ehlert, Ringo (2010).

[149] Ebd.

[150] Ohne Autor (2022).

[151] Tschernig (2023).

[152] Ehlert (2013).

[153] Autorenkollektiv (2019), S.34.

[154] Ehlert (2010).

[155] Kleffner (2016).

[156] Hethey (2020), S. 44.

[157] Hethey (2020), S. 41.

[158] Kalitz (2009), S. 111.

[159] Hertel (1998), S.26.

[160] Neubacher (1996), S.55.

[161] Geyer (2019).

[162] Rosa-Luxemburg-Stiftung (2019).

[163] Waibel (2016), S.126.

[164] Ebd.

[165] Ebd.

[166] Niemann (2005), S.81.

[167] Richter (2017).

[168] Holtmann (2002).

[169] Grimmer (2019).

[170] Peßmen (2017).

[171] Peßmen (2017).

[172] Peßmen (2017).

[173] Linke (1994), S.178.

[174] Unentdecktes Land (ohne Jahr).

[175] Linke (1994), S.170.

[176] Linke (1994), S.171.

[177] Linke (1994), S.174.

[178] Issig / Itzthum (2016).

[179] Linke, Anette (1994), S.169.

[180] Wiedemann (1988) /sowie Linke (1994), S.175f.

[181] Heitzer (2013), S. 23f.

[182] Heitzer (2023), S. 25f.

[183] Heitzer (2023), S. 26f.

[184] Heitzer (2023), S. 29.

[185] Heitzer (2023), S. 40f.

[186] Heitzer (2023), S. 31.

[187] Ebd.

[188] Heitzer (2023), S. 33f.

[189] Gamma (2011)

[190] Elo (2016) / Scheffler (2012).

[191] Dahn (2021), S. 132.

[192] Dahn (2021), S. 133.

[193] Dahn (2021), S. 134.

[194] Ebd.

[195] Stiftung Brandenburgische GedenkstÀtten (ohne Jahr).

[196] Dahn (2021), S. 101.

[197] Ebd.

[198] Ebd.

[199] Ebd.

[200] Dahn (2021), S. 102.

[201] Wippermann (2009), S. 60.

[202] Wippermann (2009), S. 71.

[203] Wippermann (2009); S. 60f.

[204] Mitzkat (2021).

[205] Wippermann (2009), S. 65.

[206] Wippermann (2009), S. 66.

[207] Wippermann (2009), S. 66f.

[208] Wippermann (2009), S. 65.

[209] Linke (1994), S.170.

[210] Heitzer (2023), S. 38.

[211] Wippermann (2009), S.81.

[212] Ebd.

[213] Wippermann (2009), S. 82.

[214] Ahbe (2007), S. 54f.

[215] Klein (2021), S. 7.

[216] Dahn (2021), S. 78.

[217] Klein (2021), S. 7.

[218] Dahn (2021), S. 78.

[219] Dahn (2021), S. 79.

[220] Ahbe (2007), S. 56.

[221] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1994), S. 1f.

[222] Weitere Infos bei NSU-Watch: https://www.nsu-watch.info/.

[223] Linke (1994), S.148ff.

[224]Linke (1994), S. 171.

[225] Linke (1994), S.59.

[226] Kailitz (2009), S. 111.

[227]Neubacher (1996), S.38.

[228] Kailitz (2009), S. 111.

[229] Kailitz (2009), S. 112.

[230] Ebd.

[231] Neubacher (1996), S. 48f.

[232] Neubacher (1996), S. 48f.

[233] Kailitz (2009), S. 123.

[234] Kailitz (2009) S. 124.

[235] Arbeitsgruppe 2 IfS (2008), S. 16.

[236] Ebd.

[237] Speit (2020), S.13.

[238] Kovahl (2020), S.37.

[239] Speit (2020), S.11.

[240] Tornau (2021).

[241] Ebd.

[242] Joswig (2021).

[243] Joswig (2021) / Bednarz (2019).

[244] Sellner skizziert diese Idee in einer Buchvorstellung im Rahmen des Instituts fĂŒr Staatspolitik. Die Audioaufnahme ist auf dem „Kanal Schnellroda“ erhĂ€ltlich.

[245] Aussage Götz Kubitscheks auf einem PodiumsgesprĂ€ch mit Martin Sellner unter dem Titel „Reisefreiheit und Remigration“.

Deklaration des Interforum – Antifaschistisches Forum Donbass

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In diesem Monat fand in Lugansk das „Antifaschistische Forum Donbass“ statt. An diesem Treffen nahmen Antifaschisten aus ganz Europa teil. Das Forum stellte die Bedeutung faschistischer KrĂ€fte fĂŒr die Fortsetzung der imperialistischen Herrschaft in den Vordergrund. und benennt die Trump-Regierung und die europĂ€ische Rechte als wichtige Akteure der Kriegsvorbereitung gegen Russland, Fortsetzung des Genozids in PalĂ€stina und AusplĂŒnderung der Welt. Wir spiegeln hier die Deklaration des Forums im Wortlaut.

Am 9. Mai jĂ€hrt sich zum 80. Mal der große Sieg der Sowjetunion ĂŒber Hitlerdeutschland. Fast ein ganzes Jahrhundert liegt zwischen uns und den Ereignissen dieser Zeit, und doch sehen wir erst jetzt, welche kolossalen Auswirkungen sie immer noch auf die ganze Welt haben.

Der Zweite Weltkrieg begann nicht „einfach so“. Er kam nicht aus heiterem Himmel. Er wurde durch ein Geflecht von WidersprĂŒchen in der internationalen Politik ausgelöst, die man mit Hilfe eines Krieges zu lösen versuchte. Die GrĂŒnde, die vor mehr als 80 Jahren die Welt in AnhĂ€nger nationalsozialistischer und antifaschistischer Ideen spalteten, bestehen auch heute noch. Westliche Konzerne und das Finanzkapital, die jahrelang Hitler bewaffneten, schufen eine kampffĂ€hige Armee, um sie gegen denjenigen zu richten, von dem sie sich bedroht fĂŒhlten: die Sowjetunion.

Heute sehen wir eine Wiederholung der Welttragödie, die sich in den 1930er und 1940er Jahren abgespielt hat. Der westliche Imperialismus hat bereits mit seiner Aggression gegen diejenigen begonnen, die mit der US-amerikanisch geprĂ€gten Weltordnung nicht einverstanden sind. Er ist dabei, eine schlagkrĂ€ftige Faust gegen jene Völker und LĂ€nder aufzubauen, die versuchen, eine unabhĂ€ngige und souverĂ€ne Politik zu verfolgen. Gegen Russland, China, Nordkorea, Kuba, den Iran, Venezuela, Nicaragua und viele andere. Unter dieser Faust versammeln sich ukrainische Faschisten, israelische Zionisten, afrikanische und nahöstliche Dschihadisten sowie lateinamerikanische „Todesschwadronen“.

Diese vielschichtige „Internationale“ des neuen Faschismus, die ihren „Kreuzzug“ gegen die Völker dieses Planeten bereits begonnen hat, hat das transnationale Finanzkapital als Auftraggeber zum Sponsor. Heute Ă€ndert diese „schwarze Internationale“ ihre FĂŒhrung – anstelle der gescheiterten Liberalen bekommt sie harte, zynische und aggressive FĂŒhrer in Form der neuen rechten US-Regierung unter Donald Trump und dem MultimilliardĂ€r Elon Musk, der die Hand zum Nazigruß hebt.

Die neue FĂŒhrung in Washington hat es bereits geschafft, Anspruch auf den Panamakanal zu erheben, den argentinischen neoliberalen Faschisten Javier Milei und die europĂ€ische extreme Rechte zu unterstĂŒtzen, neue Sanktionen gegen Russland und einen Krieg gegen den Iran anzudrohen und den israelischen Völkermord in Gaza zu bekrĂ€ftigen.

Die Aggression des Westens gegenĂŒber den Völkern der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere gegen Russland, die 2014 durch das faschistische Regime in Kiew eingeleitet worden ist, war der SchlĂŒsselpunkt fĂŒr die Wende der Politik des westlichen Imperialismus in Richtung Militarisierung, Reaktion und Vorbereitung auf einen großen Krieg. Wir sind ĂŒberzeugt, dass hier auch das Feuer des Widerstands gegen den Imperialismus und den neuen Faschismus entfacht werden muss.

Die ersten Funken dieses Widerstands sind der heldenhafte Kampf des Donbass gegen den ukrainischen Nazismus, der durch die MilitĂ€rische Sonderoperation Russlands fortgesetzt wird. Wir betonen, dass dies keine isolierte oder regionale Situation ist – sie ist Teil des weltweiten Kampfes gegen die USA, die NATO, die EuropĂ€ische Union und andere KrĂ€fte und Organisationen der imperialistischen Hegemonie. Das Ziel unserer Feinde ist dasselbe wie vor ĂŒber 80 Jahren – die Inbesitznahme und Unterwerfung der MĂ€rkte, der natĂŒrlichen und menschlichen Ressourcen des Planeten, die Zerstörung einer Alternative zur bestehenden Weltordnung, welche damals die UdSSR war und heute eine Reihe von LĂ€ndern, die sich der unipolaren, US-amerikanisch zentrierten Welt widersetzen.

Nur eine gemeinsame Front der internationalen antifaschistischen und antiimperialistischen SolidaritÀt der Völker kann dem Rechtsruck der Reaktion und dem neuen Faschismus, der sich jetzt im Westen abspielt, widerstehen. Unser Forum ist dazu aufgerufen, einer der Kristallisationspunkte dieses Widerstands zu werden.

Wir rufen alle, die unsere Besorgnis ĂŒber die Zunahme faschistischer Tendenzen in der Gesellschaft teilen, dazu auf, nicht zu schweigen, sondern offen und lautstark ihren Standpunkt zu vertreten!

Wir rufen dazu auf, am achtzigsten Jahrestag des Großen Sieges das Andenken an die antifaschistischen Helden in allen LĂ€ndern zu ehren, in denen die Menschen den Weg des Kampfes gegen die braune Pest gegangen sind: Die Helden der ELAS in Griechenland, die Antifaschisten der Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens, die Teilnehmer am Aufstand im Warschauer Ghetto und die Partisanen der Armia Ludowa in Polen, die Garibaldi-Brigaden und die Matteotti-Brigaden in Italien, die Kameraden von Ernst ThĂ€lmann in Deutschland, die Tausenden von WiderstandskĂ€mpfern im Untergrund in Frankreich, Spanien, Österreich, RumĂ€nien und anderen LĂ€ndern!

Wir rufen dazu auf, schon heute Kontakte zu Gleichgesinnten aufzubauen und zu stĂ€rken, denn morgen steht uns allen ein schwerer Kampf bevor, auf den wir uns jetzt vorbereiten mĂŒssen!

FĂŒr internationale SolidaritĂ€t und gemeinsame Aktionen gegen Faschismus und Imperialismus!

Verbote und der Kampf um Grundrechte

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Seit November 2023 nehmen die Verbote von Vereinen und Vereinigungen zu, insbesondere in der PalĂ€stina-SolidaritĂ€ts-Bewegung. Gleichzeitig steigen die Verfahren wegen „Volksverhetzung“ oder „Billigung von Straftaten“ massiv an – meist im Kontext der PalĂ€stina-SolidaritĂ€t, aber auch wenn andere Positionen zum Ukrainekrieg vertreten werden als die der Bundesregierung. Es ist klar: Mit der Kriegspolitik kommen die Verbote. 

Viele Organisationen, auch wir als KO, sind im Visier des Inlandsgeheimdienstes und des Innenministeriums. Wir werden insbesondere wegen unserer Arbeit in der PalĂ€stina-Soli-Bewegung erwĂ€hnt. Der „Verfassungsschutzbericht“  ist keine neutrale Berichterstattung, sondern eine Markierung der Positionen und Organisationen, die kriminalisiert werden sollen. Sie dienen damit auch immer der Spaltung. Die ins Visier Genommenen sollen isoliert und innerhalb der Bewegung und Gesellschaft ausgeschlossen werden. Dazu dienen bestimmte Unterstellungen und Narrative wie zum Beispiel, dass die Bewegung „unterwandert“ werden wĂŒrde. Vor diesem Hintergrund wollen wir in der Artikelreihe verschiedene Fragen behandeln: Warum ist der Kampf um Grundrechte notwendig? Welche Schlussfolgerungen können wir aus den vergangenen Verbote ziehen? Und wie sollten wir mit potentiellen zukĂŒnftigen Verboten umgehen?  

Der erste Artikel von Klara Bina reflektiert die Bedeutung des Kampfes fĂŒr Grundrechte vor dem Hintergrund romantischer Vorstellungen des Klassenkampfs und im Kontext der WidersprĂŒche der bĂŒrgerlichen Herrschaft. Diese WidersprĂŒche fĂŒhren zu Problemen sowohl fĂŒr die Arbeiterklasse und ihren Kampf, als auch fĂŒr die bĂŒrgerliche Klasse und der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Der Text will eine Lanze fĂŒr die „kleinen“ KĂ€mpfe um Grundrechte brechen und benennt eine LĂŒcke in der Diskussion der KO (und darĂŒber hinaus): Es fehlt ein VerstĂ€ndnis fĂŒr die Entstehung von Klassenbewusstsein im Kontext der historisch konkreten Klassenherrschaft. 

Verbote und der Kampf um Grundrechte – Teil 1

Ein PlĂ€doyer dafĂŒr, den Kampf fĂŒr Grundrechte im Kontext der WidersprĂŒche der Klassenherrschaft zu verstehen 

von Klara Bina  

Internationale UmbrĂŒche sorgen fĂŒr gesellschaftliche Eruptionen, die der Klassenfeind ausnutzt. Dabei werden die Interessen der Arbeiterklasse tiefgreifend angegriffen. Die ökonomischen Existenzbedingungen werden z.B. mit Angriffen auf BĂŒrgergeld und Arbeitsrechte in Deutschland infrage gestellt, es gibt KĂŒrzungen öffentlicher Mittel fĂŒr Bildung und Erziehung. Die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden beschnitten. Daraus ergeben sich fĂŒr die Arbeiter und kommunistische Bewegung ĂŒberall – auch in Deutschland – Fragen nach Bedingungen und Methoden des Klassenkampfes.

Lanze brechen fĂŒr die „kleinen“ KĂ€mpfe

„KĂ€mpfen“ – das geht einigen im innerkommunistischen und innerlinken Diskurs leicht ĂŒber die Lippen. Im Idealfall ist es der Klassenkampf, der gefĂŒhrt, sogar angefĂŒhrt werden soll. Vor lauter großnr Ideen revolutionĂ€r-kĂ€mpferischer KlassenkĂ€mpfe bleiben die wirklichen KĂ€mpfe der Klasse hĂ€ufig auf der Strecke – und damit auch die notwendigen KĂ€mpfe, die gefĂŒhrt werden mĂŒssten zur Steigerung des Klassenbewusstseins und der Organisierung der Massen, die wiederum notwendige Bedingungen des Klassenkampfes sind. FĂŒr diese relevanten ‚kleinen‘ KĂ€mpfe soll hier eine Lanze gebrochen werden. Dabei nehme ich hier zwar die allgemeine Frage des Klassenkampfes als Ausgangspunkt, möchte mich aber dann zĂŒgig auf die Frage des Kampfes um Grundrechte fokussieren, um ihre aktuelle Relevanz in der BRD zu demonstrieren.

Ökonomismus und Romantik

Im Rahmen der Diskussionen um den politischen Beschluss zur Massenarbeit fĂŒhrte die KO im Vorlauf ihrer zweiten Vollversammlung eine Diskussion ĂŒber die Frage, was eigentlich Klassenkampf bedeutet und ob alle KĂ€mpfe der Klasse schon Klassenkampf seien. Insbesondere war die Verengung auf eine ökonomistische Sichtweise Gegenstand der Diskussion (hier ein Beitrag von mir, unter dem Stichwort „Massenarbeit“ sind weitere BeitrĂ€ge zu finden). KĂ€mpfe um Grundrechte fanden damals weniger Beachtung. Bemerkenswert ist eine gegenlĂ€ufige politische Bewertung, wenn es um „kleine“ ökonomische KĂ€mpfe einerseits und gleichermaßen „kleine“ GrundrechtskĂ€mpfe andererseits geht. Bei ökonomischen KĂ€mpfen neigt die Mehrheit in der Bewegung dazu, diese recht schnell zu ĂŒberhöhen, bei GrundrechtskĂ€mpfen, die teilweise sogar grĂ¶ĂŸere gesellschaftliche Relevanz haben, diese herunterzuspielen und als illusionĂ€re KĂ€mpfe zu bezeichnen. Dahinter liegen unterschiedliche unzulĂ€ngliche Betrachtungsweisen, romantische Vorstellungen vom Betriebskampf und auch ein Mangel an Kampferfahrungen, die kollektiv diskutiert und vermittelt sind und sich entsprechend kaum in lebendige Diskurse, inhaltliche Auseinandersetzungen und begrĂŒndeten Überzeugungen ĂŒbersetzen. Inwiefern aber diese Vorstellungen mangelhaft sind, soll hier kurz angedeutet werden, in der Hoffnung, dass sich eine lebendige Diskussion um diese Fragen entspinnen lĂ€sst.

Romantik, Ungeduld und Opportunismus

Die Überhöhung ökonomischer KĂ€mpfe1, vor allem der BetriebskĂ€mpfe, resultiert aus unterschiedlichen Quellen. Die Rolle der Industriearbeiterklasse aufgrund ihrer ökonomischen Macht wird zwar richtig erkannt, aber schablonenhaft angewendet und die konkreten historischen, nationalen und politischen ZusammenhĂ€nge ignoriert. Hinzu kommt als zweite Quelle die Bequemlichkeit in der Anwendung, wie wir sie auch in der Imperialismusfrage sehen. Der Arbeiter im Betrieb als der Prototyp des Klassenkampfes, dessen starker Arm es anders wollen soll als die verweichlichte Mittelklasse es je könnte. Solche Bilder lassen die Herzen der RevolutionĂ€re höherschlagen und schneller als sie denken, tappen sie in die Falle der Sozialdemokratie. Schließlich die dritte Quelle: Die romantische VerklĂ€rung des Arbeiters an der Maschine in einer hochindustriellen, vor ProduktivitĂ€t strotzenden imperialistischen Metropole. Wie schnell hier die revolutionĂ€re Romantik in Ungeduld umschlagen kann, davon ist die Geschichte der BetriebskĂ€mpfe prall gefĂŒllt. Nicht selten schlĂ€gt der Ökonomismus in der Analyse entweder in Rechtsopportunismus oder Linksradikalismus um. Dieser die objektiven Bedingungen ignorierend und auf radikalere KĂ€mpfe orientierend, jener die objektiven Bedingungen verabsolutierend und die kĂ€mpfende Arbeiterschaft beschwichtigend.

Eine LĂŒcke, die wir schließen mĂŒssen

Im Politischen Beschluss zur Massenarbeit spiegelt sich unsere Diskussion ĂŒber den Begriff des Klassenkampfes und der Klasse wider. Ein wichtiger Aspekt, der aber meiner Ansicht nach zu kurz kommt und noch einiges an Arbeit von uns abverlangen wird, ist die Frage danach, unter welchen Bedingungen Klassenbewusstsein entsteht und sich entwickelt im VerhĂ€ltnis zu den gesellschaftlich vermittelten Kampfbedingungen. Diese Schwachstelle des Beschlusses zur Massenarbeit ist eine Leerstelle, die uns auf die FĂŒĂŸe fĂ€llt, wenn es darum geht, KlassenkĂ€mpfe in ihrem jeweils konkreten historisch-gesellschaftlichen Kontext zu begreifen. Was ist damit gemeint?

Die Klassen – tatsĂ€chlich beide, die Arbeiterklasse und die herrschende Kapitalistenklasse – sind in einen ökonomisch, politisch und kulturell spezifischen Kontext eingebettet, der ihr Bewusstsein auf mannigfaltige Weise beeinflusst. Dieser historisch entstandene und gesellschaftlich vermittelte Kontext drĂŒckt sich in unterschiedlichsten Weisen als ErklĂ€rungs- und Legitimationskitt fĂŒr den Ausbeutungsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaft aus und hĂ€lt diese an den jeweiligen VerhĂ€ltnissen gefesselt. Diese (ErklĂ€rungs-)Muster können variieren vom Standortdenken bis zum Rassismus oder religiöse und kulturalistische Muster, um nur ein paar sehr offensichtliche zu nennen. Sie können aber auch Sicherheits- und Angstdiskurse beinhalten, die zum Beispiel den Kampf um höhere Löhne als in diesem Moment unwichtiger erscheinen lĂ€sst als einen Kampf um eine erhöhte „Sicherheitsinfrastruktur“ oder „Migrationsabwehr“. Zusammenfassend: ohne all die wichtigen Punkte bezĂŒglich des Klassenkampfes im Beschluss zu relativieren, sei hiermit gesagt, dass wir diese LĂŒcke schließen mĂŒssten, um genau nicht in die oben beschriebenen Fallen einer Überhöhung des betrieblichen, wie auch UnterschĂ€tzung oder Relativierung anderer KĂ€mpfe zu tappen.

BeschrÀnkung der Arbeiterklasse durch Integration

Ein weiterer Aspekt des Kampfes, dem hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, wird durch die Verfasstheit der gesellschaftlichen Herrschaft bedingt. Das Augenmerk liegt hier auf der Implikation eines bĂŒrgerlich-demokratisch verfassten Rechtsstaates einerseits fĂŒr die Arbeiterklasse, der Rechte zukommen sollen und andererseits fĂŒr die Kapitalistenklasse, deren Interessen realisiert werden sollen. Eine solche bĂŒrgerlich-demokratische Ordnung produziert auf beiden Seiten fĂŒr beide Klassen multiple WidersprĂŒche, die sie – die bĂŒrgerliche Ordnung bzw. der bĂŒrgerliche Staat – in irgendeiner Weise, meist in einer sehr spannungsreichen Weise, unter Kontrolle halten muss.

FĂŒr die Arbeiterklasse besteht der Widerspruch hauptsĂ€chlich darin, dass sie sich mit jedem weiteren zugestandenen Recht in ihrer eigenen Entwicklung, sowohl hinsichtlich ihres Klassenbewusstseins als auch hinsichtlich der Spielregeln des Kampfes in den unterschiedlichsten Arenen, beschrĂ€nken muss. Ein hervorragendes Beispiel aus der BRD fĂŒr diesen Widerspruch bietet das Betriebsverfassungsgesetz. TatsĂ€chlich wirkt sich aber auch in besonderem Maße die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in dieser Weise aus. Ist es erst einmal erlaubt, alles zu sagen, wirkt sich die Normalisierung des radikalen Inhalts, z.B. von radikaler Kapitalismuskritik mehr als Integrationsinstrument auf das Bewusstsein der Massen aus, als dass es den gewĂŒnschten Effekt der Steigerung des Klassenbewusstseins hĂ€tte. Das ist eine Form, wie sich erkĂ€mpfte oder zugestandene Rechte beschrĂ€nkend auf die Arbeiterklasse auswirken, notwendig auswirken können. Ein demokratisches Klima kann zur Vertiefung der Integration der Arbeiterklasse in die bĂŒrgerliche Ordnung fĂŒhren. Diese Integration ist in hohem Maße im Interesse der bĂŒrgerlichen Herrschaft, denn sie dient dazu, WidersprĂŒche zumindest zeitweilig einzuebnen. Das ist die andere Form, in der Rechte als Spielregeln die Denk- und HandlungsfĂ€higkeit der Arbeiterklasse als Klasse beschrĂ€nken können. Eine affirmative Haltung gegenĂŒber dem Kompromiss, der sich als Ergebnis von KĂ€mpfen z.B. um Versammlungsfreiheit ergibt, entwickelt sich schleichend – bis der Kompromisscharakter kaum noch erkennbar ist. Die im Grundgesetz festgeschriebene Versammlungsfreiheit hat schon einen Kompromisscharakter insofern, dass es dem Staat vorbehalten ist, diese durch Gesetze, z.B. durch Anmeldepflicht, einzuschrĂ€nken.

WidersprĂŒche als potenzielle Risse

Andererseits der Staat: je stĂ€rker er sich als demokratischer und freiheitlicher Staat geriert, umso mehr kristallisiert sich im Bewusstsein seiner Glieder und der unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft der wirkliche Glaube an den Inhalt der Demokratie und der Grundrechte. So gerĂ€t der bĂŒrgerliche Staat im Verlauf seiner Gesamtgeschichte stĂ€ndig in Widerspruch zum eigenen Narrativ von Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Je lĂ€nger die Phase einer relativ stabilen bĂŒrgerlichen Demokratie dauert, umso blumiger werden die Illusionen und umso fester der Glaube an diese Versprechen.

Das gilt jedoch nicht nur fĂŒr die Seite der Arbeiterklasse, sondern in hohem Maße fĂŒr die Seite der bĂŒrgerlichen Klasse samt ihrer stets dienlichen Schichten – die zu ihr hinaufschauenden KleinbĂŒrger und die Arbeiteraristokratie. Diese sind die Operatoren der Herrschaftsabsicherung, wenn es um die Realisierung der Interessen der Kapitalistenklasse geht, ob sie nun Ämter bekleiden, wie Richter oder Funktionen ausfĂŒhren in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Institutionen, von Schulen und UniversitĂ€ten bis zu Gewerkschaften. Auf Dauer geht es aber in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht ohne die EinschrĂ€nkung eben dieser Grundrechte (dazu sehr empfehlenswert ist der Artikel von Arnold Schölzel in der jungen Welt vom 29.06.24 „Im ‚Kaltstart‘ zum Notstand“). Sogar die imperialistischen Staaten können trotz der Extraprofite, aus denen sie die eigene Arbeiterklasse bestechen, nicht nachhaltig auf Einebnung der WidersprĂŒche orientieren. Die aus Sicht der herrschenden Klasse eigentlich bessere Herrschaftsform der bĂŒrgerlichen Demokratie, muss aufgrund externer und interner WidersprĂŒche relativiert oder gar unterminiert werden.

Die Feststellung der WidersprĂŒche, die sich mit einer demokratischen Ordnung fĂŒr die Kapitalistenklasse ergeben, sollte aber nicht nur zur Skandalisierung und Entlarvung des eigentlich unterdrĂŒckerischen und repressiven Charakters der bĂŒrgerlichen Herrschaft beitragen. Diese Erkenntnis ist Ă€ußerst hilfreich fĂŒr die verschiedenen KĂ€mpfe der Arbeiterklasse. Sie befĂ€higt uns dazu, die WidersprĂŒche als potentielle Risse in den Reihen der Herrschenden und ihrer FunktionĂ€re zu betrachten und im Sinne der Desintegration der Arbeiterklasse zu nutzen. Um das aber zu tun, mĂŒssen diese WidersprĂŒche zur vollen Entfaltung kommen oder in den KĂ€mpfen dazu gebracht werden.

Entlarvung durch gemeinsames Durchfechten

Wenn wir – in den unterschiedlichsten Bereichen – um unsere Grundrechte kĂ€mpfen, machen wir nichts anderes als die bĂŒrgerliche Klasse entlang ihrer eigenen Versprechen herauszufordern und nutzen dafĂŒr im besten Fall alle uns zur VerfĂŒgung stehenden Mittel, sowohl juristische als auch propagandistische. Die wirkliche Fratze des kapitalistischen Staates lĂ€sst sich nicht einfach durch ErlĂ€uterungen entlarven, sie muss on the ground mit den Betroffenen gemeinsam durchfochten herausgefordert und der daraus resultierende Kampf durchgefochten werden. Dabei ist jeder mögliche Ausgang kurz- oder mittelfristig im Sinne der Arbeiterklasse. Im Falle einer erfolgreichen juristischen Auseinandersetzung werden Grundrechte tatsĂ€chlich erkĂ€mpft, und zwar gegen den Staat bzw. gegen die Exekutive. Im Falle eines negativen Ausgangs wird der repressive Charakter durch Erfahrung bestĂ€tigt und kann somit als bewusste Grundlage fĂŒr die weitere politische Arbeit dienen, sagen wir auf einer höheren Bewusstseinsstufe. Im ersten Fall mĂŒssen wir der potenziellen VerstĂ€rkung von Illusionen entgegenwirken, wenn z.B. höchstrichterliche Urteile in unserem Sinne gefĂ€llt werden sollten. Dann heißt es, nicht dort stehen zu bleiben und die nĂ€chsten Herausforderungen anzugehen. Im zweiten Fall sollten wir entsprechend der Möglichkeiten, die uns repressive Maßnahmen lassen, einen kreativen Umgang mit diesen suchen und das Bewusstsein ĂŒber den Charakter des Staates entlang der gemeinsam gemachten Erfahrung steigern.

Legalismus und Linksradikalismus

Dieser spannungsreiche und widersprĂŒchliche Prozess verlangt von beiden Klassen anstrengende Vermittlungsarbeit ab. Die herrschende Klasse nutzt alle ihr zur VerfĂŒgung stehenden ideologischen und sonstigen Mittel zur Beschwichtigung der Massen und vor allem ihrer eigenen Reihen zwecks Legitimierung von Demokratieabbau und Staatsumbau. Dazu mĂŒssen Diskussionen und Auseinandersetzungen bis zu einem gewissen Grad zugelassen und Positionen, Fragen und Zweifel austariert werden, bis sich die Meinung der Herrschenden als herrschende Meinung durchsetzen kann.

Auf der Seite der Arbeiterklasse aber sind es unzĂ€hlige Fallen, in die hineingetappt werden kann, wenn es um die Frage der Verteidigung der Grundrechte geht. Entlang der ĂŒblichen Grundausrichtungen, die gewöhnlich als Schattierungen von Legalismus einerseits und Linksradikalismus andererseits auftreten, können der tiefe Glaube an die demokratischen Institutionen, wie die Rechtsprechung, sowie eine Totalablehnung des Kampfes um Grundrechte als illusionĂ€r beobachtet werden. Genauso wenig aber wie sich der Klassenfeind aufgrund der Schwierigkeiten der Vermittlungsarbeit davon abhalten lĂ€sst, in seinem Sinne und mit grĂ¶ĂŸten Anstrengungen diese Arbeit zu leisten, sollten wir das auch tun, in vollem Bewusstsein dessen, dass wir uns noch viel mehr anstrengen mĂŒssen.

AbhÀngen der Massen

Linksradikalismus kann auch verstÀrkt werden, indem die jeweilige Phase des Kampfes nicht richtig erkannt wird. Vor allem unter dem Eindruck konkreter KÀmpfe, die zeitweise eine gewisse Dynamik in der Protestbewegung erzeugen und / oder unter dem Eindruck harter Repression kann eine revolutionÀre Situation vermutet werden, obwohl die konkrete Auseinandersetzung noch lange keine gesamtgesellschaftliche Relevanz erlangt hat.

Aus solchen falschen EinschÀtzungen heraus wird hÀufig der Kampf um die Grundrechte relativiert und als illusionÀr und / oder nicht mehr nötig angesehen, da es jetzt nur noch auf die direkte Aktion der Massen ankÀme. Solche FehleinschÀtzungen können einen defÀtistischen Fatalismus erzeugen, weil sie letztlich den Kampf nicht in Bahnen lenken, die entsprechend der Bedingungen realistische Ziele anpeilt, sondern ins Leere laufen und meistens demobilisierend auf die Massen wirken, indem diese abgehÀngt werden.

Anstrengende Vermittlungsarbeit ist angesagt

Soweit sehr allgemein zu den Dynamiken, die die WidersprĂŒche im bĂŒrgerlich-demokratisch verfassten kapitalistischen Rechtsstaat erzeugen, wenn die Versprechen der Grundrechte und Demokratie an ihre realen Grenzen kommen, so wie wir es seit der MilitĂ€roperation Russlands zuerst und in einem viel verstĂ€rkten Maße seit dem 7.Oktober 2023 gegenĂŒber der PalĂ€stina-SolidaritĂ€tsbewegung beobachten können.

Eine kluge Ausnutzung der WidersprĂŒche auf der Seite der herrschenden Klasse unter BerĂŒcksichtigung der Bewusstseinslage der Massen und der objektiven gesellschaftlichen Bedingungen des Kampfes, ist derzeit das meiner Ansicht nach richtige Herangehen im Kampf um unsere Grundrechte.

Wir mĂŒssen auch – in der gesamten Bewegung – realisieren, dass offene Diskussionen und gemeinsame und solidarische Anstrengungen im Kontext der KĂ€mpfe gegen Repressionen, von uns als Akteure in der Bewegung organisiert werden mĂŒssen. Unter anderem ist genau das mit der anstrengenden Vermittlungsarbeit hinsichtlich der hier aufgeworfenen, bestimmt auch kontroversen, Thesen gemeint. Wir selbst mĂŒssen die Orte fĂŒr die Reflexion dieser KĂ€mpfe und die unterschiedlichen Taktiken und Herangehensweisen schaffen. Dabei spielt die Integration oder mindestens Nutzbarmachung von Akteuren außerhalb der Bewegung, wie z.B. Akademiker, praktizierende Juristen etc., eine wichtige Rolle.

Wir mĂŒssen noch etwas realisieren: der Stand des Bewusstseins in der Arbeiterklasse, aber auch in der Bewegung, hinsichtlich des Charakters des imperialistischen Staates und den Erfahrungen im Kampf gegen ihn, sind auf einem sehr niedrigen Niveau und die Auseinandersetzungen um diese Fragen zeichnen sich nicht gerade durch Lebendigkeit aus. Das muss sich Ă€ndern und die KO hat die Verantwortung, ihren Beitrag dazu zu leisten.

1 Siehe hierzu meinen Diskussionsbeitrag: https://kommunistische-organisation.de/artikel/den-klassenkampf-nicht-zerlegen-darum-geht-es/

Podcast #50 – 3 Jahre Zeitenwende: Kriegsvorbereitung gegen Russland

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Morgen, am 18. MĂ€rz, soll im Bundestag der Weg frei gemacht werden fĂŒr unbegrenzte Kriegskredite. Die historische AufrĂŒstung, die wir erleben hat ein konkretes Ziel. Sie richtet sich gegen Russland.

Gemeinsam mit Franzi (KO) und Ralf Hohmann (DKP) sprechen wir ĂŒber die aktuelle Phase der Militarisierung und AufrĂŒstung in Deutschland. Es geht um wesentliche Entwicklungen der letzten drei Jahre „Zeitenwende“, auf militĂ€rischem, politisch-rechtlichem und wirtschaftlichem Gebiet. Wir sprechen ĂŒber das VerhĂ€ltnis zu den USA, der Rolle der NATO und Probleme und WidersprĂŒche der Herrschenden in der Kriegsvorbereitung.

Mehr Infos findet ihr in der kĂŒrzlich erschienenen BroschĂŒre der KO: „Kanonen und Butter – das ist Schlaraffenland!“

Und in den regelmĂ€ĂŸigen Veröffentlichungen von Ralf Hohmann in der Wochenzeitung Unsere Zeit.

Now in English: Booklet on `Zeitenwende`and war preparations in Germany

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Three years ago Olaf Scholz declared a turning point, the Zeitenwende. The plans for this had been in the drawer for some time. The goal is to make Germany capable of waging war on a large scale. This war is a war against Russia. This booklet traces the most important developments of the past three years. In addition to the military, economic, political, and ideological buildup, it ultimately focuses on what is our collective task: stopping the war against Russia.

The contents of the booklet:

  1. A ‘Zeitenwende’ that was long in preparation
    Background: Germany‘s third attempt at war against Russia
  2. From helmets to Taurus to nuclear armament
    War maneuvers: Germany as the European NATO pillar against Russia | The Lithuanian Brigade—“A Lighthouse Project at the Zeitenwende” | “A European presence in the Indo-Pacific” | Operations Plan Germany—a plan for war against Russia | Military service, compulsory military service, home guard regiment | The more the weapons, the longer the war | Europe-made re-armament | Missiles aimed at Moscow: US medium-range weapons in Wiesbaden, Germany | Background: the rearmament of the FRG
  3. War loans, forced labor and armaments magnates
    The war economy is being built | War credits | Economic crisis – for whom actually? | Social cuts, increase in working hours, forced labor
  4. Enforcer of the ‘Zeitenwende’ wanted
    Trump elected and the Ampel coalition is out | German parliamentary election 2025 | Background: The sphere of influence of German imperialism
  5. The home front is being built up
    Opponents of war and genocide on trial | Media as war drummer | Russophobia has a long tradition | The FRG on the racist offensive | The “German responsibility” | Background: The rehabilitation of fascism
  6. Three years of ‘Zeitenwende’– three years of too little resistance
    Opinion polls on the Zeitenwende | German Trade Unions leadership in the service of the Zeitenwende | Protests and Problems | Stopping the ‘Zeitenwende’ means stopping the war against Russia!

Die Gefahr eines „abgekarteten Abkommens“

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Wir spiegeln hier einen Beitrag von Sergej Obuchow (Kommunistische Partei der Russischen Föderation, KPRF) ĂŒber die Verhandlungsmanöver der USA. Er sieht die Gefahr eines „Minsk-3“ oder „Chassawjurt-2“ und geht auf die jĂŒngste Warnung von Sjuganow, dem Vorsitzenden der KPRF, ein (https://kprf.ru/party-live/opinion/232674.html)

Sergej Obuchow ist Doktor der Politikwissenschaften und kommentierte in den sozialen Netzwerken das fĂŒr die russische FĂŒhrung unerwartete Ergebnis der Verhandlungen zwischen den USA und dem Kiewer Regime in Saudi-Arabien, bei denen die Vertreter von Selenskij einem Waffenstillstand an der Kontaktlinie zustimmten. Sergej Obuchow ist Mitglied des PrĂ€sidiums des Zentralkomitees der KPRF und Abgeordneter der Staatsduma.

S.P.Obuchow:

Als die ParteifĂŒhrung der KPRF ihre Verwunderung ĂŒber das fĂŒr den 10. MĂ€rz 2025 dringend anberaumte gesamtrussische Parteitreffen im Videokonferenzformat zum Ausdruck brachte, nahmen viele nur an, dass es notwendig sei, das „Volksreferendum“ voranzubringen.

Doch als die Eröffnungsrede des KPRF-Vorsitzenden mit seinen 12 Thesen zum dritten Jahrestag der militÀrischen Spezialoperation gehalten wurde, wurde klar, dass sich Sjuganow nicht nur an die Partei, sondern auch an die russische Gesellschaft wandte.

Und hier war die Aussage des KPRF-Vorsitzenden ĂŒber die Gefahr von „abgekarteten Spielen“ im vierten Jahr der militĂ€rischen Spezialoperation entscheidend:

– Jetzt bricht der entscheidende Moment in der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen an. Jeder Fehler oder jedes „abgekartete Abkommen“, das von der Oligarchie und der fĂŒnften Kolonne aufgezwungen wird, ist fĂŒr das Land katastrophal. Die westlichen Partner, darunter Deutschland und Frankreich, haben Russland getĂ€uscht und die Minsker Vereinbarungen nur dazu benutzt, eine neue Aggression vorzubereiten. Die Verlogenheit und der Zynismus der so genannten Partner sind offensichtlich geworden.

Erstaunlicherweise taten alle möglichen Experten, die sich aktiv mit der parteiinternen Situation in der KPRF befassten, so, als ob diese ernste Warnung von Sjuganow nicht ausgesprochen worden wÀre. Vergeblich.

WĂ€re die Warnung von Sjuganow an die Öffentlichkeit gelangt, wĂ€re die öffentliche Meinung mobilisiert worden. Und so verbreitete die Expertokratie nach den unerwarteten Nachrichten ĂŒber die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Kiewer Regime in Saudi-Arabien folgende deprimierende EinschĂ€tzungen: „Der Kreml war wahrscheinlich wieder einmal nicht auf die Situation und die Kehrtwende von Selenskij vorbereitet. Deshalb gab es eine Diskrepanz in den Aussagen der Sprecher.   Putin wird bis Witkoffs Besuch in Moskau am Donnerstag „untertauchen“. Vielmehr werden sie einen Austausch von Kursk gegen einen Waffenstillstand vorschlagen. Andernfalls wird es zu einer Eskalation kommen „*.

Der Westen triumphiert also und glaubt, Russland mit dem Waffenstillstandsvorschlag, dem Selenskij zugestimmt hat, besiegt zu haben.

US-Außenminister Rubio:

„In der Frage des Friedens in der Ukraine liegt der Ball jetzt auf der Seite Russlands. Die Ukraine hat einen positiven Schritt getan (sie hat einer vollstĂ€ndigen Waffenruhe zugestimmt, nicht nur einer Waffenruhe zur See und in der Luft, wie Kiew vorgeschlagen hatte), und wir hoffen, dass die Russen dies erwidern werden.“

Der nĂ€chste Zug in diesem Schachspiel ist klar. Wenn Russland den Waffenstillstand ablehnt, wird die ganze Schuld fĂŒr das Scheitern des Waffenstillstands auf Russland abgewĂ€lzt, und die USA werden nicht die Ukraine, sondern Russland unter Druck setzen. Erst recht, da bereits neue drakonische Sanktionen gegen den russischen Öl- und Gassektor angekĂŒndigt wurden (der RĂŒckgang der Öleinnahmen im Haushalt 2024 ist ĂŒbrigens ziemlich schmerzhaft).

Ich stimme Oleg Zarew, dem ehemaligen Sprecher des Parlaments von Noworossija, zu: „In dieser Situation ist es fĂŒr Russland unmöglich, Trump frontal abzulehnen. Wir sollten sagen, dass wir einverstanden sind, aber hebt die Sanktionen auf, gebt die Gold- und Devisenreserven zurĂŒck, zieht die Verbrecher in der Ukraine zur Verantwortung…“.

Generell stellen MilitĂ€rblogger und patriotische Publizisten jetzt die SchlĂŒsselfrage: „Wird Russland einem neuen Chassawjurt zustimmen oder wird es seine Offensive fortsetzen?“

Oder erklĂ€ren entmutigt wie der MilitĂ€rblogger Sladkow: „Ich wĂ€re sehr, sehr unangenehm ĂŒberrascht, wenn ein Waffenstillstand ohne unseren Sieg zustande kĂ€me.“

Die grĂ¶ĂŸten Optimisten versuchen sich aufzumuntern, indem sie an die von Putin kĂŒrzlich aufgestellten Bedingungen fĂŒr einen Waffenstillstand erinnern:

„Diese Bedingungen sind ganz einfach: Die ukrainischen Truppen mĂŒssen vollstĂ€ndig aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie aus den Regionen Cherson und Saporoschje abgezogen werden. Und ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es sich um das gesamte Gebiet dieser Regionen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen handelt, die zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Ukraine bestanden. Sobald Kiew erklĂ€rt, dass es zu einer solchen Entscheidung bereit ist, und mit dem tatsĂ€chlichen Abzug der Truppen aus diesen Regionen beginnt sowie offiziell mitteilt, dass es seine PlĂ€ne, der NATO beizutreten, aufgegeben hat, wird von unserer Seite aus sofort, buchstĂ€blich in derselben Minute, der Befehl zur Feuereinstellung und zur Aufnahme von Verhandlungen folgen. Ich wiederhole: Wir werden dies sofort tun. NatĂŒrlich werden wir gleichzeitig den ungehinderten und sicheren RĂŒckzug der ukrainischen Einheiten und VerbĂ€nde garantieren.“

Nun, solange in der offiziellen Reaktion der Exekutive eine Pause herrscht, wird sie durch Überlegungen von Abgeordneten gefĂŒllt.

„Russland wird sich nicht auf einen 30-tĂ€gigen Waffenstillstand einlassen, da dies der Ukraine nur die Möglichkeit gibt, sich neu zu formieren und aufzurĂŒsten“, so der Duma-Abgeordnete der KPRF, General Viktor Sobolojew.

„Alle Vereinbarungen ĂŒber die Ukraine werden zu Moskaus Bedingungen getroffen, nicht zu denen Washingtons, echte Vereinbarungen werden an der Front getroffen“, so der stellvertretende Sprecher des Rates der Russischen Föderation Konstantin Kossatschow.

Es scheint jedem klar zu sein, dass die Weigerung Russlands, einen Waffenstillstand zu schließen, ein ideales Szenario fĂŒr Selenskij und seine westlichen Gönner ist. Im Allgemeinen setzt die globalistische Kriegspartei im Westen große Hoffnungen in dieses Szenario.

Und wenn Russland sich auf „Minsk-3“ oder „Chassawjurt-2“ einlĂ€sst, dann wird die Ukraine mit Waffen vollgepumpt, und die Ukraine stellt die Geduld Russlands mit stĂ€ndigen Provokationen an der Grenze auf die Probe unter dem Vorwand, die Ukraine wolle Frieden und Russland breche den Waffenstillstand.

NatĂŒrlich können wir nur erahnen, was die militĂ€risch-politische FĂŒhrung Russlands tun wird. Und nur, um RatschlĂ€ge zu erteilen wie – Waffenstillstand nur auf dem Territorium der Ukraine – in den KĂ€mpfen in den Regionen Sumy und Charkow, und auf dem Territorium Russlands – in den Regionen Kursk, Saporoschje, Cherson und DVR sowie LVR wird die Offensive und VerdrĂ€ngung des Feindes fortgesetzt.

Aber Sie wissen, auf wem die ganze Schwere und die strategischen Folgen der Entscheidung und mögliche Fehler sind jetzt lasten.

Am 10. MĂ€rz 2025 warnten die KPRF und ihr AnfĂŒhrer sowohl Putin als auch die russische Elite öffentlich vor dem aktuellen Moment der Wahrheit.

*Zit. nach: https://t.me/canal2018/14952 und https://t.me/russicaRU/61848 (der Sender ist als auslÀndischer Agent anerkannt)

Frantz Fanon ĂŒber die europĂ€ische Linke und ihr VerhĂ€ltnis zur antikolonialen Revolution

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Der folgende Text des aus Martinique stammenden und spÀter am algerischen Befreiungskrieg teilnehmenden Marxisten und antikolonialen Theoretikers Frantz Fanon stammt aus dem Jahr 1957. Er erschien als dreiteilige Artikelreihe inmitten der Hochphase des Befreiungskriegs in der Zeitung El Moudjahid, dem Organ der Nationalen Befreiungsfront (FLN) Algeriens.

Der Text ist nicht nur ein spannendes historisches Dokument und ein wichtiger theoretischer Beitrag in der weltweiten kommunistischen und antiimperialistischen Debatte um Kolonialismus, nationale Befreiung und internationale SolidaritĂ€t. Er ist auch deshalb hochaktuell, weil er sehr spannende Parallelelen zur heutigen Auseinandersetzung um PalĂ€stina aufweist: Wir empfehlen allen Lesern, in diesem Text einmal das Wort „Algerien“ durch „PalĂ€stina“ und das Wort „französisch“ in Bezug auf die Siedler durch „europĂ€isch“ oder „zionistisch“ und in Bezug auf die politische Linke durch „deutsch“ zu ersetzen.

Algerien war seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1964 eine Siedlerkolonie, Ă€hnlich dem zionistisch besetzten PalĂ€stina heute. Die Algerier leisteten dem französischen Kolonialismus erbittert Widerstand, genau wie die PalĂ€stinenser es gegen die Briten und die Zionisten spĂ€testens ab 1920 taten. 1954 erhob sich das algerische Volk zu einem Befreiungskrieg, den es nach acht Jahren erbitterten Kampfes und großer Opfer schließlich gewann. Wie Israel heute griff das französische Siedler- und Kolonialregime damals zu Ă€ußerster Gewalt, zu flĂ€chendeckendem Terror und letztlich zu genozidaler KriegsfĂŒhrung: Unter Einsatz der Luftwaffe, durch Aushungern und Masseninternierungen der algerischen Bevölkerung in Lager, mit Folter und Mord, unter Verletzung internationalen Rechts inklusive militĂ€rischer Angriffe auf Algeriens NachbarlĂ€nder sowie mittels faschistischer Terrororganisationen versuchten sie, den heldenhaften Freiheitskampf der Algerier in Blut zu ertrĂ€nken. Letztlich erfolglos.

Im Fokus dieses Textes steht zwar nicht die Kolonialherrschaft ĂŒber Algerien. Doch spricht Fanon hier einige elementare Wahrheiten ĂŒber den Charakter des Siedlerkolonialismus und ĂŒber die objektive Rolle der europĂ€ischen Siedler in den Kolonien aus, die so klar nur selten formuliert werden.

Auch seine damalige Kritik an der (nicht-kommunistischen) Linken in Frankreich passt sehr gut in die heutige Zeit, denn sie trifft in weiten Teilen auch auf die politische Linke in Deutschland heute zu: Fanon wirft den sich als progressiv verstehenden KrĂ€ften in der imperialistischen Metropole vor, ihre – in der Praxis extrem schwache und in ihren Auswirkungen kaum zu spĂŒrende – SolidaritĂ€t auch noch an Bedingungen zu knĂŒpfen, die fĂŒr das algerische Volk nicht annehmbar sind: nĂ€mlich in diesem verzweifelten Kampf unter allen UmstĂ€nden eine „weiße Weste“ zu waren.

Fanons Kritik am liberalen Antirassismus, der den Rassismus wie auch den (vermeintlichen) Kampf gegen ihn auf eine individuelle Ebene verschiebt, passt sehr gut in die heutige Zeit, in der es mehr um Befindlichkeiten, IdentitĂ€t, Privilegien und Selbstreflexion zu gehen scheint, als um UnterdrĂŒckung, Ausbeutung und Widerstand geht. Auch seine Definition von Kolonialismus ist – gerade angesichts seines beruflichen Hintergrunds und seiner Rezeption als Theoretiker der „Psychologie des Rassismus“ – erstaunlich simpel und sehr klar auf die Machtfrage ausgerichtet: Kolonialismus ist im Kern militĂ€rische Besatzung.

Fanons Kritik an der kommunistischen Bewegung wiederum, die von den Algeriern quasi ein Versprechen einforderte, dass ihr Land sich nach der nationalen Befreiung am sozialistischen Lager zu orientieren habe, erinnert – trotz der unterschiedlichen weltpolitischen UmstĂ€nde – an die Vorbehalte von noch immer großen Teilen der sich als kommunistisch verstehenden Akteure in Deutschland, die dem palĂ€stinensischen Widerstand bzw. seinen stĂ€rksten KrĂ€ften „Islamismus“, „Nationalismus“ oder gar „Faschismus“ sowie seine Verbindungen zu (vermeintlich oder tatsĂ€chlich) reaktionĂ€ren und pro-imperialistischen Regierungen in der Region vorwerfen.

Wir haben den Text unter BerĂŒcksichtigung des französischen Originals aus dem Englischen ĂŒbersetzt.[1] Alle Fußnoten enthalten ErlĂ€uterungen der KO und gehören nicht zum Originaltext.

Die französischen Intellektuellen und Demokraten und die algerische Revolution

Eine der ersten Pflichten von Intellektuellen und demokratischen Elementen in kolonialistischen LĂ€ndern besteht darin, die nationalen Bestrebungen der kolonisierten Völker vorbehaltlos zu unterstĂŒtzen. Diese Haltung beruht auf sehr wichtigen theoretischen Überlegungen: der Verteidigung eines Menschenbildes, das in den westlichen LĂ€ndern in Frage gestellt wird, der Weigerung, sich institutionell an der Erniedrigung und Negierung bestimmter Werte zu beteiligen, der gemeinsamen Interessen zwischen der Arbeiterklasse des Eroberungslandes und der Gesamtbevölkerung des eroberten und beherrschten Landes und schließlich dem GefĂŒhl, dass die Regierung dazu gebracht werden muss, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu respektieren.

Diese UnterstĂŒtzung und SolidaritĂ€t finden ihren Ausdruck vor der Zeit des bewaffneten Kampfes in der Abhaltung einiger Versammlungen und der Annahme von AntrĂ€gen. Manchmal, wenn es plötzlich zu einer sehr heftigen Repression kommt, die offensichtlich ein Vorbote einer grĂŒndlicheren, umfassenderen Repression ist (im Fall von Algerien die Wahl von M. Naegelen und die Verschwörung von 1950-1951),[2] werden eine Pressekampagne, ErklĂ€rungen, Warnungen und Appelle vorbereitet.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass kein einziger AufklĂ€rungsversuch auf der Ebene der Bevölkerung des kolonialisierten Landes unternommen wird. Da sie keinen Einfluss auf das Volk hat, ĂŒberzeugt sich die demokratische Linke, selbstreferentiell, in endlosen Artikeln und Studien davon, dass Bandung[3] die Totenglocke des Kolonialismus gelĂ€utet hat.

Aber es sind die wirklichen Menschen, die Bauern und Arbeiter, die informiert werden mĂŒssen. UnfĂ€hig, die Millionen Arbeiter und Bauern des kolonialistischen Volkes zu erreichen und die RealitĂ€ten des beginnenden Dramas zu erklĂ€ren und zu kommentieren, sieht sich die Linke auf die Rolle einer Kassandra[4] reduziert. Sie kĂŒndigt Katastrophen an, aber da die öffentliche Meinung nicht ausreichend vorbereitet ist, werden diese Prophezeiungen, die in der Zeit vor dem Aufstand unerklĂ€rlich waren, zum Zeitpunkt der Explosion als Beweis der MittĂ€terschaft angesehen.

Eine schmerzhafte IneffektivitÀt

So wurde im besonderen Fall Algeriens die Linke paradoxerweise ĂŒberrumpelt und erwies sich als hilflos, als nach der akuten voraufstĂ€ndischen Phase (1952–1953) die bewaffnete Phase (Sabotageakte, Razzien) begann.

Die französischen demokratischen Elemente und Intellektuellen sind mit dem Problem vertraut. Sie haben es aus nÀchster NÀhe gesehen und lange studiert und kennen daher seine KomplexitÀt, seine Tiefe und seine Spannung. Aber all dieses Wissen erweist sich als nutzlos, weil es in keinem VerhÀltnis zu den einfachen Ideen steht, die im Volk vorherrschen.

Mit diesem unbrauchbaren Wissen im GepĂ€ck genießt die Linke den Status eines Propheten. Seit langem wiederholt sie an die Regierenden gerichtet immer wieder: „Ihr wart vorgewarnt. All das geschieht nur durch eure Schuld.“

In dieser sprudelnden Phase der Ausrichtung der KrĂ€fte und Organisation des bewaffneten Kampfes des kolonisierten Volkes erleben wir teilweise eine Kommunikation zwischen dem aufstĂ€ndischen Volk und den demokratischen Elementen. Dies liegt daran, dass die Intellektuellen und die Demokraten die gegenwĂ€rtigen FĂŒhrer des bewaffneten Kampfes sehr oft persönlich kennen. So entwickelt sich zwischen ihnen eine Art scheinbarer Komplizenschaft. Aber diese aktive PseudosolidaritĂ€t wird sehr schnell von den Ereignissen hinweggefegt. Im Laufe der zweiten Periode, die von Gefechten, Hinterhalten und Angriffen geprĂ€gt ist, neigt die Schuld, die man so großzĂŒgig auf die offiziellen Verantwortlichen geschoben hat, tatsĂ€chlich dazu, verlagert zu werden. Die UnterdrĂŒckung wird tiefer, organisierter, vielfĂ€ltiger. Folterkammern entstehen. Über das gesamte algerische Staatsgebiet werden Dutzende und Hunderte Patrioten ermordet.

Das echte Volk, die MĂ€nner und Frauen, die Kinder und die Alten des kolonisierten Landes, halten es fĂŒr selbstverstĂ€ndlich, dass Existenz im biologischen Sinne des Wortes und Existenz als souverĂ€nes Volk gleichbedeutend sind. Die einzige Möglichkeit, die einzige Rettung fĂŒr dieses Volk besteht darin, so energisch wie möglich auf die genozidale Kampagne zu reagieren, die gegen es gefĂŒhrt wird.

Die Reaktion wird zunehmend absoluter.

Nationalismus und „Barbarei“

Hier stoßen wir auf ein doppeltes PhĂ€nomen. ZunĂ€chst fĂŒhrt eine ultrachauvinistische, nationalistische, patriotische Propaganda, die die impliziten rassistischen Elemente des kollektiven Bewusstseins der kolonialistischen Bevölkerung mobilisiert, ein neues Element ein. Es wird sofort klar, dass es nicht mehr möglich ist, die Kolonisierten zu unterstĂŒtzen, ohne sich gleichzeitig der nationalen Linie zu widersetzen. Der Kampf gegen den Kolonialismus wird zu einem Kampf gegen die Nation. Der RĂŒckeroberungskrieg wird vom kolonialistischen Land als Ganzem ĂŒbernommen, und antikolonialistische Argumente verlieren ihre Wirksamkeit, werden zu abstrakten Theorien und verschwinden schließlich aus der demokratischen Literatur.

Im Falle Algeriens ĂŒbernahm die französische Nation nach der Einberufung der Truppen im MĂ€rz 1955 den kolonialen RĂŒckeroberungskrieg. Die Demonstrationen der Wehrpflichtigen waren zu diesem Zeitpunkt die letzten Symptome eines Krieges, dessen doktrinĂ€re Motive keine UnterstĂŒtzung in der Bevölkerung fanden.

Ab 1956 wurde der Algerienkrieg von der Nation akzeptiert. Frankreich will den Krieg, wie Guy Mollet[5] und BourgĂšs-Maunoury[6] ausdrĂŒcklich erklĂ€rt haben; und die Bevölkerung von Paris ĂŒbermittelte Massus[7] Fallschirmspringern am 14. Juli 1957 die tiefe Dankbarkeit des Landes. Die Liberalen gaben den Kampf in diesem Stadium auf. Der Vorwurf des Verrats, dem sich die Gegner des Algerienkriegs aussetzten, wurde zu einer gewaltigen Waffe in den HĂ€nden der französischen Regierung. So stellten viele Demokraten Anfang 1957 ihre Proteste ein oder wurden von dem Geschrei nach Rache ĂŒberwĂ€ltigt, und ein schwerfĂ€llig strukturierter elementarer Patriotismus manifestierte sich, durchdrungen von gewalttĂ€tigem, totalitĂ€rem, kurz gesagt faschistischem Rassismus.

Die französische Regierung fand ihr zweites Argument im sogenannten Terrorismus. Die Bomben in Algier wurden vom Propagandadienst ausgenutzt. Unschuldige, verletzte Kinder, die nicht den Namen Borgeaud[8] trugen oder der klassischen Definition des „grausamen Kolonialisten“ entsprachen, bereiteten den französischen Demokraten unerwartete Probleme. Die Linke war schockiert; Sakamody[9] verstĂ€rkte diese Reaktion noch. In diesem Fall wurden zehn französische Zivilisten bei einem Hinterhalt getötet, und die gesamte französische Linke schrie einstimmig: Wir können euch nicht lĂ€nger folgen! Die Propaganda wurde orchestriert, bohrte sich in die Köpfe der Menschen und zerstörte Überzeugungen, die bereits im Zerfall begriffen waren. Der Begriff der Barbarei tauchte auf, und man beschloss, dass Frankreich in Algerien die Barbarei bekĂ€mpfte.

Ein großer Teil der Intellektuellen, fast die gesamte demokratische Linke, brach zusammen und legte dem algerischen Volk seine Bedingungen vor: Verurteilen Sie Sakamody und die Bomben, und wir werden Ihnen weiterhin unsere freundliche UnterstĂŒtzung gewĂ€hren.

Zu Beginn des vierten Jahres des nationalen Befreiungskrieges fiel die französische Linke angesichts der französischen Nation und der in der Rue Michelet[10] explodierten Bomben immer deutlicher durch ihre Abwesenheit auf.

Einige flĂŒchteten sich ins Schweigen, andere wĂ€hlten bestimmte Themen, die in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden wieder auftauchen. Der Algerienkrieg muss beendet werden, denn er ist zu kostspielig (der Algerienkrieg wird wieder unpopulĂ€r, einfach weil er 1.200 Milliarden Francs kostet), er isoliert Frankreich oder ermöglicht dessen Ersetzung durch die Angelsachsen oder die Russen oder durch Nasser usw.

In Frankreich wird immer unklarer, warum der Algerienkrieg beendet werden muss. Man vergisst immer mehr, dass Frankreich in Algerien die VolkssouverĂ€nitĂ€t mit FĂŒĂŸen tritt, das Selbstbestimmungsrecht der Völker missachtet und Tausende von MĂ€nnern und Frauen ermordet.

In Frankreich tendiert der Algerienkrieg bei den Linken dazu, zu einer Krankheit des französischen Systems zu werden, so wie die InstabilitÀt der Ministerien. Die Kolonialkriege erscheinen als ein Nervenzucken, von dem Frankreich heimgesucht wird, ein Teil des nationalen Panoramas, ein vertrautes Detail.

Teil II

Seit 1956 haben sich französische Intellektuelle und Demokraten regelmĂ€ĂŸig an die FLN[11] gewandt. Meistens haben sie entweder politische RatschlĂ€ge oder Kritik zu diesem oder jenem Aspekt des Befreiungskrieges gegeben. Diese Haltung der französischen Intelligenz darf nicht als Folge einer inneren SolidaritĂ€t mit dem algerischen Volk interpretiert werden. Diese RatschlĂ€ge und diese Kritik sind mit dem schlecht unterdrĂŒckten Wunsch zu erklĂ€ren, die Befreiungsbewegung der UnterdrĂŒckten selbst zu lenken.

So erklĂ€rt sich das stĂ€ndige Schwanken der französischen Demokraten zwischen offenkundiger oder latenter Feindseligkeit und dem völlig unrealistischen Anspruch, „aktiv bis zum Ende“ zu kĂ€mpfen. Eine solche Verwirrung deutet auf einen Mangel an Vorbereitung auf konkrete Probleme und auf ein Versagen der französischen Demokraten hin, sich in das politische Leben ihres eigenen Landes einzuarbeiten.

Entlang dieser schwankenden Linie Ă€ußern die französischen Demokraten – die außerhalb des Kampfes stehen oder aber ihn von innen beobachten wollen, ja sogar in der Funktion von Zensoren und Beratern daran teilnehmen, da sie nicht in der Lage sind oder sich weigern, innerhalb des französischen Systems konkrete Grundlagen fĂŒr ihren Kampf auszuwĂ€hlen – Drohungen und praktizieren Erpressungen.

Die Pseudorechtfertigung fĂŒr diese Haltung ist, dass man, um Einfluss auf die französische öffentliche Meinung zu nehmen, bestimmte Tatsachen verurteilen, unerwartete AuswĂŒchse zurĂŒckweisen und sich von „Exzessen“ distanzieren mĂŒsse. In diesen Momenten der Krise, der direkten Opposition, wird von der FLN verlangt, ihre Gewalt gezielt einzusetzen und selektiv zu gestalten.

Der Mythos des französischen Algerien

Auf dieser Ebene können wir durch Reflexion eine wichtige Besonderheit der kolonialen RealitĂ€t in Algerien entdecken. Innerhalb einer Nation ist es ĂŒblich und alltĂ€glich, zwei antagonistische KrĂ€fte zu identifizieren: die Arbeiterklasse und den bĂŒrgerlichen Kapitalismus. In einem Kolonialland erweist sich diese Unterscheidung als völlig unzureichend. Was die koloniale Situation definiert, ist vielmehr der undifferenzierte Charakter der Fremdherrschaft. Die koloniale Situation ist in erster Linie eine militĂ€rische Eroberung, die von einer Zivil- und Polizeiverwaltung fortgesetzt und verstĂ€rkt wird. In Algerien, wie in jeder Kolonie, betrachtet der auslĂ€ndische UnterdrĂŒcker den Einheimischen als Markierung der Grenze seiner WĂŒrde und definiert sich selbst als eine unumstĂ¶ĂŸliche Negierung der nationalen Existenz des kolonisierten Landes.

Der Status des AuslĂ€nders, des Eroberers, des Franzosen in Algerien ist der Status eines UnterdrĂŒckers. Der Franzose in Algerien kann nicht neutral oder unschuldig sein. Jeder Franzose in Algerien unterdrĂŒckt, verachtet, dominiert. Die französische Linke, die ihren eigenen Fantasievorstellungen gegenĂŒber nicht gleichgĂŒltig und unempfindlich bleiben kann, nahm in der Zeit vor dem Befreiungskrieg in Algerien widersprĂŒchliche Positionen ein.

Was ist Kolonialismus?

Die französischen Demokraten haben die Tatsachen bewusst vereinfacht, indem sie beschlossen, dem, was nie aufgehört hat, militĂ€rische Eroberung und Besatzung zu sein, den Namen „Kolonialismus“ zu geben. Der vom UnterdrĂŒcker geschaffene Begriff des Kolonialismus ist zu affektiv, zu emotional. Er verlagert ein nationales Problem auf eine psychologische Ebene. Aus diesem Grund ist das Gegenteil des Kolonialismus nach Auffassung dieser Demokraten nicht die Anerkennung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung, sondern die Notwendigkeit eines weniger rassistischen, offeneren und liberaleren Verhaltens auf individueller Ebene.

Kolonialismus ist keine Form individueller Beziehungen, sondern die Eroberung eines nationalen Territoriums und die UnterdrĂŒckung eines Volkes: das ist alles. Es ist keine bestimmte Art menschlichen Verhaltens oder ein Muster von Beziehungen zwischen Individuen. Jeder Franzose in Algerien ist gegenwĂ€rtig ein feindlicher Soldat. Solange Algerien nicht unabhĂ€ngig ist, muss diese logische Konsequenz akzeptiert werden. Herr Lacoste[12] zeigt, dass er dies verstanden hat, durch seine „OberflĂ€chenmobilisierung“ der in Algerien lebenden Franzosen und Französinnen.

Am Ende dieser Analyse stellen wir fest, dass wir der Nationalen Befreiungsfront keineswegs einige ihrer Aktionen in den StĂ€dten[13] vorwerfen sollten. Vielmehr sollten wir die Anstrengungen wĂŒrdigen, die sie dem Volk auferlegt.

Gerade weil die französischen Demokraten nicht begriffen haben, dass Kolonialismus nichts weiter als militĂ€rische Beherrschung ist, haben sie ein widersprĂŒchliches Extrem erreicht.

Als Opfer des Mythos des französischen Algeriens[14] grĂŒnden die Parteien der Linken auf algerischem Territorium algerische Sektionen der französischen politischen Parteien. Die Slogans, die Programme, die Kampfmethoden sind identisch mit denen der „Metropole“. Eine bis vor kurzem unangefochtene doktrinĂ€re Position rechtfertigt diese Haltung. In einem Kolonialland, so hieß es frĂŒher, gibt es gemeinsame Interessen zwischen dem kolonisierten Volk und der Arbeiterklasse des kolonialisierten Landes. Die Geschichte der Befreiungskriege der kolonisierten Völker ist die Geschichte der NichtbestĂ€tigung dieser These.

Kolonialismus ist nicht Herr Borgeaud

Das algerische Volk hat sich als widerstandsfĂ€hig gegenĂŒber der vereinfachten Bildsprache erwiesen, wonach der Kolonialist ein besonderer Menschentyp ist, den man leicht erkennen kann. So wurde behauptet, dass nicht alle Franzosen in Algerien Kolonialisten sind und dass es unterschiedliche Grade des Kolonialismus gibt. Nun charakterisieren weder Herr Borgeaud noch Herr de SĂ©rigny[15] den französischen Kolonialismus in Algerien in seiner Gesamtheit. Der französische Kolonialismus und die französische UnterdrĂŒckung in Algerien bilden ein zusammenhĂ€ngendes Ganzes, das nicht unbedingt die Existenz von Herrn Borgeaud erfordert. Die französische Herrschaft ist die Gesamtheit der KrĂ€fte, die sich der Existenz der algerischen Nation entgegenstellen, und fĂŒr die Algerier ist Herr Blachette[16] konkret nicht „kolonialistischer“ als ein Polizist, ein Dorfpolizist oder ein Schullehrer.

Der Algerier erlebt den französischen Kolonialismus als ein undifferenziertes Ganzes, nicht aus EinfĂ€ltigkeit oder Fremdenfeindlichkeit, sondern weil in Wirklichkeit jeder Franzose in Algerien Beziehungen zu den Algeriern unterhĂ€lt, die auf Gewalt basieren. Die ErwĂ€hnung von SonderfĂ€llen, in denen Franzosen ungewöhnlich nett zu Algeriern sind, Ă€ndert nichts an der Art der Beziehungen zwischen einer auslĂ€ndischen Gruppe, die die Attribute der nationalen SouverĂ€nitĂ€t an sich gerissen hat, und dem Volk, das sich der AusĂŒbung der Macht beraubt sieht. Keine persönliche Beziehung kann diesem grundlegenden Fakt widersprechen: dass die französische Nation durch ihre BĂŒrger die Existenz der algerischen Nation bekĂ€mpft.

In Kolonien, die ausschließlich von Besatzungstruppen gehalten werden, wird das Kolonialvolk nur durch Soldaten, Polizisten und Techniker vertreten. Unter diesen Bedingungen kann sich das Kolonialvolk in Unkenntnis der Tatsachen flĂŒchten und behaupten, unschuldig an der Kolonisierung zu sein. In Siedlungskolonien hingegen wird diese Flucht vor sich selbst unmöglich.

Denn gemĂ€ĂŸ der berĂŒhmten Formel eines französischen Staatschefs, dass „es keinen einzigen Franzosen gibt, der nicht einen Cousin in Algerien hat“, sieht sich die gesamte französische Nation in das Verbrechen gegen ein Volk verwickelt und ist heute Komplize der Morde und Folterungen, die den Algerienkrieg kennzeichnen.

Der authentische französische Demokrat kann nicht einfach gegen Herrn Borgeaud oder Herrn Blachette sein; er muss es vermeiden, willkĂŒrlich ein paar SĂŒndenböcke zu wĂ€hlen, die nicht in der Lage sind, die 130 Jahre kolonialer UnterdrĂŒckung auszudrĂŒcken. Der französische Demokrat muss die Kolonisierung als Ganzes in ihrer Kategorie der militĂ€rischen und polizeilichen UnterdrĂŒckung beurteilen und verurteilen. Er muss sich davon ĂŒberzeugen, dass jeder Franzose in Algerien so reagiert, wie Herr Borgeaud. Denn es gibt keinen Franzosen in Algerien, dessen Existenz nicht durch diese Herrschaft gerechtfertigt wĂ€re.

Da der französische Demokrat aus Mangel an Mut oder aus AnalyseunfĂ€higkeit diese Haltung nicht einnehmen kann, greift er stĂ€ndig auf Abstraktionen als Bezugspunkte zurĂŒck: Der Kolonialismus im Allgemeinen stirbt aus, der Kolonialismus ist unmenschlich, Frankreich muss seiner Geschichte treu bleiben. Dabei vergisst er bewusst, dass der Kolonialismus einen wichtigen Teil der französischen Geschichte ausmacht.

Kolonialismus ist die Organisierung der Beherrschung einer Nation nach militÀrischer Eroberung. Der Befreiungskrieg ist kein Versuch von Reformen, sondern die grandiose Anstrengung eines Volkes, das mumifiziert wurde, sein eigenes Genie wiederzuentdecken, seine Geschichte neu aufzunehmen und seine SouverÀnitÀt geltend zu machen.

Im Rahmen der NATO weigern sich die Franzosen, unter dem Befehl des deutschen Generals Speidel[17] zu dienen, sind aber bereit, gegen das algerische Volk zu kÀmpfen. Doch streng genommen sollte die Treue zum Geist der französischen Résistance die Franzosen, die den Dienst unter Speidel als geschmacklos empfinden, dazu bewegen, nach ihrer eigenen Logik den Kampf unter Massu oder Salan[18] zu verweigern.

Teil III

Die MĂ€nner, die Frankreich regieren, haben offensichtlich recht, wenn sie behaupten, dass das Algerienproblem die Grundfesten der Republik erschĂŒttert. Seit einigen Jahren wird der Mythos des französischen Algeriens auf eine harte Probe gestellt, und in das französische Bewusstsein hat sich eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Wahrheit dieser These eingeschlichen.

Auf internationaler Ebene sind die Auswirkungen dieser Zerstörung spĂŒrbar. Diese Fortschritte haben jedoch das Problem der Mystifizierung, die durch Jahrzehnte falscher Lehren und systematischer GeschichtsfĂ€lschung entstanden ist, nicht völlig gelöst.

Der Preis der Mystifizierung

Bei genauerer Betrachtung der kolonialen Beziehungen zwischen Algerien und Frankreich fĂ€llt auf, dass das algerische Territorium aufgrund der Bedingungen seiner Eroberung fĂŒr Frankreich immer eine mehr oder weniger reale VergrĂ¶ĂŸerung darstellte. Zu keiner Zeit hat Frankreich seine Eigentumsrechte an Afrika sĂŒdlich der Sahara oder an irgendeinem anderen Teil des „Französischen Imperiums“ in identischer Form erklĂ€rt. Afrika sĂŒdlich der Sahara mag als französisches Territorium deklariert worden sein, aber nie wurde entschieden, dass Afrika sĂŒdlich der Sahara Frankreich sei.

Frankreichs Recht in Afrika basierte eher auf einem Eigentumsrecht, wĂ€hrend in Algerien von Anfang an IdentitĂ€tsbeziehungen bekrĂ€ftigt wurden. Wir haben gesehen, dass die französischen Demokraten, mit wenigen Ausnahmen, ihre Haltung dieser Ansicht angepasst haben. Französische politische Parteien haben die Notwendigkeit, die sie gefĂŒhlt haben, dieser Mystifizierung Gehorsam leisten, nicht verborgen. In einer Rede vor den kommunistischen Studenten am 17. MĂ€rz 1957 in Paris rechtfertigte sich Laurent Casanova[19] als Antwort auf die Kritik der kommunistischen Jugend an ihm hinsichtlich der Haltung der französischen Kommunistischen Partei in Bezug auf das Algerienproblem damit, dass er sie aufforderte, „die spontane Haltung der französischen Volksmassen zu dieser Frage“ zu berĂŒcksichtigen.

Da das französische Nationalbewusstsein 130 Jahre lang von einem einfachen Grundprinzip geprĂ€gt war – Algerien ist Frankreich –, sehen wir uns heute mit instinktiven, leidenschaftlichen und antihistorischen Reaktionen konfrontiert, zu einem Zeitpunkt, zu dem ein großer Teil der französischen Bevölkerung rational erkennt, dass ihrem Interesse am besten durch die Beendigung des Krieges und die Anerkennung eines unabhĂ€ngigen algerischen Staates gedient wird.

Nie zuvor war der Grundsatz, dass niemand einen anderen ungestraft versklavt, so wahr. Nachdem Frankreich das algerische Volk ĂŒber ein Jahrhundert lang domestiziert hat, ist es nun Gefangener seiner Eroberung und unfĂ€hig, sich davon zu lösen, neue Beziehungen zu definieren und neue Wege einzuschlagen.

Ein abscheulicher Kuhhandel

Es wĂ€re jedoch ein großer Fehler zu glauben, das Problem sei mit diesen psychologischen Überlegungen erledigt. Die Begegnungen mit den Vertretern der französischen Linken bringen viel komplexere Bedenken zum Vorschein. So stehen wir gerade in der Frage der Zukunft des unabhĂ€ngigen Algeriens vor zwei widersprĂŒchlichen Forderungen, die ĂŒbrigens auf einer höheren Ebene der manichĂ€ischen Vorstellung von Gut und Böse entsprechen, die seit einigen Jahren die Welt spaltet.

Die nicht-kommunistische Linke versichert uns ihre UnterstĂŒtzung, verspricht, in unserem Namen zu handeln, verlangt aber von uns die Garantie, dass Algerien niemals in den kommunistischen Block oder in den sogenannten neutralen Block[20] fallen wird. Der Antikolonialismus dieser Demokraten ist daher nicht vorbehaltlos und bedingungslos, sondern setzt eine prĂ€zise politische Entscheidung voraus. An Argumenten mangelt es ihnen freilich nicht. Der Austausch des französischen Kolonialismus gegen den roten oder gegen den nasseristischen „Kolonialismus“ erscheint ihnen als eine negative Entwicklung, denn, so behaupten sie, in der gegenwĂ€rtigen historischen Stunde großer ZusammenschlĂŒsse sei eine Ausrichtung zwingend, und ihr Rat ist nicht verschleiert: man mĂŒsse sich fĂŒr den westlichen Block entscheiden.

Diese nicht-kommunistische Linke ist im Allgemeinen zurĂŒckhaltend, wenn wir ihr erklĂ€ren, dass das algerische Volk sich zunĂ€chst vom französischen Kolonialjoch befreien muss. Die französische nicht-kommunistische Linke weigert sich, sich auf die strikte Grundlage der Entkolonialisierung und der nationalen Befreiung zu beschrĂ€nken, und fleht uns an, die beiden BemĂŒhungen zu kombinieren: die Ablehnung des französischen Kolonialismus und des sowjetisch-neutralen Kommunismus.

Dasselbe Problem, einer entgegengesetzten Dynamik folgend, entsteht bei der französischen kommunistischen Linken. Die französische Kommunistische Partei, so sagt sie, könne nur bestimmte nationale Befreiungsbewegungen unterstĂŒtzen, denn welchen Vorteil hĂ€tte es fĂŒr uns französische Kommunisten, wenn der amerikanische Imperialismus Algerien ĂŒbernehmen wĂŒrde? Auch hier werden von uns Garantien verlangt. Wir werden unter Druck gesetzt, Versprechen und Zusicherungen abzugeben.

Es ist offensichtlich, dass solche Schwierigkeiten die antikolonialistische Aktion der französischen Linken behindern. Das liegt daran, dass das noch nicht unabhĂ€ngige Algerien bereits zu einem Zankapfel auf internationaler Ebene geworden ist. FĂŒr wen soll Algerien denn befreit werden? Seit drei Jahren wiederholt das algerische Volk unaufhörlich, dass es sich um seiner selbst willen befreien wolle, dass es ihm vor allem wichtig sei, seine SouverĂ€nitĂ€t zurĂŒckzugewinnen, seine AutoritĂ€t zu etablieren, seine Humanisierung, seine wirtschaftliche und politische Freiheit zu erreichen; aber diese offensichtlichen Ziele scheinen keine Akzeptanz zu finden.

Das algerische Volk erlebt seine Geburt in die UnabhĂ€ngigkeit inmitten furchtbaren Leidens und schon jetzt wird mit ungewohnter AggressivitĂ€t um die kleinste UnterstĂŒtzung gefeilscht. So hört man nicht selten, wie gewisse demokratische Franzosen zu uns sagen: Helft uns, euch zu helfen. Was klar bedeutet: Gebt uns eine Vorstellung davon, welche Richtung ihr danach einschlagen wollt.

Dieser Aufruf, der immer auf individueller Ebene zwischen Franzosen und Algeriern ausgesprochen wird, stellt sicherlich einen der schmerzhaftesten Aspekte des Kampfes um die UnabhĂ€ngigkeit dar. Manche französischen Demokraten sind manchmal schockiert ĂŒber die Ernsthaftigkeit des algerischen KĂ€mpfers. Das liegt daran, dass der Gesamtcharakter des Krieges, den wir fĂŒhren, Auswirkungen auf die nicht weniger radikale Art und Weise hat, in der wir individuelle Auseinandersetzungen fĂŒhren. Und wir mĂŒssen zugeben, dass es uns unertrĂ€glich ist zu sehen, wie einige Franzosen, die wir fĂŒr unsere Freunde hielten, sich uns gegenĂŒber wie HĂ€ndler verhalten und diese abscheuliche Art der Erpressung mit SolidaritĂ€t praktizieren, die mit grundlegenden EinschrĂ€nkungen unserer Ziele einhergeht.

Eine grundsÀtzliche Meinungsverschiedenheit

Wenn wir die Haltung der französischen Linken in Hinblick auf die Ziele unseres Kampfes untersuchen, stellen wir fest, dass keine Fraktion die Möglichkeit einer wirklichen nationalen Befreiung zugibt.

Die nicht-kommunistische Linke rĂ€umt ein, dass der Kolonialstatus verschwinden muss. Aber zwischen der Auflösung des Kolonialregimes – das sie auf ein Regime der Bevorzugung reduzieren, innerhalb dessen ein Kastenkampf[21] herrscht – und der Anerkennung einer algerischen Nation, die unabhĂ€ngig von Frankreich ist, hat diese Linke eine Vielzahl von Etappen, Unteretappen, originellen Lösungen und Kompromissen eingefĂŒgt.

Es ist klar, dass fĂŒr diesen Teil der Linken das Ende des Algerienkriegs eine Art internationalen Föderalismus und eine erneuerte Französische Union[22] mit sich bringen muss. Unsere Meinungsverschiedenheit mit dieser französischen Meinung ist daher weder psychologischer noch taktischer Natur, wie manche behaupten. Die Linksradikalen, die Minderheitssozialisten und der linke FlĂŒgel der MRP[23] haben die Idee einer algerischen UnabhĂ€ngigkeit nicht akzeptiert. Positionen, die mit der Formel beginnen: „Wir stimmen im Wesentlichen ĂŒberein, aber nicht in den Methoden …“ sind daher grundlegend falsch.

Die kommunistische Linke ihrerseits, die die Notwendigkeit der Entwicklung der KoloniallĂ€nder hin zur UnabhĂ€ngigkeit proklamiert, fordert die Aufrechterhaltung besonderer Beziehungen zu Frankreich. Solche Positionen zeigen deutlich, dass selbst die sogenannten extremistischen Parteien der Ansicht sind, dass Frankreich Rechte in Algerien hat und dass die Lockerung der Herrschaft nicht notwendigerweise das Verschwinden aller Verbindungen bedeutet. Diese Geisteshaltung nimmt die Gestalt eines technokratischen Paternalismus an, einer unaufrichtigen Warnung vor der Gefahr des RĂŒckschritts.

Es wird argumentiert: Was werden Sie tun, nachdem Sie alle Verbindungen zu Frankreich abgebrochen haben?

Man braucht Techniker, Geld, Maschinen


Nicht einmal die katastrophale Aussicht auf ein Algerien, das von WĂŒste verschlungen, von SĂŒmpfen durchzogen und von Krankheiten heimgesucht wird, bleibt uns in der Kampagne, die uns stoppen soll, erspart.

Die Kolonialisten erzÀhlen dem französischen Volk in ihrer Propaganda: Frankreich kann ohne Algerien nicht leben.

Die französischen Antikolonialisten sagen den Algeriern: Algerien kann ohne Frankreich nicht leben.

Die französischen Demokraten sind sich des kolonialistischen oder – um einen neuen Begriff zu verwenden – neokolonialistischen Charakters ihrer Haltung nicht immer bewusst.

Die Forderung nach besonderen Beziehungen zu Frankreich ist eine Reaktion auf den Wunsch, die kolonialen Strukturen intakt zu halten. Es handelt sich hierbei um eine Art Terrorismus des Notwendigen, bei dem entschieden wird, dass nichts, was in Algerien von Wert ist, außerhalb Frankreichs konzipiert oder realisiert werden kann. In der Tat fĂŒhrt die Forderung nach besonderen Bindungen zu Frankreich zu dem Willen, Algerien auf ewig auf der Stufe eines unmĂŒndigen und geschĂŒtzten Staates zu halten. Aber auch auf die Entschlossenheit, bestimmte Formen der Ausbeutung des algerischen Volkes zu garantieren. Es ist zweifellos ein Beweis fĂŒr ein schwerwiegendes Scheitern, die revolutionĂ€ren Implikationen des nationalen Kampfes zu verstehen.

Ist es zu spÀt?

Die französischen Demokraten mĂŒssen die WidersprĂŒche ĂŒberwinden, die ihre Positionen sterilisieren, wenn sie eine echte Demokratisierung mit den Kolonialisten erreichen wollen. Nur wenn die französische demokratische Meinung ohne Vorbehalte ist, kann ihr Handeln wirksam und entscheidend sein.

Weil die Linke unbewusst dem Mythos des französischen Algeriens folgt, geht ihr Handeln nicht ĂŒber die Hoffnung auf ein Algerien hinaus, in dem mehr Gerechtigkeit und Freiheit herrschen wĂŒrde, oder höchstens ein Algerien, das weniger direkt von Frankreich regiert wird. Der leidenschaftliche Chauvinismus der französischen öffentlichen Meinung in der Algerienfrage ĂŒbt Druck auf diese Linke aus, lĂ€sst sie zu ĂŒbertriebener Vorsicht neigen, erschĂŒttert ihre Prinzipien und versetzt sie in eine paradoxe und zunehmend unproduktive Lage.

Das algerische Volk ist der Ansicht, dass die französische Linke im Rahmen des Algerienkriegs nicht alles getan hat, was sie hÀtte tun sollen. Es geht uns nicht darum, die französischen Demokraten anzuklagen, sondern ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Haltungen zu lenken, die unserer Meinung nach den Prinzipien des Antikolonialismus widersprechen.

Es ist vielleicht angebracht, die Haltung der Sozialistischen Internationale zu dieser Frage in Erinnerung zu rufen. Niemand hat vergessen, dass die französische Delegation unter der Leitung von Herrn Pineau[24] 1956 von der Internationale verurteilt wurde und dass Herr Bevan[25] 1957 auf dem Sozialistischen Kongress von Toulouse öffentlich seine EnttĂ€uschung und seinen Zorn ĂŒber den Rassismus und Kolonialismus der SFIO[26] zum Ausdruck brachte.

Seit 1954 kĂ€mpft das algerische Volk fĂŒr die nationale UnabhĂ€ngigkeit. Es geht um ein vor ĂŒber einem Jahrhundert erobertes Gebiet, das seinen Willen zum Ausdruck bringt, sich als souverĂ€ne Nation zu etablieren. Die französische Linke sollte diese BemĂŒhungen vorbehaltlos unterstĂŒtzen. Weder die Anwesenheit einer europĂ€ischen Minderheit noch Sakamody können oder sollten die Entschlossenheit einer authentischen Linken beeintrĂ€chtigen. Wir haben gesehen, dass die Propaganda von Herrn Lacoste immer wieder behauptet, dass Frankreich in Algerien gegen die Barbarei kĂ€mpft. Die Linke muss sich gegen diese Kampagne immun zeigen und das Ende des Krieges und die Anerkennung der UnabhĂ€ngigkeit Algeriens fordern.

Wie wir gesehen haben, ist es vorgekommen, dass gewisse Demokraten auf die folgende Argumentation zurĂŒckgriffen: Wenn Sie möchten, dass unsere Hilfe weitergeht, verurteilen Sie diese und jene Taten. Der Kampf eines Volkes um seine UnabhĂ€ngigkeit muss also transparent sein, wenn es die UnterstĂŒtzung der Demokraten genießen will.

Hier kann man paradoxerweise die Haltung von Herrn Guy Mollet erkennen, der, um seinen Krieg fortsetzen zu können, eine Schutzkommission ernennt, mit der Aufgabe, auf „Exzesse“ aufmerksam zu machen, um damit die schlechten Soldaten auf spektakulĂ€re Weise von der guten, wahren und fruchtbaren französischen Armee zu isolieren.

Die Aufgaben der französischen Linken

Die FLN wendet sich an die gesamte französische Linke und fordert sie auf, sich in diesem vierten Jahr konkret im Kampf fĂŒr den Frieden in Algerien zu engagieren.

Es kann zu keinem Zeitpunkt die Rede davon sein, dass französische Demokraten sich uns anschließen oder ihr Land verraten. Ohne ihre Nation aufzugeben, muss die französische Linke dafĂŒr kĂ€mpfen, dass die Regierung ihres Landes die Werte respektiert, die wir das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, die Anerkennung des nationalen Willens, die Liquidierung des Kolonialismus und gegenseitige und bereichernde Beziehungen zwischen freien Völkern nennen.

Die FLN wendet sich an die französische Linke und an die französischen Demokraten und fordert sie auf, jeden Streik der französischen Bevölkerung gegen die steigenden Lebenshaltungskosten, neue Steuern und die EinschrĂ€nkung der demokratischen Freiheiten in Frankreich zu unterstĂŒtzen, die allesamt direkte Folgen des Algerienkriegs sind.

Die FLN fordert die französische Linke auf, ihre Informationskampagnen zu intensivieren und den französischen Massen weiterhin die Charakteristika des Kampfes des algerischen Volkes, die ihm zugrunde liegenden Prinzipien und die Ziele der Revolution zu erklÀren.

Die FLN zollt den Franzosen ihren Respekt, die den Mut hatten, sich zu weigern, gegen das algerische Volk zu den Waffen zu greifen und die nun im GefÀngnis sitzen.

Diese Beispiele mĂŒssen vermehrt werden, damit allen und vor allem der französischen Regierung klar wird, dass das französische Volk diesen Krieg ablehnt, der in seinem Namen gegen das Recht der Völker, zur Aufrechterhaltung der UnterdrĂŒckung und gegen die Herrschaft der Freiheit gefĂŒhrt wird.


[1] Eine – leider in Teilen fehlerhafte und sogar unkenntlicherweise gekĂŒrzte – deutsche Übersetzung findet sich in dem Sammelband FĂŒr eine afrikanische Revolution, der 28 AufsĂ€tze von Fanon enthĂ€lt. Er erschien 1972 erstmals in der BRD und wurde 2022 vom MĂ€rz-Verlag dankenswerter Weise neu aufgelegt.

[2] Marcel-Edmond Naegelen war ein sozialdemokratischer Politiker, der wĂ€hrend seiner Amtszeit als Generalgouverneur Algeriens fĂŒr massive WahlfĂ€lschungen verantwortlich war.

[3] 1955 fand in der indonesischen Hauptstadt Bandung eine afro-asiatische Konferenz statt, die als Geburtsstunde der Bewegung der Blockfreien Staaten gilt.

[4] Gestalt aus der griechischen Mythologie, die dazu verdammt ist, Unheil korrekt vorherzusagen, wÀhrend ihr aber niemand glaubt.

[5] Sozialdemokratischer MinisterprÀsident Frankreichs 1956/57 und Chef der Sozialistischen Partei von 1946 bis 1969.

[6] Liberaler MinisterprÀsident Frankreichs 1957.

[7] Jacques Massu war französischer General und fĂŒhrte die französischen Kolonialtruppen u. a. in der Schlacht um Algier, wobei er zu flĂ€chendeckendem Terror und zu Folter griff. Zuvor hatte er bereits als Befehlshaber gegen die nationale Befreiungsbewegung in Vietnam gekĂ€mpft und war an der Dreier-Aggression, gemeinsam mit Großbritannien und Israel, gegen Ägypten beteiligt.

[8] Henri Borgeaud war ein französischer Siedler, Kolonialpolitiker und galt als einer der reichsten Großgrundbesitzer Algeriens.

[9] Gegend etwa 50 Kilometer sĂŒdöstlich von Algier.

[10] Straße im französischen Viertel von Algier, in der wĂ€hrend der Schlacht um Algier u. a. ein CafĂ© in die Luft gesprengt wurde.

[11] Nationale Befreiungsfront Algeriens.

[12] Robert Lacoste war Sozialdemokrat und 1956-58 als Algerienminister fĂŒr die BekĂ€mpfung der algerischen Befreiungsbewegung zustĂ€ndig, wobei er eine Strategie von Zuckerbrot (Reformen) und Peitsche (Terror) verfolgte.

[13] In den algerischen und spÀter auch den französischen StÀdten verfolgte die FLN eine Strategie der Stadtguerilla, was Attentate gegen Behörden und Politiker, Bushaltestellen, Cafés, Kinos usw. einschloss.

[14] Ab 1848 war Algerien offiziell Teil des französischen Mutterlands, und keine Kolonie mehr.

[15] Alain de SĂ©rigny war der Herausgeber des L’Echo d’Alger, der grĂ¶ĂŸten Tageszeitung im kolonialen Algerien und strikter Verteidiger der französischen Kolonialherrschaft.

[16] Georges Blachette war Papiermonopolist, Politiker und EigentĂŒmer des Journal d’Alger.

[17] Hans Speidel war im Ersten Weltkrieg Leutnant der Reichswehr, im Zweiten Weltkrieg Chef des Stabes der Heeresgruppe B der faschistischen Wehrmacht und als Bundeswehr-General 1957-63 zugleich Oberbefehlshaber der NATO-LandstreitkrÀfte in Mitteleuropa.

[18] Raoul Salan war 1952-53 Oberbefehlshaber der französischen Truppen im Krieg gegen Indochina und 1956-58 Oberbefehlshaber im Algerienkrieg.

[19] Hochrangiges Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) und 1946-58 Abgeordneter der KPF in französischen Parlament.

[20] Gemeint sind die Nichtpaktgebundenen Staaten.

[21] Der Begriff spiel auf den Klassenkampf an. Hier sind wohl aber nicht sozialökonomische Klassen gemeint, zumal Fanon ĂŒber das VerstĂ€ndnis von Nicht-Kommunisten spricht, sondern durch politische und rechtliche Diskriminierung und Privilegierung festgeschrieben Gesellschaftsgruppen.

[22] Neokoloniales Projekt des französischen Imperialismus, um seine ehemaligen Kolonien an sich zu binden.

[23] Volksrepublikanische Bewegung, christlich-konservative Partei in Frankreich.

[24] Christian Pineau war sozialdemokratischer Politiker und 1956-58 Außenminister Frankreichs.

[25] Walisischer Politiker und Mitglied der britischen Labor-Partei.

[26] Französische Sozialistische Partei, sozialdemokratische Partei in Frankreich.