Mit Interesse habe ich die Debatte über die Arbeit in den Massen verfolgt und auch mit Interesse verfolge ich die Debatte zur Klimafrage. Ich vertrete eine ähnliche Position wie Spanidis. Daher gehe ich nicht sehr auf bereits thematisierte Punkte ein, sondern eher auf welche, die bisher nicht so thematisiert wurden. Mein Beitrag soll einen kurzen Einblick in die Klimabewegung geben und kurz begründen, weshalb es richtig ist, darin aktiv zu sein. Für einen längeren Text mit mehr Fakten, Argumenten und Quellen habe ich leider nicht die Zeit gefunden.
Innerhalb der Klimabewegung gibt es reaktionäre und panikverbreitende Kräfte. Ich habe etwas den Eindruck, dass sich Kissel et. al. erst mit einem Teil der Klimabewegung und dann mit der Klimafrage an sich befasst haben. Bei Spanidis et al. bin ich mir hingegen sicher, dass sie sich erst mit der Frage des Klimas wissenschaftlich befasst haben. Die reaktionären und panikverbreitenden Kräfte repräsentieren weder die Bewegung noch kann dies der Ausgangspunkt der Frage nach den Ursachen und Gefahren durch den Klimawandel sein. Ich meine, dass der Klimawandel eine Gefahr darstellt und Klimaschutz daher in unserem Interesse ist.
Massenbewegungen
Ich möchte kurz einen Beitrag aus der Diskussionstribüne zur Massenarbeit zitieren: ,,Die KPD hat sich in der Weimarer Republik schließlich nicht darauf beschränkt, in Gewerkschaften, Arbeitersport- und Gesangsvereinen zu arbeiten. Sie hat auch die Antifaschistische Aktion geschaffen, in der sich Arbeiter über Parteigrenzen hinweg gegen den Faschismus organisieren konnten. Sie hat den Roten Frontkämpferbund, die Rote Hilfe, aber auch Gruppen zum Kampf gegen den Kolonialismus und imperialistische Kriegspolitik unterstützt. Nach dem Krieg entstanden die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Demokratische Frauenbund Deutschlands, bis er in der BRD verboten wurde. Die Bewegungen gegen die Wiederbewaffnung der BRD, den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, den Abtreibungsparagraphen, den NATO-Doppelbeschluss, die Solidaritätskampagnen mit revolutionären politischen Gefangenen auf der ganzen Welt, der Kampf gegen die südafrikanische Apartheid, die CIA-gestützten Militärdiktaturen und viele weitere Beispiele – all das waren wichtige Auseinandersetzungen, die selbst im reaktionären politischen Klima der BRD Massen mobilisiert haben und in denen die Kommunisten zurecht gearbeitet haben. Ob mit der richtigen Orientierung, ist eine andere Frage, die wir uns stellen und die wir aufarbeiten müssen. Die richtigen Orientierungen müssen wir finden, indem wir Erfahrungen sammeln und diese ständig auswerten. Aber die Arbeit in diesen Bewegungen einfach aufzugeben, ist sicher keine akzeptable Lösung für Kommunisten.“ [1] Historisch haben Kommunisten also in vielen Massenbewegungen mitgearbeitet, was auch wichtig für die Arbeit von Kommunisten ist. Wie sieht es heute aus? Die kommunistische Bewegung in der BRD ist schwach aufgestellt, in wenigen Massenbewegungen aktiv, es gibt generell relativ wenige Kommunisten in Deutschland. Dementsprechend das Klima der Massen: Es entstehen Bewegungen wie Pegida, Rechte dürfen in Talkshows reden, Medien hetzen und siehe da: Viele Leute wählen die AfD. Gleichzeitig gibt es viele andere Menschen, die entweder kein Bock auf Politik haben oder etwas verbessern möchten. Vor allem die Leute, die etwas verbessern möchten, sollten eigentlich von Kommunisten organisiert werden. Da die Kommunisten aber in einer schwachen Lage sind, gibt es viele Menschen, die dann eher in einer Subkultur versinken, individuellen Kram machen oder Illusionen haben. Kommunisten müssen wieder aktiver in den Massen werden. Mit Fridays for Future ist vor einem Jahr eine Bewegung entstanden, welche mittlerweile die größte Jugendmassenbewegung der Geschichte der BRD wurde.
Sollte ein Kommunist bei der Entstehung von FFF direkt was machen?
Im November 2018 hat Greta Thunberg ihre weltbekannte Rede bei der Weltklimakonferenz gehalten. Auch wenn es Sachen an ihr zu kritisieren gibt, war diese Rede gut: Sie sagt, dass Klimaschutz wichtiger ist als Wirtschaftswachstum und sie stellt in der Rede die Systemfrage. Diese Rede verbreitete sich online sehr schnell.
Nun wäre es eigentlich die Aufgabe der Kommunisten dieses Thema aufzugreifen und Leute genau an diesem Thema zu organisieren. Die hohen Aufruf-Zahlen, die zahlreichen Kommentare usw zeigten nämlich deutlich das Interesse und den potenziellen Aktivismus der Massen. Die Kommunisten in Deutschland haben sich aber zurückgehalten. Dann haben sich ein paar Grüne vernetzt und in ein paar Städten etwas aufgebaut. Das sind Jugendliche, die sich bereits vorher für Umweltschutz interessiert haben. Dass die Grüne Partei für Umweltzerstörung (Kriege, Waffenlieferungen, Hambi-Rodung, Glyphosat usw) steht, ist klar. Ob dies die Absichten und Wünsche von Luisa Neubauer und Co. sind, weiß ich aber nicht, ich wage es zu bezweifeln. Klar ist aber, dass solche Leute, die Initiative und leider auch die Führung ergriffen haben. Solche Leute hatten und haben weiterhin sehr viel Einfluss innerhalb von FFF.
Man kann Luisa Neubauer und Co. wahrscheinlich als Karrieristen bezeichnen, die aber schon den Willen haben, etwas gutes zu tun. Jedoch extrem starke Illusionen in das System haben. Aber nur weil solche Leute, viel Macht innerhalb von FFF haben bedeutet dies für Kommunisten nicht, dass sie sich raushalten sollten. Es gibt viel Potenzial innerhalb von der Bewegung. Man sollte nicht nur die Natur nicht statisch betrachten, wie in der Diskussion bereits erwähnt wurde, auch Massenbewegungen sollte man nicht statisch betrachten. Auch diese entwickeln sich, zudem muss man zwischen der Basis und der Führung einer Bewegung unterscheiden.
Die Forderungen
Innerhalb von FFF gibt es viele, die auf individuelle Lösungen setzen. Dies liegt aber nicht daran, dass sie alle Individuen zum Konsumverzicht zwingen wollen, sondern daran, dass die Kommunisten da nicht bzw. nicht ausreichend agitieren. Den Leuten wird nunmal im Kapitalismus beigebracht auf individuelle Lösungen zu setzen. Daher sollten wir ihnen nicht abweisend, sondern diskussionsbereit gegenüber stehen. Keiner innerhalb von FFF meint, die individuellen Wege würden ausreichen. Die Leute gehen zu FFF, weil sie meinen, dass eine gesamtgesellschaftliche Lösung nötig ist. Dass dabei viele nicht an den Sozialismus, sondern an einen ,,verbesserten“ Kapitalismus denken, ist auch logisch.
Die FFF Führung strebte an, keine eigenen Forderungen aufzustellen, sondern sich welche von den Scientists for Future (SFF) vorgeben zu lassen. Sie dachten, sowas sollten Experten tun. Die Wissenschaftler haben ihre Forderungen so ,,berechnet“, dass man den Klimawandel innerhalb des Systems aufhalten könne. Auch hier denke ich, dass sie nicht von großen Konzernen bezahlt wurden, sondern dass sie die Vorstellung vertreten, man könne den Kapitalismus und das Klima mit Reformen retten. Was Wissenschaftler verdienen wurde hier ja bereits in der Diskussionstribüne aufgezeigt und das Engagement von SFF ist soweit ich weiß ehrenamtlich.
Die CO2 Steuer ist die meistkritisierte Forderung von FFF. Die Kritik kommt dabei aber nicht nur von außen, sie gibt es auch sehr stark innerhalb der Bewegung. Viele, die gegen FFF sind, meinen die C02 Steuer wäre die Hauptforderung. Ich habe es bisher so verstanden, dass alle sechs Forderung gleich stark gewichtet werden. Die SFF, die die Forderungen entworfen haben, betonten dazu, dass alle ,,sozial verträglich“ umgesetzt werden sollen und dies wurde auch so von FFF veröffentlicht. Daher meine ich, dass weder SFF noch FFF mit den Forderungen eine negativ Absicht gegen die Arbeiterklasse haben. Sie haben einen guten Willen, das Klima zu schützen, jedoch die falsche Hoffnung darin, dass Politiker das Geld aus einer C02 Steuer umverteilen und an ökonomisch Schwache geben. Genau dies kritisieren viele FFF Aktivisten.
Kissel et al. kritisieren zudem, dass F
FF den Kohleausstieg fordert. Diese Forderung ist aber richtig, weil sie im Sinne der Umwelt und somit auch im Sinne der Arbeiter ist. Die Kritik an der Forderung ist, dass Arbeiter damit ihren Job verlieren. Nach dieser Logik sollte dann kein Linker den Stopp von Waffenlieferungen fordern. Zu so einer Forderung gehört doch, dass man als Linker einen vollen Lohnausgleich sowie schnellstmögliche Umschulungen und Übernahmen fordert. Was aber das wichtige dabei ist, ist dass man auch genau dies den Arbeitern vermittelt und mit ihnen gemeinsam den Kampf für den Kohleausstieg führt. Dies tut die Klimabewegung leider nicht. Viele Kohlearbeiter haben den Eindruck, dass die Klimabewegung wirklich gegen sie handeln wollen würde. Daher wählen auch viele von ihnen die AfD [2] und unterstützen die Hetze gegen FFF. Es ist die Aufgabe der Kommunisten, eine Einheit zwischen der Klimabewegung und Kohlearbeitern herzustellen. Nur dann kann der Kohleausstieg sozial verträglich umgesetzt werden. Die schwache Aktivität der Kommunisten innerhalb der Klimabewegung führt also indirekt zu einem Erstarken der Faschisten.
Aber trotz der inhaltlich schwachen Anfangsphase mit den Forderungen von FFF sehe ich keinen Grund, dass man als Kommunist nicht in FFF aktiv sein sollte. Massenhaft kommen Jugendliche zu offenen Treffen, organisieren sich, führen politische Debatten und möchten etwas verändern. Diese massenhafte Politisierung und Aktivität muss gefördert werden und dabei muss natürlich von Kommunisten offen die Systemfrage gestellt werden. Ein Kommunist sollte kein Außenstehender sein, der darauf wartet bis die Systemfrage vom Himmel fällt und erst danach eine Bewegung befürworten.
Wie hat sich dann nun die Bewegung entwickelt?
Im März (also ebenfalls in der Anfangsphase) gründete sich die antikapitalistische Plattform innerhalb von FFF: Change for Future (CFF) und veröffentlichte ihr Grundsatzpapier [3]. Dieses wurde jedoch innerhalb der Diskussionstribüne missverstanden. CFF sieht die Ursache für den Klimawandel nicht im technischen Fortschritt, sondern im Kapitalismus. Daher will CFF nicht ,,zurück zur Natur“, sondern ein System, indem die Arbeiterklasse die Macht über die Produktionsmittel hat. Die Systemfrage wird also ganz offen gestellt. FFF Aktivisten aus über vierzig verschiedenen Städten sind innerhalb der Plattform aktiv. Es gründeten sich die workers for Future, welche ebenfalls klassenkämpferische Texte veröffentlichen [4]. Und schließlich fangen führende SFF Aktivisten an offen über Sozialismus zu reden [5]. Hunderte Wissenschaftler in Großbritannien rufen offen zum Gesetzbruch auf [6]. Weiterhin sind bürgerliche Positionen stark vertreten bei FFF, aber es wird deutlich, dass es viele klassenkämpferische Kräfte gibt. Die inhaltlichen Debatten sind klar zu sehen. Einige Ortsgruppen organisierten Sommercamps, viele FFF Aktivisten fuhren zum Sommerkongress. Die Leute tauschen sich aus. Im Juni nahmen viele FFF Aktivisten an den Blockaden von Ende Gelände (EG) teil. Sie sammelten Erfahrungen auf einem höheren Aktionslevel und tauschten sich mit anderen Klimaaktivisten aus. Potenzial ist bei FFF weiterhin da, es kann sogar besser genutzt werden als zuvor. Die vor allem neu politisierten Jugendlichen entwickeln sich inhaltlich weiter.
Gleichzeitig stimmt es aber auch, dass es viele Menschen gibt, die sehr stark gegen FFF sind. Es gibt viele, die sich wünschen, dass Greta ermordet wird und in ,,sozialen“ Netzwerken hetzen. Es gibt aber auch viele, die den Eindruck haben, dass sich FFF aufgrund der Konsumkritik gegen normale Leute richtet. Darauf gehe ich weiterhin unten ein.
Ende Gelände
EG sind v.a. antinationale Postautonome aus der interventionistischen Linken (IL). Die IL stellt sich als antikapitalistisch da, hat aber kein ernsthaftes Interesse am Aufbau einer KP mitzuwirken, die Arbeiterklasse zu organisieren, ernsthaft den Kapitalismus zu überwinden und die Diktatur des Proletariats aufzubauen. Sie scheuen sich sogar davor, sich mit dem palästinensichen Befreiungskampf zu solidarisieren oder die israelische Besatzung zu kritisieren. Das liegt daran, dass es innerhalb ihrer Subkultur/Szene nicht gern gesehen wird und sie an Anhängern verlieren würden. Deswegen sollte man sich nicht an eine Bewegung (also EG) dranhängen, die seit Jahren von der IL geführt wird. Es ist aber gut, dass ihre Positionen innerhalb des Klärungsprozess thematisiert und kritisiert werden [7]. Die Zusammenarbeit von FFF und EG hat gewisse Vorteile: FFF-Aktivisten lernen neue Aktionsformen kennen, erhöhen ihre Aktionsbereitschaft und kommen mit mehr Leuten in Kontakt, die offen die Systemfrage stellen. So kommt man in mehr Debatten über Alternativen zum System. Nur sollte man EG-Aktivisten auch nicht zu viel Raum geben, beim Beantworten der Systemfrage.
Extinction Rebellion
Bei Extinction Rebellion (XR) findet man die meisten verrückten, die wirklich Panik machen. Hier gibt es wirklich viele, die meinen, wir sterben in ein paar Jahren alle aus. Außerdem nutzen sie z.B. den Holocaust für bewusste Provokationen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen [8]. Deren Standpunkte müssen und werden offen kritisiert. Sie repräsentieren nicht die 1,4 Millionen Menschen, die am 20.9.2019 in der BRD auf die Straße gingen.
Der Staat
Gegenüber politischen Bewegung nutzt der Staat die Mittel der Integration und Repression. Einerseits versucht er Bewegungen bzw. Teile von Bewegungen in systemkonforme Bahnen zu lenken und stellt sich selbst als Retter dar und andererseits versucht er andere Bewegungen bzw. Teile von Bewegungen mit massiver Repression zu brechen. Genau dies ist den CFF-Aktivisten auch bekannt und wurde von ihnen in ihrem Grundsatzpapier kurz angeschnitten. Gerade bei der Klimabewegung sehen wir dies ganz deutlich: Der Staat bzw. seine Medien, Talkshows usw. thematisieren im Besonderen die bürgerlichen Positionen. Die systemtragenden Akteure wie Luisa Neubauer und Co. erscheinen ständig in den Medien und präsentieren ständig ihre Standpunkte, obwohl diese innerhalb von FFF so nicht geschlossen vertreten werden. Gleichzeitig beobachtet der VS Ortsgruppen, in denen Kommunisten aktiv sind und auch CFF. Im Juni hat der Staat versucht einen Keil zwischen den ,,guten Umweltschützern“ (FFF) und den ,,schlechten Umweltschützern“ (EG) zu stampfen. Dies hat er nicht geschafft. FFF hat sich mit EG solidarisiert!
Also einerseits geht die Taktik des Staates nicht so ganz auf, die einen zu integrieren und die anderen mit Repression zu bekämpfen. Aber andererseits findet sich eine Überrepräsentation von Konsumkritik und Ähnlichem. Sprüche wie ,,wir streiken bis ihr handelt!“ beziehen sich zwar auf die Politik, werden aber z.T. missverstanden: Viele haben den Eindruck FFF wolle der ganzen Bevölkerung ein bestimmtes Konsumverhalten aufzwingen. Ich würde sagen, sowas wollen nur ganz wenige innerhalb von FFF. Viele FFF Aktivisten sehen sowas selbst als nervig oder meinen, Beiträge zum Konsumverhalten sollen eine Empfehlung und kein Zwang für die Follower sein.
In Bezug auf das Ausrufen der Klimanotstände gab es hier in der Diskussionstribüne ebenfalls Missverständnisse. Der Klimanotstand dient nicht der Repression gegen die Arbeiterklasse, sondern der Integration der Klimabewegung. Es ist ein ,,Klimaschutz“, der aus Worten und unverbindlichen Resolutionen besteht und so Hoffnungen an den Staat und das System erwecken soll. Und jetzt Mittlerweile sind auch die Studis in FFF aktivier geworden. Sie organisieren viele Bildungsveranstaltungen. Auch das ist gut, um bspw. weiter die Systemfrage zu stellen und Konsumkritik zu kritisieren. Die Konsumkritik hat im Laufe der Zeit nachgelassen. Mehrere FFF Aktivisten haben einen Hungerstreik gemacht und dabei ihre Bereitschaft für das Thema gezeigt. Sie nutzten den Hashtag #einschrittweiter und tun genau dies mit ihrer Aktionsform. Damit zeigen sie auf, dass es mehr Möglichkeiten
gibt, als ,,nur“ zu streiken. Texte der Hungerstreikenden [9] kritisieren offen die C02-Steuer und fordern eine Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse sowie eine Verbindung der Kämpfe. Deren Texte werden derzeit verbreitet und beeinflussen die aktuelle Strategiedebatte bei FFF. Zudem ermutigt diese Aktionsform andere FFF Aktivisten darüber nachzudenken, wie man die Bewegung weiterentwickeln kann. Da systemtragende Kräfte keine Perspektive aufzeigen können und da die Politik bisher nichts gemacht hat, liegt es an uns: Wir müssen eine Perspektive aufzeigen und mit dafür sorgen, dass sich die Bewegung weiterentwickelt. Die Strategiedebatte bei FFF wird über die Zukunft der Bewegung entscheiden. Es steht fest, dass Kommunisten innerhalb von FFF in der Debatte aktiv mitwirken müssen, um etwas zu erreichen. Wer eine bloße ,,Nachtrabpolitik“ betreibt, der wird nichts erreichen. Gerade jetzt wo FFF 1 Jahr alt ist und man sieht, dass die Politik nichts für den Klimaschutz getan hat, entsteht eine Chance, die man nutzen sollte. Nutzen um offensiv gegen den Kapitalismus und seine Unfähigkeit zu agitieren. Kommunisten können bspw. dafür eintreten, dass sich FFF noch stärker als bisher gegen Kriege richtet. Außerdem müssen Leute wie Neubauer noch schärfer und offener innerhalb von FFF kritisiert und aus der Führung gedrängt werden, denn: Sie traf sich mehrmals mit Macron, während seine Bullen FFF zusammenschlagen. Sie nimmt irgendwelche von VW gesponserten Preise an. In ihrer Rede dazu fordert sie dann große Konzerne auf, mit zu demonstrieren[10]. Sie sieht Konzerne also nicht als Klassenfeind, den man enteignen muss, sondern als potenzielle Bündnispartner. Dies sehen viele bei FFF ähnlich, wir müssen diese Position ideologisch bekämpfen. Mit dem Spruch ,,Die Klimakrise ist auch eine Krise, die von Männern verursacht wurde“ richtet sich Neubauer gegen Männer anstatt gegen den Kapitalismus. Nach einem Jahr FFF vertreten nun viele innerhalb der Basis die Haltung, dass man den Druck erhöhen muss und sind daher zu mehr bereit. Sie wollen die Taktik und Strategie überdenken und verbessern. Andere bei FFF sind resigniert und fragen sich, ob wir überhaupt noch etwas erreichen können. Wir dürfen die Aktivität der Jugend nicht abflachen lassen, sondern müssen sie aktiv fördern.
Fazit
Innerhalb der Klimabewegung gibt es eine Panikmache. Es ist auch nachvollziehbar, dass viele Außenstehende den Eindruck haben, die Klimabewegung richte sich gegen sie. Doch es gibt innerhalb der Bewegung viel Potenzial, sie nach links zu rücken, Menschen weiter zu politisieren, zu entwickeln, einen Klassenstandpunkt zu vermitteln, den Druck zu erhöhen und eine Verbindung zur Arbeiterklasse anzustreben. Sehr viele junge Leute machen gerade ihre ersten politischen Erfahrungen und reflektieren diese. Die Debatten mit ihnen stoßen z.T. auf sehr fruchtbaren Boden. Viele wollen einen Schritt weiter gehen und diskutieren, was dies überhaupt bedeutet. Wir Kommunisten dürfen nicht abwarten und dann kritisieren, wir müssen aktiv mitwirken, Empfehlungen und Argumente liefern, warum und wie sich FFF entwickeln sollte.
Wir müssen zwischen der Basis und Führung unterscheiden und die Debatten innerhalb der Basis stärken. Schließlich hat die Bewegung einen basisdemokratischen Anspruch und bspw. der Strategieprozess solle die Basis weitestgehend miteinbeziehen. FFF sollte auf keinen Fall das einzige Praxisgebiet für Kommunisten darstellen. Es sollte auch nicht jeder Kommunist bei FFF aktiv sein, aber es sollten Kommunisten bei FFF aktiv sein. Man sollte sich dabei nicht zu große Hoffnungen machen, wobei das generell für die Arbeit in Massenbewegungen gilt. Wenn der Strategieprozess bei FFF scheitert, dann muss man als Kommunist natürlich seine Haltung zu FFF überdenken. Daher ist mein aktueller Standpunkt, dass eine aktive Mitarbeit richtig ist. Wie ich das in fünf oder zehn Monaten einschätze, kann ich heute nicht sagen. Man kann bei der Arbeit in den Massen natürlich auch eine falsche Einschätzungen haben, aber ob die Einschätzung bei FFF mitzuarbeiten falsch ist, wird sich erst später zeigen, denke ich.
Ich meine, es muss erst analysiert werden, ob der Klimawandel für uns eine Bedrohung ist und ob man ihn im Kapitalismus lösen kann. Spanidis et. al. haben ausgeführt, weshalb er eine Bedrohung ist und wir den Sozialismus brauchen. Und wenn man sich nun für Klimaschutz engagiert bzw. diesen gut findet, dann muss man sich die Bewegung genauer anschauen. XR ist verrückt, EG gibt es schon länger und hat nichts mit Marxismus zu tun. FFF ist neu, dynamisch und unterstützenswert. Natürlich meine ich damit nicht jede Forderung wortwörtlich, aber die Bewegung an sich.
Wenn man sich für Klimaschutz ausspricht, aber die gesamte Bewegung verurteilt, will man dann nichts für Klimaschutz machen, obwohl man es wichtig findet? Oder will man einen neuen Bereich innerhalb der Bewegung aufbauen, während bereits Millionen auf die Straße gehen und nicht verstehen wieso man innerhalb der Bewegung, was neues aufbaut? Wer für Klimaschutz ist, aber mit den 1,4 Millionen Demonstranten nichts zu tun haben möchte, isoliert sich selbst von der derzeit größten Jugendbewegung in der BRD. Man sollte nicht jede x beliebige Bewegung unterstützen. Doch FFF ist nicht irgendeine Bewegung, sondern die größte Jugendbewegung der BRD und hat eine fortschrittliche Tendenz.
Wenn es noch viele weitere Jugendmassenbewegungen geben würde, dann hätte ich dies auch mit anderen Maßstäben bewertet. Aber man muss es in den Kontext setzen, in dem wir gerade Politik machen.
Die
Massenproteste in Chile dauern an. Eine geplante Preiserhöhung der
Metro Tickets um 30 Pesos (ca. 3 ct.) war der Tropfen, der das Fass
zum Überlaufen brachte. Die Fahrpreiserhöhung ist schon längst
zurück genommen, zusätzlich wurden weitere Erfolge Erkämpft,
beispielsweise die Absenkung der Wochenarbeitszeit von 45 auf 40
Stunden. Gleichzeitig reagiert der chilenische Staat mit brutalster
Repression – fast 2000 Verletzte durch Scharfe Munition,
Gummigeschosse oder ähnliches ca. 500 Anzeigen von Folter, Berichte
über sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen durch Polizisten.
Doch
das chilenische Volk lässt sich davon nicht beirren, nicht von den
Zugeständnissen, aber auch nicht von der Repression. Die Proteste
halten an, weiterhin hört man die Hymne des Widerstands, El Derecho
de Vivir en Paz (Das Recht in Frieden zu leben), ein Lied des
kommunistischen Musikers Victor Jara auf den Straßen. Die
Massendemonstrationen und die politischen Streiks werden fortgesetzt.
Vor
allem auch, weil die zentrale Forderung der Bewegung noch immer ein
Politikum ist: der chilenische Staat baut immer noch auf der
Verfassung auf, die in der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet
eingesetzt wurde, die muss durch eine Verfassung ersetzt werden, die
sich das Volk selbst gibt! Auch hier hat die Regierung
Eingeständnisse gemacht: bald wird es eine Volksabstimmung darüber
geben ob, bzw. wie eine neue Verfassung diskutiert werden soll.
Hierbei handelt es sich allerdings um eine Mogelpackung. Die
Forderung der Massendemonstrationen zielte auf eine Asamblea
Constituyente ab – eine Verfassungsgebende Versammlung, die sich
aus gewählten Vertretern aus den Vierteln, aus Gewerkschaften und
sozialen Bewegungen rekrutiert. Die Wahlmöglichkeiten, die die
Regierung nun anbietet erinnern im Gegensatz dazu eher an ein zweites
Parlament, was dem Kapital ermöglichen wird, sich eine Verfassung
nach eigenen Vorlieben zu schneidern.
Teile
der Opposition spielen dieses verlogene Spiel mit und versuchen die
Volksabstimmungen als Sieg darzustellen. In einer Bewegung, die so
breit aufgestellt ist und von einer so starken ideologischen
Uneinigkeit geprägt ist, ist es nicht verwunderlich, dass sich
opportunistische Positionen entwickeln. 155 Organisationen,
Gewerkschaften, politische Gruppen unterschiedlichster Ausrichtung,
Studierendenorganisationen, Indigenen- und Bauernverbände und viele
mehr machen zusammen die Mesa de Unidad Social (Tisch/Treffen der
Sozialen Einheit) aus. Ihre ideologische Einheit formulieren sie in
einem 8 Absätze kurzen Manifest und sie reicht nicht viel weiter,
als die für sich genommen schon richtige und wichtige Erkenntnis,
dass es lohnenswert ist, Kämpfe miteinander zu verbinden. Für eine
stärkere Kampfkraft bräuchte es allerdings eine klare Stoßrichtung
basierend auf den Erkenntnissen des wissenschaftlichen Sozialismus.
Es
ist hauptsächlich der chilenischen Sozialdemokratie in Form der
Partido Socialista anzurechnen, dass breite Teile der chilenischen
Volksschichten Organisationsformen, die über die Verteidigung
konkreter Interessen hinausgehen, ablehnen. In den letzten
Legislaturen wechselten sich offen rechte und „linke“ Regierungen
ab, während sich außer der Rhetorik nichts an der Lebensrealität
der Massen änderte.
Um
so beeindruckender ist das Durchhaltevermögen und der Mut der
Demonstrationen der Massen. Sie haben sich nicht von falschen
Versprechungen beirren lassen und vor allem die Gewerkschaften
erkennen klar, welche zentralen Forderungen eben noch nicht umgesetzt
wurden.
Solidarität
mit den Kämpfen des chilenischen Volks!
Sofortiger
Stopp der Repressionen gegen die legitimen Proteste!
Am 22.11.19 wurde bekannt, dass dem Bundesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) bereits Anfang des Monats die Gemeinnützigkeit durch das Berliner Finanzamt entzogen wurde. Der Verband sieht sich nunmehr mit immensen Steuernachforderungen konfrontiert und ist womöglich in seiner Existenz bedroht. Gleiches sollte im März diesen Jahres schon dem Landesverband NRW der VVN-BdA geschehen. In beiden Fällen bezogen sich die dem sozialdemokratischen Bundesfinanzminister Olaf Scholz unterstehenden Behörden auf die Erwähnung der VVN-BdA im Bericht des bayrischen Verfassungsschutzes als „linksextremistisch beeinflusste“ Vereinigung. Der Landesverband NRW konnte sich erfolgreich gegen diesen staatlichen Repressionsversuch wehren, nun wurde anders entschieden. Die VVN müsse volle Beweise für das Gegenteil erbringen. Da sie das nicht könne, würde ihr die Gemeinnützigkeit entzogen. Das ist perfide und absurd, die Beweispflicht wird umgekehrt.
Der Rückgriff auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes lässt tief blicken. Hat doch eben diese staatliche Institution eine tiefbraune Vergangenheit. Vor kurzem wurde bekannt, dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zu den Gründern der rechtsterroristischen Vereinigung Uniter gehört. Dieser Verein ist, wie andere rechte und kapitalfreundliche Vereine auch, bis heute gemeinnützig. Von dem Entzug der Gemeinnützigkeit sind seit Anfang diesen Jahres ebenso das „globalisierungskritische Netzwerk“ attac und die Kampagnenorganisation campact betroffen und gegen die linke Solidaritätsorganisation Rote Hilfe wurde eine Verbotsdiskussion geführt.
Nicht der erste Angriff…
Gegründet von Widerstandkämpfern und den Überlebenden aus den faschistischen Konzentrationslagern, ist die VVN-BdA die traditionsreichste antifaschistische Organisation in der BRD. Bereits 1945 gegründet, stand sie zunächst der KPD, später der DKP nahe. Sie wurde von Beginn ihres Bestehens bekämpft. Bereits 1951 in Hessen verboten, erlebten viele Mitglieder Repressionen und Berufsverbote. In vielen Fällen von Richtern verurteilt, die für ihre faschistische Vergangenheit nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Die SPD distanzierte sich schon 1948 per Unvereinbarkeitsbeschluss von der VVN-BdA, der mittlerweile aber wieder aufgehoben ist. Nach der Konterrevolution geriet die VVN-BdA unter starke Bedrängnis, da nun finanzielle Hilfen aus der DDR wegfielen. Dies führte zur Umwandlung in die heutige Vereinsstruktur.
Was bedeutet dieser Angriff?
Die Maßnahmen gegen die VVN-BdA und andere Organisation sind nicht isoliert zu betrachten. Sie reihen sich in den seit Jahren vor sich gehenden autoritären Staatsumbau ein, der auf die Sicherung der Macht des Kapitals abzielt. Dafür braucht die herrschende Klasse freies Feld und auch ideologische Deutungshoheit. Organisationen die an die Verantwortung des deutschen Kapitals am Hitlerfaschismus, den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus betonen und an die faschistischen Kontinuitäten im „besten Deutschland, das wir jemals hatten“ (Gauck 2017) erinnern, müssen ausgeschaltet werden. Die Mittel sind egal. Anpassung und Konformität werden als Lösung parat gehalten: „Wer gemeinnützig sein will, muss dem Extremismus abschwören.“(BZ 24.11.19)[1]
Dieser Staat und seine herrschende Klasse demontieren seit Jahren die bürgerlichen Freiheitsrechte, wie zuletzt bspw. auch die Verabschiedung neuer Polizeigesetze in beinahe allen Bundesländern oder auch der Beschluss des Bundestages zur BDS Kampagne deutlich machen. Auch Regierungsbeteiligungen der PDL verhindern dies nicht.
Auch heute gelten die Worte des KPD-Vorsitzenden Max Reimann zur Verabschiedung des Grundgesetz 1949: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“
Solidarität und Vertrauen in die eigene Kraft
Die Antwort auf diesen Angriff kann nicht Anpassung und Konformität sein. Sie muss in der Stärkung unserer eigenen Strukturen, ganz unabhängig von staatlicher Unterstützung liegen. Wessen Staat die BRD ist, wird mit jeder dieser Maßnahmen deutlicher, ob steuerrechtlicher oder politischer Natur.
Die Kommunistische Organisation verurteilt diesen feigen Angriff aufs Schärfste! Wir solidarisieren uns mit dem aufrichtigen, verdienstvollen und notwendigen Kampf der VVN-BdA.
Wir verurteilen die Entscheidung der USA aufs schärfste, die israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet nicht mehr als illegal zu betrachten.
Die US-Regierung hat in den letzten Jahren immer größere Unterstützung für die israelische Besatzung Palästinas gezeigt. Zunächst hatte Sie 2018 Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Im März diesen Jahres kündigte Trump anschließend an, die 1967 durch Israel besetzten Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet anzuerkennen. Der US-Botschafter in Israel, David Friedman, erklärte im Juni sogar, Israel dürfe Teile der Westbank annektieren.
Nun verkündete am 18. November der US-Außenminister Mike Pompeo, die USA würden die israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet nicht mehr „per se“ als unvereinbar mit internationalem Recht betrachten. Durch diese Entscheidung kann Israel mit US-Amerikanischer Rückendeckung noch ungehinderter ihre Besatzung von Palästina ausdehnen. Der US-Imperialismus hat schon vor diesen Entscheidungen die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik Israels unterstützt, ob durch Waffen, Berater oder politischen Beistand. Dabei spielte es keine Rolle ob Demokraten oder Republikaner den Präsidenten stellten. Allerdings wurde die Unterstützung für die Besatzung selten so offen verkündet wie aktuell.
Aus der EU waren kritische Töne hinsichtlich des US-Vorstoßes zu hören. Wir dürfen uns aber durch solche Äußerungen nicht täuschen lassen. Die EU und auch der BRD-Imperialismus stehen voll und ganz hinter der Besatzungsmacht Israel. Auch solche Gerichtsurteile, wie jüngst vom Gerichtshof der Europäischen Union, zur Kennzeichnung von Waren aus den von Israel besetzten Gebieten, sind keine guten Nachrichten. Uns wird durch solche Urteile vermittelt: Besatzung und Geschäfte mit der Besatzung sind ok, aber bitte kennzeichnen. Das ist nichts anderes als die Zementierung der Unterstützung für die Besatzung. Ein Einfuhrverbot dieser Waren wäre angemessen, wird es von der EU allerdings nicht geben.
Die israelische Besatzung
Die Israelische Besatzung von Palästina beruht auf der Kolonisierung Palästinas durch Siedlungsbau und militärische Eroberungen. 1948 eroberten zionistische Milizen weite Teile von Palästina, vertrieben hunderttausende Palästinenser aus ihrer Heimat und proklamierten die Gründung des Staates Israel, ohne, und das bis heute, die Staatsgrenzen zu definieren. 1967 eroberte Israel im sogenannten Sechstagekrieg die restlichen palästinensischen Gebiete: Die Westbank, Ostjerusalem, den Gazastreifen und die Golanhöhen.
In den besetzten Gebieten von Ostjerusalem und der Westbank baute und baut Israel kontinuierlich neue Siedlungen, die vom Militär beschützt werden. Palästinensische Häuser und Olivenhaine werden abgerissen, die palästinensischen Anwohner vertrieben. Sie müssen den israelischen Siedlungen weichen. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser wird tagtäglich missachtet. Selbst der Internationale Gerichtshof musste 2003 feststellen, dass die langjährige israelische Siedlungspolitik gegen internationales Recht verstößt. Mittlerweile leben rund 650.000 Siedler in mehr als 200 israelischen Siedlungen in Ostjerusalem und der Westbank.
Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf
Wir verurteilen die neuen Entscheidungen des US-Imperialismus aufs schärfste. Wir stehen entschieden an der Seite des Kampfes der Palästinenser gegen die zionistische Besatzung. Dem Widerstand der Palästinenser gegen den Bau von Siedlungen wird mit blutiger Unterdrückung begegnet. Demonstrationen werden mit Gummigeschossen und scharfer Munition niedergeschossen. Jedes Jahr werden hunderte palästinensische Minderjährige verhaftet und in Militärhaft gesperrt. Trotz schärfster Repressionen gegen jeglichen Widerstand leisten die Palästinenser Widerstand gegen die Besatzung und den Bau von weiteren Siedlungen. Bilder von palästinensischen Jugendlichen, die sich mit Steinen gegen israelische Panzerfahrzeuge wehren gehen um die Welt.
Auf der ganzen Welt ist der palästinensische Befreiungskampf ein Symbol für Widerstand und den Kampf gegen Unterdrückung. Der Mut und die Standhaftigkeit der palästinensischen Jugend ist auch für die Arbeiterklasse in Deutschland ein Vorbild. Der Kampf um die Befreiung von Imperialismus ist international. Wir rufen die Arbeiterklasse dazu auf, praktische Solidarität mit dem palästinensischen Volk und seinem Befreiungskampf zu zeigen.
Hoch lebe die internationale Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf!
Zu den Thesen der Genossen Kissel, Bina und Mayer zur Umweltfrage
Die Diskussion um Klimawandel und Umwelt, um die Klima- und Umweltbewegung und die Haltung der Kommunisten dazu hat begonnen. Es ist eine wichtige und unverzichtbare Diskussion, denn sie berührt verschiedene Fragen unserer Weltanschauung, vom Verständnis des Mensch-Natur-Verhältnisses und der Produktivkraftentwicklung über die Einschätzung der Wissenschaften bis zu Fragen der Strategie und Taktik. Für den Aufbau einer kommunistischen Partei ist eine Klärung in diesen Fragen eine notwendige Bedingung, denn es wird nicht möglich sein, sich zu diesem wichtigen Politikfeld auf Dauer „neutral“ zu verhalten oder dazu zu schweigen. Aktuell gibt es noch viele Unklarheiten in diesen Fragen, nicht nur in der KO, sondern im gesamten marxistischen Spektrum in Deutschland. Es ist daher erfreulich, dass sich auch Autoren aus anderen marxistischen Strömungen und Organisationen an der Debatte beteiligen und sie somit bereichern.
In diesem Artikel werde ich mich auf die beiden bereits veröffentlichten Artikel von Spanidis et al. und Kissel et al. beziehen. Ich werde versuchen, den Dissens zwischen beiden Texten herauszuarbeiten und meine Position besser verständlich zu machen. Der Artikel von Kissel et al. enthält selbstverständlich auch einige richtige Punkte, die teilweise auch im Text von Spanidis et al. sinngemäß enthalten sind. Viele seiner zentralen Aussagen halte ich aber auch für falsch und wissenschaftlich nicht haltbar. Im Wesentlichen ist dieser Text daher als Kritik des Artikels von Kissel et al. zu verstehen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die wissenschaftliche Debatte die geeignete Form darstellt, um diese Fehler zu korrigieren und schließlich den Dissens zu überwinden.
Fassen wir zuerst zusammen, worin aus Sicht des Autors Konsens zwischen den beiden Positionen besteht. Konsens besteht grundsätzlich darin:
Dass im Rahmen der ganzen Klimadiskussion auch die Weltanschauung der Bourgeoisie zum Ausdruck kommt, das sich in irrationalistischen und arbeiterfeindlichen Positionen äußert.
Dass die Wissenschaft insgesamt nicht als neutral betrachtet werden kann, sondern auch von Klasseninteressen und der bürgerlichen Ideologie geprägt ist. Ein Dissens besteht allerdings darin, wie sich diese Prägung genau äußert und ob sie im Fall der Naturwissenschaften ein vergleichbares Ausmaß erreicht wie in den Gesellschaftswissenschaften.
Dass das Kapital auch die Umwelt- und Klimaproblematik für seine Zwecke nutzt und Teile des Kapitals die Klimabewegung und den dazugehörigen Diskurs fördern, da sie sich von einem Umstieg auf andere Formen der Energiegewinnung und des Transports neue Geschäfts- und Profitmöglichkeiten erhoffen. Dass deshalb nicht nur in der Szene der „Klimawandelleugner“, sondern auch in der bürgerlichen Klimabewegung Kapitalinteressen zum Ausdruck kommen.
Dass die herrschende Klasse die „Klimadebatte“ für reaktionäre politische Maßnahmen nutzt und in Zukunft nutzen wird, z.B. um Umverteilung von unten nach oben durchzusetzen oder militärische Interventionen zu rechtfertigen.
Dass die Natur kein bewusstes Wesen mit eigenen Interessen ist, sondern erst der Mensch in der Lage ist, in Bezug auf sie Zwecke und Ziele zu setzen. Dissens besteht allerdings in der Frage, wie wichtig es auch für den Menschen ist, einen wirksamen Umwelt-, Klima- und Artenschutz zu betreiben.
Dass die Natur nicht statisch ist, sondern in ständiger Veränderung begriffen. Hier gibt es jedoch einen Dissens darüber, ob es nicht dennoch relative Gleichgewichte und über lange Zeit relativ unveränderliche Zyklen gibt, die durch die menschliche Intervention ge- und zerstört werden können, mit teils verheerenden Folgen für den Menschen selbst (s.u.).
Die wesentlichen Differenzen bestehen in folgenden Fragen:
Ob es möglich, sinnvoll und notwendig ist, zu Ursachen und Folgen des „menschengemachten Klimawandels“ Aussagen zu treffen. Kissel/Bina/Mayer schreiben: „Unsere Argumentation macht sich ganz und gar unabhängig von den Schwankungen der Temperatur“, denn: „Erstens sind wir keine Experten auf diesem Gebiet, viel wichtiger aber ist, dass wir davon überzeugt sind, dass es nicht möglich ist, einfach mal so ein Experte auf diesem Gebiet zu werden“. Dissens besteht hier in der Frage, ob man wirklich „Experte“ sein muss, um grundlegende naturwissenschaftliche Zusammenhänge beurteilen zu können. Außerdem in der Frage, ob es überhaupt möglich ist, sich sinnvoll zur Frage des Klimawandels zu äußern, ohne dabei ein bestimmtes Verhältnis zu den Erkenntnissen der Klimawissenschaften einnehmen zu müssen.
Ob die Naturwissenschaften tatsächlich in einem vergleichbaren Maße von kapitalistischen Interessen und der bürgerlichen Weltanschauung beeinflusst und daran gehindert werden, richtige Erkenntnisse zu produzieren, wie es in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften der Fall ist.
Ob es in der Natur Kreisläufe und relative Gleichgewichte gibt, die durch die Intervention der menschlichen Zivilisation gestört werden können, sodass auch das Leben der Menschen davon beeinträchtigt wird.
Ob der Klimawandel und andere ökologische Probleme ernsthafte Bedrohungen für die Lebensbedingungen des Menschen auf der Erde sind, oder ob dazu im Wesentlichen eine unbegründete Panik geschürt wird.
Ob es im Rahmen des Kapitalismus denkbar ist, den Klimawandel und andere gravierende ökologische Probleme zu lösen, oder ob der wachsende Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen sich zwangsläufig darin äußert, dass die Produktivkräfte auch im Verhältnis zu den natürlichen Lebensbedingungen zunehmend den Charakter von Destruktivkräften annehmen, weshalb eine Verschlimmerung der ökologischen Problematik gesetzmäßiges Resultat der kapitalistischen Entwicklung ist.
Ob eine sozialistische Planwirtschaft in der Lage ist, die Produktivkraftentwicklung mit dem Umwelt- und Klimaschutz in Einklang zu bringen und diese Tatsache daher in der Agitation und Propaganda für den Sozialismus genutzt werden sollte.
Ob die Annahme, der Sozialismus könne die ökologischen Probleme lösen, zwangsläufig zum Reformismus oder Linksradikalismus führt.
Sowie vermutlich in der Frage, wie die Strömung der Leugner des menschengemachten Klimawandels einzuschätzen ist.
Wie bereits im ersten Artikel von Spanidis et al. wird auch hier der Begriff des „menschengemachten Klimawandels“ der Einfachheit halber und in Abgrenzung zu unwissenschaftlichen Ansätzen genutzt, die den entscheidenden menschlichen Einfluss auf die Entwicklung des Weltklimas leugnen. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass dieser Begriff aber auch problematisch ist, weil er „den Menschen“ allgemein, als überhistorisches Wesen verantwortlich macht, statt konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, die die ökologische Zerstörung hervorbringen, nämlich der kapitalistischen Produktionsweise.
Überlegungen zu Marxismus und Naturwissenschaft
Wie wir bereits in unserem ersten Artikel dargelegt hatten, ist es nicht sinnvoll möglich, über das Thema Klimawandel und alles was damit zu tun hat (von der bürgerlichen Klimabewegung bis hin zu den Aufgaben des Sozialismus) zu sprechen, ohne sich damit zu beschäftigen, worin das Problem besteht, ob es besteht, wie gravierend es ist und unter welchen Bedingungen es gelöst werden kann. Der Artikel der drei Genossen zeigt das auf eindrückliche Weise. Denn er verbleibt auf einer abstrakten, hypothetischen Ebene, während er an der eigentlichen Aufgabenstellung – nämlich einer kommunistischen Positionierung zur Klima- und Umweltfrage, einer Einbeziehung dieser Fragen in taktische und strategische Überlegungen – leider weitgehend vorbeigeht.
Der Text drückt sich um diese Frage, indem er einem erkenntnistheoretischen Skeptizismus bezüglich der Naturwissenschaften das Wort redet. Dazu wird zunächst darauf verwiesen, dass im Kapitalismus „die herrschenden Gedanken (…) bis heute weitestgehend die Gedanken der Herrschenden“ seien. Während das natürlich grundsätzlich richtig ist, bedeutet es doch nicht (und war von Marx und Engels mit Sicherheit auch nie so gemeint), dass sämtliche Erkenntnisse der bürgerlichen Wissenschaften deshalb grundsätzlich unzuverlässig seien. Dies gilt nicht für die Gesellschaftswissenschaften und bürgerliche Philosophie, wo Marx und Engels bekanntlich in enormem Umfang von den Arbeiten bürgerlicher Denker – von Hegel und Feuerbach bis Smith und Ricardo – profitierten. Und es gilt erst recht nicht für die Naturwissenschaften. Kissel et al. behaupten hingegen: „Die These, dass Naturwissenschaften eher weniger von der herrschenden Ideologie berührt werden würden, weil sie es mit härteren Fakten zu haben, ist fern von der Realität des Wissenschaftsbetriebs.“
Gibt es Einflüsse der Bourgeoisie, des Imperialismus auf die Naturwissenschaft? Sicherlich. Kein Marxist wird das leugnen. Schon die Auswahl der Themen an denen geforscht wird, ebenso wie die weltanschaulichen Vorannahmen über ihre Bedeutung, ihre Implikationen usw. sind gesellschaftlich geprägt. So werden medizinische Behandlungsmethoden, die vor allem Menschen in ärmeren Ländern helfen könnten, mit niedrigerer Priorität erforscht als solche, mit denen sich viel Geld machen lässt. Oder es wurde mit der populärwissenschaftlichen Begrifflichkeit des sogenannten „Gottesteilchen“ für das Higgs-Boson ein irrationaler, abergläubischer Einschlag in eine naturwissenschaftliche Diskussion eingeführt, um ein zweites Beispiel zu nennen.
Aber bedeutet das, dass die Naturwissenschaft grundsätzlich nicht vertrauenswürdig ist? Ist sie gar in vergleichbarer Art und Weise verfälschend wie die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften? Nein, das ist sicher nicht der Fall. Wie wir bereits dargelegt hatten, tendieren die Naturwissenschaften von sich aus zum Materialismus, weil es ihnen andernfalls unmöglich ist, ihren Gegenstand zu behandeln. Dies trifft bereits auf mittelalterliche oder frühneuzeitliche Naturforscher zu, die zwar versuchten, ihren Glauben mit der Wissenschaft zu versöhnen, die aber in der Forschung selbst eng am Material blieben, es zerlegten, untersuchten und danach strebten, seine Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, ohne dass bei jedem kausalen Schritt die Intervention Gottes angenommen werden musste. Die Naturwissenschaften entwickeln Hypothesen auf der Grundlage von Experimenten, Messungen, mathematischen Gleichungen. Offensichtliche Fehlmessungen oder falsche Berechnungen lassen sich nachprüfen und können von der wissenschaftlichen Community kritisiert und korrigiert werden.
Bei den Gesellschaftswissenschaften verhält es sich anders. In ihnen gibt es keine reproduzierbaren Experimente und für viele wichtigen Zusammenhänge auch keine Messdaten, sondern nur historische Beobachtungen bestimmter, zumeist einzeln untersuchter Entwicklungen, die sich zu Theorien verallgemeinern lassen. Selbst die relativ wenigen Historiker, die sich wirklich daran versucht haben, eine Weltgeschichte zu schreiben, mussten zwangsläufig diese Geschichte unter bestimmten Aspekten behandeln, während andere Fragen in den Hintergrund treten. Die höchste Stufe der wissenschaftlichen Entwicklung stellt hier der historische Materialismus dar, weil er die Analyse der Geschichte anhand der bestimmenden Entwicklungsgesetze der jeweiligen Gesellschaftsformationen betreibt.
Es geht in den Gesellschaftswissenschaften zudem mehr um qualitative als quantitative Zusammenhänge (also um gesellschaftliche Beziehungen, die sich nicht einfach in Daten ausdrücken lassen), die aber wiederum von vornherein durch die weltanschaulichen Annahmen des Forschers geprägt sind. Die Erforschung der Gesellschaft ist von vornherein dadurch bestimmt, ob ich davon ausgehe, dass diese Gesellschaft aus nutzenmaximierenden Individuen besteht, während der Staat nur das Gemeinwohl verfolgt – oder ob ich erkenne, dass nicht Individuen, sondern Klassen die entscheidenden Akteure sind und auch der Staat nur als Organ der Klassenherrschaft zu verstehen ist. Diese Prämissen, die die Forschungsweise bestimmen, ergeben sich nicht einfach so durch den unbefangenen Blick auf den Gegenstand, wie es der Empirismus glaubt. Dementsprechend wird der Forscher abhängig von seinen Grundannahmen andere Forschungsfragen stellen, nach anderen Daten suchen, andere Phänomene für wichtig oder unwichtig halten usw.
In den Gesellschaftswissenschaften geht es um die Frage der Legitimität der Ausbeutung und der Klassenherrschaft. Schon die Tatsache der Ausbeutung auszusprechen und den vergänglichen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise aufzuzeigen, der sich u.a. in gesetzmäßigen Krisen äußert, berührt diese grundsätzliche Legitimationsfrage. Je direkter ein Wissenschaftszweig mit diesen Fragen in Berührung kommt, desto unmittelbarer wird er in seinen Ergebnissen von der herrschenden Klasse verfälscht. Das sehen wir z.B. in der Volkswirtschaftslehre: Um die Ausbeutung und die Krisen des Kapitalismus nicht behandeln zu müssen, flüchtet sie sich in reine Phantasterei, in eine Scheinwelt aus mathematischen Modellen, die beanspruchen, gesellschaftliche Zusammenhänge darzustellen und damit vollkommen scheitern. Ein anderes offensichtliches Beispiel wäre die Erforschung der Geschichte des real existierenden Sozialismus: Der Sozialismus war der real existierende Todfeind des Imperialismus. Seine gewaltigen Errungenschaften zuzugeben, darüber unbefangen zu sprechen, würde bedeuten, potenziell die Legitimität des kapitalistischen Systems als bestmöglicher Ordnung infrage zu stellen oder denen Munition zu liefern, die das tun. Deshalb wird die Geschichte des Sozialismus von der Mehrheit der bürgerlichen Historiker bis zur Unkenntlichkeit entstellt, indem Ereignisse aus ihrem historischen Kontext gerissen, in ihrer Bedeutung verdreht oder massiv übertrieben oder einfach komplett erfunden werden.
All das bedeutet natürlich nicht, dass es in den Gesellschaftswissenschaften keine objektiven, richtigen Erkenntnisse geben kann. Es bedeutet auch nicht, dass bürgerliche Sozialwissenschaftler, Ökonomen oder Historiker ausschließlich lügen, wenn sie den Mund aufmachen. Es bedeutet aber, dass wir ein gesundes Maß an Skepsis bei ihren Aussagen an den Tag legen müssen, besonders dann, wenn es um Fragen geht, die unmittelbar die Legitimation des Kapitalismus oder die Dämonisierung des Sozialismus betreffen.
Bei den Naturwissenschaften ist das eben nicht der Fall. Hier können wir zunächst davon ausgehen, dass grundlegende Erkenntnisse, die aus wissenschaftlichen Beobachtungen, Messungen, Experimenten gewonnen werden, zuverlässig sind. Eine kompliziertere Frage ist, wie diese dann weltanschaulich eingeordnet werden. So kann, um zum eigentlichen Thema zu kommen, wenig wissenschaftlich begründeter Zweifel daran bestehen, dass menschliche Gesellschaften durch die Produktion von CO2 seit Beginn der Industrialisierung die globale Erwärmung um mehr als 1°C im Wesentlichen verursacht haben. Doch natürlich wird der Boden unter unseren Füßen wackeliger, wenn es um Prognosen geht, wie die Erwärmung des Klimas genau verlaufen wird. Noch unsicherer werden Prognosen, die sich mit den Auswirkungen dieses Verlaufs auf bestimmte Ökosysteme und menschliche Gesellschaften befassen. Es gibt immer eine gewisse Unsicherheit der Zukunft, wie in allen Wissenschaften. Diese Unsicherheit ist aber kein Freifahrtsschein dafür, Prognosen grundsätzlich für unwissenschaftlich und populistische Panikmache zu erklären. Denn natürlich ist die Wissenschaft auf begründete Aussagen über die Zukunft angewiesen. Und auch wir sind darauf angewiesen zu erfahren, was uns in Zukunft erwartet, um uns ggf. darauf vorbereiten zu können.
Wenn es zu einer naturwissenschaftlichen Frage einen nahezu hundertprozentigen Konsens unter den entsprechend qualifizierten Wissenschaftlern gibt, kann man in der Regel davon ausgehen, dass die Realität durch diese These einigermaßen adäquat beschrieben wird. Es dürfte jedenfalls schwer fallen, in den letzten 100 oder 200 Jahren ein Beispiel für eine naturwissenschaftliche Theorie zu finden, die von der Gesamtheit der Naturwissenschaftler vertreten wurde und sich als im Wesentlichen falsch erwies, weil die Wissenschaft durch kapitalistische Interessen oder die vorherrschende bürgerliche Ideologie an der Erkenntnis gehindert wurde.
Wie sieht es nun mit dem wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel aus? Der Artikel von Kissel et al. ist auch hier irreführend, was den wissenschaftlichen Konsens über diese Frage angeht. Sie schreiben, es gäbe „bis heute keine Einigkeit (…) über Ursachen, Schwere, Folgen und Lösungen der klimatischen Veränderungen“. Eben das ist falsch. Uneinigkeit und eine gewisse, in der Natur der Sache liegende Unsicherheit gibt es in den Fragen der Schwere, der Folgen und Lösungsmöglichkeiten der klimatischen Veränderungen. Bei den Ursachen hingegen, die hier in der Aufzählung mit auftauchen, gibt es durchaus eine weitgehende Einigkeit, was das Wesentliche angeht, also dass der Hauptgrund der globalen Erwärmung die Emission von Treibhausgasen durch Verbrennung fossiler Brennstoffe sowie Rodung von Wäldern und Viehhaltung ist. Diese Klarstellung ist aber von großer Wichtigkeit. Denn der Artikel der drei Genossen lässt fatalerweise immer noch die Möglichkeit offen, dass man auch am menschengemachten Klimawandel selbst begründete Zweifel haben könnte. Wenn das so wäre, wenn es also nicht einmal gesichert wäre, wo die Ursachen der Erderwärmung liegen, dann ließe sich vielleicht begründen, warum die Menschheit sich keine zu großen Sorgen darum machen sollte, da sie vermutlich sowieso nichts daran ändern kann. Nun, dem ist aber leider nicht so. Um das zu belegen, haben wir den Stand der Forschung zur globalen Erwärmung in unserem letzten Artikel grob dargestellt.
Sicherlich, es gibt Personen, die bis heute den anthropogenen Klimawandel infrage stellen. Akademisch ausgebildete Klimaforscher sind sie in der Regel nicht. Jedoch bedeutet die Tatsache, dass eine bestimmte wissenschaftliche Erkenntnis von einer kleinen Gruppe von Personen geleugnet wird, nicht, dass wir uns keiner Theorie, keiner Aussage mehr sicher sein können. Ähnlich wie beim Klimawandel verhält es sich ja auch bei anderen weitgehend gesicherten Erkenntnissen, wie z.B. der biologischen Evolution. Auch da vertritt eine kleine Minderheit, gestützt auf einige angebliche Ungereimtheiten der Evolutionstheorie die jenseitige Position, dass die Evolution grundsätzlich anzuzweifeln sei und die Entwicklung des Lebens ohne ein „intelligent design“, also die Intervention einer höheren Macht nicht zu erklären sei. Beides sind Beispiele für Formen der organisierten Anti-Aufklärung, die Ausdruck der Tendenz des entwickelten Imperialismus zur Reaktion sind. Die Desillusionierung gegenüber den Heilsversprechen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft führt nicht automatisch zu einem tiefergehenden Verständnis gesellschaftlicher Widersprüche und zur Entwicklung von Klassenbewusstsein. Sie führt bei einem Teil der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums im Gegenteil zu einer ideologischen Regression in den Irrationalismus, die vom Impfgegnertum, Anthroposophie und Homöopathie über religiösen Fanatismus bis hin zu den „Klimaleugnern“ alle möglichen Formen annehmen kann. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Ablehnung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und allgemein einer wissenschaftlichen Anschauung über die Welt. Natürlich wird niemand Kissel et al. oder anderen Kommunisten eine Nähe zu solchen anti-aufklärerischen Positionen unterstellen. Es ist jedoch zentral, dass Kommunisten solchen Tendenzen in all ihren Formen konsequent entgegentreten. Es ist keine akzeptable Option, in solchen Fragen in einer agnostischen Haltung („Wir können die Frage jetzt nicht beantworten“) Zuflucht zu nehmen.
Die Klimawandelleugnung durch eine sektenähnliche Community, die sich im Internet auf entsprechenden Blogs und youtube-Channels ständig selbst bestätigt, ohne sich groß an naturwissenschaftlichen Fakten zu stören, kommt einer kollektiven Realitätsverweigerung gleich. Während es sicherlich berechtigt ist, nach den sozialpsychologischen Grundlagen der heutigen bürgerlichen Klimabewegung zu fragen, wie es unsere drei Genossen tun, muss eine ähnliche Frage doch auch für die Klimaleugner-Szene gestellt werden. Immerhin stützt sich die Klimabewegung bei aller Kritik im Wesentlichen auf wissenschaftlich erwiesene Tatsachen, während die Gegenbewegung sich beharrlich vom wissenschaftlichen Diskurs abkapselt und damit zwangsläufig zur Verschwörungstheorie tendiert: Zehntausende Klimawissenschaftler aus buchstäblich allen Ländern, auch der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten, müssten sich ja schließlich in der größten Verschwörung aller Zeiten zusammengetan haben, um sich darauf zu einigen, über Jahrzehnte gemeinsam der Weltgesellschaft das Märchen vom Klimawandel aufzutischen (vgl. Kubi 2019).
Es sollte niemanden wundern, dass diese Szene, die im Wesentlichen auf einer irrationalistischen Weltsicht beruht, mehr als nur eine offene Flanke nach rechtsaußen aufweist. Wer nicht das Kapital, sondern eine drohende „links-grüne Diktatur“ als Hauptfeind der heutigen Zeit ausmacht, dürfte sich schnell an der Seite der AfD finden. Und wenn ganze Heerscharen von Online-Kriegern einer 16-jährigen Jugendlichen in den sozialen Medien wünschen, sie möge möglichst bald erschossen, vergast oder zumindest vergewaltigt werden, dann deutet das darauf hin, dass sich auch an dieser Frage Teile der Massenbasis einer faschistischen Bewegung zu formieren scheinen. Es versteht sich wohl auch hier von selbst, dass diese Ausführungen sich nicht auf die Ansicht der Genossen Kissel, Bina und Mayer beziehen, die natürlich mit diesen reaktionären Positionen nichts gemein haben. Doch wenn wir über die Haltung der Kommunisten zur Klimafrage reden, können wir uns nicht auf die Kritik der Klimabewegung beschränken, sondern müssen auch über den Irrationalismus und die reaktionären Tendenzen sprechen, die sich unter den lautstarken Gegnern dieser Bewegung finden.
Deshalb ist es schließlich eine falsche und kritikwürdige Herangehensweise, sich um wissenschaftlich begründete Aussagen zum wissenschaftlich erwiesenen anthropogenen Klimawandel herumzudrücken. Denn ob es überhaupt einen Klimawandel gibt und wie viel menschliche Einflüsse dazu beitragen bzw. daran überhaupt ändern können, berührt selbstredend den Kern der ganzen Debatte. Wer aber der Ansicht ist, dass es noch offen sei, was überhaupt für den massiven Anstieg der globalen Temperaturen verantwortlich ist, der müsste erst mal eine Reihe von Fragen beantworten: Was, wenn nicht CO2 und Co. könnte einen solch rapiden Temperaturanstieg verursacht haben, zumal ja auch schwankende Sonnenaktivitäten als Erklärung ausfallen? Geht man davon aus, dass es den Treibhauseffekt, der bereits im 19. Jahrhundert experimentell nachgewiesen wurde, gar nicht gibt, bzw. dass er keine relevanten Auswirkungen auf das Weltklima hat? Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist seit der Industrialisierung von etwa 280 ppm (parts per million, d.h. 280 Teilchen von einer Million sind CO2-Moleküle) auf aktuell bereits über 410 ppm gestiegen, also ein Anstieg um fast die Hälfte. Ist es vorstellbar, dass eine so massive Veränderung der Konzentration dieses Treibhausgases keine klimawirksamen Effekte hat? Und wie kommt es, dass die gesamte akademische Forschung zum Klimawandel sich in den grundsätzlichen Fragen, besonders was die Ursachen angeht, einig ist? Es gibt zwar Teile der Bourgeoisie, die durchaus an der gegenwärtigen Klimapolitik und dem sie begleitenden Diskurs ein Interesse haben. Es gibt aber ebenso mächtige Fraktionen des Kapitals, die, wie wir bereits aufgezeigt haben, versuchen, die wissenschaftliche Erkenntnis über den Klimawandel zu blockieren, weil sie ein Interesse an der Erhaltung des klimapolitischen Status Quo haben. Müsste man dann nicht erwarten, dass die wissenschaftliche Community gespalten ist und große Teile die These vom „menschengemachten Klimawandel“ infrage stellen würden? Und wie ist es zu erklären, dass auch in der Sowjetunion, wo sich die Wissenschaft ungestört von Kapitalinteressen entfalten konnte, bereits vor einem halben Jahrhundert führende Wissenschaftler die These vom menschengemachten Klimawandel vertraten (Kubi 2019; vgl. auch: junge Welt 12.10.2019)? Sind nicht all diese Tatsachen ziemlich starke Hinweise darauf, dass es sich bei eben diesem „menschengemachten Klimawandel“ vielleicht doch einfach um eine so gut belegte Tatsache handelt, dass sich Wissenschaftler aus allen Ländern unabhängig von ihren politischen Überzeugungen oder Interessen im Wesentlichen einig werden können?
Im Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen stehen auch solche Behauptungen wie die Infragestellung von Kreisläufen und relativen Gleichgewichten in der Natur: „Es gibt genau so wenig einen gleichbleibenden Kreislauf oder ein Gleichgewicht. Solche Vorstellungen sind historisch entstanden, weil der Mensch z.B. unter bestimmten natürlichen Bedingungen besser leben und arbeiten konnte und weil sein Gesichtskreis noch beengt war auf die Zeit, die er selbst erfassen konnte. So kam es, dass der Mensch das Wiederkehren der Jahreszeiten, Tag/Nacht etc. als Kreislauf wahrnahm. Erst später wurde erkannt, dass es sich hier nur um relative Größen und wenn überhaupt (!) so etwas wie Zyklen, dann diese nur spiralförmig gibt, also in Entwicklung begriffen.“; und etwas später: „Der Mensch lenkt die Natur erst in nützliche, nutzbare Bahnen. Er stört nicht Harmonien, Gleichgewichte oder Kreisläufe“
Auch hier finden wir wieder das problematische Muster, dass eine Aussage, die in einem speziellen Sinne richtig ist, nämlich dass es keine ewiggleichbleibenden Kreisläufe gibt, so verallgemeinert wird, dass die Existenz von Kreisläufen in der Natur generell infrage gestellt wird. Dass die Jahreszeiten und der Tag-Nacht-Rhythmus Kreisläufe darstellen, ist aber doch nicht nur eine historisch beschränkte Sichtweise des Menschen auf die Natur, sondern es sind tatsächliche Kreisläufe, die durch die Erdgeschichte hindurch, durch Hunderte Millionen von Jahren im Wesentlichen gleich geblieben sind. Auch z.B. der für das Erdklima relevante Kohlenstoffkreislauf, bei dem Kohlenstoff in organischen Verbindungen wie Pflanzen gebunden wird und bei deren Absterben als CO2 in die Atmosphäre gerät oder von den Meeren und dem Boden aufgenommen wird, um dann wieder in neu entstehenden organischen Verbindungen gebunden zu werden, ist unverkennbar ein Kreislauf. Dieser Kreislauf verändert sich über erdgeschichtliche Zeiträume, weshalb es in der Erdgeschichte auch immer Phasen mit stärkerem und schwächerem Treibhauseffekt gab, aber innerhalb individuell-menschlicher Zeithorizonte ist auch dieser Kreislauf im Wesentlichen gleichbleibend. Auch die Evolution, also das Aussterben und neue Entstehen von Arten, die Veränderung ihrer Merkmale usw. findet über lange Zeiträume hinweg statt und zwar ebenfalls in der Form relativ stabiler Kreisläufe. Verschiedene Lebewesen ernähren sich voneinander und sondern durch ihren Stoffwechsel sowie durch ihre eigene Auflösung nach dem Tod wieder Nährstoffe ab, die das Ökosystem insgesamt aufrechterhalten. Heute spricht man meistens von einem Nahrungsnetz anstatt einer Nahrungskette, da die Beziehungen zwischen den verschiedenen Spezies weitaus komplexer sind, als es das Bild einer Kette nahelegt. Dass dabei alle Lebewesen über längere Zeiträume neue Eigenschaften entwickeln, dass manche Arten aussterben und neue entstehen, ist Teil dieser Entwicklung, die sich aber ebenfalls in der Regel über lange Zeiträume erstreckt.
Solche relativen Gleichgewichte können eben sehr wohl durch menschliche Einflüsse gestört werden, das heißt sie entwickeln sich in eine Richtung, die Ökosysteme zusammenbrechen lässt und damit auch für menschliches Leben auf dem Planeten ungünstigere Bedingungen schafft. Genau das ist z.B. beim Kohlenstoffzyklus der Fall und es ist ebenso der Fall im Fall der Ökosysteme, die durch das rapide Aussterben von Spezies, die teilweise eine zentrale Rolle im Nahrungsnetz spielen und damit enorme Auswirkungen auf andere Spezies haben. Diese rasanten Umwälzungen wie der Anstieg der Treibhausgase und die Verringerung der Artenvielfalt geschehen nicht als Teil einer natürlichen Entwicklung, sondern sie sind die Folge einer tiefgreifenden Veränderung des Mensch-Natur-Verhältnisses innerhalb weniger Generationen, die durch die weltweite Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise stattgefunden hat. Hier hat „der Mensch“, genauer gesagt das Kapital, also durchaus (zer-)störend in relativ stabile Kreisläufe eingegriffen.
Wie ernst ist das Problem?
Ein grundlegender Dissens in unserer Diskussion besteht in der Frage, wie ernst das Problem der ökologischen Zerstörung und globalen Erwärmung ist. In dem Artikel der drei Genossen schwingt die ganze Zeit mit, es handle sich bestenfalls um ein zweitrangiges Problem. Diese Position ist gewissermaßen eine der Prämissen der Autoren. Denn würden sie davon ausgehen, dass wir es mit einem großen und realen Problem zu tun haben, hätten sie den Fokus ihrer Argumentation nicht allein gegen die „Panikmache“ richten können, ohne sich mit der Frage nach Lösungen für das Problem zu befassen.
Damit soll nicht bestritten werden, dass es diese Panikmache auch gibt. Diese ist auch zu kritisieren. Denn natürlich ist Panik kein produktives Verhältnis zu irgendwas, sie führt vielmehr zu Irrationalismus und Fatalismus, aber nicht zu einer organisierten, klassenkämpferischen Antwort. In dieser Frage gibt es also keinen grundsätzlichen Dissens. In Teilen des bürgerlichen Diskurses wird durchaus ein solcher Fatalismus geschürt. Greta Thunberg rief am 25.1.2019 dazu auf, in Panik zu geraten: „Ihr sagt, nichts im Leben ist schwarz oder weiß. Aber das ist eine Lüge. Eine sehr gefährliche Lüge. Entweder verhindern wir 1,5 °C Erwärmung oder wir tun es nicht. (…) Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet.” (Thunberg 2019). Abgesehen von der berechtigten Frage, warum eine 16-Jährige auf ein Weltwirtschaftsforum eingeladen wird, um da scheinbar die Repräsentanten der Bourgeoisie zu kritisieren, ist an diesem Zitat zweierlei bemerkenswert: Erstens, dass die Behauptung, es gebe kein schwarz oder weiß, sondern nur das 1,5°C-Ziel oder seine Überschreitung schlicht falsch ist. Denn wie bereits in unserem ersten Artikel dargelegt, gibt es keine absolute Schwelle, unterhalb derer der Klimawandel unproblematisch wäre und bei dessen Überschreiten der Weltuntergang unaufhaltsam anrollt. Vielmehr werden wir es mit einer graduellen, wenn auch vermutlich exponentiell ansteigenden Verschlimmerung der Lage zu tun haben, je mehr sich das Klima erwärmt. Zweitens ist die Aussage, man solle keine Hoffnungen hegen, sondern in Panik geraten, politisch überaus gefährlich. Denn der Kampf für eine bessere Welt wird gerade nicht durch Panik genährt, sondern durch Hoffnung. Wenn es keine Hoffnung mehr gäbe, eine lebenswerte Welt überhaupt noch zu erhalten, wären Resignation und Hedonismus in der verbleibenden Zeit rationalere Antworten als ein Kampf, der nicht mehr zu gewinnen ist, aber trotzdem noch jede Menge Opfer erfordern wird. Auch Bewegungen wie „Extinction Rebellion“ erinnern durchaus an esoterische Endzeit-Sekten aus schlechten postapokalyptischen Scifi-Filmen. Es ist nachvollziehbar, wenn auch zu kritisieren, dass viele Menschen von den irrationalistischen und sozial reaktionären Positionen großer Teile der heutigen Klimabewegung abgeschreckt sind und sich dann der noch irrationaleren Gegenposition zuwenden, die den Klimawandel oder seine menschlichen Ursachen überhaupt infrage stellt. Insofern besteht zwischen beiden Extrempositionen auch eine Wechselwirkung. Kommunisten müssen sich daher sowohl von dem quasi-religiösen Unfug bestimmter einflussreicher Teile der Klimabewegung abgrenzen, der sich zudem beharrlich weigert, die Systemfrage überhaupt ernsthaft zu diskutieren, aber natürlich ebenso von der „Anti-Klimabewegung“, die die Existenz des Problems an sich leugnet.
Währenddessen arbeiten sich jedoch andere Teile des bürgerlichen Diskurses – und hier stehen sie Kissel et al. wiederum inhaltlich nahe – an vermeintlichen technischen Lösungen für das Problem ab. Hier finden wir einen ebenso fehlgeleiteten Technologieoptimismus, der davon ausgeht, dass der Kapitalismus, der das Problem erst verursacht hat, auch zu seiner Lösung imstande sein soll. Das soll geschehen, indem einfach energiesparendere Technologien erfunden werden oder bestimmte theoretisch denkbare, aber unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen schwer vorstellbare Megaprojekte (wie die Verteilung von Spiegeln im All in ungeheuren Zahlen und ähnliche Ideen) als deus ex machina das Problem in den Griff kriegen sollen, ohne dass eine gesellschaftliche Veränderung notwendig wäre. Beide Positionen dienen, obwohl sie sich gewissermaßen gegenseitig ausschließen, nur der Verewigung des Kapitalismus.
Es ist nun sehr problematisch, wenn die drei Genossen das Hauptproblem in der Panikmache ausmachen, ohne sich die Frage zu stellen, ob diese Panik sich vielleicht auf einen realen Kern bezieht, ob also katastrophale Veränderungen der Lebensbedingungen der Menschheit tatsächlich bevorstehen, oder ob das alles nur ein großer Schwindel ist. Das wäre aber die entscheidende Frage, mit der man sich zuerst beschäftigen müsste, bevor man sich ein Urteil darüber anmaßt, wie der sogenannte „Alarmismus“ einzuschätzen ist. Denn die Antwort auf den Alarmismus würde dann nicht einfach heißen, überlassen wir die Lösung des Problems der Bourgeoisie. Sie würde heißen: Eine Lösung des Problems ist möglich, aber nicht durch das Schüren einer Endzeitstimmung und auch nicht durch rein technische Ansätze im kapitalistischen Rahmen. Sie liegt einzig und allein darin, sich für die eigenen Klasseninteressen zu organisieren und für die Errichtung der einzigen Produktionsweise zu kämpfen, die eine Lösung bieten kann – den Sozialismus.
Dass das Problem als solches von den Genossen nicht ernst genug genommen wird, zeigt sich auch an folgenden Sätzen: „Ob es denn überhaupt nötig oder hilfreich sein wird, bestimmte Maßnahmen zur Rettung der Menschheit durch CO2-Senkung zu unternehmen, ist nicht Gegenstand dieser Überlegung“. Hier wird also bewusst die Möglichkeit offengelassen, die nächsten 100 Jahre weiterhin munter CO2 in die Atmosphäre zu blasen, so als wüsste man nicht, welche desaströsen Auswirkungen ein solches Szenario auf die Lebensbedingungen der Menschheit zwangsläufig hätte. Die gesamte Problematik erscheint so als Nebenschauplatz, von dem man eigentlich noch nicht einmal weiß, ob auf diesem Gebiet überhaupt Handlungsbedarf besteht.
Weiter heißt es: „Man könnte auch annehmen, dass zur Vermeidung des nächsten Weltkriegs die sozialistische Revolution notwendig ist – eine weitaus begründetere Annahme, als die der befürchteten Klimakatatstrophe (sic)“. Warum ist das eine „weitaus begründeter“ als das andere? Der Imperialismus produziert den Krieg ebenso gesetzmäßig wie die Zerstörung der Umwelt und die Emission von Treibhausgasen weit über die Regenerationsfähigkeit der Biosphäre hinaus. Während aber der genaue Beginn eines Weltkriegs sich nicht voraussagen lässt, haben wir es bei der „befürchteten Klimakatastrophe“ mit einem gut erforschten Phänomen zu tun, das sich graduell anbahnt und dem wir gerade sozusagen zusehen. Warum ist also die Kriegsangst begründeter als die Angst vor dem Klimawandel? Vielleicht, weil ein Weltkrieg noch verheerendere Auswirkungen hätte, weil er durch den globalen Einsatz von Atomwaffen sogar die Menschheit als ganze auslöschen könnte. Ja, aber das scheint hier nicht der Punkt zu sein, da es den Genossen ja darum geht, grundsätzlich infrage zu stellen, dass man mit der Klimaproblematik für den Sozialismus agitieren kann. Zudem müsste man die Gefahren von Krieg, globaler Erwärmung, zunehmendem Autoritarismus und marschierender Reaktion doch zusammen denken, da jede dieser Bedrohungen die anderen verstärkt. Den Genossen geht es hier aber offensichtlich eher darum, dass sie das ganze Klimaproblem im Grunde für unwichtig halten und die Beschäftigung damit im Wesentlichen für eine Ablenkung von den „wirklichen“ Problemen.
An dieser Stelle widersprechen die Autoren sich in der Frage der Katastrophenprognosen auch selbst. Zuerst hatten sie ja argumentiert, keine Aussagen darüber machen zu wollen, was Ursachen und Folgen des Klimawandels sind. Nun tun sie es dann doch, und müssen es auch, weil es schlicht nicht möglich ist, einen Artikel über den Klimadiskurs zu schreiben, ohne implizite Annahmen über den Klimawandel selbst zu machen.
Gegenüber den Prognosen des IPCC ist tatsächlich die Kritik geäußert worden, die Bedrohungslage nicht richtig darzustellen. Allerdings lautet der Vorwurf nicht, dass das IPCC aus populistischen Gründen die Gefahren übertrieben hätte. Tatsächlich weisen verschiedene Beobachtungen eher darauf hin, dass die Prognosen des IPCC eher zu optimistisch sein dürften. So deuten neue Messungen darauf hin, dass das Abschmelzen der arktischen und antarktischen Gletscher sehr viel schneller verläuft als bisher angenommen (Röhrlich 2019). Nach Messungen des Geophysikalischen Instituts in Fairbanks tauen auch die Permafrostböden in einigen Regionen in einem Maße, das nach den bisherigen Prognosen erst für das Jahr 2090 erwartet wurde (Kern 2019). Beide Prozesse sind einerseits Ausdruck davon, dass der Klimawandel schneller verläuft als bisher vorhergesagt, andrerseits beschleunigen diese Prozesse aber wiederum selbst die globale Erwärmung, indem die hellen Eisflächen geringer werden und massenhaft Methan in die Atmosphäre gerät. Es gibt also wenig Anlass für die Behauptung, dass das IPCC aus „populistischen“ Gründen die Gefahren größer darstellt, als sie sind. Eher sollte man davon ausgehen, dass viele Wissenschaftler sich betont zurückhaltend äußern, um in der Öffentlichkeit als „besonnen“ zu gelten und nicht als sensationsheischende Panikmacher angegriffen zu werden.
Auch wenn die Zukunftsprognosen möglicherweise damit noch zu optimistisch sind, bedeutet das natürlich nicht, dass wir deshalb in den nächsten Jahrzehnten mit dem „Weltuntergang“, also dem Aussterben der Menschheit aufgrund von steigenden Temperaturen rechnen müssen. Natürlich führt die Verschlechterung von Lebensbedingungen wie z.B. der globale Rückgang landwirtschaftlicher Erträge, zunehmende Knappheit von Trinkwasser und verheerende Naturkatastrophen nicht automatisch dazu, dass die Menschheit als solche aufhört zu existieren. Ein solches Szenario ergibt sich zwar langfristig, wenn wir den aktuellen Entwicklungspfad unbegrenzt in die Zukunft fortschreiben. In diesem Sinne ist es richtig, dass der Kapitalismus langfristig auch das Überleben der Menschheit als solcher gefährdet. Jedoch dürfen wir davon ausgehen, dass das 21. Jahrhundert neue revolutionäre Situationen, erfolgreiche Revolutionen und den Aufbau sozialistischer Gesellschaften sehen wird. Wenn wir uns auf die sicherlich eintretende Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche entsprechend vorbereiten, wird es keine „Apokalypse“ geben.
Kann der Kapitalismus die ökologischen Probleme lösen?
Kissel et al. legen in ihrem Artikel nahe, dass es auch unter kapitalistischen Bedingungen möglich sein könnte, die globale Erwärmung in den Griff zu kriegen. Sie schreiben: „Klassengesellschaften sind keine absolute Negation der schöpferischen Entwicklung der menschlichen Gattung. So wie es möglich war, die Luftverschmutzung, das verseuchte Wasser und andere Dinge wieder in den Griff zu bekommen, sind auch viele weitere schöpferische Lösungen möglich, auch im Kapitalismus. (…) Es liegt sozusagen in der Natur des Menschen, Lösungen für Probleme zu finden. Dieses Phänomen wird durch Klassengesellschaften nur begrenzt aufgehalten“.
Natürlich ist es allgemein gesprochen richtig, dass es auch in Klassengesellschaften wie dem Kapitalismus noch schöpferische Entwicklung gibt. Niemand würde das bestreiten. Hier geht es aber nicht um die Frage, ob der Kapitalismus grundsätzlich in der Lage ist, neue Erfindungen zu produzieren. Es geht darum, ob der Kapitalismus in der Lage ist, eine seiner grundlegenden Eigenschaften aufzuheben, nämlich, dass sich in ihr die Produktion nur entwickeln kann, „indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“ (Marx: Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 530). Es geht darum, ob die Widersprüche des Kapitalismus so weitgehend gedämpft werden können, dass enorme ökologische Zerstörungen auf Dauer verhindert werden können.
Hier auf Beispiele zu verweisen, in denen auch unter kapitalistischen Bedingungen bestimmte konkrete Probleme bewältigt werden konnten, ist in höchstem Maße irreführend. Denn es ist eine Sache, ob ein bürgerlicher Staat strengere Gesetze erlässt, die die Entsorgung giftiger Abfälle in Flüssen, die Rodung eines Waldes oder die Verwendung von bestimmten Stoffen wie den Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) verbieten. Solche begrenzten Eingriffe in die Regulierung der Produktion, die aber dennoch bedeutende positive Auswirkungen auf die Umwelt haben können und daher natürlich auch zu unterstützen sind, sind selbstverständlich auch im Kapitalismus möglich. Etwas vollkommen anderes ist es, wenn wir über die weitestgehende Umstellung der gesamten Produktion im globalen Kapitalismus von fossilen Energieträgern auf CO2-neutrale Energie sprechen. Es gibt überhaupt keinen Grund für die Annahme, dass der Kapitalismus eine solche Umstellung auch nur annähernd schnell genug bewältigen wird. Da sich aufgrund der bekannten Kipp-Effekte das Problem der globalen Erwärmung voraussichtlich weiter beschleunigen wird, werden die verspäteten und halbherzigen Maßnahmen, die wir vom Kapitalismus bestenfalls erwarten können, schlicht und einfach nicht ausreichen, um die Entwicklung aufzuhalten oder gar umzukehren. Genau das wäre im Interesse der Menschheit aber dringend geboten.
Es geht dabei nicht um die Frage, ob es technisch möglich wäre, den Klimawandel aufzuhalten. Denn der kapitalistische Staat ist eben kein neutraler Problemlösungsmechanismus, wie uns die bürgerliche Politikwissenschaft verkaufen will. Der bürgerliche Staat kann sich von den Gesetzmäßigkeiten der Produktionsweise nicht unabhängig machen, er bleibt der Staat der herrschenden Klasse. Unter kapitalistischen Bedingungen ist ressourcensparende Produktion niemals ein Ziel an sich. Sie ist nur dann ein Ziel, wenn sie zur Kostensenkung beiträgt, also die Profite erhöht. Die Umwelt, also Luft, Wälder, Boden, Gewässer usw. sind aber meistens Allgemeingüter, deren Verbrauch das Kapital nichts kostet. Es besteht daher für den Kapitalisten keinerlei Anreiz, schonend mit ihnen umzugehen. Die Staaten als Vertreter des gesamtkapitalistischen Interesses können hier zwar intervenieren und bestimmte Schutzmaßnahmen durchsetzen. Da aber auch die Staaten in ökonomischer Konkurrenz zueinander stehen, tun sie das in der Regel nur da, wo es unmittelbar um ihr eigenes Staatsgebiet geht, also wenn z.B. bestimmte Wälder oder Flüsse geschützt werden sollen oder der Feinstaub in einer Stadt reduziert werden muss. Gerade die Frage des Klimas, aber auch andere Fragen wie der Schutz der Meere, sind aber globaler Natur, weshalb der Anreiz für die einzelnen Staaten, ökonomische Kosten in Kauf zu nehmen, um ein globales Gut zu schützen, nicht gegeben ist. Auch die bürgerliche Politik weiß aber natürlich, dass der jetzige Kurs zu desaströsen Folgen führen wird. Sie versucht, durch die Einberufung internationaler Klimakonferenzen und Abkommen zu einem begrenzten gemeinsamen Vorgehen zu gelangen. Auch ein solches gemeinsames Vorgehen kommt jedoch kaum in nennenswertem Maße zustande, da auch der Klimaschutz zum Gegenstand und Kampffeld der imperialistischen Konkurrenz wird. Bekanntlich gab es bereits beim ersten internationalen Vertrag zur Festlegung von Klimazielen, dem sogenannten Kyoto-Protokoll, das Problem, dass die USA als größte Volkswirtschaft der Welt 2001 die Ratifizierung aus ökonomischen Interessen ablehnten. 2011 gab auch Kanada seinen Ausstieg aus dem Vertrag bekannt. Die BRD hingegen kann sich von einer teilweisen Umstellung auf erneuerbare Energien satte Profite versprechen, da ihre Konzerne auf einigen dieser Gebiete führend aktiv sind. Da die Interessensgegensätze Einigungen in den Kernpunkten regelmäßig unmöglich machen, kommt es schließlich aber nicht zu einer gemeinsamen Strategie gegen den Klimawandel.
Das kapitalistische Wachstum ist seiner Natur nach einem ressourcenschonenden Umgang entgegengesetzt. Darauf wurde bereits im letzten Artikel verwiesen: Da keine rationale Planung, sondern der Profit die Produktion reguliert, führen technische Neuerungen, die es ermöglichen, bestimmte Güter mit geringerem Ressourcenaufwand pro produzierter Einheit herzustellen, nicht zu sinkendem Ressourcenverbrauch, sondern zu erhöhtem Produktionsausstoß und damit absolut steigendem Ressourcenverbrauch.
Natürlich existieren rein theoretisch bereits jetzt viele der erforderlichen Technologien, um den Klimawandel aufzuhalten. Andere, wie die verschiedenen Ansätze des „Climate Engineering“, bei dem z.B. CO2 wieder aus der Atmosphäre gezogen werden soll, könnten vermutlich in der näheren Zukunft einsetzbar gemacht werden. Natürlich ist es z.B. rein theoretisch denkbar, dass die gesamte Industrie auf erneuerbare Energien und evtl. Kernenergie umgestellt wird, alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, der Individualverkehr reduziert würde usw. Aber eben nur theoretisch. Denn im Kapitalismus existiert eben kein gesamtgesellschaftlicher Plan, der in der Lage wäre, die enormen dafür erforderlichen Ressourcen zu mobilisieren. Es existiert keine gesamtgesellschaftliche Instanz, die die Entwicklung der Gesellschaft nach Kriterien der Vernunft steuern könnte. Es existieren nur die auf dem Markt konkurrierenden Kapitale, die für solche Erwägungen grundsätzlich blind sind und der Staat, der die Interessen dieser Kapitale vertritt. Deshalb setzen sich umweltfreundliche Technologien nur dann durch, wenn sie profitabel sind und nicht dann, wenn es gesamtgesellschaftlich sinnvoll wäre. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass die Umstellung des Produktionsapparates auf solche Technologien in einer Form und mit einer Geschwindigkeit verlaufen wird, die annähernd ausreichen, um katastrophale Folgen für die Menschheit zu verhindern. Das zeigt auch die Entwicklung der letzten Jahre, die trotz Klimakonferenzen, trotz Förderung erneuerbarer Energien usw. eben keineswegs zu einer Verbesserung der Lage geführt hat. Vielmehr befindet sich die Menschheit weiterhin in etwa auf dem Weg, der, wenn er so fortgesetzt wird, in den Projektionen des IPCC als das worst case-Szenario auftaucht (bezeichnet als RCP 8.5): Nach diesem Szenario würde es im Verlauf des 21. Jahrhunderts bei weiter steigendem Energieverbrauch zwar einige Effizienzgewinne einige Effizienzgewinne beim Energieverbrauch und einen gewissen Ausbau von Atomenergie, Biomasse und erneuerbaren Energien geben, während der Kohleverbrauch aber weiter massiv ansteigt (Riahi et al. 2011, S. 43ff). Der IPCC-Report von 2018 schätzt ein, dass auf diesem Weg etwa im Jahr 2060 die Schwelle von 3 °C überschritten werden dürfte und sich das Klima dann bis Ende des Jahrhunderts rasant weiter erwärmt (IPCC 2018, S. 105). Sicherlich sind solche Projektionen mit viel Spekulation verbunden und können nur als ungefähre Anhaltspunkte dienen. Die Frage, die uns hier interessieren sollte, ist aber nicht, um wie viel Grad sich das Klima bis 2100 genau erwärmen wird, sondern in welche Richtung die Menschheit steuert, wenn die aktuellen Trends (bei nur moderatem Ausbau CO2-neutraler Primärenergie) beibehalten werden.
Die These von Kissel et al., wonach es möglich sein könnte, im Kapitalismus der ökologischen Probleme einschließlich des Klimawandels Herr zu werden, ist einer der problematischsten Irrtümer in ihrem Artikel. Letzten Endes wird der Kapitalismus damit ausgerechnet auf einem Gebiet in Schutz genommen, wo er am offensichtlichsten dabei versagt, die gesellschaftliche Entwicklung mit den menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Es ist eben nicht möglich, dass der Kapitalismus seine destruktive Seite überwinden kann. Das zu glauben ist ein naiver Technikoptimismus, der die Entwicklung der Produktivkräfte unabhängig von den Produktions- und Eigentumsverhältnissen betrachtet, die ja gerade immer eine Nutzung der Technik im Sinne des Menschen untergraben und verhindern. Hier werden wesentliche Erkenntnisse des Marxismus über das Mensch-Natur-Verhältnis in seiner historischen Entwicklung ignoriert.
Die Genossen argumentieren damit im Wesentlichen, dass die Frage von Kapitalismus und Sozialismus für die Klimafrage nicht sonderlich relevant sei, da der Kapitalismus möglicherweise bereits das Problem lösen könne und umgekehrt nicht garantiert sei, dass der Sozialismus überhaupt eine Verbesserung bringen würde. Auch mit der zweiten Aussage, die sich auf den Sozialismus bezieht, werden die Produktivkräfte letztlich unabhängig von den Produktionsverhältnissen betrachtet: Hieß es gerade noch, dass man dem Kapitalismus zutrauen müsse, kreative Lösungen auch für die ökologischen Herausforderungen zu finden, die er mit ständig zunehmender Schärfe produziert, wird nun für den Sozialismus gegenteilig argumentiert: „Krieg aber bedeutet Kriegswirtschaft und Aufrüstung. Und werden wir dann auf bestimmte Energieformen verzichten können?“
Auch hier wird eine triviale Wahrheit ausgesprochen, um damit weitreichende Aussagen über die gesellschaftlichen Naturverhältnisse im Sozialismus zu machen. Selbstredend kann es auch im Sozialismus, gerade zu Beginn, eine Situation geben, in der ein vorübergehendes Abrücken von den ökologischen Zielsetzungen unvermeidlich ist. Aber stellen wir uns den Sozialismus auf Dauer als kriegskommunistisches Notstandsregime vor, das jahrzehntelang wenig anderes tun wird, als um sein nacktes Überleben zu kämpfen? Müssten wir der Arbeiterklasse tatsächlich erklären, dass der Sozialismus voraussichtlich erst mal über ein, zwei Generationen keine relevanten Errungenschaften zu bieten haben wird und vor allem Krieg und Überlebenskampf bedeutet, hätten wir sicherlich gewisse Schwierigkeiten, die Massen für diese Aussicht zu begeistern. Denn das wäre, auch abgesehen von den umweltpolitischen Konsequenzen, keine sehr attraktive Perspektive. Und sie ist glücklicherweise auch nicht das, wovon wir ausgehen müssen. Hat die Geschichte der sozialistischen Länder nicht gezeigt, dass auch trotz sehr ungünstiger Ausgangsbedingungen und feindlicher imperialistischer Umzingelung geradezu spektakuläre ökonomische, soziale und kulturelle Errungenschaften möglich waren? Und auch wenn in der antikommunistischen Geschichtsschreibung die Sowjetunion und DDR vor allem mit Umweltzerstörung in Verbindung gebracht werden, zeigen sie auch das Gegenteil, nämlich wie groß die Potenziale einer rationalen, planmäßigen Bearbeitung der Probleme in einem Arbeiterstaat wären. Dieser Frage werden wir uns etwas später in diesem Text anhand eines besonders interessanten Beispiels zuwenden. Zunächst zurück zur Kritik des Textes von Kissel et al.
Produktivkraftentwicklung wird in ihrem Text im Grunde in klassenneutraler Art und Weise betrachtet, da der Charakter der vorherrschenden Produktionsverhältnisse aus Sicht der drei Genossen keine besondere Relevanz für diese Frage zu haben scheint. Diese Herangehensweise ist grundsätzlich problematisch, sie entspricht nicht der dialektischen Betrachtung des historischen Materialismus. Denn dieser hat keine neutrale Sichtweise auf die Frage der Produktivkraftentwicklung, vielmehr sind die Produktivkräfte in ihrer Entwicklung immer davon bestimmt, von welcher Klasse, also unter welchen Produktionsverhältnissen sie angewandt werden. Das heißt nicht, dass eine einzelne umweltschädliche Technologie, sagen wir z.B. das Fracking, nicht unter sozialistischen Bedingungen immer noch umweltschädlich wäre und daher nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Wenn wir uns jedoch den Stand der Produktivkräfte in ihrer Gesamtheit ansehen, sind die Produktionsverhältnisse entscheidend dafür, wie sich die gesellschaftliche Produktion, also der Stoffwechsel der Gesellschaft mit der Natur, auf Mensch und Natur auswirkt. Marx und Engels haben nachgewiesen, dass in einer historisch überholten Produktionsweise wie dem entwickelten Kapitalismus, die bereits die erforderlichen Produktivkräfte für die nächsthöhere Gesellschaftsform entwickelt hat, die Produktivkräfte den Charakter von Destruktivkräften annehmen (darauf wurde bereits in unserem ersten Artikel hingewiesen). Das bedeutet nicht, dass es im imperialistischen Kapitalismus keine Produktivkraftentwicklung mehr gäbe. Es bedeutet vielmehr, dass jede weitere Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums mit zunehmend einschneidenden Formen der Zerstörung der Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt, nämlich Mensch und Natur, einhergeht. Oft wird hier auf die periodischen Krisen verwiesen, die der Kapitalismus hervorbringt. Der Begriff der Destruktivkräfte ist bei Marx und Engels jedoch umfassender gemeint. Er umfasst die Tendenz zum Krieg ebenso wie die gesetzmäßig voranschreitende Zerstörung natürlicher Lebensräume, die für das Kapital lediglich eine Quelle von Rohstoffen darstellen, nicht aber schützenswerte Lebensgrundlagen für den Menschen selbst. Anhand welcher Frage wird denn der Widerspruch zwischen fortschreitenden Produktivkräften und rückständigen Produktionsverhältnissen, die eine rationale, der Menschheit dienliche Anwendung dieser Produktivkräfte verhindern, deutlicher als an der Tatsache, dass der Kapitalismus die ökologischen Grundlagen vernichtet, die für den Menschen lebensnotwendig sind?
Umweltschutz im Sozialismus
Kissel et al. stellen die These auf, dass es falsch sei, als Lösung für das Problem der globalen Erwärmung für den Sozialismus zu werben, wie es zahlreiche kommunistische Parteien weltweit tun. Sie gehen dabei so weit, „dass Kommunisten sich auf den Klassenkampf konzentrieren sollten – und zwar nicht, weil dann auch das Klima gerettet werden könnte, sondern ganz unabhängig davon, ob und wie sich dabei das Klima ändert“. Damit stufen sie die Frage des Klimaschutzes nicht einfach nur als nachrangiges Ziel für den Sozialismus ein, was problematisch genug wäre, sondern sie bestreiten ganz grundsätzlich, dass die Begrenzung der globalen Erwärmung überhaupt ein sinnvolles Ziel im Klassenkampf und ein Grund für den Sozialismus sein könnte. Als Argument dafür führen sie neben den unten weiter ausgeführten strategischen Erwägungen (die angebliche Gefahr des linksradikalen Voluntarismus oder Reformismus) an, dass auch der Sozialismus die Umwelt verschmutzen wird.
Natürlich ist auch diese Aussage nicht komplett falsch. Bereits in unserem ersten Artikel hatten wir dazu geschrieben: „Umweltzerstörung gab es in verschiedenen Formen schon vor dem Kapitalismus und es wird sie auch im Sozialismus in begrenztem Rahmen noch geben. Eine Gesellschaft ohne Produktion ist nicht möglich und Produktion ist, wie Marx betont hat, ein Prozess des Stoffwechsels mit der Natur, der Veränderung der Natur gemäß den Zielen der Menschen.“ Jedoch: „Welche diese Ziele sind, hängt aber nun entscheidend von der herrschenden Produktionsweise ab.“
Aber folgt aus dieser relativ banalen Tatsache, dass der Sozialismus es wirklich nicht besser machen würde als der Kapitalismus? Natürlich würde auch eine sozialistische Planwirtschaft Städte bauen, Landwirtschaft betreiben und Energie „verbrauchen“ (d.h. eigentlich in andere Formen umwandeln). Dass dabei Lebensräume für viele Tiere und Pflanzen zerstört werden, wird sich nicht vermeiden lassen. Aber ist das zu vergleichen mit dem aktuellen Entwicklungsweg der Menschheit, wo der Umweltschutz der Maximierung und Realisierung der Profite grundsätzlich untergeordnet wird und wo im Ergebnis dieser Wirtschaftsweise zu erwarten ist, dass sich die globale Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert um mehrere Grad Celsius erhöhen wird, wodurch ganze Weltregionen quasi unbewohnbar werden dürften?
Wieso genau wir davon ausgehen können, dass eine sozialistische Gesellschaft das Problem lösen könnte, haben wir in unserem ersten Artikel bereits dargelegt. All diese konkreten Argumente müssen hier nicht wiederholt werden. An dieser Stelle reicht es, noch einmal auf den grundlegenden Unterschied zwischen kapitalistischer und sozialistischer Produktionsweise bezüglich des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur hinzuweisen. Während im Kapitalismus in der Produktion kein zentraler Plan existiert und daher die Produktion des gesellschaftlichen Reichtums nicht von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungszielen und Prioritäten geleitet wird, ist im Sozialismus der gesamtgesellschaftliche Plan gerade der bestimmende Mechanismus, der den Ressourceneinsatz, die Ziele der Produktion und die Verteilung der Produkte koordiniert. Das bedeutet, dass es im Kapitalismus schlicht unmöglich ist, den Umweltschutz zu einem entscheidenden Kriterium der Produktion zu machen, während es im Sozialismus möglich ist, dieses Kriterium in die Planerstellung einfließen zu lassen. Es ist natürlich auch denkbar, einen Zentralplan aufzustellen, der sich zu umweltpolitischen Erwägungen komplett ignorant verhält. Das wäre dann aber ein Plan, der nicht umfassend an der Bedürfnisbefriedigung der assoziierten Produzenten orientiert wäre. Denn das Interesse an sauberer Luft und Wasser und einem globalen Klima, das der fortgesetzten Existenz der Menschheit auf diesem Planeten zuträglich ist, gehört wohl zu den grundlegendsten Interessen der Werktätigen überhaupt. Ein Plan, der an diesem Bedürfnis vorbeiplant, würde somit im Widerspruch zum ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus stehen, nämlich der Entwicklung der Produktivkräfte mit dem Ziel einer ständig verbesserten Befriedigung der Bedürfnisse. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, dass auch der Sozialismus ökonomische Gesetzmäßigkeiten kennt, die langfristig nur bei Strafe des Untergangs des Sozialismus verletzt werden dürfen. Der Schutz der Umwelt ist somit ein prioritäres Erfordernis, das sich direkt aus den Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus ergibt.
In der Sowjetunion wurden bereits wenige Jahre nach der Oktoberrevolution gewaltige Programme zur Aufforstung aufgelegt. Ziel des Aufforstungsprogramms war eine Veränderung des Klimas in der Sowjetunion zur Förderung der Landwirtschaft: Riesige Waldgürtel zwischen dem Ural und dem Kaspischen Meer sollte Winde aus den östlichen Wüsten aufhalten und damit mehr Feuchtigkeit in den landwirtschaftlichen Gebieten halten. 1936 wurde dafür eine Hauptverwaltung für Waldschutz und Aufforstung (GLO) geschaffen, die aufgrund von Experimenten und empirischen Erkenntnissen eine Liste von jeweils geeigneten Pflanzenspezies für jede Region erstellte. 1947 wurde die GLO zu einem eigenständigen Ministerium für Waldverwaltung. Im Oktober 1948 wurde das bis dahin größte umweltpolitische Programm der Menschheitsgeschichte verabschiedet: Die Aufforstungsvorhaben wurden nun auf insgesamt 5,7 Mio. ha ausgeweitet, mit dem Ziel, durch acht gigantische Waldgürtel ein günstigeres Klima in der gesamten Sowjetunion zu schaffen. Das Programm entsprach dem fortschrittlichen Selbstverständnis des sowjetischen Staates und wurde entsprechend dargestellt: Während die Imperialisten den Tod säen, säe man in der Sowjetunion neues Leben.
Der Erfolg des ambitionierten Plans wurde bedauerlicherweise vom Einfluss der unwissenschaftlichen Theorien des Agrarwissenschaftlers Trofim Lyssenko unterminiert. Dieser vertrat die auch damals schon nicht haltbare Position, wonach Bäume derselben Spezies sich gegenseitig „helfen“ würden, weshalb er dafür eintrat, im großen Stil Monokulturen anzulegen. Zeitweilig konnte sich diese Methode in der Praxis durchsetzen, auch wegen der vermeintlich enormen Arbeitsersparnis und Einfachheit, was aber dazu führte, dass der Großteil der angelegten Wälder in kurzer Zeit wieder abstarb. Lyssenkos Ansichten wurden von anderen Agrarwissenschaftlern der Sowjetunion wie Wladimir Sukatschow und Wassili Koldanow massiv kritisiert, woraufhin die Regierung ihren Fehler korrigierte. Nach Stalins Tod im Jahr 1953 wurde das Aufforstungsprogramm nahezu sofort abgebrochen. Es war zwar weit hinter seinen Zielen zurückgeblieben und erreichte keine nachhaltige Änderung des Klimas, allerdings blieben im Ergebnis immerhin etwa 400.000 Hektar neuer Wald erhalten, was zu großen Erntezuwächsen auf nahegelegenen landwirtschaftlichen Flächen führte (alle Informationen nach Brain 2010).
Das große sowjetische Aufforstungsprogramm ist für unsere Diskussion damit in zweierlei Hinsicht interessant: Erstens, weil es zeigt, welche enormen Potenziale für einen bewussten und aktiven Umweltschutz eine zentrale Planung der gesellschaftlichen Entwicklung ermöglicht. Und zweitens, weil es illustriert, welche fatalen Auswirkungen es hat, wenn es unwissenschaftlichen Positionen gestattet wird, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Im Endeffekt scheiterte das Programm im Wesentlichen daran, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert wurden und dadurch enormer wirtschaftlicher Schaden entstand. Diesen Schaden zu reparieren, wollte nach 1953 keine sowjetische Führung mehr auf sich nehmen, weshalb man das Programm kurzerhand fallen ließ. Unsere Schlussfolgerung daraus, die wir offensiv nach außen propagieren sollten, muss lauten, dass eine zentrale Wirtschaftsplanung, die sich den aktuellen Stand aller Wissenschaften zunutze macht, auch eine hohe Fähigkeit zur Lösung ökologischer Probleme aufweisen wird.
Die Frage der revolutionären Strategie
Kissel, Bina und Mayer argumentieren, dass aufgrund der Panikmache um den Klimawandel der kommunistischen Bewegung nun die doppelte Gefahr des Reformismus oder des Linksradikalismus drohe. Diese beiden Abweichungen nach links oder rechts sehen sie dabei nicht einfach nur als eine Möglichkeit – nein, sie behaupten, „dass diejenigen die behaupten durch den Sozialismus würde das Klima gerettet, gezwungen (!) sein werden den Weg des Reformismus oder Radikalismus einzuschlagen“. Ob ein solcher „Zwang“ zu opportunistischen Abweichungen in der Politik tatsächlich besteht, soll hier untersucht werden.
Abgesehen davon, dass die wissenschaftliche Herangehensweise an ein Problem eigentlich zuerst die Analyse entwickeln sollte, unabhängig davon ob man deren politische Konsequenzen gut findet oder nicht, anstatt die Analyse damit wegzuwischen, dass sich vielleicht unerwünschte politische Schlussfolgerungen daraus ableiten lassen – fragen wir uns doch, ist das wirklich so, wie die Genossen argumentieren?
Zuerst zur Frage des Reformismus. Dieser Vorwurf lässt sich leicht widerlegen, denn in der Tat ließe sich eine reformistische Politik viel eher aus ihrem eigenen Standpunkt ableiten als aus unserem. Denn wer davon ausgeht, dass es auch im Kapitalismus möglich ist, das Problem des Klimawandels zu bewältigen, der eröffnet damit ja die Möglichkeit, durch Druck auf die Regierungen, vielleicht sogar durch die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen zuerst die Katastrophe zu verhindern, bevor man den Sozialismus erkämpft – und damit dann den Kampf um den Sozialismus de facto ganz aufzugeben. Das ist natürlich nicht die Schlussfolgerung, die die Genossen ziehen, aber sie liegt zumindest nahe. Wer hingegen davon ausgeht, dass eine Lösung dieses Problems nicht durch Reformen, sondern nur durch die Revolution möglich ist, der dürfte eher keine reformistischen Neigungen haben. Die reformistische Gefahr droht also sicher nicht, wenn wir davon ausgehen, dass nur der Sozialismus die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen kann.
Laufen wir denn umgekehrt Gefahr, uns mit dieser Annahme in linksradikalem Voluntarismus zu verlieren? Wer so etwas behauptet, muss im Grunde davon ausgehen, dass wir zu einer marxistischen Herangehensweise an die Frage von Reform und Revolution nicht in der Lage sind. Der muss auch davon ausgehen, dass sämtliche Kommunistischen Parteien, die explizit die Position vertreten, dass nur im Sozialismus die Umwelt und das Klima wirksam geschützt werden können, aufgrund dieser Einschätzung außerstande wären, eine revolutionäre Politik zu entwickeln. Wir hatten bereits in unserem ersten Artikel versucht, unseren Dissens grob in die Debatten der internationalen kommunistischen Bewegung einzuordnen, indem wir darauf verwiesen hatten, dass eine Vielzahl kommunistischer Parteien, die zweifellos fest auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus stehen, im Wesentlichen einen solchen Standpunkt zur Frage des Klimawandels und der ökologischen Frage vertreten. Wir hatten jedoch aus Platzgründen darauf verzichtet, dabei konkreter zu werden.
Sehen wir uns nun z.B. die Einschätzung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) etwas genauer an. Zum Management der Umweltproblematik im Kapitalismus heißt es:
„Die Bekämpfungdes Klimawandels ist ein politisches Problem, ein Konflikt der Klasseninteressen“. Und:„Wir sind sowohl skeptisch gegenüber Katastrophenvorhersagen wie auch gegenüber einer falschen Zuversicht, der Auffassung, dass ‚nichts passieren wird‘“. Und weiter unten: „Heute tauchen neue technologische Möglichkeiten auf, die nicht vervollständigt werden, oder ungenutzt bleiben, entweder aufgrund niedriger Profitraten der Konzerne, oder weil die Forschung, ob ihre Anwendung wirklich machbar und sicher ist, für die Monopole kostspielig ist. Die Arbeitermacht kann sie weiterentwickeln und direkt und in entscheidender Weise in den Dienst der Bedürfnisse des Volkes stellen (…). Nur im Sozialismus, wo das Kriterium der Entwicklung die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse in ihrer Gesamtheit ist, wo alle produktiven Potenziale für das Wohlergehen des Volkes genutzt werden, werden der technologische und wissenschaftliche Fortschritt im vollen Umfang für die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung und den Schutz der Umwelt genutzt werden können.“ (Rizospastis 19.10.2019).
Das ist kein ultralinker Voluntarismus, sondern eine korrekte marxistische Position zur Umweltfrage, die sich im Übrigen auch völlig mit der Position deckt, die wir in unserem ersten Artikel dargelegt haben.
Zurück zum Vorwurf des Linksradikalismus, dem wir angeblich zwangsläufig zuneigen müssen. Als Kommunisten wissen wir, dass der Erfolg der Revolution nicht einfach von unserem Willen abhängt oder davon, wie viele Anhänger wir für die Bewegung gewonnen haben. Vielmehr ist dafür ein Zusammenfallen der Krise des kapitalistischen Staates mit einem unkontrollierbaren Aufschwung der revolutionären Energien in den Massen die Voraussetzung, also das, was Marxisten eine revolutionäre Situation nennen. Die KKE schreibt dazu: „Die sozialistische Revolution kann nicht zu jedem Zeitpunkt durchgeführt werden. Das Entstehen einer solchen objektiven Situation als Folge scharfer Veränderungen im Leben der kapitalistischen Gesellschaft, die für den revolutionären Sturz der kapitalistischen Macht und die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse günstig sind, ist eine wesentliche Bedingung. In der marxistisch-leninistischen Theorie wird eine solche Situation als ‚revolutionäre Situation‘ oder ‚revolutionäre Krise‘ bezeichnet und bildet die objektive Grundlage für die Revolution.“ (KKE 2013, S. 38). Unter diesen Bedingungen würden sich die Kämpfe der Arbeiterklasse allerdings nur dann in eine kohärente revolutionäre Richtung entwickeln, wenn von der Kommunistischen Partei bereits in der vorangegangenen Periode unter nichtrevolutionären Bedingungen der Kampf der Arbeiterklasse in eine Richtung orientiert wurde, die der Entwicklung antikapitalistischen Bewusstseins förderlich ist (ebenda, S. 43).
Besteht hier also ein Widerspruch zwischen den revolutionstheoretischen Überlegungen der KKE und ihren Standpunkten zur Umweltfrage? Ich kann keinen solchen Widerspruch erkennen. Ich glaube vielmehr, dass der Denkfehler hier nicht bei mir oder den Genossen der diversen Kommunistischen Parteien liegt, sondern bei den drei Genossen Kissel, Bina und Mayer. Denn wenn wir die Bedeutung der Umwelt- und Klimafrage betonen, meinen wir damit doch nicht, dass aufgrund der Brisanz des Themas die Revolution früher auf die Tagesordnung gesetzt werden soll als es objektiv möglich ist. Die Geschichte lehrt ja anhand vieler Beispiele, dass es keine „Abkürzungen“ zur Revolution gibt, nur weil die Kommunisten es wollen. Und nichts von dem, was wir geschrieben haben, legt eine solche Deutung nahe. Wir meinen etwas anderes: Dass das Problem in seiner objektiven Relevanz und Tragweite anerkannt werden und ihm ein berechtigter Platz in der kommunistischen Agitation und Propaganda zugestanden werden muss. Dass wenn junge Leute sich jetzt an der Umweltfrage antikapitalistisch politisieren, wenn auch ältere Leute beginnen infrage zu stellen, ob das bestehende System dafür irgendwelche Lösungen zu bieten hat, es politisch absolut fatal ist, wenn Kommunisten sie dafür kritisieren, anstatt sie in ihrer richtigen Erkenntnis zu bestärken und mit ihnen darüber zu diskutieren, wie denn eine Gesellschaft aussehen würde, die das Problem tatsächlich lösen und nicht nur verwalten würde.
Um hier jedes mögliche Missverständnis zu vermeiden: Damit soll nicht gesagt sein, dass es möglich ist, Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“ tatsächlich unter eine proletarische Hegemonie zu stellen. Dies darf man wohl bezweifeln, jedenfalls ist es eine ganz andere Frage, die konkret zu untersuchen wäre. Möglicherweise gilt das sogar für die Umweltbewegung insgesamt, die sich aufgrund ihres Charakters mehrheitlich eher aus dem Kleinbürgertum rekrutiert als aus der Arbeiterklasse (darauf hatten wir in unserem ersten Artikel bereits hingewiesen). Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Bewegungen nicht aufgrund richtiger Erkenntnisse auch berechtigte Fragen aufwerfen (auf die sie dann meistens falsche Antworten geben). Weil das aber so ist, ist es unbedingt notwendig, dass die Kommunisten hier eine korrekte wissenschaftliche Position vertreten und auch anhand der Umweltfrage Propaganda für den Sozialismus machen.
Der Text von Kissel et al. beschränkt sich hingegen darauf, Kritik sowohl an der bürgerlichen Umweltbewegung wie auch an den Kommunisten zu üben, die im Rahmen der Klimabewegung Forderungen aufstellen. So heißt es bei ihnen: „Andere Forderungen nach einem Fonds oder nach Besteuerung der Konzerne, nach Senkung der Rüstungsausgaben blenden die Machtfrage im Kapitalismus, also die Frage der Staatsmacht, aus und vermitteln Illusionen in die Möglichkeit der Reform des Kapitalismus“. Ist das so? Blenden Forderungen nach Besteuerung der Konzerne per se die Machtfrage aus? Warum soll es nicht möglich sein, eine höhere Besteuerung der Monopole zur Finanzierung von Umweltschutzmaßnahmen zu fordern und für diese Frage die Arbeiterklasse oder andere Volksschichten zu mobilisieren? Ist es dann überhaupt nicht möglich, im Kapitalismus Forderungen an den Staat zu stellen? Sollte eine kommunistische Partei im Parlament also nicht für entsprechende Gesetze stimmen oder sie selbst einbringen? Während Kissel et al. bei unserer Position die Gefahr des Linksradikalismus wittern, bewegen sie sich solche Ausführungen in Wirklichkeit selbst in dessen Nähe.
Die Genossen verzichten leider darauf, ihrerseits auszuführen, welche Forderungen und Lösungen Kommunisten denn richtigerweise zur Umweltproblematik entwickeln sollten. Sicherlich muss es in einem ersten Diskussionsartikel nicht darum gehen, bereits einen entwickelten Katalog von möglichen Forderungen vorzulegen. Es wäre aber interessant gewesen zu erfahren, in welche grobe Richtung solche Forderungen nach Meinung der Autoren gehen könnten. Denn in diesem Politikbereich ganz auf Forderungen zu verzichten, ist sicher keine Option.
Schlussfolgerung:
Der Artikel von Kissel et al. folgt insgesamt einer problematischen Methode, die mir wenig geeignet erscheint, eine wissenschaftlich fundierte Position zur Klimafrage zu entwickeln: Die Genossen formulieren allgemeine Aussagen, die in einem speziellen Sinne richtig sind und unter Marxisten wohl auch allgemein geteilt werden, um sie dann aber so zu verallgemeinern, dass ein schiefes Ergebnis dabei herauskommt. Aus der dialektischen Binsenwahrheit, dass es keine ewig unveränderlichen Zustände gibt, wird so gefolgert oder zumindest nahegelegt, dass Gleichgewichtszustände und Kreisläufe in der Natur keine Rolle spielen. Aus der Tatsache, dass auch in den Naturwissenschaften Kapitalinteressen einen Einfluss auf die Forschung haben, wird ein grundsätzlicher Skeptizismus gegenüber den Erkenntnissen der Naturwissenschaften gemacht, sodass man sich nicht einmal auf handfeste Forschungsergebnisse der Gesamtheit der Klimawissenschaftler dieser Welt verlassen können soll. Weil es möglich war, den ein oder anderen verseuchten Fluss wieder einigermaßen sauber zu kriegen oder andere lokal begrenzte Umweltprobleme zu lösen, legen sie nahe, dass der Kapitalismus grundsätzlich auch mit nachhaltigem Umweltschutz vereinbar sein könnte. Weil es auch im Sozialismus noch Situationen geben wird, wo Umweltzerstörungen in größerem Maße sich nicht vermeiden lassen, halten sie es für grundsätzlich falsch, für den Sozialismus auch mit dem Argument zu werben, dass er klimafreundlicher ist als der Kapitalismus. Meines Erachtens lässt sich keine dieser Schlussfolgerungen aufrecht erhalten.
Besser wäre es gewesen, konkret zu den eigentlichen Fragen der Debatte Stellung zu nehmen: Was sind die Ursachen der globalen Erwärmung? Mit welchen Folgen muss die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten rechnen? Unter welchen Bedingungen kann das Problem gelöst werden und unter welchen nicht? Wie müssen Kommunisten diesen Umstand in ihrer Strategie und Taktik berücksichtigen?
Auf diese Fragen finden wir im Text von Kissel et al. keine Antworten, sondern bestenfalls relativ vage Andeutungen. Das sind aber die Fragen, auf die sich die Debatte in der nächsten Zeit fokussieren sollte, um einen marxistisch-leninistischen Standpunkt zur Klimafrage zu entwickeln.
Literatur:
Brain, Stephen 2010: The Great Stalin Plan for the Transformation of Nature, Environmental History 15 (5), 670-700
IPCC 2018: Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty, online unter:https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/sites/2/2019/06/SR15_Full_Report_Low_Res.pdf, 28.10.2019.
junge Welt: Marxismus und Klimawandel, Ausgabe vom 12.10.2019.
Kern, Verena 2019: Klimawandel: Vielleicht bleiben nur zehn Jahre zu Rettung des Planeten, Frankfurter Rundschau 26.7.2019.
KKE 2013: Theoretical Issues regarding the Programme of the Communist Party of Greece, online unter: https://inter.kke.gr/en/articles/Theoretical-Issues-regarding-the-Programme-of-the-Communist-Party-of-Greece-KKE/ , 28.10.2019.
Riahi, Keywan et al., 2011: RCP 8.5 – A scenario of comparatively high greenhouse gas emissions. Climatic Change, 109(1), S. 33-57.
Rizospastis 2019: Η αντιμετώπιση της κλιματικής αλλαγής είναι πολιτικό πρόβλημα, σύγκρουσης ταξικώνσυμφερόντων (übersetzt: Die Bekämpfungdes Klimawandels ist ein politisches Problem, ein Konflikt der Klasseninteressen), 19/20.10.2019.
Röhrlich, Dagmar 2019: Meeresgletscher schmelzen schneller als gedacht, Deutschlandfunk 30.7.2019.
Thunberg, Greta 2019: “Our house is on fire”: Greta Thunberg, 16, urges leaders to act on climate, The Guardian 25.1.2019.
Die von der
Bundesregierung beschlossene Grundrente wird nichts an der steigenden
Altersarmut ändern. Es werden nur wenige Rentner diese zusätzliche
Rente bekommen, denn die Voraussetzung, 35 Jahre in die Rentenkasse
eingezahlt zu haben, erfüllen viele nicht. Es werden circa 1,5
Millionen Menschen sein, die eventuell die Grundrente bekommen. Diese
soll 10 % über der Grundsicherung, der Sozialhilfe im Alter,
liegen. Das sind 80 Euro, denn die Grundsicherung liegt im
Durchschnitt bei 800 Euro. Wer also die Voraussetzungen erfüllt, hat
dann 880 Euro Rente. Das ist ein sozialpolitischer Witz und nicht ein
„Meilenstein“, wie die SPD behauptet.
Es gibt aber eine
weitere Voraussetzung für die Grundrente, nämlich die
Einkommensprüfung. Wer mehr als 1250 Euro im Monat an Einkommen hat,
bekommt die Grundrente nicht. Und wer mit seinem Partner mehr als
1950 Euro im Monat hat, auch nicht. Das heißt, die oft bemühte
Friseurin, die 600 Euro Rente bekommt, würde leer ausgehen, wenn ihr
Mann 1350 Euro Einkommen hat. Dadurch werden insbesondere Frauen
benachteiligt.
Für die 1,5
Millionen Rentner, die jetzt Grundrente bekommen sollen, plant die
Bundesregierung, 1,5 Milliarden Euro auszugeben. Für einen
„Zukunftsfonds“ zur Subventionierung von Unternehmen will sie
dagegen 10 Milliarden ausgeben. Der Rüstungshaushalt liegt bei über
40 Milliarden Euro und für E-Autos soll es 2000 Euro für jeden Kauf
geben, ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung. Die Interessen, mit denen
der Haushalt geplant wird, liegen auf der Hand. Es sind nicht die der
Arbeiterklasse.
Allgemeines zur Rente in Deutschland: Es gibt im Moment rund 20 Millionen Rentner in Deutschland. Davon hätten 1 Million Anspruch auf Grundsicherung im Alter, also Sozialhilfe. Aber nur 500.000 beziehen sie, der Rest schämt sich zum Amt zu gehen. Das Ausmaß der niedrigen Renten ist aber viel größer. Die Hälfte der Rentner, also rund 10 Millionen, erhält eine Rente unter 900 Euro, knapp 60 % erhielt eine Rente unter 1000 Euro. Die Standardrente erhält man nach 45 Beitragsjahren und würde im Moment ca. 1163 netto betragen. Aber 75 % der Rentner erreichen die Standardrente nicht. Die durchschnittlichen Versicherungsjahre liegen bei 36,9 Jahren. Da auch die Löhne niedriger sind als die in der Eckrente angenommenen, liegen die Renten viel niedriger. Die durchschnittliche Rente lag 2017 bei 873 Euro und damit nur knapp über der durchschnittlichen Grundsicherung.
Die Regierung will
die Standardrente in Zukunft auf 55,7 % des Nettolohns drücken.
Das würde aktuell bedeuten, dass die durchschnittliche Rente nur
noch 742 Euro betragen würde. Bis 1991 lag die Rente bei 70 %
des Nettolohns. Daran lässt sich erkennen, welch drastische
Rentenkürzung von den Regierungen unter CDU und FDP und SPD und
Grünen durchgesetzt wurden.
Richtige Forderungen
sind: Zurück zur Rente mit 70 % des Nettolohns. Absenken des
Eintrittsalters auf 60 Jahre.
Der Hintergrund ist,
dass die Löhne seit Jahrzehnten kaum steigen und damit auch nicht
die Beiträge in die Rentenversicherung. Denn Rente ist ein Teil vom
Lohn, sie gehört zu den Reproduktionskosten der Arbeitskraft, ebenso
wie die Krankenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Die
Unternehmen wollen deshalb auch diese Lohnbestandteile stetig senken.
Der Beitrag zur Rentenversicherung darf aus Sicht des Kapitals auf
gar keinen Fall angehoben werden. Das wäre quasi eine Lohnerhöhung
und damit ein Minus auf der Seite der Profite. Die Grundrente ist ein
Teil dieser Politik, denn sie wird über Steuergelder finanziert und
lässt damit die Kapitalseite aus der Finanzierung raus.
Oft wird behauptet,
es gäbe zu viele Alte und zu wenig junge Beitragszahler und deshalb
müsse die Rente gesenkt werden. Das ist falsch, denn die
Produktivität steigt kontinuierlich. Das heißt, ein Arbeiter
produziert heute in einer Arbeitsstunde ein Vielfaches von dem in den
1950er Jahren. Er wäre also locker in der Lage, damit mehr Alte zu
finanzieren. Die Rentenversicherung wird aber von Monopolen und Staat
gezielt ausgehöhlt, um die Profite zu sichern.
Es gibt Leistungen,
die aus der Rentenkasse bezahlt werden, ohne dass dafür eingezahlt
wurde, wie zum Beispiel die Mütterrente, die Frauen Rente für die
Zeit der Kindererziehung zugesteht. Oder auch Witwenrenten und
Altersrenten, die vor dem 65. Lebensjahr ausgezahlt werden. Diese
Ausgaben sind natürlich richtig und wichtig. Sie müssten aber
eigentlich über höhere Steuern für Unternehmen finanziert werden,
da die Rentenkasse sonst in Schieflage gerät, weil ja vorher die
Summen nicht eingeflossen sind. Gesellschaftliche Aufgaben werden so
auf die Sozialversicherungen aufgebürdet, die eigentlich ein
Lohnfonds sind.
Auf der anderen
Seite werden Steuergelder in die Rentenkasse gegeben, um die
Rentenzahlungen zu bezuschussen. So wird über den Staatshaushalt zu
Gunsten des Kapitals umverteilt, da die Steuern zu Ungunsten der
Lohnabhängigen gestaltet sind. Es wäre also richtig, zu fordern,
dass mehr Beschäftigte, auch die über einer Einkommensgrenze in die
Rentenversicherung einzahlen müssen und dass die Steuern auf Kapital
und große Vermögen erhöht werden.
Die Kapitalisten und
ihr Staat betreiben die Absenkung der Rentenleistungen übrigens
nicht aus bösem Willen, sondern weil ihr System, die Konkurrenz, das
Streben nach höheren Profiten, sie dazu zwingt. Die
„Wettbewerbsfähigkeit“ oder „Standortsicherung“ vor allem
der großen Monopole muss hergestellt werden. Sie müssen mehr und
profitabler produzieren als ihre Konkurrenten aus Frankreich, den USA
oder China. Die Lohnkosten spielen gerade in einem hoch entwickelten
Industrieland wie Deutschland eine wichtige Rolle. Das Problem ist,
dass aufgrund des immer weiter ansteigenden Anteils der Maschinen in
der Produktion die Profitrate sinkt, da nur die lebendige
Arbeitskraft Mehrwert schafft. Während also die Summe der Profite
weiter steigt, nimmt der Profit im Verhältnis zum eingesetzten
Kapital weiter ab. Diese Tendenz der sinkenden Profitrate soll durch
das Absenken der Löhne abgeschwächt werden. Das ist die ökonomische
Gesetzmäßigkeit hinter dem Druck der Monopole und ihres Staats auf
Löhne und Sozialversicherungen.
Der Kapitalismus ist
also nicht in der Lage, Löhne von denen alle (auch im Alter) leben
können, zu zahlen, denn die Profitraten sinken. Ähnliches gilt für
die Frage der Versorgung von Kindern, die ohne Kindergeld kaum mehr
möglich wäre. Das heißt, dass die Lösung der Rentenfrage im
Kapitalismus nicht möglich ist. Kampf für höhere Löhne und Renten
dagegen schon. Ein gemeinsamer Kampf der Arbeiterklasse auch um die
Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen ist
notwendig.
Symbolpolitik wie
der Beschluss zur Grundrente sollen den Eindruck erwecken, dass der
Staat handlungsfähig sei und Verbesserungen möglich sind. Aber
diese Politik ist nicht nur Augenwischerei, sie bringt auch eine
weitere Verschlechterung der Lage mit sich. Denn das
Sozialversicherungssystem wird weiter ausgehöhlt.
Die
Einkommensprüfung bedeutet nichts anderes als eine
Bedürftigkeitsprüfung, vor allem weil es sich um Rentner mit
niedrigen Einkommen handelt, die wohl kaum über viel Vermögen
verfügen. Aber Bedürftigkeitsprüfungen gehören eigentlich nicht
in die Rentenversicherung. Wie oben beschrieben, fallen viele der
Rentner raus, weil sie weniger als 35 Jahre eingezahlt haben. Hinzu
kommt, dass von den zehn Millionen Rentnern, die im Moment weniger
als 900 Euro Rente beziehen, die meisten einen Partner haben, der
auch über eine Rente oder Einkommen verfügt. Sonst wäre der Anteil
der Rentner, die Anspruch auf Grundsicherung hätten, viel höher.
Die Eigentlich müsste es einfach eine deutliche Rentenerhöhung
insbesondere für Niedriglohn-Arbeiter geben – finanziert durch die
Rentenversicherung und durch die Erhöhung der Beiträge der
Unternehmen. Ohne weitere Prüfung der Einkommen, denn es müsste ja
darum gehen, dass auch alleinstehende Rentner und Rentnerinnen mehr
Rente bekommen. Das Gespenst der Zahnarztgattin, die dann Grundrente
bekommen würde, obwohl ihr Mann reich ist, ist Unsinn. Wer 35 Jahre
in die Rentenkasse gezahlt hat und eine so niedrige Rente hat, gehört
nicht zu Betuchten dieses Landes.
Statt einer
Rentenerhöhung hat die Bundesregierung zusätzlich beschlossen, dass
Betriebsrenten mehr gefördert werden und ab einer Grenze keine
Beiträge mehr zur Krankenversicherung abgeführt werden müssen. Den
Krankenkassen werden dadurch 1,2 Milliarden Euro fehlen. Hinzu kommt,
dass die Betriebsrenten der Arbeitgeber an Geringverdiener stärker
gefördert werden und Mitarbeiterkapitalbeteiligungen zu einem
wesentlich höheren Betrag steuerfrei sein sollen. Das heißt, dass
die Spaltung der Arbeiter vorangetrieben wird, da sie nicht alle
gleichermaßen von der gesetzlichen Rentenversicherung abhängig
sind. Und die Unternehmen können dabei auch noch Steuern sparen.
Zur Betriebsrente: Betriebsrenten sind eine Form der privaten Altersvorsorge, die entweder vom Lohn abgezogen wird (Bruttoentgeltumwandlung, z.B. die Metall-Rente) oder arbeitgeberfinanziert wird (aktuelle Forderung der IG Metall). Beides ist zum Nachteil der Arbeiterklasse, da die gesetzliche Rentenversicherung dadurch geschwächt wird. Sie ist eine Solidarversicherung, in der eine gewisse Umverteilung zu Gunsten der Geringverdiener stattfindet. Das ist bei der Betriebsrente nicht der Fall, von der ja nur die Beschäftigten eines Betriebs profitieren. Zudem kann der Arbeitgeber die Ausgaben für die Betriebsrente als Betriebsausgaben deklarieren und muss darauf keine Sozialversicherung zahlen. Bisher musste die Versicherten Beiträge zur Krankenversicherung von der Betriebsrente bezahlen. Das wird nun abgesenkt. Das ist ein Vorteil für die Betriebsrentner und soll die Betriebsrenten attraktiver machen. Es ist aber ein Nachteil für die Krankenversicherung, der die Gelder fehlen. Insgesamt ist also die Ausweitung der Betriebsrenten zum Nachteil der Arbeiterklasse und trägt zu ihrer Schwächung bei. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass im Vorfeld des IG Metall-Gewerkschaftstages die Orientierung des Vorstands klar auf der Stärkung der Betriebsrenten lag. Erst in den Delegiertenversammlungen und auf dem Gewerkschaftstag wurde der Schwerpunkt auf den Kampf für die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung gelegt und auf die Probleme der Bruttoentgeltumwandlungen hingewiesen.
Zu guter Letzt wurde
beschlossen, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 2,4
Prozent abgesenkt werden soll, er hätte eigentlich wieder um 0,2
Prozentpunkte steigen müssen. Dadurch werden „Arbeitgeber“ und
„Arbeitnehmer“ um 1,2 Milliarden Euro „entlastet“, wie es
beschönigend heißt. Tatsächlich ist es aber eine weitere
Einsparung von Lohnkosten für das Kapital.
Ein Rechenbeispiel:
Wer 3000 Euro brutto verdient, wurde um 6 Euro „entlastet“. Ein
Unternehmen, das 100.000 Arbeiter beschäftigt, die 3000 Euro brutto
verdienen wird um 600.000 Euro entlastet. Während der Unternehmer
Kosten spart, erhält der Arbeiter einen Teil seines Lohns gleich
statt ihn in die Kasse einzuzahlen, aus der er Ersatzlohn erhält,
wenn er arbeitslos ist.
Insgesamt ist der
Beschluss der Bundesregierung also nicht nur ein Tropfen auf den
heißen Stein, sondern ein weiterer Schritt in der Aushöhlung der
Sozialversicherungen. Scheinbare Verbesserungen enthalten oft
Verschlechterungen für die Arbeiterklasse. Aber das sollte uns auch
nicht weiter wundern, ist es doch der Staat der Monopole und nicht
unserer.
Die Forderung der
Linkspartei, die Beitragsjahre für die Grundrente auf 25 abzusenken
und eine Mindestrente einzuführen, sind nicht falsch, ebenso wie die
Abschaffung der Rente mit 67. Die PDL orientiert aber auf eine
Regierung mit SPD und Grünen, eben jenen Parteien, die maßgeblich
zum Absenken der Rente beigetragen haben und bewiesen haben, dass sie
Politik im Interesse des Kapitals machen. Die PDL selbst hat bereits
praktisch bewiesen, dass sie als Verwalter der bürgerlichen
Herrschaft gute Dienste leistet. Mit dem Versprechen, durch eine
„linke“ Regierung könnte man die Probleme lösen, wird die
Illusion in den neutralen Staat verbreitet, die Klasseninteressen
verwischt und damit die Arbeiterklasse geschwächt.
Die Arbeiterklasse braucht keine Orientierung auf bürgerliche Regierungen, sondern muss die Schritte in ihrem Kampf für ihre konkreten Interessen verbinden mit dem Kampf für die sozialistische Revolution.
Die Kampagne gegen den demokratisch gewählten bolivianischen Präsidenten Evo Morales und seine Partei Movimiento al Socialismo (Bewegung zum Sozialismus – MAS) hat sich im letzten Jahr zugespitzt und am letzten Wochenende mit dem erzwungenen Abtreten von Morales einen bitteren Höhepunkt gefunden. Teile von Militär und Polizei haben sich auf die Seite der ultrarechten Opposition gestellt und durch Gewaltakte, Entführungen und das Plündern und Zerstören von Wohnungen Druck auf Politiker der MAS aufgebaut, von ihren Posten zurück zu treten.
Die Oppositionsbewegung gibt sich demokratisch, stellt sich gegen den angeblichen Diktator Morales und präsentiert sich bunt und jugendlich. Doch die vor allem auch rassistischen Exzesse durch Polizei und Militär aus den letzten Tagen zeigen eindeutig die tatsächliche Stoßrichtung auf. Die Anerkennung und Ermächtigung der indigenen Bevölkerung, der Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens zu Ungunsten von privaten Konzernen und allem voran die Verstaatlichung zentraler Industriezweige waren dem US-Imperialismus und der abhängigen bolivianischen Bourgeoisie ein Dorn im Auge.
Im Gegensatz zu Venezuela basieren die Entwicklungen, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Volksschichten bedeutet haben, nicht nur auf dem Verkauf von Öl, sondern auf einem Ausbau der Produktivkräfte in staatlicher Hand. Allerdings ist auch in Bolivien die Staatsmacht nicht in der Hand des Proletariats und der mit ihm verbündeten Schichten. In Venezuela konnte dies durch die ideologische Verbundenheit des Militärs mit dem bolivarischen Prozess abgefangen werden, was in Bolivien nicht möglich war.
Nach dem Putsch folgt nun der Terror gegen Aktivisten der Volksbewegungen und Anhänger der Regierung. Die Polizei geht mit großer Brutalität gegen Demonstrationen der Volksmassen vor und führt überall Razzien in den Armenvierteln durch, die sich gegen die Volksbewegungen richten. Indigene Aktivisten, Gewerkschafter oder Anhänger der MAS werden beschimpft, geschlagen und gefoltert.
Die massenhaften und kämpferischen Demonstrationen gegen die Putschisten in den letzten Tagen geben Hoffnung und zeigen ein mutiges und wehrhaftes Volk, das bereit ist, die Errungenschaften der letzten 13 Jahre zu verteidigen. Die massenhaften und kämpferischen Demonstranten rufen die Parole „ahora si, guerra civil“ (übersetzt ungefähr: „Bürgerkrieg jetzt!“). Es wird sich in den nächsten Tagen erst zeigen wie sich die Bewegung entwickelt und ob daraus bewaffnete Volkseinheiten entstehen und wie die reaktionären Kräfte darauf reagieren werden.
Es ist bezeichnend, dass die deutsche Bundesregierung keine 24 Stunden vergehen lässt, um den Putsch zu begrüßen. Dies zeigt, wie viel ihr an Demokratie und Menschenrechten liegt, wenn eine demokratisch gewählte Regierung die Imperialisten des Landes verweist. Dies erinnert an die Freudenschreie deutscher Politiker über den Ausbruch der Demokratie in Chile, als am 11.9.1973 eine der blutigsten Militärdiktaturen des Kontinents begann. Erwähnenswert in diesem Kontext ist auch, dass das deutsch-bolivianische Lithium-Projekt, welches wenige Tage vor dem Putsch gestoppt wurde nun wieder als möglich gilt. Bolivien hat nach Argentinien das größte Lithium Vorkommen weltweit. Ein Rohstoff, der u.a. für Batterien für Elektroautos und Smartphones verwendet wird.
Auch das Neue Deutschland, die Zeitung der Linkspartei, sowie die als „linksalternativ“ geltende „taz“ rechtfertigen den Putsch. So heißt es im Neuen Deutschland: „Es ist nicht schön, wie sich Evo Morales aus dem Präsidentenamt verabschieden musste. Für Boliviens Demokratie ist es aber wichtig und richtig, dass endlich jemand anderes auf Morales folgt.“ („Loslassen lernen“, Neues Deutschland 11.11.2019). Auch diese Kräfte beweisen ein weiteres Mal, dass sie im Zweifelsfall auf der Seite des Imperialismus und der Reaktion stehen.
Wir verurteilen den verbrecherischen Putsch, der mit Unterstützung ausländischer imperialistischer Staaten, darunter die USA und die BRD, durchgeführt wurde. Wir solidarisieren uns mit dem bolivianischen Volk und seinem Widerstand. Wir betonen, dass das bolivianische Volk jedes Recht hat, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, auch mit Gewalt, seine Errungenschaften zu verteidigen und die Reaktion zurück zuschlagen.
Immer doch schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten; Dem Erschlagenen entstellt der Sieger die Züge, aus der Welt geht der Schwächere und zurück bleibt die Lüge.
Berthold Brecht In „Das Verhör des Lukullus“
Einleitung
Vor 30 Jahren, am 9.
November 1989, wurde die Grenze geöffnet, die zuvor die
sozialistische DDR von der imperialistischen BRD trennte und ihr
Schutz vor wirtschaftlicher Sabotage, Spionage und sonstigen
Aggressionen des imperialistischen Westens bot. Mehr noch: es fiel
eine internationale Trennungslinie der Systeme, die zuvor die Welt in
das imperialistische Lager, repräsentiert durch die NATO, und das
sozialistische Lager, repräsentiert durch den Warschauer Vertrag,
aufteilte. Mit ihr fiel die DDR. Auch 30 Jahre nach dem sogenannten
Mauerfall, 29 Jahre nach der offiziellen Angliederung der Deutschen
Demokratischen Republik an die Bundesrepublik, ist das Thema DDR
längst nicht vergessen.
Einerseits
in der ostdeutschen Bevölkerung, die die Zeit vor 1990 bewusst
miterlebte und -gestaltete. Hier haben viele Menschen häufig noch
positive Erinnerungen an die DDR. Andererseits ruft gerade diese
Stimmung andere auf den Plan: Schulbücher, bürgerliche Medien,
Politiker und Thinktanks überschlagen sich geradezu wieder in ihrer
Verunglimpfung jenes deutschen Staates. Jedes noch so irrelevante, an
den Haaren herbeigezogene Detail wird instrumentalisiert – nicht
selten kommt es auch zu Lügen oder starken Verzerrungen –, um die
DDR und ihr Wirken negativ darzustellen. Der deutsche Imperialismus
walzt die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik geradezu
aus, um sich selbst zu legitimieren. Es gibt keinen Zweifel, die 40
Jahre, die der Sozialismus auf deutschem Boden existierte, dürfen in
keiner positiven Erinnerung verbleiben. Antikommunismus gehört nach
wie vor zum Standardrepertoire der Geschichtsschreibung und Politik
des deutschen Imperialismus. Zufrieden sollen wir sein und glücklich
über die „Freiheit“ und „Demokratie“, die das Ende der DDR
für uns offenbarte. Niemals soll es wieder soweit kommen, dass die
Werktätigen dieses Landes ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen.
Doch so recht ist die DDR
nicht tot zu kriegen. Die Tatsache, dass die meisten ehemalige
DDR-Bürger nach wie vor positiv über die DDR denken, ihre
verheerenden Erfahrungen mit der Deindustrialisierung in den 90er
Jahren gemacht haben und der auch damit verbundene, offensichtliche
Vertrauensverlust breiter Bevölkerungsteile gegenüber den
etablierten Parteien, führt zu einem scheinbaren Entgegenkommen in
der DDR-Berichterstattung. So verbindet sich das oberflächliche
Ernstnehmen der individuellen Lebensgeschichten der Menschen mit der
Erzählung der „SED-Diktatur“. Das Mantra der 1990er Jahre
vom „Ende der Geschichte“ ist dem Paradigma der
Alternativlosigkeit des marktwirtschaftlichen Systems gewichen. Zwar
seien einige Episoden der Abwicklung der DDR ungünstig verlaufen,
aber letztlich wogen die bürgerlichen Freiheitsrechte mehr. Und wie
Wolfgang Thierse (ehemaliger DDR-Oppositioneller und Mitglied der
SPD) erst kürzlich sagte: „Man muss daran erinnern, dass Helmut
Kohl 1990 viel versprochen hat, und dass die Wunder halt länger
dauern“ (SWR 2019).
Für diese Art der
Geschichtsschreibung ist das Gerede der „zwei deutschen Diktaturen“
wesentlich. Mit der unwissenschaftlichen Totalitarismus-Theorie wird
dabei eine völlig inhaltsleere Gleichsetzung von Faschismus und
Sozialismus betrieben, um so die bürgerliche Ordnung der
Bundesrepublik als einzige wahrhaftig demokratische Alternative
erscheinen zu lassen. Neben der Verunglimpfung des Sozialismus wird
so gleichzeitig auch die Bedeutung faschistischer Eliten aus Militär,
Wirtschaft und Politik für den Aufbau der BRD und der Zusammenhang
von Faschismus und Kapitalismus grundsätzlich abgewiegelt. Während
nach der Befreiung im Mai 1945 in den Besatzungszonen der
West-Alliierten angeblich schnell ein demokratisches System etabliert
worden wäre, wäre in der sowjetischen Besatzungszone gleich die
nächste Schreckensherrschaft gefolgt: die „SED-Diktatur“.
Bürgerliche
Geschichtsschreibung, Presse und Politiker jedweder parteipolitischen
Couleur erzählen uns seit nunmehr 30 Jahren fast immer das Gleiche
über die sogenannte Wende. Die Grenzöffnung wird zu einer
friedlichen Revolution umgedichtet: Im Herbst 1989 zwang schließlich
ein ganzes Volk seine Unterdrücker erfolgreich in die Knie und
bahnte sich den lang ersehnten Weg in ein Leben in Freiheit und
Demokratie. 40 Jahre führten 16 Millionen Deutsche ein durch
Unterdrückung und Überwachung, Mangel und Entsagung geprägtes
Leben. Erst in den späten 1980er Jahren fanden sie zu der Stärke,
das allgemeine Menschheitsinteresse zu erkämpfen: die bürgerliche
Freiheit. Allerdings stießen sie um, was sowieso gefallen wäre. Der
Untergang des Sozialismus in der DDR sei ohnehin notwendig gewesen,
denn die Planwirtschaft als solche sei nicht funktions- und
überlebensfähig. Geringe Produktivität der sozialistischen
Planwirtschaft, die sich im allgegenwärtigen Mangel und der
Unterversorgung der Bevölkerung ausdrückte, aber auch die
überalterten Produktionsanlagen der DDR-Industrie, die enorme
Auslandsverschuldung der DDR und ihre fehlende Konkurrenzfähigkeit
auf dem Weltmarkt hätten das Schicksal des Sozialismus auch ohne
sein aufbegehrendes Volk bald besiegelt. Das Ende der „Unterdrückung
der Menschheit“ war also unvermeidlich und 1989 war die Zeit des
„Totalitarismus“ endlich überstanden. So oder so ähnlich
schallt es aus allen Kanälen.
Doch warum darf es keine
davon abweichende Auseinandersetzung mit der Geschichte der Deutschen
Demokratischen Republik geben? Warum muss in der etablierten
Geschichtsschreibung das Bild dieses Staates offenbar unbedingt ein
negatives sein? Und welches Bild der DDR müssen wir der herrschenden
Propaganda entgegenstellen?
In diesem Artikel wollen
wir erklären, welche Rolle die Grenzöffnung, als Sinnbild für die
vollzogene Konterrevolution in der DDR, für den BRD-Imperialismus,
die (ost-)deutsche Arbeiterklasse und die Völker der Welt spielte.
Unserer Ansicht nach ist der 9. November ’89 kein Tag der Freude,
sondern ein Tag der Niederlage der Arbeiterklasse. Wir wollen jedoch
auch unsere Schlussfolgerungen aus der Geschichte ziehen. Die
Niederlage des Sozialismus ist schließlich vor allem auf
Fehlentwicklungen im sozialistischen Lager selbst zurückzuführen,
die es für uns zu analysieren gilt. „An den Errungenschaften
anknüpfend, aus den Fehlern lernend“ ist dabei die Losung, mit der
wir eine wissenschaftliche, klassenbewusste und in die Zukunft
gerichtete Auseinandersetzung mit der Geschichte des ersten
sozialistischen Staates auf deutschem Boden etablieren wollen. Ein
abschließender Teil dieses Artikels wird sich also auch der Frage
widmen, wie es zur Konterrevolution in der DDR kommen konnte. Es soll
an dieser Stelle vorgemerkt werden, dass wir als Kommunistische
Organisation noch nicht über eine ausgearbeitete Niederlagenanalyse
verfügen und deshalb nur grobe Problemkomplexe nennen können, von
denen wir bis dato der Meinung sind, dass sie entscheidend sind, um
die Konterrevolution zu erklären. Für die notwendige umfassende
Klärung der Geschichte der DDR ist der von uns angestoßene
Klärungsprozess vorgesehen. Hingewiesen sei an dieser Stelle nochmal
auf den kürzlich von uns, in Zusammenarbeit mit offen-siv und KPD,
neu aufgelegten Sammelband „Unter Feuer – Die Konterrevolution in
der DDR“, der neben weiteren Veröffentlichungen bereits wichtige
erste Ansätze zur Diskussion liefert.
Teil I – Die BRD und die DDR
Deutschland greift zur Weltmacht – ein Blick in die Geschichte
Um die BRD-Propaganda
bezüglich der DDR zu verstehen, ist es wichtig nachzuvollziehen,
welche Rolle die DDR für den deutschen Imperialismus gespielt hat
und immer noch spielt. Hierfür müssen wir vorerst einen Blick in
die Geschichte des deutschen Imperialismus werfen.
Vergleichsweise spät setzte sich in Deutschland der Kapitalismus und damit die Bourgeoisie als herrschende Klasse durch. Mit der zunehmenden Konzentration und Zentralisation von Kapital bildete sich im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert der Imperialismus (siehe BolscheWiki) als letztes Stadium des Kapitalismus heraus. Innen- aber vor allem auch außenpolitisch wollte das entstandene deutsche Monopolkapital nun seinem Interesse nach Extraprofiten durch die Kontrolle von Rohstoffen und Absatzmärkten Geltung verleihen. Doch zu dieser Zeit war die Welt bereits aufgeteilt: die anderen imperialistischen Länder wie Großbritannien oder Frankreich hatten sich überall in der Welt ihre Pfründe gesichert. Der deutsche Imperialismus kam zu spät, um – ohne Konflikte mit diesen Ländern zu riskieren – ebenfalls an Kolonien, Absatzmärkte, Rohstoffe, Einflusssphären im großen Stil zu kommen. Die rasche Entwicklung des deutschen Imperialismus, die enorme Monopolisierung der Wirtschaft und das Weltmachtstreben auf der einen, doch die bei der Aufteilung der Welt unterrepräsentierten deutschen Kapitalinteressen auf der anderen Seite, waren der Nährboden für einen besonders aggressiven Militarismus. Dieser endete im großen imperialistischen Kampf um die Neuaufteilung, die niemand so herbeigesehnt hatte wie die deutschen Monopole: im Ersten Weltkrieg. Dieser erste Versuch des deutschen Imperialismus, sich zur Weltmacht zu erheben, scheiterte nach vier Jahren kläglich. Stattdessen hatte der Krieg die siegreiche sozialistische Oktoberrevolution 1917 in Russland und die Novemberrevolution 1918 in Deutschland zur Folge. Letztere rang der Bourgeoisie Zugeständnisse im Sinne des Proletariats ab, wie zum Beispiel den Achtstundentag (Vgl. Gossweiler 2013, 93). Aber trotz der damaligen Schwäche des deutschen Imperialismus konnte ihn die Novemberrevolution nicht zu Boden ringen. Politisch gespalten, desorientiert und letztlich bekämpft durch den großen Einfluss der SPD und ihres Opportunismus war die deutsche Arbeiterbewegung 1918 bis 1923 nicht in der Lage, die Staatsmacht und damit die Oberhand im Klassenkampf zu gewinnen; ihr Kampf wurde in Bahnen gelenkt, die für den Kapitalismus ungefährlich waren. Die erst im Laufe der Revolution gegründete Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) war noch zu schwach, zu wenig kampferprobt und selbst ohne ausreichende Klarheit, um den revolutionären Erhebungen des Proletariats eine Orientierung zu verleihen und sie von eben jenem integrierenden Einfluss der SPD abhalten zu können.
Vom Ausgang des Krieges
geschwächt und in seiner Entwicklung zurückgeworfen, trachtete der
deutsche Imperialismus nach einer Revanche, die seine
wirtschaftlichen und politischen Verluste, die ihm der Versailler
Vertrag beschert hatte, rückgängig machen sollte. Doch der
wachsende Einfluss, den die KPD auf die deutsche Arbeiterklasse
hatte, war dabei hinderlich. Als dann Ende der 1920er Jahre auch noch
die große Weltwirtschaftskrise dem deutschen Kapital einen schweren
Schlag versetzte, war es soweit: Nach 14 Jahren der „demokratischen“
und scheinbar friedfertigen Weimarer Republik, die trotz allem nie
einem anderen Zweck diente als der Vorbereitung eines neuen Anlaufs
zur Weltmacht, wurde vom deutschen Monopolkapital offen die Karte des
Faschismus ausgespielt. Es folgte die massive Kriegsvorbereitung zum
erneuten Griff nach der Weltmacht. Die KPD als konsequenteste Kraft
gegen den imperialistischen Krieg musste vernichtet werden. Der
gesamten deutschen und internationalen Arbeiterbewegung wurde der
Kampf angesagt. Der deutsche Imperialismus beherrschte zeitweise halb
Europa und führte einen Vernichtungsfeldzug gegen die junge
Sowjetunion, die als damals einziger sozialistischer Staat eine
Bastion für die internationale revolutionäre Arbeiterbewegung in
der Arena der imperialistischen Mächte bedeutete.
Nach sechs Jahren des
Krieges schließlich zog die Rote Armee in Berlin ein, dem
Hitlerfaschismus blieb nur die bedingungslose Kapitulation. Der
deutsche Imperialismus hatte – maßgeblich durch den Kampf der
Völker der Sowjetunion – die schwerste Niederlage seiner
Geschichte einstecken müssen. Seine Herrschaft über weite Teile des
Kontinents war zerschlagen. Die mit der Ausbeutung ganzer Völker,
ihrer Arbeitskraft, Rohstoffe und Industrien stetig wachsenden
Profite nahmen ein jähes Ende. Damit nicht genug, gab es ein
Ereignis der Nachkriegszeit, das die deutsche Bourgeoisie nachhaltig
und bis ins Mark erschüttern sollte: die Gründung der Deutschen
Demokratischen Republik.
Bedeutung der DDR für den deutschen Imperialismus
Die DDR nahm vom gesamten
Territorium des heutigen Deutschlands fast ein Drittel ein. Das
bedeutete: ein Drittel ehemaliges Hoheitsgebiet des deutschen
Imperialismus, ein Drittel seines Herzstückes war verloren. Es war
die einmalige historische Situation, die das ermöglichte. Nur im
Angesicht seiner massiven Schwächung durch den Ausgang des Krieges
und mit der Unterstützung sowie vor allem dem Schutz durch die
Sowjetunion konnten in einem Teil Deutschlands die Monopolbourgeoisie
und die Großgrundbesitzer enteignet und eine neue sozialistische
Ordnung aufgebaut werden.
Die deutsche Bourgeoisie,
die Bankherren und Industriellen, die Großgrundbesitzer, die
Faschisten und Kriegstreiber konnten nach dem Krieg ihre Macht also
lediglich im Westen wieder etablieren. Nur dort konnten sie ihren
Privatbesitz an Produktionsmitteln und Boden unter dem Schutz der
Westalliierten vor Enteignungen bewahren. Die Gründung der BRD war
keineswegs ein Neuanfang, sondern die Fortsetzung der Macht des
deutschen Imperialismus, was allein die erschreckenden Erkenntnisse
darüber zeigen, wie viele wirtschaftliche, politische, militärische
und juristische Größen aus der Zeit des Faschismus ihre Karriere
nach 1949 unbeirrt fortsetzen konnten (Vgl. Schumann 2014, 129ff).
Der Antrieb für die deutsche Spaltung kam von den alten Eliten im
Westen, ganz nach dem Motto: „Lieber das halbe Deutschland ganz,
als das ganze Deutschland halb!“ (Buchholz et. al. 2019, 32).
In der DDR hingegen
nahmen nun jene ihr Schicksal in die Hand, die bis dato allein für
die Profite der Kapitalisten gearbeitet hatten und nicht minder für
sie in die imperialistischen Kriege gezogen waren: die Arbeiter in
den Fabriken, die Bauern auf den Feldern, sie alle zusammen im neuen,
ihrem eigenen Staat. Sie konnten das, weil sie in diesem Teil
Deutschlands die zentralen Produktionsmittel, die große Industrie
vom einstigen Besitz der deutschen Monopolbourgeoisie unter ihre
eigene Kontrolle nahmen. Gleiches galt für Grund und Boden. Dem
Kapital war die Machtgrundlage, die Verfügung über die
gesellschaftliche Produktion genommen worden. Industrien, in denen
die Arbeiter zuvor für den Profit ihrer Privatbesitzer produzierten,
wurden volkseigen. Mit der Bodenreform wurden die Großbauern
enteignet und das Land u. a. an Landarbeiter gegeben. Bauern, die
sich lange Zeit auf dem kleinen Acker unter ihren Füßen und dem
Druck der Großgrundbesitzer auf ihren Schultern abarbeiteten,
bildeten nun Kollektive, die sogenannten Landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaften (kurz: LPG), in denen sie einzig für
sich und die Gesellschaft tätig waren.
Kurz: nichts und niemand
auf dem Gebiet der DDR tanzte mehr nach der Pfeife der deutschen
Imperialisten.
Doch nicht nur der
verlorene Einfluss war ein Problem für das deutsche Kapital, sondern
auch die Ausstrahlung der DDR selbst. Um zu verhindern, dass es zu
größeren Abwanderungen westdeutscher Arbeiter in den Osten kommt,
musste sich der BRD-Imperialismus positiv präsentieren. Das
machte Zugeständnisse an die Arbeiter in Form von sozialen Reformen
notwendig, die in der DDR grundlegend – aufgrund ihrer
sozialistischen Gesellschaftsordnung und der zentralen
Planwirtschaft, wodurch die Bedürfnisse des werktätigen Volkes
stets im Mittelpunkt standen – gegeben waren: soziale Absicherung,
ein funktionierendes Gesundheitssystem, flächendeckende
Kinderbetreuung und kostenlose Bildungseinrichtungen, Sicherheit am
Arbeitsplatz, niedrige Preise für Grundnahrungsmittel und so weiter.
Für ihre eigene Ordnung,
aber auch für den gesamten Block imperialistischer Staaten hatte die
BRD eine Art „Schaufenster-Funktion“ gegenüber den
sozialistischen Ländern und der internationalen Arbeiterklasse zu
erfüllen. Sie musste dem kapitalistischen System ein menschliches,
ein soziales und hoffnungsvolles Antlitz verleihen. Die Existenz der
DDR ist unzweifelhaft einer der Gründe für weitgehende
sozialstaatliche Maßnahmen und den vergleichsweise hohen
Lebensstandard, auch unter den westdeutschen Volksmassen gewesen.
Auf
Tarifauseinandersetzungen, gewerkschaftliche Kämpfe erzeugte die DDR
durch ihr bloßes Bestehen stets einen Effekt, der seitens der
Kapitalistenverbände Zugeständnisse an die Arbeiter im Betrieb –
sei es z. B. bei Lohnforderungen oder Arbeitszeitverkürzungen –
notwendig machte. Der Ausdruck „die DDR als dritter
Verhandlungspartner“ beschreibt das Phänomen treffend, das im
Rückblick auch damit bewiesen wird, wie offensiv die Angriffe auf
die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Proletariats und der
Volksmassen seit dem Ende der DDR geführt werden. Umfassende
Privatisierungen, breiter Ausbau des Niedriglohnsektors, Leiharbeit,
Hartz IV, Kürzungen im Gesundheitswesen und so weiter wären bei
gleichzeitiger Existenz eines sozialistischen Staates auf der anderen
Seite der Elbe wohl kaum denkbar gewesen. Gleichzeitig hatte das
Kapital keinen Zugriff mehr auf das Gebiet der DDR. Hiermit ist
gemeint, dass die BRD-Imperialisten und die Imperialisten allgemein
keinen Zugriff mehr auf die Rohstoffe und Arbeitskräfte hatten, dort
nicht mehr produzieren konnten und keinen Profit mehr aus dem Gebiet
schlagen konnten. Diese Problemlage für das Kapital beschränkte
sich dabei natürlich nicht nur auf das Gebiet der DDR. Es war
schließlich vom riesigen Absatzmarkt des Rates für Gegenseitige
Wirtschaftshilfe (RGW) insgesamt weitestgehend ausgeschlossen.
Deutschland war also zum
Terrain des internationalen Klassenkampfes geworden, wo sich
internationale Bourgeoisie und Weltproletariat mit aller Schärfe
gegenübertraten, wo sich ihr unauflöslicher Widerspruch zuspitzte.
Die historische
Entwicklung zeigt, dass der deutsche Imperialismus auf Grund seiner
Lage und Widersprüche zu besonderer Aggressivität und damit auch zu
Instabilität getrieben war. Er wurde zum Knotenpunkt der
gesellschaftlichen Widersprüche. Kein anderer imperialistischer
Staat war in der Zwischenkriegszeit mit so einer starken
Arbeiterbewegung konfrontiert und 1945 sogar mit der Errichtung der
Arbeiter- und Bauernmacht auf dem eigenen Territorium.
Die DDR musste vernichtet werden
Die Wirkungen, die die DDR
auf die BRD, also den deutschen Imperialismus hatte, waren zweifellos
negativ für die Profite der Bourgeoisie. Mehr als das – die DDR
war das Haupthindernis für das Großmachtstreben, das natürlich
auch nach der schweren Niederlage 1945 ungebrochen blieb. Außerdem
schlug sich hier, wie eben erwähnt, die internationale
Klassenauseinandersetzung nieder, bei der es keinen Kompromiss und
keine Existenz in Einklang geben konnte.
Das konnte nur eins
bedeuten: die DDR musste weg! In den über 40 Jahren ihres Bestehens,
von der ersten Minute nach ihrer Gründung bis zum Ende 1990, war die
Vernichtung der DDR das Ziel des deutschen Imperialismus. Darauf
waren letztendlich alle Maßnahmen ausgerichtet, der Kampf fand auf
allen Ebenen und mit aller Schärfe statt. Dennoch musste vonseiten
des Imperialismus zunächst ein Weg – eine erfolgreiche Strategie –
gefunden werden, mit der die DDR in die Knie gezwungen werden konnte.
Die Tatsache, dass die BRD die Einheit Deutschlands 1949 nicht wollte
und zum anderen die DDR von Beginn an loswerden wollte, steht dabei
keinesfalls in einem Widerspruch. Die BRD musste politisch unbedingt
in die NATO integriert werden, um den Kampf gegen das sozialistische
Lager offensiv führen zu können. In diesem Sinne sind auch die oben
zitierten Worte Adenauers zu verstehen: „Lieber das halbe
Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb“. Ein einheitlich
blockfreies – wenn auch marktwirtschaftlich orientiertes
Deutschland, wie es in den Stalin-Noten vorgeschlagen wurde, –
hätte den antikommunistischen Strategien des Kapitals widersprochen.
Zwei Strategien
Wer sich ein bisschen mit
der Geschichte der Beziehungen zwischen den zwei deutschen Staaten ab
1949 beschäftigt, den überkommen vielleicht Zweifel bei der
Aussage, dass der deutsche Imperialismus über die gesamten 40 Jahre
hinweg die DDR vernichten wollte. Tatsächlich sah es auf den ersten
Blick nicht immer so aus, aber dazu später mehr. Widmen wir uns
zunächst der Zeit kurz nach der Gründung der BRD und der DDR.
Die BRD hatte starken
Rückhalt bei den Westalliierten und bekam unter anderem mit dem
Marshallplan eine massive wirtschaftliche Aufbauhilfe. Nicht ohne
Grund: für die imperialistischen Länder – das strebte besonders
der US-Imperialismus an – sollte die BRD ein Bollwerk gegen den
Sozialismus in Ost- und Mitteleuropa sein.
Das 1949 frisch
geschmiedete Kriegsbündnis der NATO war ein Meilenstein in der
imperialistischen Aggression und diente der gemeinsamen Aufrüstung
gegen den Sozialismus und der militärischen Entwicklung der BRD. Mit
der Gründung der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“
1951 und der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ ein paar
Jahre später, beides Vorläufer der Europäischen Union, erfolgte
auch die Vernetzung der europäischen imperialistischen Staaten gegen
den gemeinsamen Feind im Osten (aber auch gegen die dominante
Führungsrolle der USA). Zusammen mit Frankreich war die BRD bei
diesen Entwicklungen federführend.
Es war die Zeit des
„Containment“ und „Rollback“, also der „Eindämmung“ und
„Zurückdrängung“. Der Sozialismus, der sich nach dem Ende des
2. Weltkrieges in einem beachtlichen Teil Europas entwickelte, sollte
auf jeden Fall aufgehalten und langfristig zurückgeworfen werden.
Dafür waren alle Mittel recht. Es kam zur Aufrüstung im NATO-Block
und Drohgebärden bis hin zur Provokation atomarer
Auseinandersetzungen. Detaillierte Pläne für den nuklearen
Erstschlag existierten in der Hinterhand des Imperialismus,
„DROPSHOT“ war zum Beispiel einer der Kriegspläne der NATO, der
die Zerstörung ganzer sowjetischer Städte mittels Atombomben vorsah
(Vgl. Buchholz et. al. 2019, 124).
Auch das Provozieren von
Unruhen und Aufständen in den jungen sozialistischen Ländern war
wichtiger Bestandteil der „Rollback“-Strategie. Innenpolitische
Krisen sollten erzeugt, geschürt und ausgenutzt werden, um die
sozialistische Ordnung ins Wanken zu bringen. Der 17. Juni 1953 steht
exemplarisch für diese Politik. Als es darum ging, den planmäßigen
Aufbau des Sozialismus voranzubringen, wollte man Maßnahmen
umsetzen, die jedoch auf Unmut in der werktätigen Bevölkerung
stießen, da sie zur Wirtschaftsentwicklung eine Erhöhung der Normen
vorsahen (ebd., 153). Das nahm die BRD-Führung mit Unterstützung
der NATO zum willkommenen Anlass, ihre lange vorher und detailliert
ausgearbeiteten Pläne zum Putsch in der DDR umzusetzen. Sie nutzte
den bestehenden Unmut und half dabei, ihn – durch in mehreren
Städten eingeschleusten Unruhestiftern, aus Geheimdienstmitarbeitern
und faschistischen Terrorbanden – zum Protest zu entwickeln.
Angeheizt wurde das Ganze noch durch die westliche Berichterstattung,
so spielte etwa der aus Westberlin sendende Rundfunk „RIAS“ mit
seiner Hetze und Falschinformation eine zentrale Rolle.
Doch in diesen Tagen hatte
der deutsche Imperialismus keinen Erfolg. Der Aufruhr beruhigte sich
wieder, die übergroße Mehrheit der DDR-Bevölkerung lehnte ihn ab
(ebd., 154). Die Unruhen konnten letztendlich durch den Beistand
sowjetischer Streitkräfte in Schach gehalten werden. Doch für eine
kurze Zeit stand das Überleben des jungen Sozialismus und des ebenso
jungen Friedens in Europa auf dem Spiel, für kurze Zeit schien der
deutsche Imperialismus seinem Ziel, die DDR zu liquidieren, sehr nah
zu sein.
Dass die BRD in dieser
Zeit keinen Hehl aus ihrer feindseligen Haltung gegenüber der DDR
machte, zeigt auch ihre strikte Nicht-Anerkennung dieses Staates.
Mehr noch, mit der „Hallstein-Doktrin“ von 1955 (der CDUler
Walter Hallstein war damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt),
wurde auch Druck auf alle anderen Staaten ausgeübt, die
diplomatische Beziehungen zur DDR anstrebten (Schumann 2014, 151).
Dies wurde von den bundesdeutschen Behörden als „unfreundlicher
Akt“ angesehen und konnte Sanktionen bis hin zum Abbruch jeglicher
Beziehungen zu den betreffenden Staaten nach sich ziehen. Insgesamt
stehen die Maßnahmen der BRD jener Zeit im Einklang mit der Politik
der USA und der sogenannten „Truman-Doktrin“ (Harry Truman war ab
1947 US-Präsident): die Systemauseinandersetzung mit aller Härte
führen und keine Möglichkeit des Angriffes gegen den Sozialismus
aus lassen – von plumper antikommunistischer Propaganda bis hin zur
Sabotage.
Doch im Laufe der Jahre
drohte die BRD sich damit zunehmend selbst zu isolieren. Dies und
besonders auch der gescheiterte Putschversuch 1953 führte immer mehr
vor Augen, dass die offene Aggression und Null-Toleranz gegenüber
der DDR nicht zum gewünschten Erfolg führte. Im Gegenteil trug sie
teilweise sogar dazu bei, dass die ostdeutschen Werktätigen umso
stärker die Politik der BRD ablehnten und sich mit der DDR
identifizierten, je mehr die Imperialisten die wirtschaftlichen und
sozialen Errungenschaften im Osten angriffen. Direkte Beeinflussung
und Unterwanderung seitens der westlichen Geheimdienste wurde ab dem
13. August 1961 auch zunehmend durch die Sicherung der Staatsgrenze
der DDR zur BRD und Westberlin erschwert. Dabei ging es nicht nur
darum, die offen feindliche Praxis des Westens, Sabotageaktionen,
Unterwanderungsaktivitäten, das gezielte Abwerben von Fachkräften
und das langsame Ausbluten der Wirtschaft der DDR zu verhindern,
sondern auch Maßnahmen gegen drohende Kriegshandlungen zu
unterbinden, für die längst Pläne bereit lagen. Hierzu schreiben
Heinz Keßler und Fritz Streletz ausführlich in „Ohne die Mauer
hätte es Krieg gegeben“.
Die BRD-Strategen
erkannten, was von einigen ihrer US-amerikanischen Kollegen schon
seit Längerem formuliert wurde (Vgl. Buchholz et. al. 2019, 155f):
die Rollback-Strategie war gescheitert. Gleichzeitig wurden auch
Stimmen aus der deutschen Wirtschaft lauter, die die blockierende
Haltung der BRD bei Beziehungen zur DDR kritisierten und die
dementsprechend eine neue Ostpolitik forderten. Der Stahlindustrie
wurden zum Beispiel Geschäfte mit Pipelinelieferungen an die
Sowjetunion durch das bestehende Embargo verwehrt, wodurch auch der
erhoffte Transport von sowjetischem Erdgas ausblieb (Vgl. ebd., 157).
Es galt also, neue Mittel
und Wege zum Sturz des Sozialismus zu finden. Man fand sie in der
sog. „Neuen Ostpolitik“, die insbesondere der SPD-FDP-Regierung
unter Willy Brandt Anfang der 1970er Jahren zugeordnet wird, jedoch
bereits Anfang der 60er entwickelt wurde. „Wandel durch Annäherung“
ist die Bezeichnung für die Strategie, die Dialogbereitschaft sowie
Entspannung suggerierte, aber in Wahrheit den Sozialismus mittels
langfristiger Beeinflussung zu Fall bringen sollte. Der Unterschied
zum Rollback- und Containment-Konzept bestand darin, dass nicht mehr
die offene Feindseligkeit gegenüber der DDR im Vordergrund stand,
sondern das Bekenntnis zu Annäherung als Türöffner, die
sozialistische Wirtschaft in den Weltmarkt zu integrieren und somit
abhängig zu machen. Das Ziel – auch wenn die Größen der BRD
damals und heute etwas anderes behaupten und ihren guten Willen
bekunden – war also nach wie vor das gleiche: der Sieg der
Konterrevolution in Ostdeutschland, die Vernichtung der DDR.
Auf der wirtschaftlichen
Ebene sollte die DDR durch Handel mit dem Westen und der Aufnahme von
Krediten bei westdeutschen Banken zunehmend in die Abhängigkeit
getrieben werden. Der gemeinsame Handel bot die Möglichkeit, die
sozialistische Planwirtschaft zu untergraben und Einfluss zu
gewinnen. Ein bekannter Fall ist die Milliarden-Kreditvergabe an die
DDR auf Initiative des CSU-Ministerpräsidenten Franz-Joseph Strauß
1983, die ein weiteres Druckmittel gegen die DDR bedeuteten.
Im Gegensatz zur einstigen
Politik von Isolierung und Embargos waren hier wirtschaftliche
Beziehungen nach Ostdeutschland also durchaus nützlich.
Auch auf der politischen
und ideologischen Ebene kam es zur sogenannten „Annäherung“ der
beiden deutschen Staaten. Konkret bedeutete es auch hier für die
BRD-Imperialisten, Einfluss zu gewinnen sowie die DDR abhängig und
mürbe zu machen, indem man ihr Zugeständnisse abringt. In dieses
Handlungsfeld fällt die KSZE („Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa“) 1972-1975 in Helsinki. In ihrer
Schlussakte ist erkennbar, wie die BRD aus dieser Zusammenkunft als
Sieger hervorging: um den Preis einer allgemein gehaltenen
Anerkennung der Souveränität, konnte man in innere Angelegenheiten
eingreifen (Vgl. Schumann 2014, 170), ganz unter der Flagge der
Menschenrechte, die es doch auch in der DDR und an ihrer Staatsgrenze
zu schützen galt. Wenn es um die Diffamierung des Sozialismus ging,
lagen dem deutschen Imperialismus auf einmal Freiheit und
Menschenrechte sehr am Herzen – zumindest nach seinen Behauptungen.
Das 1987 veröffentlichte
SPD/SED-Papier, das von Egon Bahr (SPD, führende Figur des „Wandels
durch Annäherung“) initiierte Dokument zum „Streit der
Ideologien“ (ebd., 176), schlägt ebenfalls in diese Kerbe –
politische Einmischung und ideologische Aufweichung, ohne selbst
ernsthafte Zugeständnisse zu machen. Die dortigen Formulierungen
rückten klar von marxistisch-leninistischen Erkenntnissen ab, so
wird zum Beispiel vom Ziel einer dauerhaften parallelen sowie
friedlichen Existenz sowohl der kapitalistischen, als auch der
sozialistischen Gesellschaftsordnung geschrieben, ja sogar von einer
doch anzustrebenden gemeinsamen Sicherheitspolitik (Neubert 1994,
11).
Beide Ereignisse – KSZE
und das SPD/SED-Papier – stellen Höhepunkte in der „friedlichen
Einmischung“ des deutschen Imperialismus in die Entwicklung der DDR
dar. Exemplarisch stehen sie für eine Politik, die gerade durch ihre
Offenheit und scheinbar friedvolle Intention das sozialistische
System im Osten langsam, aber sicher zermürbt und die
Konterrevolution vorbereitet.
Teil II – Die Konterrevolution konkret
Protest der Bevölkerung
Und so kam es schließlich
auch. Erinnern wir uns zurück an den 17. Juni 1953. Schon damals
versuchten die Herrschenden der BRD die junge DDR zu liquidieren.
Ausgangspunkt war die, an anderer Stelle beschriebene,
innenpolitische Krise des sozialistischen Staates. Aufkommende
Unzufriedenheit bei der werktätigen Bevölkerung gegenüber der
politischen Führung war in diesem Moment die Schwäche der DDR, die
der deutsche Imperialismus ausnutzen wollte. An diesem Datum hat er
es letztendlich nicht geschafft. Um die bedrohliche Wirkung, die
innenpolitische Beeinflussung bis zum Putschversuch entfalten kann,
wusste man aber nun in der BRD. Nach dem gescheiterten Putschversuch
1953 bekam der BRD-Imperialismus eine zweite Chance. Diesmal waren
die Voraussetzungen zur Annexion der DDR besser – eine gemeinsame
Sicherheitspolitik der sozialistischen Staaten war abgeschafft und in
den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich Problemherde
entwickelt, die nun die DDR entscheidend destabilisierten.
Seit Beginn der 80er Jahre
formierten sich in der DDR unabhängige Friedens- und Umweltgruppen,
meist unter dem Dach der Kirchen, die unter anderem mit
Abrüstungsforderungen („Schwerter zu Pflugscharen“) in der
Bevölkerung Widerhall finden konnten. Vor allem aber blieben sie
Sammelstellen für eine politische Opposition.
Im Spätsommer 1989
formierten sich in Leipzig die ersten größeren Proteste von
unzufriedenen und oppositionellen DDR-Bürgern – die so genannten
Montagsdemonstrationen. Diese breiteten sich schnell auch in andere
Städte aus. Mit Parolen wie „Wir sind das Volk“ skandierten die
Demonstrierenden ihre Unzufriedenheit mit der SED-Politik.
Die politische Krise und
der Protest der Bevölkerung waren Ausdruck unterschiedlicher
Problemlagen. Die Ausreiseantragssteller bildeten dabei einen
Hauptkern der Proteste. Ihre Unzufriedenheit mit den
Reisebeschränkungen für die BRD und das westliche Ausland verbanden
sich unter anderem mit Protesten gegen eine zu enge Kulturpolitik.
Wahlen, Pressepolitik, Meinungsfreiheit und Repression waren weitere
Themen, die von den Demonstranten aufgenommen wurden. Außerdem
begleitete der Wunsch nach höheren Lebensstandard, der dem Westen
glich, die Proteste. Die offensichtliche und illegale Wahlfälschung
im Frühjahr ’89 von eigentlich ansehnlichen 90 Prozent auf 99
Prozent gab dieser Entwicklung zusätzlich Feuer.
Der Unzufriedenheit lagen
reale Probleme der Ökonomie und der politischen Entwicklung vor
allem der SED zugrunde, auf die vor allem im nächsten Teil
ausführlicher eingegangen werden soll. Die Ökonomie schaffte es
nicht wie erwartet, die BRD zu „überholen ohne einzuholen“, dies
wurde den DDR-Bürgern spätestens mit dem starken Schwinden der
Akkumulationsdynamik in den 80er Jahren bewusst. Eine sich
ausbreitende Lethargie der Partei, gepaart mit einer unzureichenden,
sich stark verschlechternden Kommunikations- und Diskussionskultur
schädigte indes die Vertrauensbasis zwischen der SED und der
Bevölkerung. Im Allgemeinen gehen wir jedoch davon aus, dass die
Probleme entweder grundsätzlich im Sozialismus lösbar gewesen wären
oder eine bessere Vermittlung der Probleme hätte stattfinden können,
um der DDR-Bevölkerung transparent ein differenziertes Bewusstsein
über die Problemlagen zu vermitteln.
Die Proteste und die
ungelösten Probleme in der DDR bildeten schließlich eine Grundlage
für die konterrevolutionäre Entwicklung. Treibende Kräfte der
Konterrevolution waren objektiv die Montagsdemonstrationen – jedoch
muss zu dieser Aussage ergänzt werden, dass die Konterrevolution
nicht die subjektive Intention der meisten Demonstranten war. Diese
gingen keineswegs für das Ende des Sozialismus auf die Straße. Ihre
Forderungen richteten sich nicht gegen das Volkseigentum an
Produktionsmitteln, gegen das verbriefte Recht auf Arbeit, Erholung
und Bildungsgleichheit, gegen die garantierte unentgeltliche
Gesundheitsversorgung und all die anderen Errungenschaften, die sie
durch ihrer Hände Arbeit kollektiv haben verwirklichen können. Der
Ruf der demonstrierenden Massen nach Freiheit war keineswegs ein Ruf
nach der Freiheit des Kapitals, nach Ausverkauf des Volkseigentums
und Deindustrialisierung. Die Unzufriedenheit von Teilen der
DDR-Bevölkerung war zwar real, doch sie richtete sich nicht explizit
gegen den Sozialismus, sondern an seine Weiterentwicklung und Reform.
So lässt sich etwa einige Tage nach der Grenzöffnung in einem
Flugblatt des „Neuen Forums“, das in der DDR-Oppositionsbewegung
den größten Einfluss hatte, lesen: „Lasst Euch nicht von den
Forderungen nach einem politischen Neuaufbau der Gesellschaft
ablenken! Ihr wurdet weder zum Bau der Mauer noch zu ihrer Öffnung
befragt, lasst Euch jetzt kein Sanierungskonzept aufdrängen, das uns
zum Hinterhof und zur Billiglohnquelle des Westens macht! […] Wir
werden für längere Zeit arm bleiben, aber wir wollen keine
Gesellschaft haben, in der Schieber und Ellenbogentypen den Rahm
abschöpfen“ (NZZ 2019). Über alles, was die DDR-Bürger nicht
bereit waren aufzugeben, wird heute geschwiegen.
Während der Großteil der
protestierenden Massen hinters Licht geführt und als Träger der
Konterrevolution instrumentalisiert wurde, wussten jedoch führende
Köpfe der Protestbewegung wie Rainer Eppelmann sehr wohl was sie da
taten – sie schafften es lediglich ihre konterrevolutionären Ziele
geschickt zu verpacken. Auch Gregor Gysi und andere aus der SED
propagierten zwar den „demokratischen Sozialismus“, hatten jedoch
die Abschaffung des Sozialismus als Ziel.
Nichtsdestotrotz sehen wir
es als unsere Aufgabe, den Charakter der Oppositionsbewegungen und
ihrer Forderungen weiter zu untersuchen und zu verstehen.
Letzten Endes muss auch
gesagt sein, dass, während kaum jemand tatsächlich gegen die DDR
oder den Sozialismus auf die Straße ging, insgesamt nur etwa 3-4%
der DDR-Bürger überhaupt protestierten. Die Propaganda-Lüge, dass
sich das Volk gegen den Sozialismus erhoben hätte, ist deshalb mehr
als absurd. Wir gehen also davon aus, dass diese Unzufriedenheit der
Bevölkerung an sich kein ausschlaggebender Grund für die
Konterrevolution war, da sich die Unzufriedenheit nur in seltenen
Fällen gegen den Sozialismus, sondern viel mehr gegen politische
Entscheidungen der SED gerichtet hat. Viel eher war es der Zustand
der SED, in dem sie es nicht geschafft hat, adäquat auf die
Unzufriedenheit einzugehen, und schließlich keine Lösungen mehr
innerhalb des Sozialismus, sondern dessen Abschaffung ermöglicht
hat. Der BRD-Imperialismus hat seine Chance schließlich gewittert
und die DDR annektiert – also die Konterrevolution praktisch
vollzogen.
Für uns ergeben sich
hieraus einige Fragen, die es zu klären gilt. Warum wurden von
unzufriedenen DDR-Bürgern kaum die verfassungsmäßig vorgesehenen
demokratischen Mittel genutzt, um ihren Unmut kundzutun – etwa die
Ablehnung der Einheitsliste? Warum konnten die Unzufriedenen ihre
Vorschläge für eine Reformierung der DDR nicht über die
Massenorganisationen in die Volkskammer einbringen und somit eine
gemeinsame Diskussion über existierende Probleme forcieren – wie
es das demokratische Modell der DDR vorgesehen hätte? Welche Rolle
hat die denunziatorische Berichterstattung aus dem Westen bei
der Mobilisierung von Teilen der Bevölkerung gegen die SED gespielt?
Wie hätte die politische Führung schließlich ’89 mit den
Protesten innerhalb des Sozialismus umgehen können?
Die BRD greift ein und vollzieht die Konterrevolution
Am 3. Oktober 1990 war es
schließlich so weit – die Deutsche Demokratische Republik trat dem
Gebiet der BRD bei. Damit war ihr Ende besiegelt, so weit, so
schlecht. Aber was ist damals eigentlich genau passiert? Wie kam es
dazu, dass die DDR dem Imperialismus der BRD, nachdem sie seinen
Angriffen über 40 Jahre lang trotzte, auf einmal doch unterlag und
nahezu widerstandslos einverleibt werden konnte?
Die Strategie des „Wandels
durch Annäherung“, die subtile Einmischung des Westens in die
wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten war nicht spurlos an
den sozialistischen Ländern vorübergegangen. In der DDR wurden
zunehmend offen revisionistische, den Marxismus-Leninismus über Bord
werfende Positionen offiziell. Auch unter dem Einfluss der Politik
von Gorbatschow in der Sowjetunion war die Führung zunehmend
gelähmt.
Die innenpolitische Krise
bahnte sich an – außerhalb der SED und der staatlichen Strukturen
der DDR bekamen oppositionelle Kräfte wie Kirchenkreise Oberwasser
und Zulauf. Sie sprachen sich vermehrt offen gegen die SED-Führung
aus und suchten den Kontakt mit Journalisten sowie diplomatischen
Vertretungen aus den westlichen imperialistischen Ländern.
Solch eine Gelegenheit hat
man sich dort natürlich nicht entgehen lassen: besonders der
US-amerikanische Geheimdienst CIA schaltete sich ein und bot den
Oppositionellen die erhoffte Unterstützung (Vgl. Eichner/Dobbert
1997, 138f). Ab Oktober 1989 wurden die Proteste und objektiv (also
nicht unbedingt der Intention nach) konterrevolutionäre Forderungen
auf den Straßen der DDR lauter. Ob von allen Protestierenden gewollt
oder nicht, sie unterlagen zu diesem Zeitpunkt schon dem massiven
Einfluss des Westens. Schon im Januar 1989 deklarierte Helmut Kohl
auf einem CDU-Kongress: „Wenn wir das 40jährige Bestehen unserer
freiheitlichen Demokratie feiern, dann vergessen wir darüber
niemals, dass die Bundesrepublik nicht unser ganzes Vaterland ist:
Auch die DDR wird in diesem Jahr vierzig Jahre alt. Um so mehr
bekräftigen wir (…) unsere Verbundenheit mit all jenen Deutschen,
denen ein Leben in Freiheit bislang versagt blieb. (…) In dieser
europäischen Perspektive liegt Deutschlands Zukunft – und wenn ich
Deutschland sage, meine ich nicht nur die Bundesrepublik allein“
(helmut-kohl.de 2019).
Erfolgreich erhielt diese
Forderung nicht selten mit nationalistischem Einschlag Einzug in die
Oppositionsbewegung in der DDR: aus der ursprünglichen Parole „Wir
sind das Volk“, die gegenüber der Staatsführung wohl eine
Forderung nach mehr Mitbestimmung und -einbeziehung ausdrückte,
wurde beispielsweise „Wir sind ein Volk“ – ein klares Statement
für den Zusammenschluss mit der BRD, also das Ende der souveränen
Deutschen Demokratischen Republik. Innerhalb der Oppositionsbewegung
gab es jedoch große Uneinigkeit darüber, ob ein Zusammenschluss mit
der BRD das richtige Ziel ist.
Schließlich zeigte diese
Beeinflussung erste Erfolge: am 9. November 1989 kam es zur Öffnung
der Staatsgrenze. Dieser Akt war bereits Ausdruck der politischen
Führungslosigkeit der SED – die Apathie und Orientierungslosigkeit
des ZK der SED wurde offensichtlich. Für den deutschen Imperialismus
war jetzt klar, dass seine Stunde gekommen war: bereits am 28.
November 1989 veröffentlichte Bundeskanzler Helmut Kohl einen
Zehn-Punkte-Plan zur „Wiedervereinigung“ (natürlich in dem
Sinne, dass der Sozialismus in der DDR beendet wird und
Ostdeutschland wieder unter das Diktat des deutschen Imperialismus
fällt) (Vgl. Schumann 2014, 178).
Im März 1990 standen die
letzten Wahlen zur Volkskammer, dem Parlament der DDR, an. Es waren
die ersten Wahlen nach dem Vorbild des bürgerlichen Parlamentarismus
– die bürgerlichen Medien sprechen noch heute von den „ersten
freien Wahlen in der DDR“. So kam es, dass neben der PDS, in die
sich die SED ein paar Monate vorher umgewandelt hatte, vor allem
Ableger der etablierten bürgerlichen Parteien aus dem Westen
antraten. CDU und SPD, aber auch der CSU-Ableger DSU und der an der
Seite der FDP verortete „Bund freier Demokraten“ standen als
eigenständige Parteien auf dem Wahlzettel. Sie alle wurden im
Wahlkampf massiv von ihrem jeweiligen Pendant aus dem Westen
unterstützt – finanziell, organisatorisch, personell. Besonders
die CDU setzte hier, mit Kohl als Galionsfigur der
„Wiedervereinigung“, ihre riesige Wahlkampfmaschinerie in Gang.
Unter dem Eindruck großer
Versprechungen nach „blühenden Landschaften“, den Konsumgütern
des Westens und nicht zuletzt der D-Mark für Ostdeutschland, bildete
von da an eine Koalition der etablierten bürgerlichen Parteien
beziehungsweise ihrer Ableger die Regierung in der DDR. Diese neue
Staatsspitze arbeitete offen für den Beitritt der DDR zum
Hoheitsgebiet der BRD. Wie schon im Wahlkampf vor allem von der CDU
propagiert, strebte sie die „Wiedervereinigung“ nach Artikel 23
des Grundgesetzes an, obwohl dafür eigentlich das Verfahren aus
Artikel 146 vorgesehen war. Das hätte aber für den deutschen
Imperialismus die möglicherweise unangenehme Folge einer neuen,
gesamtdeutschen Verfassung gehabt. Dies hätte die Gefahr beinhaltet,
dass die BRD Inhalte aus der DDR-Verfassung hätte übernehmen
müssen. Insofern war das Vorgehen nach Artikel 23, der lediglich den
Beitritt zum Geltungsbereich des bestehenden Grundgesetzes vorsah,
das bevorzugte. (Vgl. Schumann 2014, 182ff).
Mit großen Schritten ging
es für den deutschen Imperialismus weiter: im Juli 1990 wurde auf
dem Gebiet der DDR die D-Mark eingeführt, das Umtauschverhältnis
von 2:1 war ein gezielter Schlag gegen die ostdeutsche Wirtschaft und
die Ersparnisse der Bevölkerung. Ebenfalls im Juli reiste Kohl in
die UdSSR. Ohne dass auch nur ein einziger Vertreter der DDR anwesend
war, handelte er dort Bedingungen für den Beitritt Ostdeutschlands
mit Gorbatschow aus – und dieser ließ die DDR fallen (ebd., 184f).
Die Bedingungen schlugen sich auch im sogenannten
„Zwei-plus-Vier-Vertrag“ nieder, der zwischen der DDR, der BRD
und den vier Alliierten Frankreich, Großbritannien, USA und
Sowjetunion zum kommenden Ende der deutschen Teilung geschlossen
wurde. Sie waren äußerst günstig für den erneut aufstrebenden
deutschen Imperialismus. Um einen offiziellen Friedensvertrag mit den
Alliierten kam er, wie schon die 45 Jahre zuvor, herum. Dies war
zweifellos sein Hauptanliegen, denn ein Friedensvertrag hätte die
Anerkennung der Nachkriegsordnung bedeutet, sprich die Anerkennung
der nach dem Krieg entstandenen Grenzen (insbesondere der
Oder-Neiße-Grenze zu Polen), die Anerkennung des „Verlustes“ der
Ostgebiete und vielleicht sogar mögliche Reparationszahlungen. Doch
nichts dergleichen hat sich im Vertrag niedergeschlagen, im Gegenteil
hat er eine Verzichtserklärung der Alliierten auf ihre bisherigen
Sonderrecht bezüglich Deutschland dargestellt (ebd., 179). Ein
durchaus erfolgreicher Vertragsschluss also, für den deutschen
Imperialismus jedenfalls.
Am 23. August 1990 stimmte
die neue Volkskammer für den Beitritt der DDR zum Gebiet der BRD –
am 3. Oktober des selben Jahres war es schließlich so weit. Die
Deutsche Demokratische Republik war damit Geschichte.
Was die Konterrevolution den Menschen gebracht hat
Im Rückblick müssen wir
feststellen, dass die zweite Strategie des deutschen Imperialismus,
der „Wandel durch Annäherung“, letztendlich die für die DDR
tödliche war. Die ökonomische Schwächung des sozialistischen
Lagers, die Nachfrage nach hochentwickelten Konsumgütern aus dem
Westen, die Verteuerung des Öls und anderes mehr, aber auch die
abnehmende Erkennung vom Gefahrenpotential des Imperialismus für die
DDR (im Sinne der Neuauslegung der Theorie der friedlichen
Koexistenz) ermöglichten es dieser Strategie zu greifen und ihre
Wirkung zu entfalten. Mit einer politisch klaren und offensiv
klassenkämpferischen DDR und einem starken, prinzipienfesten
sozialistischen Lager insgesamt, wäre die Strategie womöglich nicht
erfolgreich gewesen. Am 3. Oktober 1990 war das Ende ihrer Existenz
besiegelt. Der Moment, den die deutsche Bourgeoisie über 40 Jahre
lang ungeduldig herbeigesehnt hatte, trat nun ein. Das Gebiet der DDR
wurde einverleibt, dem BRD-Imperialismus wirtschaftlich und politisch
angegliedert. Das hatte natürlich Folgen:
Einerseits traf es
Ostdeutschland selbst. Der Ausverkauf der DDR und mit ihr ein
sozialer Kahlschlag der seinesgleichen sucht – die „Treuhand“ –
war die unmittelbare Folge der „Wende“. Die Anstalt zur
treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums, so der offizielle
Name, wurde am 01.03.1990 durch einen Ministerratsbeschluss
gegründet. Die im November 1989 letzte nach DDR-Recht von der
Volkskammer gewählte Regierung um Hans Modrow erhoffte sich eine
längere Übergangsphase von etwa 10 Jahren bzw. eine relative
Selbständigkeit des Wirtschaftsraumes der DDR trotz der politischen
Niederlage. Diese Illusion fußte nicht gerade auf einer
realistischen Analyse der Klasseninteressen der BRD und wurde
spätestens am 18.05.1990 mit dem sogenannten Einigungsvertrag ad
absurdum geführt, in dem die DDR auch juristisch der BRD einverleibt
wurde.
Die Treuhand wurde dem
Bundesfinanzministerium (und nicht etwa dem Wirtschaftsministerium)
als Anstalt öffentlichen Rechts unterstellt. In deren Führungsspitze
und Verwaltungsrat saßen nun BRD-Monopolisten wie Detlev Karsten
Rohwedder (Hoesch), Jens Odenwald (Tschibo, Kaufhof), Manfred
Lennings (Krupp), Hans-Olaf Henkel (BDI, IBM, Bayer, Daimler etc.)
sowie allerlei CDU- und FDP-Politiker (vgl. deutsche-einheit-1990.de
o.D.). Der ursprüngliche, nach außen vorgegebene Plan, das
öffentliche Eigentum der 8.500 volkseigenen Betriebe und 465
volkseigenen Güter zu wahren, wurde damit ins Gegenteil verkehrt.
Bis Ende 1994 wurden die in 12.500 Häppchen aufgeteilten Betriebe
veräußert, 90 % davon in den ersten 19 Monaten. Mehr als die Hälfte
davon wurden dabei direkt privatisiert und fanden den überwiegenden
Teil ihrer Käufer in Westdeutschland; 30 % wurden abgewickelt und
zerschlagen; 13 % ihren vormaligen Eigentümern im Deutschen Reich
übergeben und 2,5 % unter kommunale Verwaltung gestellt (Katapult
2019).
In einem einzigen Jahr wurden von den verwalteten 4,1 Millionen Arbeitsplätzen 70 % „abgebaut“ – das macht 2,86 Mio. vernichtete Berufsexistenzen (Kühl 1992). Arbeitslosigkeit, die vorher in der DDR gar nicht existent war, wurde nun zum Massenphänomen. Dabei handelte es sich um die größte Zerstörung von Produktionskapazitäten außerhalb von Kriegszeiten.
Quelle: Brenke (2009)
Für diesen beispiellosen Ausverkauf musste aus marktwirtschaftlicher Sicht der Tauschwert des Volkseigentums geschätzt werden, was der planwirtschaftlichen Konzeption der Betriebe und Güter zuwider lief, da größere Kombinate als Träger von Kultur- und Sportstätten, Kindergrippen- und -gärten eng mit der öffentlichen Daseinsvorsorge verknüpft waren. Wurde der Marktwert unter Modrow 1990 auf 950 Mrd. DM und unter Rohwedder 1991 noch auf 600 Mrd. DM geschätzt, schloss dessen Nachfolgerin, die vormalige niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel, Ende 1994 mit einem Defizit von 270 Mrd. DM ab. Anschließend wurde die Treuhandanstalt in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) umbenannt, wobei ein Großteil ihres Portfolios unter diverse AGs, GmbHs und andere Nachfolgegesellschaften aufgeteilt wurde (Bundesfinanzministerium o.D.). Was die wirtschaftliche Bilanz angeht, wurde also binnen weniger Jahre ein sozialistisches, planwirtschaftlich funktionierendes Land, welches 1988 auf der Welt den 15. Platz und im gesamteuropäischen Vergleich (je nach Rechnungsweise) den 8. oder 9. Platz in Sachen Industrieproduktion einnahm, vom deutschen Kapital beinahe völlig deindustrialisiert (vgl. Blätter für deutsche und internationale Politik, 360). Die ostdeutsche Bevölkerung wurde in dieser Zeit mit Statistiken und Meldungen über angebliche Überbeschäftigung und marode Betriebe derart überhäuft, dass sie die scheinbare Alternativlosigkeit des Geschehens weitestgehend passiv ertrug. Welchen kulturellen Verfall das Schließen von Kindertagesstätten, Klubhäusern, Bibliotheken, der Abriss des öffentlichen Personennahverkehrs und des Bahnnetzes auf dem Land, ein klassenselektives Schmalspur-Bildungssystem sowie Arbeitslosigkeit in Generationen nach sich zog, sehen wir heute.
Der in der DDR
verfassungsmäßig verankerte Rechtsanspruch auf Arbeit wich dem
Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt. Die Ostlöhne liegen nach 30
Jahren im Kapitalismus 18 % unter dem Westdurchschnitt, Frauen
verdienen weniger als Männer in den gleichen Berufen – knapp 78 %
des Gehaltes der männlichen Kollegen – und eine Berufstätigkeit
der Frauen mit Vollzeitstelle ist nicht mehr die Regel, sobald Kinder
oder ältere pflegebedürftige Angehörige ins Spiel kommen. Durch
die Zerschlagung der Großindustrie besteht eine geringere Bezahlung
nach Flächentarifen. In einer regelrechten Landflucht ist die
Bevölkerungszahl in Ostdeutschland seitdem um 15 % gesunken, der
Umzug vom Land in die Städte hält an, eine flächendeckende und
erst recht kostenlose medizinische Versorgung ist nicht mehr
gewährleistet, die Kriminalitätsrate hat sich durchschnittlich
verzehnfacht (und damit Westniveau erreicht) – und das alles ohne
Bürgerkrieg (Blessing/ Kuhn 2014; Wenzel 2007; Buchholz 2008). Viele
Städte Ostdeutschlands verloren sogar mehr als ein Drittel ihrer
Einwohner und fielen zum Teil auf den Stand von vor 200 Jahren
zurück.
Diese massive Zerstörung
hat viele Menschen in Verzweiflung und Not gestürzt. Sie hatten ihre
Gesellschaft, für die sie viel geleistet haben und in der sie
mitbestimmten konnten, verloren und eine neue aufgezwungen bekommen,
in der sie gedemütigt, degradiert und entmündigt wurden.
Doch welche treibende
Kraft steht hinter dieser Misere? Die herrschende Klasse der BRD
konnte durch die politisch mit allen Mitteln forcierte Annexion der
DDR ihre ab Mitte der 80er drohende Rezession bis 2008 verschleppen,
produktive Konkurrenz zerschlagen, lukrative Wirtschaftsbereiche
einverleiben und sich einen neuen Absatzmark erschließen. Die
Konterrevolution musste letztlich zur Verwüstung führen, weil das
Kapital mit den ganzen Produktionskapazitäten und Arbeitskräften
aufgrund der Überproduktion in der BRD nichts anfangen konnte. Sie
waren also aus Sicht des Kapitals überflüssig und nicht profitabel
auszubeuten. Der Zugriff auf ein Millionenheer an hervorragend
ausgebildeten Arbeitskräften im Osten, welcher dem Kapital für die
40 Jahre der Existenz der DDR versagt blieb, wurde schließlich als
Hebel gegen die Arbeiterklasse der BRD eingesetzt und letztlich mit
der Agenda 2010 zementiert. Die „Wende“ – ein erfolgreiches
Werkzeug des Klassenkampfs von oben.
Das Gebiet der ehemaligen
DDR wurde zur Goldgrube für die Kapitalisten. Für die ostdeutsche
Arbeiterklasse wurde es zur perspektivlosen Einöde, die es in vielen
Teilen bis heute geblieben ist.
Das alles ist kein Zufall:
es ist die Konsequenz, mit der der deutsche Imperialismus sein Ziel
umsetzte, die DDR ohne Gnade auszurotten. Das verlorene Territorium
musste zurückerobert werden, das heißt, der BRD-Staat musste seine
Macht durchsetzen, ohne Kompromisse zu schließen und alle Überreste
der DDR – ob politisch, ökonomisch, militärisch, juristisch,
ideologisch, … – auszuradieren. Für die ostdeutschen Arbeiter
bedeutete dies (neben dem Verlust ihrer ökonomischen und sozialen
Errungenschaften) Unterordnung, Demütigung, Anerkennung der neuen
(alten) Herren und sonst bitteschön die Klappe halten!
Zum Zweiten traf es die
gesamte deutsche Arbeiterklasse. Weiter oben haben wir schon
erläutert, wie die DDR als „dritter Verhandlungspartner“
zeitlebens Druck auf den westdeutschen Staat ausübte, sodass er
gewisse Sozialstandards über die 40 Jahre hinweg garantieren musste.
Dieser Druck war nun entwichen. Es gab kein sozialistisches
Deutschland mehr, das den Werktätigen beweisen konnte, was in ihrem
Interesse alles möglich war. Und so konnte der deutsche
Imperialismus seine Angriffe auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen
(von Neuem) beginnen. Oben wurden diese Angriffe schon angerissen:
Hartz-IV-Schikane für die Arbeitslosen, Niedriglöhne und Minijobs
für die Arbeitenden, Armutsrente für die Alten und Selektion nach
Herkunft für die Jugend.
Zum Dritten traf es Europa
und die Welt – es wird sie weiter treffen. Territorial,
wirtschaftlich und politisch ging der deutsche Imperialismus gestärkt
aus der Einverleibung der DDR hervor. Noch dazu konnte er sein
Großmachtstreben ohne Fesseln – jetzt, wo das größte Hindernis,
der sozialistische Staat auf deutschem Boden beseitigt war – erneut
auf die Tagesordnung setzen. Einer der fundamental unterscheidbaren
Züge der DDR war ihr Internationalismus. Ihre Armee war eine Armee
des Friedens, sie zog nie in einen Angriffskrieg, sie unterstützte
Befreiungsbewegungen, sie strebte nach der Solidarität der Völker,
anstatt nach Bomben und Tod. In der DDR waren Solidarität und
Frieden – auch im internationalen Maßstab – nicht nur leere
Worte, sondern gelebte Praxis. Das Ende der DDR lag noch keine neun
Jahre zurück, als das erste Mal nach 1945 wieder deutsches Militär
in einen Kriegseinsatz geschickt wurde – mit der perfiden
Propagandalüge, ein zweites Auschwitz zu verhindern, die vom grünen
Kriegsminister Fischer verbreitet wurde. Der völkerrechtswidrige
Angriff auf Jugoslawien, der die Region schwächen und so den Zugriff
des deutschen Kapitals auf die Region erleichtern sollte, war ein
Startschuss. Seitdem werden deutsche Soldaten wieder weltweit
eingesetzt, die militärische Sicherung deutsch-imperialistischer
Interessen und Einflüsse ist wieder möglich. Sie wird es mittels
Aufrüstung und ideologischer Mobilmachung zunehmend sein. Die EU und
NATO-Osterweiterung wurde indes nun auch möglich und knüpfte an die
Strategie des deutschen Imperialismus seit der Gründung der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl an. Sie fand einen
weiteren Höhepunkt in der Destabilisierung und politischen
Intervention in der Ukraine 2014 mit Unterstützung faschistischer
Kräfte.
Teil III – Beginn einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR
Skizze
einiger Ursachen der Konterrevolution
Die Kommunisten müssen
der bürgerlichen Geschichtsschreibung wieder etwas entgegensetzen
können. Gerade weil die DDR die größte Errungenschaft der
deutschen Arbeiterbewegung ist, muss es gelingen, an den
Errungenschaften des Sozialismus anzuknüpfen und eine fundierte
Klärung der Probleme zu erreichen – die Ursachen ihrer Niederlage
zu erforschen und zu erkennen. Es ist unsere Niederlage und die
Arbeiterklasse in Deutschland muss die Gründe dafür kennen, um die
richtigen Lehren für ihren Kampf zu ziehen.
Bisher gibt es in der
kommunistischen Bewegung, wie auch in der kommunistischen
Organisation selbst, noch keine vollständige Analyse der Entwicklung
und Niederlage der DDR, die unseren Ansprüchen genügen würde.
Einige Arbeiten der Zeitschrift „offen-siv“ und der KPD, die am
intensivsten und am weitgehendsten dazu geforscht haben, stellen für
uns jedoch bereits eine wichtige Orientierung dar, weshalb wir auch
weiter mit ihnen gemeinsam an einer Klärung arbeiten wollen.
Beispielhaft seien hier die Sammelbände „Niederlagenanalyse“ und
„Unter Feuer. Die Konterrevolution in der DDR“ genannt.
Wenn wir nun auch noch
keine vollständige Analyse der Ursachen der Konterrevolution bieten
können, wollen wir trotzdem bereits einige Problemstränge
skizzieren, die unserer bisherigen Auffassung nach zu den Ursachen
der Konterrevolution gehören. In welchem Verhältnis diese
Problemstränge zueinander stehen, können wir noch nicht
abschließend beantworten. In der kommunistischen Bewegung befinden
sich zuweilen auch sehr unterschiedliche Einschätzungen zu dieser
Frage. Manche meinen, es sei vorrangig ein „Demokratiedefizit“
gewesen, andere meinen zuallererst die Ökonomie als Kern der
Konterrevolution zu erkennen. Entscheidend ist es unserer Ansicht
nach vorerst, die verschiedenen problematischen Entwicklungen, sowohl
innerhalb der SED, den politischen Beziehungen zum
Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW), der Ökonomie der DDR
etc. im Zusammenhang zu sehen. So haben wir auch in unseren
Programmatischen Thesen festgehalten, dass z. B. die Entwicklung
revisionistischer Auffassungen in einem Zusammenhang mit anderen
Faktoren verstanden werden muss:
„Die kommunistischen Parteien verteidigten den Sozialismus nicht mehr, sondern schufen die Voraussetzungen seiner Zerstörung. Als Materialisten gehen wir jedoch davon aus, dass falsche Bewusstseinsinhalte nicht „von selbst“ entstehen, sondern materielle Ursachen haben.“
Im Kern handelte es sich
bei der Konterrevolution in der DDR um eine politische Krise, die
hervorgerufen wurde durch ökonomische Fehlentwicklungen, falsche
politische Entscheidungen, einem Aufweichen marxistischer
Weltanschauung in vielen Bereichen der gesellschaftlichen Organe und
vor allem auch der SED selbst, die schließlich vom BRD-Imperialismus
zur Zerschlagung des Sozialismus genutzt wurde. Auf den folgenden
Seiten werden nun also einige Faktoren dargestellt, die die
politische Krise hervorgerufen haben.
Kontext der internationalen kommunistischen Bewegung
Um die Entwicklung und den
Sieg der Konterrevolution in der DDR verstehen zu können, müssen
auch die internationalen Entwicklungen und insbesondere die
Entwicklungen im sozialistischen Lager, also dem Warschauer Vertrag
und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe berücksichtigt
werden.
Auf dem XX. Parteitag der
KPdSU 1956 wurde unter der Führung Nikita Chruschtschows eine neue
strategische Orientierung beschlossen, wonach ein „freundschaftliches
Verhältnis“ zu den USA angestrebt wurde und man sich in die
inneren Angelegenheiten der kapitalistischen Länder nicht einmischen
wolle (Khrushchov 1956). Die marxistische Analyse, wonach der
Imperialismus unvermeidlich zum Krieg führe, wurde implizit für
überholt erklärt, da nun aufgrund der Existenz der Sowjetunion und
starker Friedenskräfte die Situation eine andere sei. Schließlich
wurde auch die Möglichkeit eines friedlichen und parlamentarischen
Übergangs zum Sozialismus formuliert. Diese Positionen stellten eine
Wende der Parteilinie hin zum rechten Opportunismus dar. In den
meisten kommunistischen Parteien wurde diese Wendung mitvollzogen und
dementsprechend auch oft die Parteiführung ausgetauscht. In der DDR
war dies zunächst nicht der Fall – Walter Ulbricht blieb bis 1971
an der Spitze der SED. Der XX. Parteitag spielte eine
entscheidende und negative Rolle. Aber er reicht längst nicht als
alleinige Erklärung für die Konterrevolution. Weder hat mit ihm der
Sozialismus in der Sowjetunion und der DDR aufgehört zu existieren,
noch hat sich damit in den kommunistischen Parteien der Revisionismus
vollständig durchgesetzt.
Der XX. Parteitag der
KPdSU leitete auch auf ökonomischem Gebiet eine Wende ein. In der
Sowjetunion wurden zuerst nur beschränkte Wirtschaftsreformen, dann
1965 die umfassendere „Kossygin-Reform“ beschlossen. Bei der
Reform von 1965 wurden die Ideen des sowjetischen Ökonomen Jewsej
Liberman umgesetzt: Danach bekamen die Betriebe wesentlich weniger
Planziele verbindlich vorgeschrieben. Die Betriebe mussten ihre
Planung nun darauf orientieren, einen betrieblichen Gewinn zu
erzielen und die Finanzmittel für Investitionen selbst zu
erwirtschaften (vgl. Spanidis 2018). Neben den Reformen des
Planungssystems wurden auch die Prioritäten der Planung verändert,
sodass nun die Produktion von Produktionsmitteln zur Beschleunigung
der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr den Vorrang gegenüber
der Produktion von Konsumtionsmitteln hatte.
Diese Reformen verblieben
zwar im Rahmen der Planwirtschaft und wurden zudem nur unvollständig
umgesetzt und teilweise auch wieder rückgängig gemacht. Sie
schwächten trotzdem den sozialistischen Charakter der
Produktionsverhältnisse, trugen zu einer Verringerung des
Wirtschaftswachstums ab Mitte der 1970er Jahre bei und verschafften
längerfristig den Kräften Aufwind, die den Sozialismus als solchen
beseitigen wollten. Auch in den anderen sozialistischen Ländern
wurden entsprechende Reformen zur Stärkung von Marktmechanismen
durchgesetzt, wobei z. B. Ungarn besonders weit dabei ging, die
zentrale Planwirtschaft aufzuweichen. In den Jahren 1982/83 bestand
in der Sowjetunion unter Andropow die Möglichkeit eines
Kurswechsels. Andropow hat an vielen Stellen den Revisionismus in der
KPdSU, besonders in der Ökonomie, richtig erkannt und erarbeitete
Konzepte zur erneuten Vertiefung der sozialistischen Verhältnisse
(Keeran/ Kenny 2015, 58ff). Nach etwa einem Jahr starb Andropow
jedoch krankheitsbedingt – seine Reformvorhaben wurden nach seinem
Tod nicht weiter umgesetzt. Nachdem in der Sowjetunion 1985 Michail
Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU gewählt wurde, wurde die
Planwirtschaft innerhalb weniger Jahre zerstört und aufgelöst.
Wesentliche Schritte waren dabei die Aufhebung der staatlich
festgelegten Preise sowie die Legalisierung der Lohnarbeit und
privater Unternehmen.
Auf internationaler Ebene
wirkten sich die Beschlüsse des XX. Parteitag insofern aus, dass die
Orientierung auf die sozialistische Revolution und die Errichtung der
Diktatur des Proletariats für vermeidbar gehalten wurde. Die
Frontstellung des Sozialismus gegen den Imperialismus wurde damit auf
ideologischer Ebene relativiert.
Auf ökonomischer Ebene
wurde das Ziel der Eigenständigkeit niedriger priorisiert und eine
Reihe sozialistischer Länder begab sich in die Abhängigkeit von
Krediten und Warenimporten aus dem kapitalistischen „Westen“.
Zunächst führte all das aber noch nicht dazu, dass die Grundsätze
des proletarischen Internationalismus aufgegeben worden wären: Die
Sowjetunion und anderen Länder des Warschauer
Verteidigungsbündnisses agierten weiterhin als Stütze
kommunistischer und antiimperialistischer Befreiungsbewegungen und
Regierungen auf der ganzen Welt.
Solange sie sozialistisch blieben, bildeten sie auch ein Gegengewicht gegen den Imperialismus und die Reaktion. Auch das änderte sich dann jedoch mit der Machtübernahme der offenen Konterrevolution ab Mitte der 1980er. War zuvor die sogenannte „Breschnew-Doktrin“ handlungsleitend gewesen, wurden schließlich die gemeinsamen Sicherheitsabkommen über Bord geworfen. Die „Breschnew-Doktrin“ besagte richtigerweise, dass die Eigenständigkeit der einzelnen sozialistischen Länder nicht in dem Sinne missbraucht werden dürfe, dass es der Konterrevolution gestattet wäre, in einem Land den Sozialismus zu zerschlagen und dieses Land gegen die Interessen der sozialistischen Staatengemeinschaft zu kehren. Mit Berufung auf dieses Prinzip war 1968 noch durch eine militärische Intervention der Warschauer Vertrags-Staaten in der Tschechoslowakei ein Sieg der dortigen konterrevolutionären Kräfte abgewendet worden (siehe unseren Hintergrund dazu). Gorbatschow machte nun deutlich, dass nach der neuen Linie der sowjetischen Außenpolitik jede kommunistische Partei für ihre eigene Politik zuständig sei und gegebenenfalls die Konsequenzen auch alleine zu tragen habe.
Die Solidarität,
gegenseitige Garantie und Unterstützung der sozialistischen Staaten
wurden damit aufgekündigt. Nachdem schon in den vorherigen
Jahrzehnten einzelne Länder wie Albanien, Jugoslawien, die
Volksrepublik China und in manchen Fragen auch Rumänien die
gemeinsame Front der sozialistischen Staaten verlassen hatten,
zerfiel das sozialistische Lager nun mit rasanter Geschwindigkeit.
Kurz darauf, nachdem die konterrevolutionären Kräfte dem
Sozialismus in der Sowjetunion den Todesstoß versetzt hatten,
zerbrach auch sie in ihre Teilrepubliken.
Wirtschaftliche Probleme
Der Kontext der
internationalen kommunistischen Bewegung hatte natürlich seine
Auswirkungen auf die DDR. Vor allem auf ökonomischem Gebiet lassen
sich starke Parallelen zu der Entwicklung in der UdSSR und anderen
RGW-Ländern erkennen. Sowohl in der DDR, als auch in der UdSSR
verliefen die Entwicklungen dabei keineswegs gradlinig oder gar
synchron, im Trend der Jahrzehnte betrachtet wird jedoch eine
grundsätzlich einheitliche Entwicklungsrichtung sichtbar. Inwiefern
diese Ausdruck des sowjetischen Einflusses auf die DDR ist, muss an
anderer Stelle genauer untersucht werden.
In der ökonomischen
Entwicklung der DDR lassen sich einige Ursachen für die
Konterrevolution erkennen. Innerhalb der kommunistischen Bewegung
herrscht jedoch keine Klarheit darüber, in welchem Verhältnis die
ökonomischen Probleme tatsächlich zur Konterrevolution stehen.
Während z. B. einige die Hauptursache der Konterrevolution in der
Ökonomie sehen, meinen andere, die Konterrevolution resultiere
vorrangig aus einem „Demokratiedefizit“, ökonomische Probleme
hätten den Prozess nur befeuert.
Ebenfalls herrscht
Unklarheit darüber, welche ökonomischen Entscheidungen
problematisch und welche zielführend waren. Wie in anderen Bereichen
dieses Hintergrundartikels können wir noch keine umfassende und
abschließende Analyse der ökonomischen Entwicklung der DDR
nachzeichnen und treffsicher politisch bewerten. Hierfür ist der
Klärungsprozess, in dem wir bereits konkret zur ökonomischen
Entwicklung der DDR und UdSSR forschen, eine notwendige
Voraussetzung. Nichtsdestotrotz wollen wir an dieser Stelle einige
Entwicklungen beleuchten, die wir momentan als problematisch
einschätzen und weiterführend analysieren wollen.
Während die DDR noch bis
in die 70er Jahre einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufbau
vollzogen hatte, in vielen wirtschaftlichen Bereichen international
Stand halten konnte und in einigen Bereichen sogar Vorreiter war,
begann in den folgenden Jahren ein wirtschaftlicher Abschwung. Ab
Mitte der 70er Jahre machten sich ökonomische Fehlentscheidungen
langsam bemerkbar und das Wachstum der DDR-Ökonomie ging Stück für
Stück zurück. Die Produkte der DDR konnten sich immer weniger auf
dem internationalen kapitalistischen Weltmarkt behaupten, die DDR
verschuldete sich im Westen, hatte Liquiditätskrisen zu erleiden.
Wenn auch die
Wachstumsraten des BIP durchschnittlich höher waren als in der BRD
(Heske 2009, S. 52), schaffte die DDR es nicht, den Konsumstandard
der BRD zu erreichen. Das Ziel, die BRD zu „Überholen ohne
Einzuholen“, war für die meisten DDR-Bürger nicht mehr greifbar.
Je Einwohner lag das BIP der DDR 1989 um 44 Prozent unter dem
der BRD. Um den Rückstand aus den Jahren 1949/50 auszugleichen (z.
B. durch die einseitig geleisteten Reparationszahlungen der DDR auf
der einen Seite und den Marshallplan für die BRD auf der anderen),
hätte die DDR je Erwerbstätigem im Schnitt jährlich um 6,2 Prozent
wachsen müssen, statt um real 3,9 Prozent. (ebd., S. 70).
Was waren also die
Problemkomplexe die den wirtschaftlichen Abschwung der DDR und die
Unterminierung des Sozialismus beförderten?
…Marktelemente und Wertgesetz
In unseren
Programmatischen Thesen haben wir Folgendes zur Frage von Wertgesetz
und Markt festgehalten:
„Theorien, die von einer dauerhaft bleibenden Wirkung des Wertgesetzes im Sozialismus oder der sozialistischen Warenproduktion ausgehen, haben sich als falsch und schädlich erwiesen. Wo die Praxis in den sozialistischen Ländern sich nach solchen Vorstellungen richtete, untergrub sie den Sozialismus“
Und:
„Maßgebliche Ursache der Konterrevolution war die Verbreitung und schließlich Vorherrschaft revisionistischer Auffassungen und „marktsozialistischer“ Tendenzen“
Und wie hat es sich nun
mit dem Wert in der DDR verhalten? Mit dem Neuen Ökonomischen System
der Planung und Leitung (NÖSPL) ab 1963 und später dem Ökonomischen
System des Sozialismus (ÖSS) ab 1967 wurden Marktelemente in der DDR
zunehmend etabliert. Die politische Führung erhoffte sich damit vor
allem die materielle Interessiertheit und damit die Produktivität
der Betriebe zu steigern. Bestandteile dieser Reformen waren die
Stärkung der Rentabilität und Unabhängigkeit/Eigenständigkeit
„individueller“ Betriebe, die Stärkung des Gewinns als
Produktionsregulator, Preisreformen, nach denen die Preise in
erhöhtem Maße die Werte (Produktionspreise) widerspiegeln sollten,
und die verstärkte Betonung materieller Anreize. Ab 1971 wurden
die Reformen unter Honnecker wieder weitestgehend zurück genommen.
Hierzu sind zahlreiche
Debatten entstanden, die bis heute noch intensiv geführt werden. Auf
der einen Seite sehen Theoretiker wie Jörg Rösler und Ekkehard
Lieberam in dem NÖSPL einen wichtigen Schritt zur
Produktivitätssteigerung in der DDR. Auf der anderen Seite betonen
Theoretiker wie Gerfried Tschinkel, Hermann Jacobs oder die KKE, dass
Marktelemente und Wert im Sozialismus unbedingt zurückgedrängt
anstatt gefördert werden müssen, da sie in Widerspruch zur
sozialistischen Ökonomie stünden und diese zersetzen würden.
Grundsätzlich halten auch
wir die Wirkung des Wertgesetzes im Sozialismus für ein Problem.
Markt und Plan stehen
schließlich in einem prinzipiellen Widerspruch zueinander. So weit
dem Markt Freiheit zur Entfaltung gegeben wird, so weit wird der Plan
als Grundlage der sozialistischen Gesellschaft außer Kraft gesetzt.
So weit dem Plan Platz gegeben wird für eine allseitige
Koordinierung der Ökonomie, so wenig kann sich der Markt überhaupt
mit seiner Funktionsweise herausbilden. Entsprechende Marktreformen
hemmen also die Planungsfähigkeit in der Ökonomie, die eine
entscheidende Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist.
Gleichzeitig läuft eine zunehmende Einführung von Marktelementen
der Entwicklung des Sozialismus hin zum Kommunismus zuwider. In
unseren Programmatischen Thesen haben wir deshalb geschrieben, dass
„die Planwirtschaft in ihrer Entwicklung den sozialistischen
Charakter der Produktion vertiefen“ muss.
Doch es ist nicht
hinreichend nur theoretisch zu sagen, dass wir die Wirkung des
Wertgesetzes im Sozialismus für falsch halten. Das Verhältnis von
Plan und Wertgesetz, wie es unter den Bedingungen des NÖSPL
entstand, muss noch genauer durchdrungen werden. Um uns diesem
Fragenkomplex zu nähern, müssen wir die Ökonomie der DDR und die
sie umgebenden Umstände konkret und allseitig in ihrer Entwicklung
untersuchen.
Hier stellen sich für uns
einige Fragen: Waren die zunehmenden ökonomischen
Disproportionalitäten, der Geldmengenüberhang, der Mangel an Gütern
bei gleichzeitiger Vergeudung von Produktivkräften und schließlich
das Nachlassen der Akkumulationsdynamik in der DDR Folgen der NÖSPL
(wie es z.B. Tschinkel behauptet)? Wieso wurde die Zentralplanung
nicht ausgeweitet? Worin bestanden die Schwierigkeiten einer
vertieften Zentralisierung? Welche Mechanismen hätte es gebraucht,
um sowohl eine Zentralplanung als auch flexible wirtschaftliche
Mechanismen zusammenzubringen? Im Klärungsprozess wollen wir uns
weitergehend damit befassen, was genau die ökonomischen und
politischen Bedingungen waren, unter denen sich die SED für das
NÖSPL und ÖSS entschieden hat, welche Diskussionen dazu in der SED
stattgefunden haben und welchen Einfluss die Sowjetunion bei diesen
Entscheidungen gespielt hat, inwieweit sich die Rolle des
Wertgesetzes ab der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
ab ’71 wieder veränderte und anderes mehr.
…„Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
Ein zweiter Problemkomplex
leitet sich aus der ökonomischen Leitlinie ab 1971 ab, der so
genannten „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Diese
stellte insofern eine Zäsur in der ökonomischen Entwicklung der DDR
dar, als dass ab diesem Zeitpunkt die Konsumtionsmittelproduktion
(sog. „Abteilung II“) vor die Produktionsmittelproduktion (sog.
„Abteilung I“) gestellt wurde. Der Grund hierfür war vor allem
der politische Druck zur besseren Versorgung der Bevölkerung mit
Konsumgütern. Teile der politischen Führung hatten sich erhofft,
dass der schneller anwachsende Lebensstandard der Menschen dazu
führen würde, dass diese auch effektiver arbeiten würden, und sich
somit die Sozialinvestitionen ausgleichen ließen.
Hieraus resultieren für
uns erneut Fragen: Ist diese Entwicklung auch Ausdruck einer
mangelnden Verbindung der SED mit den Werktätigen der DDR? Hätte es
nicht einer politischen Arbeit für die zwar entbehrungsreichere,
aber dafür solidere Orientierung des Wirtschaftsaufbaus bedurft? Mit
überproportionalen Ausgaben für Sozialprogramme, allen voran dem
Wohnungsbauprogramm, fehlte schnell das notwendige
Investitionsvolumen, um mit der Entwicklung internationaler Standards
in der Produktion mithalten zu können. Die Hoffnung, durch höhere
Konsumausgaben die Arbeitseffektivität zu steigern, erfüllte sich
nicht. Dies verschlechterte die Akkumulationsdynamik der DDR
allgemein und damit die Stellung der DDR in der Weltwirtschaft: „Der
Anteil der Nettoinvestitionen in diesem Bereich [produzierender
Bereich, Anm. KO] am im Inland verwendeten Nationaleinkommen war in
den 70er Jahren und in der ersten Hälfte der 80er Jahre erheblich
reduziert worden. Dieser Anteil sank von 16,1 Prozent im Jahre 1970
auf 8,1 Prozent im Jahre 1985“ (ND 1990).
Während die DDR in den
60ern und frühen 70er Jahren z. B. noch ausgezeichnete
Maschinenbauerzeugnisse herstellte und gegen Devisen in den Westen
verkaufte, kam es ab Mitte der 70er zu einem starken Einbruch in
diesem – für den DDR-Export sehr wichtigen Zweig. Der Grund dafür
war unter anderem, dass sie die Mikroelektronisierung und damit die
Einführung der CNC-Steuerung verpassten, da dies einer der Zweige
war, der unter der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
von Honecker zu leiden hatte. Die hohen Ausgaben für den
Konsumtionsbereich verunmöglichten schließlich die notwendigen
Investitionen in Bereiche wie die Mikroelektronisierung, die Ulbricht
noch forciert hatte. Da die DDR die CNC-Steuerungen zu Beginn noch
nicht selbst produzieren konnte und auch später viele Jahre
Rückstand hatte, war sie i. d. R. darauf angewiesen, diese aus dem
Ausland zu kaufen und in die eigenen Produkte einzubauen. Dies führte
dazu, dass der Netto-Devisenerlös aus den Maschinenbauerzeugnissen
30-40 Prozent unter den erzielten Gewinnen vom Anfang der 70er Jahre
lag (Roesler, 2003, 30f). Die Auswirkungen des neuen ökonomischen
Paradigmas unter Honecker erstreckten sich natürlich auf mehr
Bereiche als nur auf den der Maschinenbauerzeugnisse. Aus
Platzgründen soll die beispielhafte Darstellung dieses Bereiches
jedoch genügen.
Durch die nachlassende
Wettbewerbsfähigkeit der DDR in der internationalen Wirtschaft
entwickelten sich Probleme dabei, Güter im Nichtsozialistischen
Wirtschaftsgebiet (NSW) gegen Devisen abzusetzen. Auf der anderen
Seite erodierte der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW),
also das sozialistische Wirtschaftsbündnis. Die DDR konnte auf den
Handel mit dem NSW nicht verzichten, sondern intensivierte ihn sogar
über die letzten Jahrzehnte. Da sich die Deviseneinnahmen durch den
Export infolge des zunehmenden Investitionsrückstandes systematisch
reduzierten, gleichzeitig jedoch Importe aus dem NSW zum
Aufrechterhalten der eigenen Export-Wirtschaft an Bedeutung gewannen,
folgte ein massiver Anstieg der Westverschuldung. Die 80er Jahre
waren schließlich gekennzeichnet von einer Politik des „Exports um
jeden Preis“ in der die DDR einige Produkte sogar unter dem
Produktionspreis verkaufte, um Devisen zu erlangen und mittelfristig
die Handelsbilanz wieder auszugleichen (Roesler 2003, 34ff). Dass in
diesem Sinne der Vorzug der Konsumtionsmittelproduktion vor die
Produktionsmittelproduktion gravierende negative Auswirkungen auf die
DDR-Wirtschaft hatte, ist unzweifelhaft. Ob die DDR jedoch ohne
gemeinsamer Forschungsprogramme im RGW überhaupt die Möglichkeit
gehabt hätte, in der Entwicklung der Mikroelektronisierung
international Schritt halten zu können? Wir wollen noch weiter zu
dieser Frage arbeiten.
…Der Zerfall des RGW
Während sich in den
Fünfjahrplänen der DDR (siehe z.B. SED: Dokumente des VIII.
Parteitages der SED, S. 55) immer wieder das Bestreben widerspiegelt,
die wirtschaftliche Zusammenarbeit im RGW zu intensivieren, sank der
Anteil des Außenhandels mit dem RGW jedoch faktisch seit Anfang der
60er Jahre zugunsten der westlichen Industrieländer
Die DDR vernetzte sich also immer mehr mit dem NSW, was natürlich eine gewisse ökonomische Abhängigkeit zur Folge hatte, die im Kontext der Systemkonfrontation von der BRD politisch genutzt wurde. Weiterhin lässt sich ein steigendes Unvermögen des RGW erkennen, gemeinsam innovativ zu forschen und somit technologisch mit dem Westen Schritt halten zu können, bzw. diesen zu überflügeln. Das Versagen bei der Entwicklung der Mikroelektronisierung im gesamten RGW ist dafür nur ein Beispiel. Außerdem nahm die Praxis der gegenseitigen Hilfe seit den 70er Jahren immer mehr ab. Infolge der Ölkrise erhöhte die Sowjetunion beispielsweise in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre die Ölpreise für die DDR, 1982 drosselte sie die Öllieferungen, beides im Wissen darum, dass das sowjetische Erdöl existenzieller Bestandteil der DDR-Ökonomie war.
DDR – Außenhandel nach Ländergruppen 1949-1989 (Quelle: Förster o.D.)
Wie genau und warum sich der RGW so problematisch entwickelt hat, muss weiter untersucht werden. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die riesigen Potenziale, die in einer internationalen Wirtschaftskooperation wie dem RGW stecken, ausreichend entfaltet wurden. Auch hier ergeben sich für uns wieder viele Fragen, die es zu klären gilt: Warum wurde die wirtschaftliche Kooperation im RGW nicht intensiviert? In welchem Zusammenhang steht die abnehmende Arbeitsteilung im RGW mit der geringeren Rolle der Zentralplanung in den einzelnen Ökonomien? Ist die Abkehr einer gemeinsamen sozialistischen Arbeitsteilung selbst Ausdruck der Implementierung von Marktelementen in die sozialistische Wirtschaft? Inwiefern steht die Entwicklung im Zusammenhang mit politischen Differenzen der sozialistischen Länder? Wie hätte eine gemeinsame Arbeitsteilung aussehen müssen, die sowohl die nationalen Wirtschaften entwickelt, als auch die gemeinsame Arbeitsteilung in den Blick nimmt?
Der Zerfall des RGW und
damit die Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen der DDR mit
dem NSW hatte schließlich auch zur Folge, dass die DDR immer
krisenanfälliger wurde. Während die sozialistische Produktionsweise
in sich grundsätzlich nicht den zyklischen Krisen des Kapitalismus
unterliegt, bedeutet eine Verflechtung mit dem NSW natürlich, dass
deren Krisen auch auf die sozialistischen Länder wirken. Die DDR
hatte ihre Ökonomie in den 80er Jahren auf ein sehr riskantes
Unternehmen fokussiert – den Export von Erdölderivaten. Die
Gewinne beruhten hierbei im Wesentlichen auf der Differenz der
niedrigen sowjetischen Erdölpreise und den verhältnismäßig hohen
Weltmarktpreisen. Während die Erdölpreise auf dem Weltmarkt die 12
vorangegangen Jahre relativ gleichmäßig und stark überhöht waren,
fielen die Preise Ende des Jahres 1985 binnen Kürze auf die Hälfte.
Die in diesem Zweig erwirtschafteten Deviseneinnahmen fielen
dementsprechend auch um ca. die Hälfte (vgl. Rösler 2003, 38).
Derlei Rückschläge der
DDR-Ökonomie haben ihre Ursachen in der starken Integration in den
kapitalistischen Weltmarkt und sind daher nicht von der Frage der
Entwicklung des RGW zu trennen. Der Aufbau des Sozialismus in
direkter Nachbarschaft und Konkurrenz zum Imperialismus ist dabei
natürlich eine grundsätzliche Schwierigkeit. Auf allen Gebieten,
auch der politischen Auseinandersetzung, wurde hier jedoch zunehmend
nicht die selbständige Entwicklung gefördert, sondern die
militärische, politische und ökonomische Annäherung zum
Imperialismus.
Ist die DDR an ihrer Ökonomie zugrunde gegangen?
Viele Fehlentscheidungen
und unvorteilhafte Entwicklungen haben der DDR-Wirtschaft erheblichen
Schaden zugefügt. Doch sie war keineswegs am Ende. Zwar kam es 1982
zu einer Liquiditätskrise, die jedoch bis 1985 wieder neutralisiert
werden konnte. Auch wenn die Westverschuldung bis 1989 anschließend
wieder zunahm, war die DDR nicht zahlungsunfähig (Roesler 2003, 38 /
Steiner 2004, 225). Die Aussage, die DDR sei pleite gewesen, ist
ebenso falsch. Die Schulden der DDR im Verhältnis zum BIP betrugen
89 tatsächlich nur etwa 3/5 von denen der BRD (Bundesbank,
Monatsberichtsbericht März 1997, S. 18). Die DDR hatte
wirtschaftliche Probleme, diese waren jedoch an sich nicht
existenzgefährdend.
Politische Lethargie
Die entscheidende Ursache
für die Konterrevolution lässt sich letztlich im politische Gebiet
verorten. Dadurch also, dass die Kommunisten und die Massen den
Sozialismus nicht mehr mit aller Kraft verteidigten und
weiterentwickelten. Die vielfältigen Mechanismen der sozialistischen
Demokratie, die die DDR geschaffen hatte, waren in den 80er Jahren
nicht mehr in der Lage, die sich stellenden Probleme zu lösen. Das
betrifft die unterschiedlichen Bereiche der Arbeiter- und
Bauernmacht, allen voran die SED. Die führende Rolle, die sich die
SED jahrelang erkämpft hatte und die in der Verfassung von 1968 fest
verankert und breit anerkannt war, konnte sie zuletzt nicht mehr
spielen. Innerhalb der SED wurden grundlegende Erfahrungen der
Arbeiterbewegung aufgegeben.
Die Entwicklung der SED
hatte dabei unterschiedlichste Phasen. Ihr Zustand in den 80er Jahren
ist nicht derselbe wie zu ihrer Gründung oder auch in den 60er
Jahren. Die Situation der SED zum Ende der DDR lässt sich dabei
nicht ohne den Zusammenhang der Entwicklung der kommunistischen
Bewegung weltweit erklären.
Im Abschnitt zum Kontext
der internationalen kommunistischen Bewegung wurde dazu bereits auf
einige schädliche Entwicklungen eingegangen, die sich insbesondere
seit dem XX. Parteitag der KPdSU international verbreiteten. Die SED
unter Walter Ulbricht unterstützte diese Position zwar nicht
offensiv, bekämpfte sie allerdings auch nicht. Diese unklare Haltung
legte jedoch bereits die Grundlage dafür, dass die offene und
scharfe politische Diskussion um die richtige Linie und die ständige
Überprüfung der Theorie mit den tatsächlichen gesellschaftlichen
Verhältnissen innerhalb der SED geschmälert wurden (Buchholz et al.
2019, 87ff.) Letztlich konnte sich so auch eine besonders zerrüttende
Auslegung der friedlichen Koexistenz zwischen Sozialismus und
Imperialismus nach dem XX. Parteitag der KPdSU durchsetzen, die der
Politik des „Wandels durch Annäherung“ schließlich Tür und Tor
öffnete (hierzu: Münder 2007). Die im ersten Teil erwähnte
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von 1972-75 in
Helsinki und später das gemeinsame SED/SPD-Papier von 1987 sind
schlagende Belege dafür, dass der Imperialismus falsch eingeschätzt
wurde.
Dem Imperialismus wurde
auf einmal eine Friedensfähigkeit bescheinigt, es wurde der
kooperative Wettbewerb der Systeme proklamiert und das gemeinsame
Ziel der allgemeinen Menschenrechte erklärt (SPD/SED-Papier: Der
Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit, 1987).
Die Haltung der
Unumkehrbarkeit der sozialistischen Entwicklung – eine
voluntaristische Auslegung der Gesetzmäßigkeit der Geschichte –,
der Einfluss des Eurokommunismus mit seiner Parole vom „Sozialismus
mit menschlichem Antlitz“ so wie die Aufgabe einer einheitlichen
und gemeinsamen Entwicklung des Sozialismus zugunsten einer
Orientierung auf nationale Eigenständigkeit und Nichteinmischung der
sozialistischen Staaten untereinander, taten ihr Übriges, um sich
den imperialistischen Staaten politisch anzunähern.
Hinzu kommen Entwicklungen
in der Organisationspolitik der SED ab den 70er Jahren, die einen
gelebten demokratischen Zentralismus, entgegen den eigenen Vorgaben
des Statuts, untergruben und letztlich zu einem massiven
Vertrauensverlust sowohl gegenüber den Massen als auch den eigenen
Mitgliedern beitrugen. Hier soll sich dafür vornehmlich auf die
Sammlung von Itzerott und Gossweiler in „Unter Feuer – die
Konterrevolution in der DDR“ bezogen werden, die sich auch in
den vielen Erfahrungen ehemaliger DDR-Bürger widerspiegeln.
Probleme wurden nicht
länger klar und offen angesprochen und angegangen, Informationen und
Wissen konzentrierte sie auf einen begrenzten Kreis von leitenden
Mitgliedern.
Die Bildungs- und
Ideologiearbeit verlor zunehmend die Verbindung sowohl zu den
Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus als auch ihr
schöpferisches Verhältnis zu den gesellschaftlichen Entwicklungen
und bekam eher die Rolle der Begründung der Beschlüsse der Partei.
Die erlebte widerspruchsvolle Wirklichkeit stand den verbreiteten
positiven Positionen häufig entgegen und der tatsächliche
Bewusstseinsstand der Klassen und Schichten der DDR wurde allzu oft
überschätzt.
Die leninistische
Orientierung auf eine kommunistische Kaderpartei, die auch die SED
seit ihrem Statut von 1950 verfolgte, wich zunehmend einer faktischen
Orientierung auf eine Massenpartei, Mechanismen wie die
Kandidatenzeit bekamen zunehmen formale Züge. All dies beförderte
zudem den Eintritt und Einfluss von Karrieristen innerhalb der SED.
Aus heutiger Perspektive ist offensichtlich, dass nicht 2,3 Millionen
ehrliche Kommunisten auf dem Gebiet der DDR existierten, die den
Anspruch eines Mitglieds einer kommunistischen Kaderpartei erfüllten.
Vielmehr lässt sich z. B. an den Abwanderungen von der SED zur CDU
nach der Konterrevolution erkennen, dass die Mitglieder der SED in
vielen Fällen alles andere als eine Vorhut der Arbeiterklasse waren.
Mitgliederentwicklung der
SED:
1946 – 1,2 Mio.
1949 – 1,6 Mio.
1970 – 1,9 Mio.
1988 – 2,3 Mio.
1989 spitzte sich die
negative Entwicklung der SED noch weiter zu. Die SED war nicht mehr
Herr der Lage. Statt die Verbindung zu den Massen wieder mühsam
herzustellen, wurde das Ministerium für Staatssicherheit politisch
verantwortlich erklärt. Anstatt sich die Führungsrolle, durch das
Annehmen von ökonomischen und politischen Problemen zu erarbeiten,
wurde der Führungsanspruch der SED gänzlich negiert. Der Einfluss
der Politik Gorbatschows erreichte und spaltete die Parteiführung.
Während Honecker die verheerenden Folgen von Perestroika und
Glasnost erkannte, sprangen andere wie Hans Modrow auf den Zug mit
auf und übernahmen letztlich die Parteiführung. Die SED war
schließlich so stark von Revisionismus zersetzt, dass sie sich
selber abschaffte. Im Februar 1990 legte die neu gebildete Regierung
von Hans Modrow ein „Regierungskonzept zur Wirtschaftsreform in der
DDR“ vor, nach dem die Planwirtschaft zugunsten einer
kapitalistischen Marktwirtschaft abgeschafft werden sollte. Auf ihrem
Sonderparteitag am 8./9. Dezember beschloss die SED (bald PDS)
ebenfalls das Ende der führenden Rolle der SED als Partei der
Arbeiterklasse.
Die Entwicklungen
innerhalb der SED hatten ihre Auswirkungen auf weitere Bereiche der
sozialistischen Demokratie, auf die Presse, die Massenorganisationen
und auch die Kulturproduktion.
Nicht allein die
Ausbürgerung von Wolf Biermann im Jahr 1976, der heute noch keine
Gelegenheit auslässt, in den Chor der Anti-DDR Hetze einzustimmen,
sondern vielmehr eine Kulturpolitik, die die mangelnde politische
Diskussionsfähigkeit und Klarheit der SED abbildet, führten
letztlich zur Frustration und Aufwiegelung einiger Kulturschaffender
gegen die SED. Hiermit ist nicht gemeint, dass etwa die Ausbürgerung
Biermanns grundsätzlich falsch war oder dass die
DDR-Kulturproduktion nicht auch erstaunliches geleistet hat. Die
Entwicklung der Kulturpolitik und das Verhältnis der
Kulturschaffenden zur SED und DDR muss noch weiter untersucht werden.
Welche Rolle haben Kulturvereinigungen wie der Schriftstellerverband
gespielt; inwiefern blieb Potenzial der Kulturschaffenden ungenutzt;
was waren die konkreten Umstände der Auseinandersetzung mit den
Kulturschaffenden in den 80er Jahren, was waren hier die
Möglichkeiten der SED; inwiefern konnte die Jugend für die
Kulturlandschaft gewonnen werden und vieles weitere mehr.
Auch die zentralen
Presseorgane bildeten zuletzt die Diskussionsmüdigkeit und die
Abkehr von den gesellschaftlichen Problemen, die in der SED sichtbar
wurden, ab und konnten so die Verbindung der Massen mit der Partei
nicht mehr befördern.
Die SED war nicht länger
Vorbild für die sozialistische Macht und konnte der weiteren
Entwicklung der DDR auch nicht länger die Zukunft weisen, die
Führungsrolle der SED war untergraben.
Uns muss es allerdings
darum gehen zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Dafür ist eine
genaue Betrachtung der hochkomplizierten politischen Situationen,
innerhalb derer die SED handelte und sich entwickelte, genau zu
untersuchen. Die äußeren Einflüsse dürfen dabei nicht
unterschätzt werden.
Die Bedingung als
Frontstaat der sozialistischen Länder mit direkter Grenze zum
wichtigsten Frontstaat der imperialistischen Welt; die Voraussetzung
der gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kulturtradition, die die
Bevölkerung der DDR mit der der BRD verbanden, wogen schwer. Die
Systemauseinandersetzung wurde auf allen Ebenen, ökonomisch,
militärisch, ideologisch usw. geführt und erschwerte eine
selbstbewusste Entwicklung der DDR. Die DDR ließ sich auf eine
Konkurrenz mit der BRD ein, ohne dabei der eigenen Bevölkerung die
Voraussetzungen des höheren Konsumstandards in der BRD hinreichend
vermittelt zu haben – wenn auch hierfür viele Versuche unternommen
wurden. Der Einfluss der BRD auf die Politische
LethargieDDR-Bevölkerung war nicht gering. Inwieweit schaffte es die
DDR jedoch eine hinreichend selbstbewusste sozialistische Antwort auf
den Einfluss der BRD herzustellen, die die Unterschiedlichkeit der
Systeme erfolgreich vermittelte? – und wo haben sich dabei eventuell
Probleme aufgemacht?
Der Einfluss der
internationalen kommunistischen Bewegung und der sozialistischen
Staatengemeinschaft, der oben bereits ausführlich besprochen wurde,
hat andererseits entscheidenden Einfluss auf die Bedingungen der
politischen Entwicklung der SED gespielt.
Die Abweichung von
Erkenntnissen und Erfahrungen des wissenschaftlichen Sozialismus in
der SED ist ohne die Einbeziehung der unterschiedlichen Einflüsse
nicht zu erklären, dennoch müssen wir noch genauer untersuchen,
welche Rolle auch einzelne führende Mitglieder der SED auf die
Abweichung vom wissenschaftlichen Sozialismus gespielt haben, wie es
sein konnte, dass revisionistische und letztlich offen
antisozialistische Positionen auch innerhalb der SED Widerhall
fanden.
Dabei ist die historische
Entstehung der proletarischen Macht der DDR, die Gründung der SED
und auch der Massenorganisationen und des Demokratischen Blocks ein
wichtiger Untersuchungsgegenstand. Die Orientierung auf eine
antifaschistisch-demokratische Umwälzung war eine zentrale
Schlussfolgerung aus dem VII. Weltkongress der Kommunistischen
Internationale von 1935. Die Volksfrontorientierung konnte in der
spezifischen historischen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg in
Deutschland, unter der Bedingung der gebrochenen Macht des deutschen
Imperialismus, den leidvollen Kriegserfahrungen der deutschen
Bevölkerung und dem militärischen Schutz der Sowjetunion
erfolgreich sein. Für die Orientierung der Ausrottung der Grundlagen
des Faschismus konnte die KPD zunächst die Massenbasis der SPD und
Teile ihrer Führung im Osten und dann breite Teile der Bevölkerung
gewinnen und erarbeitete sich die Zustimmung für die großen
Enteignungsaktionen der Nazi- und Kriegsverbrecher. Auch die
Entwicklung von der antifaschistisch-demokratischen Ordnung zum
Aufbau der Grundlagen des Sozialismus und die Entwicklung der SED zu
einer marxistisch-leninistischen Partei ab 1950 waren erfolgreiche
Schritte im Aufbau der DDR.
Inwiefern aber entsprach
die Bolschewisierung der SED der tatsächlichen Situation der Partei
– die gerade aus der KPD und SPD hervorgegangen war? Wie ist die
Vereinigung von KPD und SED insgesamt zu bewerten? Wie ist die
ideologische Arbeit und Mitgliederpolitik der SED zu dieser Zeit und
in ihrer Folge zu bewerten?
Welchen Einfluss hatten
die weiteren Strukturen, die aus der antifaschistisch-demokratischen
Ordnung hervorgegangen sind und ihre historisch positive Rolle
gespielt hatten, auf den weiteren sozialistischen Aufbau und die
Entwicklung der SED? Vor allem muss hier die jeweilige Rolle der
unterschiedlichen Parteien der Nationalen Front (CDU, LDPD, DBD,
NDPD) näher untersucht werden. Aber auch die Entwicklung der
Massenorganisationen muss analysiert werden. Welchen Einfluss hatte
beispielsweise die Wandlung der FDJ von einer antifaschistischen
Jugendorganisation zur Parteireserve der SED auf ihre Anerkennung und
Wirksamkeit unter der Jugend?
Außerdem bleibt zu
klären, weshalb es keine konstruktive und transparente Diskussions-
und Kommunikationskultur mehr zwischen der politischen Führung und
der Bevölkerung gab. Hat dies strukturelle Gründe wie den
faktischen Massenpartei-Charakter der SED, welcher zunehmend
Karrierismus und Opportunismus beförderte? Auch stellt sich die
Frage, wie eine sozialistische Kultur-, Presse und Sicherheitspolitik
aussehen müsste und ob und wenn ja, inwiefern die DDR dort Fehler
gemacht hat, die vermeidbar gewesen wären.
Ausblick und Schluss
Mit der Konterrevolution
1989/90 ist die Arbeiterbewegung und die kommunistische Bewegung
weltweit in ihre tiefste Krise geraten. Ihre Desorganisation und
Orientierungslosigkeit führten dazu, dass den massiven Angriffen des
Kapitals und den erneuten kriegerischen Raubzügen der
imperialistischen Länder, die der Annexion der DDR folgten, nichts
ernsthaft entgegengesetzt werden konnte. Die Fratze kapitalistischer
Ausbeutung erscheint durch die nahezu vollständige Aufhebung der
Systemkonkurrenz umso deutlicher, die Klassengrenzen treten wieder
schärfer hervor, und somit kann auch die kommunistische Bewegung und
mit ihr die Arbeiterbewegung wieder an Klarheit und Orientierung
gewinnen.
Die Arbeiterklasse hat
auch noch 30 Jahre nach dem sogenannten Mauerfall kein Interesse am
Kapitalismus. Die ostdeutsche Arbeiterklasse im Speziellen fühlt
sich mit ihren Erfahrungen im Sozialismus allein gelassen. Etliche
Millionen DDR-Bürger haben positive Erfahrungen in der DDR
gesammelt, trauern um die verloren gegangenen Errungenschaften. Noch
heute – nach 30 Jahren konterrevolutionärer Propaganda – sagen
etwa 2/3 der ehemaligen DDR-Bürger, dass in der DDR die positiven
Seiten mindestens überwogen (Statista 2019). Gleichzeitig revidieren
viele ehemalige DDR-Bürger ihre Einstellung zur DDR, da ihre
Erfahrungen durch das Totschweigen verblassen und sich in vielen
Köpfen schließlich 1000 Lügen der BRD-Propaganda zu einer
„Wahrheit“ formieren. So kommt es z. B., dass auch Leute, die,
genau wie ihre Familien und Freunde, nie in (negativen) Kontakt mit
dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gekommen sind, heute
davon ausgehen, dass die Stasi eine allgegenwärtige Unterdrückung
gegen das gesamte Volk durchsetzte.
Wir können dem
BRD-Imperialismus nicht vorwerfen, dass er alles dafür tut, die DDR
in ein schlechtes Licht zu rücken – er tut das, um seine eigene
Existenz zu legitimieren und abzusichern. Schließlich kann es nur
der Sozialismus sein, der die Arbeiter von ihrer Ausbeutung und
Unterdrückung befreit. So weit wie der Sozialismus als
gesellschaftliche Alternative aus den Köpfen der Arbeiter
verschwindet, so stabil ist die Herrschaft der Kapitalistenklasse.
Was dagegen unsere Aufgabe sein muss, ist der BRD-Propaganda Paroli
zu bieten. Alle Analysen oder Positionen von Organisationen, die das
Problem einfach beim XX. Parteitag oder bei Honecker verorten, sind
dabei nicht nur verkürzt, sondern liegen grundsätzlich falsch. Die
DDR und die Sowjetunion waren bis zu ihrer Auflösung sozialistisch.
Die Produktionsmittel waren nicht privat, es gab keine Ausbeutung,
die Planwirtschaft war der ökonomisch dominierende Mechanismus, die
Arbeiterklasse herrschte. Der Prozess, der zum Erfolg der
Konterrevolution führte, ist ein längerer komplexer Prozess, den
wir verstehen müssen. Die DDR und die SU aber als
staatskapitalistisch oder gar sozialimperialistisch zu diffamieren,
entspricht nicht den Tatsachen und hilft letzten Endes dem
Klassengegner. Es lenkt davon ab, dass es die Arbeiterklasse war, die
diese große Leistung vollbracht hatte. Es war die Macht der
Arbeiterklasse, die mit Problemen konfrontiert war und diese lösen
musste. Diese Schwierigkeiten zu verstehen, ist im Interesse der
Arbeiterklasse. Es muss deshalb Aufgabe der Kommunisten in
Deutschland sein, wieder eine wissenschaftliche und konstruktive
Auseinandersetzung mit der DDR zu etablieren, an der sich die
Arbeiter orientieren können. Dies kann nur funktionieren, indem
breitestmöglich die Erfahrungen der ehemaligen DDR-Bürger gesammelt
werden und ein langfristiger Klärungsprozess die Fehler und
Errungenschaften der DDR herausarbeitet und analysiert. Wir müssen
schließlich klar benennen können, welche Errungenschaften uns als
Richtschnur dienen und warum welche Fehler passiert sind, bzw. wie
wir diesen bei einem erneuten Anlauf zum Sozialismus aus dem Weg
gehen können. Die Frage der Haltung zur DDR ist die Frage der
Haltung zum Sozialismus. Werden wir nicht die Hoheit (und Klarheit!)
über die Geschichte unseres ersten Arbeiter-Staates auf deutschem
Boden erkämpfen, werden wir die deutsche Arbeiterklasse kein zweites
Mal zum Sozialismus heranführen können.
Deshalb beteiligt euch am Klärungsprozess (siehe BolscheWiki), damit wir die Hoheit über unsere eigene Geschichte wiedererlangen und schließlich den Arbeitern wieder eine Perspektive ohne Ausbeutung, Armut, Krieg und Verrohung bieten können.
Literaturverzeichnis
Blätter
für deutsche und internationale Politik 3/96
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Klaus/Kuhn, Wolfgang (2014): Die zementierte Spaltung – Der Osten
bleibt abgehängt. Fakten, Zahlen, Statistiken.
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der DDR: schleichender Niedergang und Schocktherapie.
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Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland
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of the Soviet Union to the 20th Party Congress.
SWR (2019): Thierse: „Kohl hat 1990
viel versprochen, aber Wunder brauchen länger“, in:
https://www.swr.de/swraktuell/30-Jahre-Mauerfall-Ex-Bundestagspraesident-Thierse-sieht-weitere-Defizite-zwischen-Ost-und-West,30jahremauerfall-102.html
The campaign against the democratically elected Bolivian president Evo Morales and his party Movimiento al Socialismo (Movement for Socialism – MAS) has intensified last year and reached a bitter climax last weekend with the forced resignation of Morales. Parts of the military and police have taken the side of the ultra-right opposition and put pressure on MAS politicians to resign through acts of violence, kidnappings and the pillaging and destruction of homes.
The opposition movement presents itself as democratic, as it opposes the alleged dictator Morales, it presents itself colorful and youthful. But the excesses by police and military during the last days, racist above all in nature, show clearly the actual thrust. The recognition and empowerment of the indigenous population, the expansion of the education and health system to the detriment of private corporations and, above all, the nationalization of central industries were a thorn in the side of US imperialism and the dependent Bolivian bourgeoisie.
In contrast to Venezuela, the developments that have meant an improvement in the living conditions of the people are based not only on the sale of oil, but on an expansion of the productive forces in state hands. However, even in Bolivia, state power is not in the hands of the proletariat and the strata allied with it. In Venezuela, this could be balanced by the ideological solidarity of the military with the Bolivarian process, which was not possible in Bolivia.
The coup is followed by terror against activists of the popular movements and supporters of the government. The police brutally attack the demonstrations of the popular masses and raid the poor neighborhoods, those raids being directed against the people’s movement. Indigenous activists, trade unionists and MAS supporters are insulted, beaten and tortured.
The mass and militant demonstrations against the putschists in the last days give hope and show a courageous and well-fortified people who are ready to defend the achievements of the last 13 years. The mass and militant demonstrators shout the slogan „ahora si, guerra civil“ (translated: “civil war now!”). In the next few days it will become clear how the movement will develop and whether armed people’s units will emerge from it and how the reactionary forces will react to it.
It is indicative that the German government welcomed the coup after less than 24 hours. This shows how much they care about democracy and human rights, as soon as a democratically elected government decides to expel the imperialists from the country. This reminds of the cries of joy of German politicians about the outbreak of democracy in Chile, when on 9/11 1973 one of the bloodiest military dictatorships of the continent began. It is also worth mentioning in this context that the German-Bolivian lithium project, which was stopped a few days before the coup, is now considered possible again. After Argentina, Bolivia has the largest lithium deposit in the world. A raw material that is used, among other things, for batteries for electric cars and smartphones.
Also the “Neues Deutschland”, the newspaper of the Left Party (Partei Die Linke), as well as the „taz“, which is regarded as “left-wing alternative“, justify the coup. Thus it says in the “Neues Deutschland”: It is not nice, the way that Evo Morales had to abandon the presidency. For Bolivia’s democracy, however, it is important and correct that Morales is finally followed by someone else. („Learn to let go“, Neues Deutschland 11.11.2019). These forces, too, prove once more that at the end of the day they are on the side of imperialism and reaction.
We condemn the criminal coup carried out with the support of foreign imperialist states, including the USA and Germany. We express our solidarity with the Bolivian people and their resistance. We emphasize that the Bolivian people have every right to defend their achievements with all means at their disposal, including force, and to strike back the reaction.
vor knapp zwei Jahren ist ein Teil der
jetzigen Kommunistischen Organisation (KO) aus den Reihen der DKP und
SDAJ ausgetreten und hat zusammen mit anderen Genossen einen neuen
und neuartigen Klärungsprozess begonnen. Wir haben diesen Schritt
nicht leichtfertig gemacht, und sicherlich haben wir auch nicht alles
richtig gemacht. Er war für uns das Resultat eines Versuchs, eine
Diskussion über die strategische Ausrichtung und die damit
verknüpften politischen Orientierungen zu führen, ein Versuch, bei
dem wir unterm Strich konstatieren mussten, dass ein Teil der DKP
unsere Kritik und unsere Vorschläge ablehnt. Gleichzeitig sahen wir
die Wege, unsere Kritik allgemein in Partei und Jugendverband zur
Diskussion zu stellen und die Diskussion auch organisiert zu führen,
als sehr eingeschränkt; der Neuanfang, mit all seinen
Schwierigkeiten und Fallen, schien uns der konstruktivste Weg aus der
Misere. Die Schädigung von DKP und SDAJ lag und liegt uns dabei fern
– dass die Austritte eine Schwächung beider Organisationen
darstellten ist richtig, war aber nicht zu vermeiden.
Der Parteivorstand der DKP hat nun zum wiederholten Mal die Kommunistische Organisation auf der internationalen Plattform der Kommunistischen und Arbeiterparteien als linkssektiererisch charakterisiert. Der Stein des Anstoßes war eine Internationale Resolution, die wir bei unserer Vollversammlung im Juli 2019 beschlossen und einigen Parteien der internationalen Kommunistischen Bewegung (IKB) zugeschickt haben. Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, unseren Klärungsprozess nicht losgelöst von den ideologischen Auseinandersetzungen der internationalen kommunistischen Bewegung zu führen. Im Gegenteil halten wir es für notwendig, dass kommunistische Parteien in einen organisierten Austausch miteinander treten. Ohne eine gegenseitige Kritik, ohne eine lebendige Debatte über die Fehler der Vergangenheit und die revolutionäre Strategie der Gegenwart ist es für uns undenkbar, dass die anhaltende Schwäche der IKB überwunden werden kann. Die KO ist keine Kommunistische Partei. Aber wir haben uns das Ziel gesetzt, eine klassenkämpferische Arbeiterbewegung und eine kommunistische Partei aufzubauen. Und in diesem Sinne und mit diesem Ziel vor Augen wollen wir uns bereits jetzt
„systematisch mit den Analysen und Positionen der anderen kommunistischen Parteien beschäftigen und unsre eigenen Standpunkte und Erfahrungen im Dialog mit den Analysen der internationalen kommunistischen Bewegung weiterentwickeln. Daher haben die Treffen der kommunistischen und Arbeiterparteien, das MECYO, die Initiative der Kommunistischen und Arbeiterparteien und die Internationale Kommunistische Rundschau unsere volle Unterstützung“
Der Parteivorstand der DKP nimmt nun bedauerlicherweise diese Internationale Resolution zum Anlass, die KO in ein denkbar falsches Licht zu rücken, sie beschuldigt uns des Linkssektierertums. Wir halten das für falsch, aber würden es begrüßen, wenn die Genossen des Parteivorstandes erklären, was sie mit dem Begriff des Linkssektierertums meinen und inwiefern das auf uns zutrifft. Unserem Verständnis nach wäre es sektiererisch, die Phrase des Kommunismus zu dreschen, aber in der Praxis keine Verbindung zur Arbeiterklasse zu haben und dementsprechend nicht in der Lage zu sein, den Klassenkampf zu organisieren oder – was gleichbedeutend ist – eine revolutionäre Strategie zu erarbeiten und zu konkretisieren. Wir halten die lebendige Arbeit in der Arbeiterklasse, eine enge Verbindung mit der Klasse für absolut notwendig und haben uns von Beginn an sehr aktiv damit auseinandergesetzt, wie vielversprechende kommunistische Massenarbeit heute aussehen kann. Wir haben die Massenarbeit und grundlegende Überlegungen dazu in den Mittelpunkt unserer zweiten Vollversammlung gestellt, was zu lebhaften Diskussionen und einem verstärkten Austausch über die momentane Praxis geführt hat, als Resultat davon haben wir den Politischen Beschluss zur Arbeit in den Massen (Kurzversion: deu / eng) verabschiedet. All dies waren und sind keine Wortgefechte, all dies ist Ausdruck praktisch gemachter Erfahrungen und dem Streben aller Genossinnen und Genossen den Klassenkampf zu organisieren. Natürlich: wir sind noch klein, wir sind noch schwach, wir sind nicht ansatzweise überall dort, wo Kommunisten sein sollten (da sind wir nicht die einzigen). Aber das ist das Resultat der anhaltenden Krise der deutschen kommunistischen Bewegung, und wir werden unser Bestes geben, diesen Zustand zu ändern. Wo wir arbeiten, da beginnt die Arbeit Früchte zu tragen.
Der Vorwurf des Sektierertums ist
falsch. Richtig ist: wir haben einen inhaltlichen Dissens mit der
DKP, dies zu benennen wäre angemessen und hilfreich. So zu tun, als
gäbe es diesen nicht, so zu tun, als wären nicht unter anderem die
Fragen über die richtige Strategie, über die Rolle der
kommunistischen Partei, über das Verhältnis der KP zu den Massen
Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen der DKP und der KO: das
ist eben nicht hilfreich, weder für die kommunistische Bewegung in
Deutschland noch weltweit. Statt diese Streitpunkte in den
Hintergrund zu schieben, müssen sie herausgearbeitet werden; statt
sie zu umschiffen, müssen sie diskutiert werden; statt sie so oder
so zu beantworten, müssen sie einheitlich beantwortet werden. Und
diese Punkte werden wohlgemerkt nicht nur in Deutschland kontrovers
diskutiert. Sie waren Gegenstand zahlreicher Debatten in der IKB und
sind es weiterhin.
Wir halten es für notwendig, eine wissenschaftlich begründete, den Anforderungen des Klassenkampfs entsprechende revolutionäre Strategie wieder zu erarbeiten. Wir haben programmatische Leitplanken (auch auf Englisch), wir haben die Erkenntnisse, Erfahrungen und Diskussionen der Vergangenheit und der Gegenwart der IKB, aber wir stehen am Anfang. Mit thematischen AGs und dem BolscheWiki haben wir eine Form etabliert, in der wir kollektiv und mit Außenstehenden die wesentlichen Fragen klären wollen. Und wir haben einen Politischen Beschluss zur Massenarbeit, um auf einer einheitlichen Basis den Ruf „Ran an die Massen“ in die Tat umzusetzen. Wir möchten euch einladen, an diesem Klärungsprozess teilzunehmen und ihn voranzutreiben. Gleichzeitig wollen wir betonen, dass wir offen dafür sind, auch außerhalb der von uns aufgestellten Strukturen in den Austausch zu treten.