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Ein tückisches Urteil

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Für die BILD steht fest: Jetzt können die faulen Arbeitslosen es sich gemütlich machen. Das ist die Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen beim Arbeitslosengeld II.

Es ist zynische Hetze angesichts Millionen von Menschen, die in Armut leben und die nicht selten im Niedriglohnsektor arbeiten. Es sind Millionen, die arbeiten wollen, aber keine Arbeit finden oder die aus Sicht der Unternehmer zu alt, zu schlecht ausgebildet sind oder sich um Kinder und Alte kümmern müssen. Die Stimmungsmache gegen Erwerbslose ist ganz im Interesse des Kapitals: Druck erhöhen, Vorurteile schüren, spalten.

Ein anderer Teil der Öffentlichkeit, darunter die Linkspartei, reagiert positiv auf das Urteil, weil einige kleine Verbesserungen ausgesprochen wurden. Dabei ist der Preis für diese kleinen Verbesserungen hoch. Denn die Kürzung des Existenzminimums wurde grundsätzlich bekräftigt und damit zementiert. An der Lage der knapp vier Millionen Menschen, die Hartz IV beziehen, wird sich wenig ändern. Es werden weiterhin Menschen obdachlos gemacht, wenn die Kosten der Unterkunft vom Jobcenter nicht mehr übernommen werden. Es werden weiter Jugendliche in Perspektivlosigkeit gedrängt. Es werden weiter Arbeiter, die eine Ausbildung haben, in Leiharbeit gedrängt. Der Regelsatz ist so niedrig berechnet, dass der Druck, jede Arbeit anzunehmen und sei sie noch so schlecht bezahlt oder mit widrigen Bedingungen verbunden, hoch genug bleibt. Die gewisse Eingrenzung der Sanktionen auf maximal 30 % der Leistungen ändert daran wenig.

Das oberste Gericht hat mit seinem Urteil auch deutlich gemacht, dass es eben kein Existenzminimum ist. Denn ein Minimum, das unterschritten werden kann, ist kein Minimum. Dabei fand mit der Einführung von Hartz IV eine drastische Absenkung des Existenzminimus statt. Seitdem ist es nicht gelungen, einen wirklichen Kampf für die Erhöhung zu entwickeln, obwohl das für alle Beschäftigten wichtig wäre. Denn ein staatlich festgelegtes niedriges Existenzminimum drückt die Löhne nach unten. Mit der Erpressbarkeit der Lohnabhängigen machen viele Kapitalisten glänzende Geschäfte, sei es bei Paketdiensten, bei Amazon, aber auch in der Industrie.

Angesichts der steigenden Erwerbslosenzahlen und der bevorstehenden Umstrukturierung vor allem in der Autoindustrie verheißt das Urteil nichts Gutes. Es werden tausende arbeitslos werden und ihnen blühen Armut und Diffamierung.

Wir sollten außerdem nicht vergessen, dass die Gewaltenteilung des bürgerlichen Staats in erster Linien der besseren Herrschaft und ihrer Legitimation dient. Das Urteil eines Gerichts ändert nicht unbedingt etwas daran, was die Regierung machen muss und es ändert auch nichts daran, dass in den Jobcentern Willkür herrscht und es davon abhängt, an welchen Sachbearbeiter man gerät. Vor zehn Jahren entschied das Bundesverfassungsgericht bereits einmal, dass das Existenzminimum eigentlich nicht unterschritten werden dürfte. Es hatte zur Folge: Nichts.

Und auch den grundsätzlichen Charakter der Gesetze bestätigte das Gericht. Mit Hartz IV wurden Erwerbslose in die Sozialhilfe geschleudert und damit Gesetzen unterworfen, die an die Gesetze gegen „Arbeitsscheue“ anknüpfen. Daran hat das Gericht nichts auszusetzen.

Vor der Agenda 2010 haben Erwerbsfähige zunächst Arbeitslosengeld und danach unbefristet Arbeitslosenhilfe bezogen, die ebenfalls am Einkommen orientiert war und eine Sozialleistung war, aber wie eine Versicherungsleistung behandelt wurde – es gab also keinen vergleichbaren Strafapparat wie beim ALG II.

Hintergrund der Hartz-Gesetze ist das stetige Anwachsen der Arbeitslosigkeit auf Grund der steigenden Produktivität. Mehr Maschinen heißt weniger Arbeiter. Eigentlich eine gute Entwicklung, aber im Kapitalismus ist sie für die Arbeiterklasse eine Gefahr. Denn die nicht mehr benötigten Arbeitskräfte sind für das Kapital überflüssig. Das Heer der Erwerbslosen wächst, die soziale Absicherung soll reduziert werden – weil es aus Sicht des Kapitals zu viel kostet und weil der Druck auf die arbeitslos gewordenen Arbeiter groß sein muss. Damit besteht eine permanente Bedrohungskulisse für die Beschäftigten und die Konkurrenz unter den Arbeitern wird verschärft.

Die Sozialdemokraten versuchen, sich jetzt als sozial zu profilieren. Aber es ist nur zum Schein. Und es bleibt unvergessen, dass es die SPD und die Grünen waren, die den Erwerbslosen das Essen gekürzt haben, um sie zu Hungerlöhnen zu zwingen. Der damalige Minister und spätere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sagte: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“

Es liegt nicht in der Macht der Arbeiter, ob sie Arbeit finden oder behalten. Darüber entscheiden die Unternehmer, die nur nach der Profitlogik gehen und möglichst wenige und billige Arbeitskräfte wollen. Aktuell gibt es trotz Aufschwungs über drei Millionen Erwerbslose. Sie sind nicht nur Armut ausgesetzt, sondern ihnen wird die Möglichkeit zu arbeiten, vorenthalten. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, alle Menschen zu beschäftigen.

Die Arbeiterklasse muss die Reihen schließen und sich gegen die Spaltung wenden. Denn für den Angriff auf die schlecht organisierten Teile der Arbeiterklasse von 2005 haben alle mit einem hohen Preis bezahlt. Der Niedriglohnsektor ist der größte in Europa geworden, die Leiharbeit boomt und in den Betrieben geht auch fünfzehn Jahre nach der Einführung von Hartz IV die Angst vor Erwerbslosigkeit um.

Was müssten die Losungen für den gemeinsamen Kampf für Verbesserungen sein? Im ersten Schritt Abschaffung der Sanktionen, Abschaffung der Leiharbeit und Erhöhung des ALG II. Im zweiten Schritt: unbegrenzter Bezug von ALG I. Die Geißel der Arbeitslosigkeit können wir erst im Sozialismus loswerden, wenn die Gesellschaft plant und bestimmt, was produziert werden muss und jede Arbeitskraft gebraucht wird.

Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der auf Kosten der Gesellschaft lebt. Das sind nicht die Erwerbslosen, die zumeist vorher in die Sozialkassen eingezahlt haben. Es sind die Familien Quandt, Siemens oder Schäffler. Es sind die Aktienbesitzer und Stiftungsvorsitzenden, die von der Arbeit der Beschäftigten bei BMW, Conti und Co. leben und die Gesellschaft aussaugen. Der Spruch „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ stammt übrigens aus der Sowjetunion. Dort, in einem sozialistischen Land, mussten alle arbeiten und es gab Arbeit für alle. Niemand musste Hunger leiden, wenn er bereit war, seinen Teil zum Aufbau der Gesellschaft beizutragen. Wer sich jedoch dieser Arbeit für die Gesellschaft entziehen wollte – und das waren die Quandts, Siemens und Schäffler Russlands, die vor der Revolution alles besaßen – der wurde bestraft. Zu Recht.

Gegen jeden Spaltungsversuch der Arbeiterklasse! Schluss mit dem Morden heißt Schluss mit dem Imperialismus!

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Zur Reichspogromnacht 1938

Pogrome, also Verfolgungen bis hin zur Abschlachtung von ganzen gesellschaftlichen Gruppen gehören zum Gesicht des imperialistischen Staates. Heute, am 09. November ist es 81 Jahre her, dass in Deutschland jüdische Mitmenschen, Nachbarn, Bekannte und Verwandte jeden Alters brutal verfolgt und ermordet wurden. Am 09. November 1938 fand diese massenhafte Verfolgung, die Reichspogromnacht statt: In zig deutschen Städten stürzten sich Schlägertruppen der SA („Sturmabteilung“) auf Kommando der faschistischen Regierung unter Adolf Hitler auf Jüdinnen und Juden und auf die, die sie dafür hielten.

Dieser Tag ist keineswegs nur Geschichte. Denn den Geist des Pogroms können wir heute in der BRD immer noch spüren. Vor genau einem Monat verübte ein Rechtsterrorist einen bewaffneten Anschlag auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle. Zwei Tote, zwei Schwerverletzte. Der Täter war ein Faschist, der schon zum Einzeltäter verklärt wurde, noch bevor es ernsthafte Ermittlungsergebnisse gab!

Spaltung durch Antisemitismus

Jüdische Mitmenschen auf offener Straße massakriert, blutig geschlagen, erhängt, erstochen, zu Hunderten ermordet. Tausende Läden von jüdischen Besitzern in Stücke geschlagen. Hunderte Synagogen in Brand gesetzt. Zehntausende Jüdinnen und Juden gingen in dieser Nacht und den darauf folgenden Tagen in Haft – willkürlich eingesperrt. Wieso das alles? Die Juden waren für die Regierung unter Hitler, die die deutsche Großindustrie fünf Jahre zuvor an die Macht gebracht hatte, von Anfang an Ziel ihrer Hetze. Schon in den 1920er Jahren benutzte die NSDAP die Juden als fiktiven Sündenbock für alle realen kapitalistischen Übel. Damit sollten die Arbeitermassen, die im Kapital ihren Klassenfeind erkannten, verwirrt und politisch ruhig gestellt werden. Ihr berechtigter Zorn auf das Kapital sollte auf vermeintliches „jüdisches Kapital“ kanalisiert werden. Gleichzeitig wurde damit die Spaltung der Arbeiterklasse betrieben. Denn den jüdischen und nicht-jüdischen* deutschen Arbeitern sollte auf diese Weise erschwert werden, ihre Gemeinsamkeit als Klassenbrüder und ‑schwestern zu erkennen. Nicht zuletzt ging es dem faschistischen Staat auch darum, an der jüdischen Minderheit beispielhaft jene Entrechtung zu proben, welche darauf folgend die ganze Arbeiterklasse bitter zu spüren bekam.

Keine Tat des Volkes

Trotzdem gab es am 09. November 1938 keinen Massenaufstand gegen Juden. Den weitaus größten Teil der Hetzer und Totschläger machten staatlich gelenkte Trupps der SA aus – nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung beteiligte sich freiwillig an dem Pogrom. Denn auch der Antisemitismus war in der deutschen Bevölkerung keineswegs so verbreitet und verwurzelt, wie es sich die Faschisten wünschten. Die meisten Menschen standen den Ausschreitungen ablehnend gegenüber, verhielten sich aber passiv. Dies war jedoch nach fünf Jahren faschistischer Terrorherrschaft und angesichts der Plötzlichkeit der Ereignisse auch nicht viel anders zu erwarten gewesen.

Heute wissen wir, dass die angerückte SA sehr häufig aus Auswärtigen bestand. Sie wurden aus völlig anderen Städten und Regionen herbeigekarrt, um gezielt und vorbereitet ihre Schreckenstaten zu begehen. Daraus zeigt sich besonders klar: Die Reichspogromnacht war keine Tat des Volkes, kein „spontaner Volkszorn“, wie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels verlautbarte. Sie war eine staatliche Aktion, eine Inszenierung, geplant von der faschistischen Regierung.

Nützlicher Terror

Die Einschüchterung und Entrechtung der Bevölkerung wurde durch diese Gräueltaten weiter vorangetrieben. Wir sehen in diesem wie wahnhaft anmutendem Pogrom und seinen Folgen vor allem einen Angriff auf den Hauptfeind des Faschismus: die revolutionäre Arbeiterklasse. Wenige Tage nach dem Pogrom begannen die Internierungen von Jüdinnen und Juden in den faschistischen Konzentrationslagern (KZ). Das waren die Orte, wo die Faschisten mit all ihren Gegnern auf blutrünstigste Weise abrechneten. Zur großen Mehrheit waren die Insassen Angehörige der Arbeiterklasse, darunter viele Kommunisten und andere aufrechte Kämpfer gegen die faschistische Barbarei. Sie waren bereits seit 1933 in den Lagern interniert.

Darüber hinaus war das Pogrom ein wichtiger Schritt für die Arisierung, also den Raub jüdischen Eigentums und dessen Übergabe an den deutschen Staat bzw. „arische“ Besitzer. Die Arisierung jüdischen Vermögens wurde seit der Machtübertragung an den faschistischen Staatschef Hitler 1933 betrieben. Hitler initiierte am Folgetag der Reichspogromnacht eine Regierungsbesprechung, die am 12. November stattfand und die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ beschloss. Damit wurde die Arisierung in Gesetzesform gegossen – drei Tage nach der Hinmetzelung von Jüdinnen und Juden. Bei diesem Verbrechen half u. a. ein gewisser Friedrich Flick, Großkapitalist unter Hitler und später in der BRD der 50er Jahre wieder einer der reichsten Unternehmer.

Immer noch Mord und Totschlag

Heute wie damals – die Menschen zerstampfende, mörderische Saat des Imperialismus ist ein ätzendes Gift, das sich noch immer tief in die Geschichte Deutschlands einbrennt. Heute brennen Flüchtlingsunterkünfte, Hetzjagden gegen Ausländer gibt es seit dem Ende der DDR bis jetzt fast ununterbrochen. Die Regierung und ihre Medien schüren Rassismus gegen Muslime und bauen die rechte Szene und Terrornetzwerke wie den NSU auf, die unverhohlenen Antisemitismus betreiben und Menschen umbringen. Große Medien arbeiten mit Hetze und Lügen gegen Arme, Erwerbslose, Geflüchtete und Migranten gleichermaßen. Eine Stimmung der Angst und der Verrohung wird heraufbeschworen. Denn der Staat braucht die faschistischen Banden, um noch mehr Angst und Einschüchterung zu erzeugen. Und er braucht sie als Möglichkeit, sie notfalls gegen all jene ins Feld zu schicken, die gegen die kapitalistischen Missstände aufbegehren.

Es ist nichts als heuchlerisch, wenn Bundesinnenminister Seehofer (CSU) den Angehörigen des Anschlags in Halle Beileid und Bestürzung ausdrückt und vor wenigen Tagen angesichts erneuter rechter Morddrohungen gegen hochrangige, bürgerliche Politiker anklagend von einer „Verrohung“ spricht. Er selbst hat diese Verrohung in der Debatte über Grenzschließungen mit vorangetrieben – nicht nur, als er offen seine Freude über 69 abgeschobene Geflüchtete zu seinem 69. Geburtstag am 10. Juli 2018 kund tat. Er beweist die Doppelzüngigkeit des bürgerlichen Staates, von dem wir keine Hilfe gegen faschistische Mordbanden zu erwarten haben.

Heute wie damals unterstützt der bürgerliche Staat rechten Terror, ob verdeckt oder ganz offen. Eine neue Qualität dieses Terrors seit dem NSU ist unterdessen, dass der Täter von Halle völlig offen auftrat. Er bekannte sich nach seiner Tat offen dazu und hoffte, damit noch mehr Terror zu entfachen. Daran wird deutlich, wie weit der Rechtsruck in der BRD bereits betrieben wurde. In der von Staat und Medien geschaffenen Atmosphäre kann ein Rechtsterrorist auf offene Sympathie hoffen.

Was sollen wir tun?

Wir wollen an diesem Tag all den Jüdinnen und Juden gedenken, die unter dem Faschismus gelitten haben und den Tod fanden. Wir wollen all den Opfern des faschistischen Mordens gedenken. Daraus geht aber mehreres hervor: Auch all den gefallenen Kämpfern gegen dieses bestialische System gehört unser Gedenken. Sie sind uns Vorbild im Kampf gegen ein neues 1933.

Auch all den Opfern des faschistischen Mordens unserer Gegenwart gedenken wir. Sie sind uns Mahnung, dass die Geschichte sich wiederholt, wenn wir nicht daraus lernen. Ob all die Opfer rechter Gewalt seit 1990 in der BRD oder ob all die Toten, die Faschisten mit Unterstützung der BRD umgebracht haben – es sei erinnert an das Massaker im ukrainischen Odessa am 02. Mai 2014: Wir können nicht beim Gedenken verharren. Wir müssen selbst aktiv werden, denn wir erleben gegenwärtig abermals eine bedrohliche Entrechtung durch Kapital und Staat.

Rassismus und faschistischen Terror zu verhindern, heißt, Solidarität zu verbreiten. Solidarität im gemeinsamen Kampf gegen alle Unzumutbarkeiten des Kapitalismus: ob Niedriglöhnerei, Überstunden, Schikanierungen im Arbeitsamt, faschistische Demos, rechte Hetze in den verlogenen Medien, Vereinzelung und Entfremdung der Werktätigen. Auf diesen Staat können wir uns dabei nicht verlassen. Er unterstützt und braucht die faschistischen Banden schließlich selbst. Wir müssen uns selbst schützen gegen rechten Terror. Mit unseren Nachbarn, unseren Kollegen und unseren Bekannten. In Wohnviertel, im Block, im Betrieb, in der Schule, in der Uni.

Die Kommunistinnen und Kommunisten hatten bereits lange vor Hitlers Regierungsantritt und auch danach gewarnt, dass er Barbarei und Krieg bringen werde. Die KPD bekämpfte den Antisemitismus und viele Kommunisten halfen den verfolgten Juden unter Gefährdung ihres eigenen Lebens. Nach dem Krieg legte die Arbeiterklasse und mit ihr die SED in der jungen DDR den Faschisten das Handwerk: Im Gegensatz zur BRD wurden die Faschisten aus ihren Ämtern gejagt und erhielten ihre gerechte Strafe.

Heute sehen wir weltweit, dass der Imperialismus nichts für uns bereithält. Er bringt Faschismus und Krieg hervor. In Gedenken an alle Opfer des Faschismus sagen wir:

Stoppt die Pogrome – den rechten Terror ersticken!

Nie wieder Faschismus!

Hoch die internationale Solidarität!

* an dieser Stelle stand in der ursprünglichen Version der Satz: „Denn den jüdischen und deutschen Arbeitern sollte auf diese Weise erschwert werden, ihre Gemeinsamkeit als Klassenbrüder und ‑schwestern zu erkennen.“ Wir haben den Satz korrigiert, da er suggeriert hat, das es zwischen deutschen und jüdischen Arbeitern einen Unterschied gäbe, obwohl es jüdische und nicht-jüdische deutsche Arbeiter gibt.

Working in the masses – Abbreviated version of the resolution of the 2nd Plenary Assembly of the Communist organization

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Theses on the struggle of the working class in abridged form, based on the „Decision on Work in the Masses“ of the 2nd Plenary Assembly of the Communist Organization, July 2019

At the 2nd Plenary Assembly of the Communist Organization (KO) in July 2019, after months of fruitful discussion, a resolution was passed on work in the masses. In order to make this very long document more easily accessible, we present here a strongly abbreviated version limited to the essential statements. 

Political justification

Building the Communist Party

The communist, revolutionary workers movement in Germany has been heavily weakened. Characterized by ideological disagreement and ambiguity, it has frayed itself into various organizations and is therefore hardly able to unfold its political effect. The KO was founded with the aim of overcoming this state through a process of organization and clarification and creating the conditions for the creation of a Communist Party in Germany – a revolutionary working class party capable of steadily expanding its influence on the working class and ultimately leading it in the decisive struggle for power. 

One of the essential challenges in building this party is that we must work out common orientations for the class struggle. We hereby present and discuss our preliminary conclusions on the struggle of the working class. For the unity of the communists, which we ultimately strive for, is only possible on the basis of a unity of content, political-ideological unity. The question of organizing the working class is of central importance in this struggle for the correct political line of the communists. 

Our Goal: Organizing and Winning the Class Struggle

The revolution won’t come by itself. This requires the revolutionary act, the revolutionary uprising of the entire working class. For this the workers must gain the consciousness that they are being exploited as a class and can overthrow the exploiting system as a class. So the revolution cannot be the work of a small conspired community, but only the work of the workers themselves. In a revolutionary situation in which capitalist rule is fundamentally shaken and the masses rebel against the system, the workers must take power in their own hands and build the new society of socialism. For the workers in the revolutionary situation to be able to do this, they must already have gained experience in mass organizations: The experience of democratic self-organization, decision-making and pulling on one strand, the experience of defeat and rising up again, the experience of solidarity and mutual help. Revolutionary times are times of crisis in which many experiences can be gathered, but only a working class that is as experienced as possible in questions of organization, trained in struggle, focused on the goal and acting uniformly will then be able to deal the fatal blow to the rule of capital. Our work is dedicated to the preparation for this goal. 

The goal of the communists in mass work must be the politicization of the masses, the raising of their consciousness – it must be understood that the goal of the struggle can only be the overthrow of the capitalist class and that the working class must unite and organize itself under the leadership of the Communist Party. The struggle must therefore have the goal of state power, otherwise the capitalist class remains in power and the struggles will ultimately subordinate themselves to the rule and political goals of the capitalist class. 

Class-oriented mass work and mass organizations are not to be understood separately from the Communist Party / Organization. Without them they will not exist, nor will the Communist Party be a revolutionary vanguard, the highest form of organization of the proletariat without mass work and mass organizations. Thus, although these are two different and in practice separate forms of organization, their structure and development inevitably go hand in hand. 

The struggle of the classes takes place objectively, even without our intervention. In every previous society, the interests of oppressors and the oppressed were irreconcilable and manifested themselves in a constant clash. The recognition of this permanent struggle, however, does not necessarily lead to a revolutionary course. On the contrary, the real questions begin here, namely the questions of the specific problems, the nature and the goal of the proletarian class struggle. 

Limitation of struggles, generality of class struggle:

The ongoing confrontation between the working class and the bourgeoisie is always the seed of the class struggle as we conceive it, the organized struggle of the working class for power. Strikes and other forms of economic struggle are seed forms of class struggle. So they contain the potential to unfold the entire political struggle of the class for state power. But only the potential, only the germ. The interest of the capitalist class is that this seed does not unfold, but remains a seed. From the point of view of capital, the struggle should on the one hand be restricted and limited to individual companies and sectors, but on the other hand also remain confined to wage demands, working time issues, etc., without posing the question of power. By contrast, from the point of view of the communists and those who represent the interests of the working class, the struggle must not remain limited, but must be extended to the struggle of the entire class and must relate to all questions, above all to the question of state power, which the working class must conquer. 

This does not mean that the demand for a soviet republic should be imposed on every strike. That would be ridiculous and sectarian. Rather, it means that the workers must recognize in the struggles that there must be more at stake – regardless of whether they win or lose that struggle. They must recognize that they are irreconcilable with an organized opposing class and must therefore organize themselves in a long-term and disciplined way. In independent mass organizations closely linked to the organization of revolutionaries, this experience can lead to the realization that the power of the working class is the only solution to their problems. In these organizations an understanding can mature about how they can get there and what role the individual strike, the individual action of struggle can play in this long-term struggle.

According to this comprehensive understanding of class struggle, every small joint action of workers against their living conditions gains potentially far-reaching significance. For it is the starting point where we can practically demonstrate that organization is necessary; and where we can at the same time politically demonstrate that it is part of the whole class struggle in which the question of power must be posed.

This is not just about expanding struggles such as strikes and pushing the demands forward, even though these are important tasks. But our task goes beyond that and consists mainly of something else: In building an organization that is able to connect the struggles with each other, to show everywhere why it is a struggle of the whole class and against the other class, why the question of power is decisive for it.

For this we have to focus our whole organization on class struggle and mass work. We must understand the activities and demands that result from them in their unity and context. For example, the question of education is not separate from our work in the masses, because there we must constantly develop even better means of communicating our program and our positions. In order to be able to combine our activities in the masses well with scientific socialism, we need good knowledge of the history of the workers‘ movement, of social conditions and their development, and of the experiences workers gain in their struggle, as well as of the class enemy and his strategies. 

The question of cadre development is also closely connected with and determined by the demands of class struggle. In order to create the preconditions for the construction of the Communist Party, what we currently lack, apart from ideological clarity and unity, are cadres. The cadres are the people who lead the struggle most actively and consciously, who know it from all sides and who can connect all aspects with each other. They are communists who are up to the demands of the class struggle. We must win them mainly from the masses and be able to train them, train them, develop all the skills they need to lead the struggle.

Our Orientation: Internalizing Principles

Our orientation does not include a detailed, technical proposal, such as that everyone should go to a certain committee of the trade union. Nor do we propose a uniform recipe, which should always be applied in the same way in every city, such as the establishment of a neighborhood association. Rather, it is first a question of understanding the goal, the principles and the fundamentals and then applying them after evaluating the concrete conditions and possibilities according to local conditions. It is a matter of evaluating the work on the basis of these principles again and again collectively and regularly and drawing practical conclusions from them.

This means that in all places where it is possible, we try to organize workers or other working people – in the company, in the residential area, at schools and universities. This means that we also have to extend our influence in other, existing mass organizations and promote the independent organization of the workers in them: in trade unions, in sports and cultural associations. We and the people we reach must apply and spread the principles of autonomy and activity everywhere.

We do not decide on a general rigid orientation towards company and trade union policy in the sense that everyone should go into the company at all times and everywhere. This may well be right and necessary, but it must be decided in one place according to conditions and capacities. Depending on the situation, the best starting points must be found. For example, if we start a sports club in a town and organize people there, there will be young workers who will later work as trainees in a company.

We also find sons and daughters of the working class at the university or technical college. There we also find sons and daughters of the middle-class who we can inspire for our mass work in the neighborhood or in the company and who side with the working class practically and ideologically together with us. They also have to organize themselves in order to do justice to their own specific interests and to gain organizational experience which they can bring to the companies. Moreover, a part of the working class works at the universities themselves, the struggles of all these parts must be united.

On the organization of the masses

Social situation and necessity of organization

Since the defeat of 1989, the smashing of socialism in the Soviet Union and Eastern Europe, the workers movement has been in a serious crisis. Social democracy and opportunism have decimated the labor movement, organizations (trade unions, associations, etc.) have been subordinated to bourgeois ideology or have been decimated. Many formerly revolutionary workers parties have dissolved. Independent, class-conscious and revolutionary organizations of the working class hardly exist any more in the FRG. Most workers and their families in Germany today are not politically organized or tied to the interests of the ruling class through social-democratic organizations.

Nevertheless, the widespread assumption that most workers are fundamentally not interested in political issues is false and an expression of a lack of contact with the working class. Rather, workers have no larger context in which to discuss and think through political and social issues. All the more so, they have no context in which they can become active on their own. They are exposed to the influence of the bourgeoisie, its state, its media and offers of the culture industry without any real counterweight.

As a result, many workers, especially young people, experience psychological, social and cultural brutalization in various forms. These include selfishness, superficiality, inability to build personal relationships, hedonism and drug use and other expressions of disruption of social relations. These phenomena pose problems for our mass work, as they complicate the organization and development of class consciousness.

Atomization and isolation are also experiences that many workers and their families have. So it is not only and not necessarily loneliness, but a limited experience of sociality. Fewer and fewer people collect the experience of joint activity and thus the capacity to act. With it they can hardly recognize possibilities to fight with the others.

In order to counteract these negative phenomena, we must bring people together in all areas, in the residential district as well as in the workplaces. We have to be patient. Our work is long-term and designed for continuity. The need for patience and continuity arises from the matter itself: We are not doing a campaign or a temporary project, but have a lifelong task ahead of us – organizing the working class. Thus our own process of organization will not stop, we will have to further develop it all the time. This will also be an important task in socialism. 

Therefore, we do not have to have a political motto for everything at once; a political topic that is discussed quickly comes up anyway. Mutual help can play an important role in this task, because it is linked to the needs of the people we can and want to reach, who reject egoism and ruthlessness. Mutual help can take many different forms, from an open ear for the problems of the colleague to shopping for the elderly neighbor to coaching for the young people in the settlement. Patience is also important because not every worker will immediately realise that collectivity and organisation will pay off for him personally in the short term. And we must also be patient with those who want to organise themselves but have little time and energy objectively and do not make unrealistic demands on them.

What are mass organizations?

By mass organizations we mean organizations in which the workers organize themselves along their economic, social and cultural needs and interests. They can take different forms depending on the field and historical situation. They are places where one’s own social power as a collective subject, one’s own abilities can be experienced. They are places where one learns to decide for oneself and to implement these decisions. They are also spaces for social, political and ideological debate. In them, there is no separation between the different areas of life, since they serve to organize people according to the different sides of their life. 

Their character as mass organizations also results in a great fundamental openness and low threshold of participation, which is in contrast to the high demands on membership in the Communist Party. Every worker must have the opportunity to participate in a mass organization, even if he has little time and strength at his disposal. The principles described below should therefore form the basis of cooperation: Willingness to act for one’s own class interests, preservation of the independence/self-sufficiency of the mass organization and solidarity towards the other participants. Examples of mass organizations are the trade unions, but they can also be workers‘ sports clubs or an association in a residential area in which workers organize mutual help. 

Who do we want to organize with our revolutionary mass work?

When we speak of the masses, we mean all those whom we can organize in the class struggle on the side of the working class. So, the masses comprise larger parts of the population than just the working class – for example, parts of the petty bourgeoisie (e.g. small self-employed) and the intelligentsia (e.g. scientists, engineers). But necessarily a large part of the masses consists of workers – and that is why our mass work is directed primarily at the working class itself.

We assume that in Germany the vast majority of wage earners belong to the working class or have very similar living conditions to the working class. Industrial workers, cashiers in supermarkets, caretakers in hospitals, tram drivers or train drivers, part-time workers, the unemployed or temporary workers may have different living, working and fighting conditions, but they share both their relationship to the means of production – they have none – and the (differently pronounced) threat to their social status.

The organisation of brain workers, whose share in industry is increasing, is also an important task. If this task is neglected, the division of the workers in the company increases. This organization of brain workers into offices, etc., does not result automatically from the organization of workers in production, but must be understood as a task with its own problems and contradictions, which requires its own answers and forms of organization.

The working class is the revolutionary subject – so before there is a stabilized class-oriented workers‘ movement, the organization of other parts of society (small self-employed, intelligentsia, etc.) cannot be successful either. For the organization of these layers can only take place in connection and alliance with the interests of the working class. It follows that our mass work is aimed at the working class. We basically orient ourselves towards the working class – not exclusively, but fundamentally. This means, for example, that we build up mass work in a district where the majority of workers live. When petty-bourgeois people join in, we do not deny them participation, but the focus is on the interests, circumstances and concerns of the workers and their families. In companies and trade unions we do not focus on engineers or executives, but on workers and ordinary employees, whose situation is almost identical to that of workers.

The organization of youth

We should pay particular attention to young people and address them in the various areas of life – school, culture, sport, but also through other interests. Young people are more open to the ideas of communism and more agile, usually not yet so resigned or ideologically stuck – in other words less fixed overall. The youth will also be particularly involved in the struggles of the near future. We can positively influence the formation and development of the personality. All in all, our wealth of experience is still very small, so we will have to try to organize young people in different ways. However, young people have specific needs: For example, some forms of mutual help may not yet play the same role for young people as for older workers, because they are not confronted to the same extent with the state bureaucracy or are less concerned about it. Young people, on the other hand, can be much more easily organized through culture, sport or mutual tutoring. In our mass work we must therefore always reflect the specific situation of young people. We must also give more concrete thought to mass organizations for pupils and students. 

Furthermore, we will deal with the question to what extent the foundation of a Communist Youth Association is necessary in order to prepare the young workers for work in the Communist Party at an early stage.

Comprehensive mass work gets us into the workplaces

From a strategic point of view, our goal is to achieve a presence in the workplaces through all-round organization. We must not look at workplaces and workers in isolation from other areas of life. For the class struggle and especially in its intensified phase, the workplaces play a special role because there the masses of the workers are concentrated and their collective actions can both effectively harm the class enemy and be big steps in the common experience. On the other hand, this special importance of the workplaces must not lead to an economicist view that underestimates the political character of the class struggle and that focuses on workplace struggles without regard to the situation and the political goal. In many cases, this can hardly lead to much more than trade unionist work. 

Companies and trade unions

The DGB unions are today the largest mass organizations of the working class in Germany. They are organizationally independent and democratically structured in principle, even though democracy is often undermined by the social democratic and other bourgeois forces. 

However, many ways and methods are used to enforce „social partnership“, cooperation with capital, and thus the interest of capital. They describe themselves as unified trade unions, in which workers of all political directions are to be united, but they are in fact social democratic directional trade unions, in their history communists were regularly excluded. The DGB trade unions are also closely linked to the state and to corporations through alliances and personnel overlaps. Nevertheless, it is essential that we develop options for action within trade unions by using, strengthening and insist on respecting formal democratic structures. This will enable us to attract and activate more members to trade unions and to thwart the implementation of social partnership. Our goal must be to make the unions into truly unified unions based on class struggle and thus an important driving force for the revolution. 

As communists, we are simultaneously striving for the politicization of the trade union movement and the workers organized there. The trade unions must not confine themselves to the narrow framework of workplace issues, but must see themselves as a comprehensive organization of the working class for its interests, which must in principle take a class-oriented position on all issues affecting the class. In principle, this politicization takes place no differently than in other forms of mass work. Moreover, it must neither be put off for a long time, e.g. with reference to the lack of consciousness, nor limited to economic questions, nor must it overshoot the mark and lose the workers in the process. 

The concept of unified trade unions, however, not only refers to the unity of different ideological and political currents, but also to the dimension of bringing together all workers from the most diverse sectors and branches in a single overall organization. The centralization of the trade unions is thus an important principle of the trade union movement, because it counteracts the division of the working class into occupations, branches, etc. Syndicalist ideas, which assume that independent trade unions are the right form of organization, must be fought against, because they stand in the way of the unification of the class struggle. We must examine more closely what form of centralization currently prevails in the DGB unions and how and whether centralization can be achieved on the basis of the unified revolutionary class struggle. In addition, we must analyze to what extent the trade unions are organizationally and politically connected with social democratic organizations (especially with the SPD, but also with the Left Party). Undoubtedly, the majority of secretaries and members are under the ideological influence of social democracy.

The same principles of mass work as listed below – activity, independence, solidarity – apply to the struggle in the trade unions. Partly these principles are also part of the statutes of the trade unions, which results from their history. It is important to us that they are also implemented and that we find forms with which our colleagues can implement them.

Mass work and the question of the social alliance

What is the relationship between mass work and the revolutionary strategy of the Communist Party? 

The councils represent the historically grown form of the organs of the workers‘ power and therefore also of the dictatorship of the proletariat. Councils are organizations in which people meet and organize counter-power by collectively deciding, administering and organizing social affairs. In socialism they are decisive structures of the socialist state. The basis of the councils is the social alliance of the various social classes under the leadership of the working class. This alliance, however, must be established beforehand, under capitalist conditions in struggle, by bringing together the various struggles, including different strata. This leads to many open questions: What kind of councils make sense? Which people organize themselves through the councils? How do we get from mass organizations to council structures? What historical experiences have we had with councils?

One task of our class analysis must be to clarify which parts of the working class and the other parts of the people we reach with our mass work and which not yet. How do we bring these different social strata together under the banner of the working class? To what extent can councils be formed before a revolutionary situation? At the present time we can state that we must always consider and develop mass work from the point of view and with the claim of uniting the struggles.

Principles of mass work

We can name three basic principles of mass work, which generally apply to all areas of mass work and serve as the basic orientation of our practice:

a) Activity

b) Independence

c) class solidarity

Activity

The activity and self-activity of the people in the mass organizations is the most important principle and condition for the realization of the other two principles. 

Activity must relate to all aspects of organization: On practical-structural questions, on social communication between people, on all political questions and on organizational management. The activity ranges from the cleaning service to the maintenance of the premises, from mutual care and openness, to the ability to talk about all problems, to the discussion of political issues and the management and expansion of structures.

The forms of organization must be developed in such a way that this principle is not only a formal principle, but is real and can be experienced in practice. This can be achieved, for example, through a joint plenary session designed in such a way that workers, in particular, who are often not used to being asked, can express themselves and realize that it matters whether or not they do so.

The basis of mass organizations can only be democracy. Everything must be discussed, thought through and decided from below. At the same time, collectively adopted decisions apply to everyone. The mass organizations should also organize themselves according to the principle of democratic centralism: Free discussion, democratic decision-making and election of possible leaders from the bottom up, but at the same time binding decisions. Of course, this principle does not apply with the same severity and discipline as in a Communist Party.

Democratic structures also mean that we must consciously break with every form of representation that encourages passivity among the working class. This is true in the structures we have developed, where we must above all ensure that as many people as possible take on a task and that we do not do everything ourselves. But it also applies to existing mass organizations in which we are active. In the trade unions, such forms of representation that encourage passivity are particularly widespread and institutionally entrenched. We must recognize this with particular attention and, wherever possible, push it back by activating and involving our colleagues.

The principle of activity also applies particularly to ourselves: we must be the most industrious in mass work. We must be the first to take on tasks without taking everything from us and doing it ourselves. The motto is to take responsibility without incapacitating ourselves. We make sure that we do not live out our lead without reflection, for example in education. For example, we take a back seat when writing the newspaper, but not when sweeping the common premises. It is not always central that everything should be done quickly and as perfectly as possible, so it is a false temptation to let students professionalize work and thus leave the workers out in the cold. 

To be exemplary in questions of activity also means to always be reliable and to complete tasks as well as possible. 

Independence

A central characteristic of mass organizations is their autonomy and independence. Independent has two meanings: independent in order to be able to do something – self-activity – and independent in the sense of independence from something else.

Independence in the sense of self-activity means: we do it ourselves, not everything is already there. We gain our own experience in planning, organizing and implementing. As described above, the revolution can only be the work of the working class, self-activity and activity is therefore an important element of mass work, which we have to consider and implement very concretely. As a member of a workers’ council, we must avoid colleagues thinking „he’ll do it for me“. When helping each other, if we have more knowledge than others, we must make sure that we do not fill out all the applications ourselves or sort the papers, because it is quicker, or if we are dealing with a wall newspaper in the company, not to write the articles in the newspaper ourselves, because we are used to it and can write better anyway.

Independent in the sense of independence from the state and all kinds of civic institutions means above all financial and material independence. This is a point that is not easy to communicate in practice, since not all forms in which the class enemy appears (whether as neighborhood management, cultural office, foundation, etc.) are directly recognized as such by the workers and there is not sufficient awareness of why it should be a problem to get money from the city if one can finance the premises with it. 

The core issue of independence is financial and in the broad sense material independence. Money, but also premises, technical means and favorable business relations are, however, means to secure the influence of the state on associations, trade unions or other forms of organization. Permanent larger donations from companies or individuals are also a gateway to adaptation to foreign interests. Donations without any conditions can be useful. But three active and conscious workers are worth much more than three generous donors. The orientation must be: We can do it ourselves! Through the participation of many people in the organization, one can achieve great potential in voluntary work and also financial participation. 

The principle of independence and autonomy also applies to the Communist Organisation/Party. This is the condition for the openness of the mass organization and at the same time for the vanguard role of the party. In principle, the functions of the organizations are different and therefore they cannot be identical, even if they must have an organic connection and in some respects represent a unity in the struggle. This unity, however, cannot be decreed from above, but must develop organically through the insight of the struggling workers. Decisions must be made collectively and democratically in the mass organizations, with the votes of the participating communists being no more and no less valid than those of all others. We conduct the struggle on the ground as full members of the mass organization by trying to convince other members of our positions. The ideological struggle, which must be conducted everywhere, must take the form of open discussion, address all issues, identify all contradictions. Communists cannot sit back and refer to party congress decisions and thus supposedly have answered questions. Our goal is that the Communist Organization/Party and its program is as widespread as possible, that its goals are hegemonic in the workers movement, that opportunist and reformist forces are pushed back. In mass organizations we lead the ideological struggle as members of the KO/KP, as communists, but not as delegated deputies, but as active and vanguard parts of the mass organization. In concrete terms this also means that we may lose this struggle, that we may lose structures of mass organization built by us when other political forces gain the upper hand in it. It is therefore all the more important that we position ourselves as well as possible and as communists deal systematically with the questions of mass work.

This does not mean, however, that we in the Communist Organization do not reflect on what is done in the mass organizations and what is the role of comrades in the mass organizations. But the decision is made in the mass organization. There we want autonomy and openness of the debate – on the one hand so that as many workers as possible take part in the debate and present their point of view, but also so that we can lead these discussions and are not excluded. We reject the idea of fiddling around – everything must be named openly and transparently. Nevertheless, the highest discipline for our comrades is that of the Communist Organisation/Party. Only the Communist Party has the ability to see through the circumstances and to have a better overview of the overall situation. 

So on the one hand there is a necessary clear organizational separation between the party and mass organizations. On the other hand, they are not hermetically sealed off from each other. We must not think them apart from each other and separate them from each other. It is a mistake to separate the Communist Organization/Communist Party from the workers out of fear or insecurity, to talk to them much later about communist standpoints and thereby prevent the raising of their consciousness. 

The principle of financial independence of the mass organizations also applies completely to the Communist Organization or Party. It is fatal when a relationship of dependence develops between the mass organizations and the Communist Party. For this leads to the mass organization being perceived as an appendage of the communists and thus uniting fewer workers in itself. We must therefore take care not to use the financial means of the KO or the party at any time out of pragmatism, e.g. to enable the mass organization to make a purchase that would otherwise not be possible.

The working class must be able to recognize and classify the various political forces and their proposals for solutions. It must become clear who is proposing which path, who is developing which organization and what this means for the goal of the working class. This must be evident in concrete disputes. Because for the working class the difference between the forces that rely on sham solutions and illusions and the Communist Party/Organization must be visible, alliances with other organizations are problematic and a participation must therefore be decided with special responsibility towards the concrete demands of the class struggle and on the basis of a careful analysis of these forces. This means that at the level of mass organizations we must also work towards rejecting alliances with organizations that spread bourgeois and counterrevolutionary influences among the masses. 

Solidarity

Solidarity is the (conscious or unconscious) expression that man is a social being and cannot exist without other people. However, we are not interested in just any kind of solidarity, but, since we live in a capitalist class society, in class solidarity. Class solidarity is always based on the understanding that one belongs to a class and has common interests with it. So we strive for the solidarity of all workers, the workers of every nationality, religion, gender and social situation, in order to overcome the division of the class. The existing division of the class along all imaginable lines of division is one of the most important means of the ruling class to secure its rule. Only by creating opportunities to get to know and trust one another can such prejudices be overcome and an attitude of solidarity be built.

We should avoid two mistakes when dealing with unsolidaristic behavior: Overemphasized political correctness and exaggerated indignation in the wrong place prevent getting to know each other and build trust, they distract and are thus an expression of false intolerance. On the other hand, too much tolerance, e.g. towards targeted racist agitation, can also become a problem and an expression of opportunistic conflict avoidance. In summary one can say that it is also our task to find such a way of dealing with racism and misogyny within the labor movement, which is enlightening and does not lead directly into sectarianism through simple exclusions. Of course there is also misogyny in the working class, but we do not change this by pushing our class brothers out, but only by struggling against it together.

The Role of the Communists in Mass Work

The Relationship of the Communist Organization/Party to the Mass Organizations 

We assume that at the moment there is no organized force in Germany that is pushing the organization of the working class to overthrow the bourgeoisie. So there is no Communist Party that can prove itself in practice as the vanguard of the working class. In order to lead and win the struggle against capitalism, the working class does not only need mass organizations. It also needs the Communist Party, which can lead the class struggle as the bearer of the scientific worldview and organized core of the most advanced people of the working class. 

The most important difference between mass organizations and the Communist Organization is that the Communist Organizationis the basis for the construction of the Communist party, but the Communist party is the most highly developed form of the working class organization. It has the overall view for the class struggle of the working class, it unites the different demands of the class struggle – economic, political and ideological. It includes the cadres that are most disciplined and trained and can lead the struggle. The revolutionaries who pursue the common political goal are organized in it. It is therefore not a mass organization, even if it may include mass membership, in the sense of many people. Mass organizations in the sense meant here, on the other hand, are organizations that unite workers and want to reach all workers – regardless of their political convictions, as long as they are willing to stand up for their interests with their class brothers.

The Communist Party we want to build is the revolutionary party of the working class. This means that it can best organize and lead the class and, of course, should consist to a large extent of workers, especially in the leadership. This does not mean, however, that members of other strata cannot be members and cannot play an important role. Our mission is the political struggle of the class and to gather all forces that lead or support it.

The Communist Organization/Party is generally the prerequisite for the existence of independent mass organizations. Without the conscious, political power there are no organizations with which the workers can develop their struggle. Also historically we can see that the essential impulses for the creation of trade unions and other forms of organizing the workers usually came from revolutionary forces. So it is wrong to assume that the right forms will automatically emerge from the development of struggles or that an upswing of struggles must first take place for the communists to be able to take them up and become effective. We can and must already now develop forms of organizing the working class in order to be prepared for all possible social developments, for ups and downs of the struggles. Our goal is the conscious, structured and planned leadership of the struggle of the working class. 

So we are not only a silent observing part of the mass work, but we actively and creatively participate in these projects. We observe the workers and discuss with them. We develop assessments of the people around us and promote our organization. The capable and interested will then become supporters, candidates and later members. Many of our future cadres should be recruited and developed from the mass work.

The ways in which we bind people from mass work closer to the KO will be further developed with the development of our mass work. We want the approach of people to our organization to be an organized process rather than a random one. The mass organizations, for example, will stand in social confrontations, in concrete struggles – and in these struggles we as the KO must make proposals for further action. We can also raise the awareness of the workers through training courses for the mass organizations (worker training courses, lectures, discussion evenings etc.) and introduce the most conscious among them to our goals through extra training courses. An important point is the mediation of historical experiences. 

We are not perfect cadres and do not appear as such. We are normal people who also talk about their problems, we are people with rough edges who reflect about it and strive to become better. This does not mean that we can let ourselves go and lose sight of the fact that as communists we have to meet certain requirements of the organization. We also criticize and self-criticize within the mass organizations – not as a formal item on the agenda, where everyone says when they came too late. Criticism and self-criticism means dealing openly and honestly with shortcomings both of the organization and of one’s own activity and personality and should be part of all our activities. Honesty, sincerity and authenticity are the keys to success when it comes to getting in touch with the working class. If we pretend, it will be realized by others and hinder the building of trust. 

Bringing mass organizations together

We strive for the direct interlocking of the various forms of mass work, but we do not force them artificially. They should grow together organically. It must currently be a growing together over individuals, not over organizations. In a later, developed stage, it will be necessary to develop nationwide associations of our mass work in order to bring the class together as a whole. Each of us and also the people we organize in mass work should represent the principles of activity, independence and solidarity and spread them wherever they have access. We do not create a new scene of like-minded people, we want to grow into all spheres of society. This means that it is quite possible and right for the masses to be active in several mass organizations – e.g. in workers‘ sports and in the neighborhood meeting, in the trade union and in mutual help. Thus, there will be a lively exchange between the mass organizations by the organized individuals. This exchange can lead to the connection and mutual support of struggles. 

Organizing along economic, social and cultural lines is itself a political question. This does not exclude offers like open meetings against war, for solidarity with Palestine or a union for anti-fascist self-protection. This, too, can be mass work, where the principles of democracy and independence should not be suspended. Whether and when such direct offers make sense to political questions is a concrete practical question, which must be answered concretely. On the whole, we must gather further experience in order to be able to better assess the usefulness of such forms of mass work. 

Agitation and Propaganda

Agitation and propaganda are closely related and must not be artificially separated. Neither the one nor the other is allowed to get a one-sided overweight. With propaganda we spread the knowledge of scientific socialism, apply it to concrete circumstances and their development and justify the necessity of socialism. Propaganda shows the overall context, it is clear and to the point. Propaganda is relentless, scientific enlightenment about the circumstances. Agitation, on the other hand, tries to mobilize the masses by means of generally known social developments and to show the necessity of socialism only in general, without giving a comprehensive reason for it. Agitation thus relies more on scandalization, on fomenting anger and hatred for the circumstances. Agitation is aimed at broader sections of the working class because certain insights into social conditions are already required in order to understand communist propaganda. Propaganda is therefore not only directed at intellectuals. Both our agitation and our propaganda are directed at the working class. 

Agitation leads to action by organizing and mobilizing the masses with the urgent goal of recognizing and leading the class struggle. The power of agitation lies in the fact that it openly and directly denounces the circumstances and calls a spade a spade. It is based on a systematic study of the experiences of the masses and the background of social conditions.

We also develop agitation as the Communist Organization/Party (not only through the mass organizations, that is) and use for it the collected experiences and our structures of the mass organizations. But we also operate them at any time in everyday life, as individual communists. Agitation also serves us as a school and a touchstone for our ability to get in touch with the class. We sharpen our arguments, learn about the consciousness of the working class and how and at which points it can be won for us. Agitation is never preaching. Agitation is scandalization and activation, daily and in all areas of social life. A successful agitation therefore requires a great closeness to the working class: Only when I know what is happening to the workers in my neighborhood will I be able to successfully discuss the fundamental contradiction of capitalism and the need to overturn these conditions without falling into revolutionary phrases with which one is more likely to lose one’s interlocutors.

Organizing the working class for class struggle and socialist revolution is a huge task for all of us. We are only at the very beginning and it may be difficult to imagine where this path will lead us in the years and decades to come. At the same time we know that there is simply no alternative – because capitalism has nothing to offer us and nobody else will get rid of this barbaric system for us. We need everyone for this challenge. Let us rebuild the workers‘ movement and the Communist Party! 

Diskussionsbeitrag zum Klimawandel

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Beitrag zur Diskussionstribüne Klima&Kapitalismus – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Der Text als pdf

Ein Gastbeitrag von Jan Müller

Gerne komme ich der Bitte nach, eine Stellungnahme zur Diskussion innerhalb der Kommunistischen Organisation zur Klima-Frage einzureichen. Diese Diskussion basiert auf den beiden Texten Kapitalismus, ökologische Zerstörung und kommunistische Strategie von Spanidis et al und Wir werden nicht in Panik geraten von Kissel et al.

1. Ist der Klimawandel real?

Ist der Klimawandel real? Diese Frage kann hier nicht endgültig geklärt werden. Aber es ist sicherlich sinnvoll, sich eine frühere Ökopanik anzusehen, die Diskussion um das Waldsterben in den 80er Jahren. Unser Vorteil ist, dass heute die tatsächlichen Wirkmechanismen der neuartigen Waldschäden besser bekannt sind, so dass wir sie mit den damaligen Medienberichten vergleichen können.

Auch damals waren die Medien voll von apokalyptischen Vorhersagen. Der Wald sei unheilbar krank und würde in 20 Jahren abgestorben sein. Dies behaupteten einige aktivistische Wissenschaftler wie Bernd Ulrich mit alle ihrer professionellen Autorität.

Wie wir wissen, sind die Wälder nicht abgestorben. Aber daraus folgt noch lange nicht, dass das Waldsterben eine reine Fiktion war.

Neuartige Waldschäden traten zu Beginn der 80er Jahre gehäuft auf, zunächst an Nadelbäumen, dann auch an Laubbäumen wie Buche und Eiche. In dieser Zeit wurde auch eine intensive Forschung zu den Waldschäden bestrieben und viele Schadensmechanismen sind inzwischen verstanden. Die Forschungsergebnisse wurden unter anderem in dem Lehrbuch Schädigung von Waldökosystemen von Elling et al. zusammengefasst.

Hieraus ergibt sich, dass die Schadensursachen und Schadensverläufe viel komplizierter sind, als es die holzschnittartigen alarmistischen Medienberichte vermuten ließen. Die Schäden haben zudem bei jeder Baumart unterschiedliche Ursachen.

Die Schäden an der Weißtanne sind unmittelbar auf Exposition mit Luftschadstoffen, mit Schwefeldioxid oder SO2 zurückzuführen. Sie entsprechen damit in prototypischer Weise den Medienberichten über das Waldsterben.

Die Schäden an der Gemeinen Fichte werden zu einem Teil vom sauren Regen, also SO2-haltigen Niederschlägen, zu einem anderen Teil indirekt durch die hierdurch verursachte Bodenversauerung hervorgerufen. Diese Bodenversauerung wiederum konnte sich nur deshalb so auswirken, weil die Waldböden durch jahrhundertelange Übernutzung durch den Menschen ausgehagert und ihr PH-Wert bereits dadurch in den sauren Bereich verschoben worden war.

Schäden an den Blättern der Rotbuche werden nicht durch SO2, sondern durch Ozon hervorgerufen, das sich aus Stickoxiden, also NOx bildet. Diese Stickoxide wurden noch bis in die 00er Jahre vor allem durch den Autoverkehr ausgestoßen. Heute spielen sie dank verbesserter Filtertechnik keine Rolle mehr. Durch Ozon kann ein Baum bereits geschwächt werden. Für offensichtliche Kronenschäden muss allerdings eine ungünstige Witterung hinzu kommen. Denn im Jahr nach einem trockenen Sommer bildet die Rotbuche sehr viele Früchte. Es kommt zur so genannten Vollmast. In diesem Jahr wird Großteil der Assimilation für die Samenbildung aufgewendet. Das Holzwachstum geht zurück. Folgen mehrere dieser heißen Sommer und damit Mastjahre aufeinander und ist die Buche durch eine Exposition mit Ozon vorgeschädigt, kommt es zu Kronenverlichtungen und im Extremfall zum Absterben. Normalerweise kann sich der Baum aber erholen. Solche heißen und trockenen Sommer gab es in der zweiten Hälfte der 70er Jahre.

Bei den beiden Eichenarten spielen vor allem tierische Schädlinge wie der Eichenprozessionsspinner einer entscheidende Rolle, die sich in reinen Eichenwäldern in warmen Sommern massenhaft vermehren und im folgenden Jahr einen Bestand kahlfressen können.

Das ist nur ein Ausschnitt. In Wirklichkeit sind die Wirkzusammenhänge mit begünstigenden und hemmenden Faktoren sowie Prädispositionen noch viel komplizierter.

In den 80er Jahren wurden in alle großen thermischen Kraftwerke Schwefelfilter eingebaut, so dass der Ausstoß von Schwefeldioxid zurück ging. Nach der Konterrevolution 1989 wurden in Osteuropa die meisten Industriebetriebe und Kraftwerke still gelegt. Das bewirkte einen weiteren Rückgang der SO2-Emissionen.

Die Anzahl der Bäume mit Kronenschäden stagnierte deshalb in den 90er Jahren und ging zuerst leicht, dann stärker zurück. Insbesondere die Wuchsleistung der Weißtanne erholte sich merklich und erreicht inzwischen wieder normale Werte. Kronenschäden nehmen aber erwartungsgemäß nach jedem trockenem Sommer erneut zu. Zu einem Waldsterben im wörtlichen Sinne kam es nicht.

Fazit: Die neuartigen Waldschäden waren in den 80er Jahren real vorhanden. Hysterische Medien und aktivistische Wissenschaftler haben das Problem aber als weitaus schlimmer dargestellt, als es tatsächlich war. Bernd Ulrich gibt zu, dass er die Gefahren des Waldsterbens absichtlich dramatisiert hatte, um so die Politik zum Handeln zu bewegen [1].

Ich könnte mir vorstellen, dass es sich bei dem Klimawandel ähnlich verhält. Er dürfte im Kern real sein. Aber nach den Erfahrungen mit der Waldsterbensdiskussion verbietet es sich, alle apokalyptischen Voraussagen von WissenschaftlerInnen für bare Münze zu nehmen. Es gibt immer noch viele Unsicherheiten und die Klimamechanismen sind längst noch nicht vollständig verstanden. Diese Unsicherheiten werden auch in vielen IPCC-Berichten abgebildet, freilich nur in den eigentlichen Berichten und nicht in den Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger, die in aller Regel weitaus stärker zugespitzt sind.

Insbesondere ist nicht zu übersehen, dass die Medienberichte zum Klimawandel in diesem Jahr im Zusammenhang mit dem Aufkommen der neoliberalen Klimabewegung immer hysterischer und apokalyptischer wurden. Auch die beiden Berichte des IPCC aus diesem Jahr sind ersichtlich stärker politisiert und stärker auf Verzicht getrimmt als die bisherigen.

Zudem sind viele apokalyptische Prognosen aus den 90er und frühen 00er Jahren zum Klimawandel nicht eingetroffen. Zum Beispiel diejenige, dass in 30 Jahren die norddeutsche Tiefebene überflutet sein werde oder dass in den Alpen kein Skilaufen mehr möglich ist.

Nur sehr wenige WissenschaftlerInnen weltweit berechnen die Klimamodelle, die das IPCC als Grundlage seiner Vorhersage nimmt und noch weniger äußern sich in der Öffentlichkeit. Die meisten KlimawissenschaftlerInnen bearbeiten nur ein eng umgrenztes Themengebiet und haben gar nicht die Kompetenz, sich fundiert zu allgemeinen Klimafragen zu äußern. Es äußern sich vor allem aktivistische Wissenschaftler, die eher als Politiker agieren, aber dennoch ihre Autorität aus ihrem Status als Wissenschaftler ziehen, der ihnen Glaubwürdigkeit sichert. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass eine UN-Unterorganisation wie das IPCC von einer Interessengruppe oder einem Staat gekapert worden ist [2].

Die Mainstreammedien weisen immer wieder darauf hin, mit wie viel Geld bestimmte Konzerne wie Exxon oder die Gebrüder Koch Klimawandelleugner unterstützen. Sie ignorieren und verschweigen aber bewusst, dass andere Kapitalgruppen mit gleich viel oder sogar noch mehr Geld die Klimabewegung unterstützen. RT berichtete darüber, dass mehrere Milliardäre Fridays-for-Future und Extinction Rebellion bis Ende 2019 mit 500 Millionen Dollar ausstatten wollen [3]. Mit solchen Geldbeträgen kann man eine ganze Bürgerkriegsarmee aufstellen. Inzwischen sind Kampagnenkonzerne wie Greenpeace mächtiger als so mache Industrielobbygruppe. Wobei Greenpeace auch eine Art Lobby darstellt und wahrscheinlich im Interesse bestimmter Kapitalgruppen agiert. Dies aber geschickter und noch weniger transparent als klassische Lobbys.

Die wissenschaftliche Wahrheit zum Klimawandel ist möglicherweise längst zu einem Einsatz im Machtkampf zwischen verschiedenen Kapitalgruppen geworden. Einerseits gibt es Gruppen, die mit der Ölindustrie verbunden sind und ihr Geschäftsmodell weiter führen wollen. Andere Kapitalgruppen profitieren von der Erneuerung der Infrastruktur und ganzer Industrien, die durch bestimmte angeblich alternativlose Klimaschutzmaßnahmen erforderlich werden. Zudem profitieren sie von Reallohnsenkungen durch Einführung der Ökosteuer.

Das Vorsorgeprinzip gebietet es, eine Dekarbonisierung der Wirtschaft anzustreben. Freilich gibt es keinen Grund, in Panik zu verfallen. Diese Dekarbonisierung ist ohne Verzicht, ohne weitere Belastung der ArbeiterInnen und ohne Abwicklung ganzer Industriezweige wie der Automobilindustrie möglich.

2. Die neoliberale Klimabewegung

Die Menschen werden schon seit Jahren mit ökologistischen Angstkampagnen in Atem gehalten: Kampagnen gegen die Kernenergie, gegen den Diesel und gegen Glyphosat waren Vorläuferereignisse der diesjährigen medialen Klimapanik, die im Sommer voll ausgebrochen ist.

Da fragt man sich natürlich, warum die Ängste in der Bevölkerung so massiv geschürt werden. Ich habe den Verdacht, dass es hier zu einem klassischen Fall von Verschiebung im Sinne Freuds gekommen ist. Kapitalismuskritik ist tabu. Wer den Kapitalismus grundsätzlich ablehnt, wird in den Mainstreammedien als Antisemit gebrandmarkt oder ihm passiert Schlimmeres. Umso heftiger äußert sich die Kritik am Gebaren einzelner Firmen. Die gleichen Medien, die den Kapitalismus als alternativlos bezeichnen und jede Grundsatzkritik an ihm gnadenlos abwatschen, öffnen ihre Schleusen für Hetze gegen bestimmte Firmen, die weit über eine berechtigte Kritik hinausgehen. Offensichtlich wird der Bevölkerung hier ein Ventil geboten, mit der die Wut über ihre sich immer weiter verdüsternde Lebenslage gegen bestimmte Sündenböcke gerichtet werden kann. Das hat ganz hervorragend funktioniert. Auch wenn die Neuzulassung von Glyphosat zum Beispiel nicht verhindert werden konnte, wurde diese Kampagne zur Blaupause der heutigen Klimabewegung mit weitaus schlimmeren Folgen.

Umgekehrt dient die Förderung der Klimabewegung durch Staat, Wirtschaft und Medien auch dazu, authentische soziale Bewegungen wie die Mieterbewegung in Berlin aus dem Fokus der Öffentlichkeit wegzudrücken. Seit dem Frühjahr sind die Spalten der Medien voll von wohlwollenden Berichten über die Klimabewegung, während über die Mieterbewegung nahezu ein Medienboykott verhängt wurde.

Neoliberale Think Tanks basteln schon seit einigen Jahren an einer Jugendklimabewegung. Dass sie im letzten Jahr zündete, liegt sicherlich am so nicht direkt geplanten Auftreten von Greta Thunberg. Aber es ist eine Tatsache, dass die Kinder und Jugendlichen schon seit Jahren mit apokalyptischen Meldungen zum Thema Klima geradezu bombardiert wurden. Es werden richtig gehende Todesängste geschürt [4].

Interessant ist die soziale Zusammensetzung der Fridays-for-Future-Bewegung: Nach einer Selbsteinschätzung gehören rund 65% der demonstrierenden SchülerInnen der Oberklasse oder oberen Mittelklasse an [5]. Auch wenn es einige Neunmalkluge gibt, die nachweisen wollen, dass es sich bei ihnen nach marxschen Kriterien überwiegend um ArbeiterInnen handele, so ist doch nicht zu übersehen, dass sie von ihrem Habitus her, ihrer Mentalität der Bourgeoisie nahestehen. Sie haben sehr wohl Angst vor der Zukunft und möchten eine Änderung in der Politik, aber diese muss so aussehen, dass sie voll ihren Klasseninteressen entspricht. Deshalb ist es kein Zufall oder Dummheit, dass die CO2-Steuer ihre Kernforderung ist. Wenn sie wirklich die von ihnen geforderte Höhe von 180 pro Tonne CO2 erreicht, dann ist sie in dem Sinne wirksam, dass diese Steuer zu einer erheblichen Absenkung des Lebensstandards weiter Teile der Bevölkerung führen wird und damit auch ihres CO2-Ausstoßes.

Die bourgeoisen Klima-Kids gehen davon aus, selbst von dieser Steuer nicht betroffen zu sein. Das heißt, sie wollen, dass die ArbeiterInnen sehr viel weniger konsumieren als bisher, damit sie, die Töchter und Söhne der Bourgeoisie, ihren CO2-aufwendigen Lebensstil ohne schlechtes Gewissen beibehalten können. Unter diesen Umständen ist eine Linkswende der Bewegung nicht zu erwarten, eher im Gegenteil.

Vor einer solchen Entwicklung haben Stephan Kaufmann und Tadzio Müller in einer Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Titel „Grüner Kapitalismus, Krise, Klima und kein Ende des Wachstums“ bereits 2009 gewarnt (vgl. Kaufmann / Müller 2009).

Die Klimabewegung war bisher keineswegs eine breite Volksbewegung, sondern eine Bewegung aus dem oberen Drittel der Gesellschaft. Es scheint aber so, als hätte die neoliberale Klimabewegung zumindest am 20. September 2019 mit dem so genannten Klimastreik ihre schmale soziale Basis ausweiten können, denn nach Medienangaben haben an diesem Tag 1,4 Millionen Menschen in der Bundesrepublik demonstriert, 2,7 Millionen weltweit. Das war eines der größten Demonstrationsereignisse in der BRD überhaupt. Allein in Berlin, der Hauptstadt der Bewegung, sollen 100.000 bis 270.000 Menschen demonstriert haben.

Nach Aussagen von Beobachtern waren unter den Demonstranten etwa 30% SchülerInnen und 70% Erwachsene. Aber: Diese riesige Demonstration ist erst dadurch zustande gekommen, weil viele Betriebe ihrer Belegschaft bezahlt frei gaben, damit sie an den Demonstrationen teilnehmen können. Auch die Berliner Stadtverwaltung hat am 20. September ihre Arbeit eingestellt und ihre Mitarbeiter zur Demo geschickt. Dadurch bestand für die Beschäftigten zumindest ein starker sozialer Druck, an diesen Demos teilzunehmen, vielleicht wurde sogar direkt Zwang ausgeübt und im Weigerungsfalle mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht. Damit bekam der „Klimastreik“ den Charakter einer Aussperrung. Auch viele Schulen haben die Teilnahme an der Demo zur Pflichtveranstaltung erklärt. Von einer Freiwilligkeit kann da kaum mehr die Rede sein. Richtig ist aber auch, dass sich die Menschen nicht gegen diese Zumutungen gewehrt haben und sich von der hysterischen und euphorischen Stimmung auf diesen Demos haben mitreißen lassen.

Der Ökologismus, besonders die „Klimarettung“, ist gegenwärtig zur wichtigsten Legitimationsideologie des neoliberalen Kapitalismus geworden. Eine weitere Absenkung des Lebensstandards der Bevölkerung, eine Agenda 2020, kann gegenwärtig nur mit Verweis auf den Klimaschutz legitimiert werden. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass er nicht mehr vollständig mit den Kapitalinteressen kompatibel ist. Insbesondere die zahlreichen von Klimabewegung, Grünen und Linken mit religiöser Inbrunst geforderten Ausstiege haben das Potential, den Industriestandort Deutschland erheblich zu beschädigen: Atomausstieg, Kohleausstieg, Ausstieg aus der Autoindustrie, der Zementerzeugung, dem Fleischverzehr, dem Fliegen, der industriellen Landwirtschaft, dem Schiffstransport und, und, und.

Das belegt, dass der neoliberale Kapitalismus zumindest ideologisch ziemlich am Ende ist. Er muss nach jedem Strohhalm greifen, um sich zu legitimieren.

Wie eine von der Linken beabsichtigte „Radikalisierung“ der Klimabewegung aussehen kann, zeigt „Extinction Rebellion“ exemplarisch. Ihre Aktionen richten sich nahezu ausschließlich gegen die ArbeiterInnenklasse:

  • Auf der IAA 2019 blockierten sie den Zugang der einfachen Bevölkerung zu der Messe, nicht aber den der FachbesucherInnen und den von Angela Merkel, obwohl eine solche Blockade mehr „Sand ins Getriebe“ gestreut hätte.
  • Extinction Rebellion besetzte ausgerechnet die Büros der Linkspartei in Berlin und nicht etwa diejenigen der CDU oder SPD, obwohl beide Parteien doch in viel stärkerem Maße für die Politik der letzten Jahre verantwortlich waren.
  • Extinction Rebellion blockierte europaweit die Botschaften von Bolivien und nicht etwa Brasiliens, obwohl das faschistoide Bolsonaro-Regime eine viel größere Verantwortung für die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes hat. Aber der Westen betreibt in Bolivien einen Regime-Change gegen die dortige sozialistische Regierung. Extinction Rebellion hat sich in den Dienst dieses Regime-Changes gestellt.
  • Aktivisten von Extinction Rebellion blockieren bevorzugt den Berufsverkehr, so dass einfache Menschen, vor allem aus der ArbeiterInnenklasse, nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen gelangen können. Damit soll der ArbeiterInnenklasse die Nutzung des Privatautos unmöglich gemacht werden. Die Aktionen haben damit einen einschüchternden Charakter. Sie denken gar nicht daran, Banken zu blockieren. Wenn sie das tun würden, wäre es mit der Toleranz ihnen gegenüber schlagartig vorbei, und die Aktivisten bekämen Polizeiknüppel zu spüren. Das hat ja das Beispiel Blockupy eindeutig bewiesen.

Dazu passt, dass die Bourgeoisie unter dem Vorwand der Klimarettung gegenwärtig die Abschaffung selbst der bürgerlichen Demokratie betreibt [6]. Unter diesem Aspekt kann es keinen Zweifel mehr geben, dass die Ausrufung von Klimanotständen nur dazu dient, die Menschen an einen tatsächlichen Notstand zu gewöhnen. Sollte es Widerstand gegen dieses geplante Notstandsregime geben, dann kann die Klimabewegung als Rammbock der Bourgeoisie dienen, die ihren Terror gegen die ArbeiterInnenklasse richtet. Mit Extinction Rebellion werden erste Konturen einer solchen ökofaschistischen Bewegung sichtbar.

3. Der Ökosozialismus

Im Unterschied zu Spanidis et al. halte ich es für falsch, immer wieder herauszustellen, dass bereits Karl Marx die heutige Umweltzerstörung vorhergesagt habe.

Durch solche Aussagen wird Marx unter der Hand in einen Dutzend-Ökologisten und Verzichtsprediger verwandelt und damit auch in einen Dutzend-(Neo)liberalen. Ein solcher Marx ist mit dem neoliberalen Mainstream völlig kompatibel.

Die Schlussfolgerung aus dieser in einem bestimmten Kontext von Marx geäußerten Kritik ist stets, dass die Industriegesellschaft an sich eingestampft werden müsse und die Menschen allenfalls mit einer Befriedigung der Grundbedürfnisse abgespeist werden können. So glaubt John Bellamy Foster, Professor für Soziologie an der University of Oregon in Eugene, dass wir alle über unsere Verhältnisse gelebt hätten und predigt Verzicht: „Wie der marxistische Ökonom Paul A. Baran schrieb: ‚Menschen, die von der Kultur des Monopolkapitalismus durchdrungen sind, wollen nicht, was sie brauchen, und brauchen nicht, was sie wollen.‘ Abgesehen von den bloßen physischen Notwendigkeiten wie Nahrung, Unterkunft, Kleidung, sauberem Wasser, sauberer Luft usw. gehören dazu Liebe, Familie, Gemeinschaft, sinnvolle Arbeit, Bildung, kulturelles Leben, Zugang zur natürlichen Umwelt und die freie und gleichberechtigte Entwicklung jeder Person.“ [7]

Einen Beleg dafür, wie die berühmte Stelle von Marx zur Umweltzerstörung aus dem dritten Band des Kapitals richtiggehend missbraucht wird, findet sich im Manifest der angeblich marxistische Untergruppe von Fridays for Future, Change for Future: „Der Mensch greift spätestens seit der ersten Atombombe nachweislich in alle Bereiche der Natur und jeden Stoffkreislauf auf dem Erdball ein. Der Umfang von Produktion und Verbrauch sind erheblich gestiegen und haben sich vervielfältigt – und mit ihnen die gesellschaftlichen Abfälle. Es entsteht ein unheilbarer Riss im Stoffwechsel des Menschen mit seiner Umwelt. Dieser Riss ist nicht bloß das Ergebnis schlechter Klima- und Energiepolitik, denn er zieht sich durch den gesamten Stoffwechsel, durch die gesamte Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens – und muss aus dieser Produktion und Reproduktion heraus erklärt werden.“ [8]

Das heißt, sie behaupten, nicht der Kapitalismus, sondern die technische Zivilisation an sich würde die Umwelt unheilbar schädigen. Um diese Schädigung abzustellen, müsste demnach diese technische Zivilisation beseitigt werden. Was das Ganze mit der Atombombe zu tun haben soll, ist für mich nicht ersichtlich. Aber es ist klar, dass durch diesen Kniff Strahlenangst geschürt und jeder Gedanke an die Kernenergie als Lösung der Umweltprobleme verunmöglicht werden soll.

Sie predigen also genauso wie alle Ökosozialisten den Verzicht und erhoffen sich vom Sozialismus, dass er den Konsum der Menschen zügelt. Wobei sie sogar den Begriff Sozialismus meiden wie der Teufel das Weihwasser. Change for Future zündet zwar ein „Feuerwerk an Gendersternchen“, aber sie sprechen nur völlig unverbindlich von einer „neuen Produktionsweise“.

Ökosozialismus bedeutet eine Konsumeinschränkung für die Menschen der Industrieländer, eine Rationierungswirtschaft, die die bestehende Großindustrie abwickelt und die Menschen auf ein niedrigeres Energieniveau zwingt.

Für alle diejenigen, die in der BRD in Armut leben oder davon bedroht sind, also mehr als die Hälfte der Bevölkerung, klingen Verzichtsappelle, egal wie sie begründet werden, wie reiner Hohn. Sie müssten erheblich mehr konsumieren, nicht weniger. Das muss man mit aller Deutlichkeit aussprechen. Wenn diese Menschen den Sozialismus mit Konsumverzicht, also mit Absenkung ihres ohnehin kläglichen Lebensstandards assoziieren, werden sie sich voll Grauen von ihm ab und der AfD zuwenden. Dieser Prozess ist leider längst im Gange.

Der Ökosozialismus ist demnach für die ArbeiterInnen reichlich unattraktiv, denn sie haben von ihm nicht zu erwarten außer „Blut, Schweiß und Tränen“. Das ist sehr wenig für einen Systemwechsel, der massenhaft Opfer an Menschenleben fordern kann.

Marx selbst hat aus der Umweltzerstörung niemals geschlussfolgert, dass es ein „Zurück zur Natur“ geben müsse, sondern er forderte stets eine Entwicklung der Produktivkräfte, zum Beispiel in seiner Schrift „Kritik des Gothaer Programms“. Der Marxismus lehnt jedenfalls den immer mehr um sich greifenden Fortschrittspessimismus entschieden ab.

Deshalb sollte Kapitalismus aus den Gründen kritisiert werden, aus denen er von Sozialisten immer schon kritisiert wurde: Wegen der immer mehr um sich greifenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, der ins Astronomische gewachsenen Ungleichheit, der ständigen Kriege…

Daraus ergeben sich ganz andere Schlussfolgerungen: Eine maximale Entwicklung der Produktivkräfte im Sozialismus, um so in einem ersten Schritt die Armut weltweit auszurotten. Schließlich muss ein materieller Überfluss an Konsumgütern erzeugt werden.

Der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Ernest Mandel schreibt in seinem Buch Marxistische Wirtschaftstheorie von 1962: „Damit alle Menschen der Welt ein Überfluss an Industriegütern zur Verfügung steht, müssen also die Produktivkräfte stark gesteigert werden. Diese Entfaltung der Produktivkräfte bedeutet, dass die gegenwärtige Industrieproduktion der Welt verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden muss.“ [9]

Diese Aussagen sind auch heute noch gültig angesichts der grassierenden Armut und Unterentwicklung in der Dritten Welt. So haben 1,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Elektrizität, mehr als eine Milliarde keinen Zugang zu Massentransport, zu Bildung und Gesundheitsversorgung. [10]

Weiter schreibt Mandel: „Die sozialistische Planwirtschaft verfolgt das Ziel, die vergesellschafteten Produktivkräfte zu steigern, um den Bürgern schrittweise einen Überfluss an Gütern und Dienstleistungen zu sichern, dadurch die völlige Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu gewährleisten und auf längere Sicht die Voraussetzungen für das Verschwinden [der Überreste] der Marktwirtschaft, der Klassen, der gesellschaftlichen Ungleichheit, des Staates und der Arbeitsteilung zu schaffen.“ [11]

Das heißt, damit sich die Voraussagen von Marx und Engels erfüllen, der Staat und die Klassen absterben können, müssen alle 7 Milliarden Menschen der Erde auf ein Konsumniveau gebracht werden, das dem eines Mittelklassehaushalts in den entwickelten Ländern entspricht. Es reicht keineswegs aus, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Für eine reiche Entfaltung der Persönlichkeit ist auch die Befriedigung von gehobenen Bedürfnissen und – in gewissem Umfang – sogar von Luxusbedürfnissen erforderlich. Nur wenn die Menschen über einen langen Zeitraum hinweg die Erfahrung machen, dass die Gesellschaft für sie wie eine freigiebige Mutter ist und nicht wie ein knauseriger Stiefvater (Mandel), werden sie die im Kapitalismus antrainierten Verhaltensweisen langsam ablegen und ein Repressionsapparat ist nicht mehr erforderlich. Der Staat beginnt dann abzusterben.

Es ist eine riesige Herausforderung, diese Industrialisierung ohne CO2-Emissionen zu erreichen. Aber es ist durchaus möglich. Dazu weiter unten mehr.

Der Ökosozialismus muss deshalb als Spielart des Revisionismus abgelehnt werden. Selbstverständlich bedeutet das nicht, den Umwelt- oder den Klimaschutz gering zu schätzen. Aber SozialistInnen setzten auf moderne Technik als Mittel zur Lösung der Umweltprobleme und nicht auf ein reaktionäres „Zurück zur Natur“.

4. Technik und Klimakrise

Spanidis et al. schreiben auf Seite 23 ihres Papiers, dass der gegenwärtige Ressourcenverbrauch bereits heute unerträglich hoch sei. Daraus folgt unter der Hand dann häufig doch die Schlussfolgerung, dass „wir alle“ über unsere Verhältnisse gelebt hätten, dass wir schon im Mai alle uns zustehenden Ressourcen eines Jahres verbraucht hätten und uns einschränken müssten.

Zum Glück sind die Schranken des Ressourcenverbrauchs variabel und nicht statisch. Sie lassen sich mit modernster Technik wesentlich hinausschieben. Auf dieser Erkenntnis basiert meine Hoffnung, dass der Sozialismus auch für 7 Milliarden Menschen immer noch möglich ist.

Wie wir ja gesehen haben, muss im Sozialismus die Produktion von Konsumgütern und auch von Energie wesentlich gesteigert werden. Das ist mit Photovoltaik und Windkraft nicht möglich. Hier werden mit einem gigantischen Aufwand Niedrigenergie-Flüsse gesammelt. Der Flächenverbrauch und die Kosten sind enorm hoch. Experten aller im Bundestag vertretenen Parteien sind sich einig, dass bereits das heutige Konsumniveau für die Mehrheit der Bevölkerung keinesfalls gehalten werden kann, wenn der Anteil der „Erneuerbaren“ weiter steigt. Sean Sweany von der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung geht von einem um 40% geringeren durchschnittlichen Stromverbrauch für die Bevölkerung im Jahr 2050 verglichen mit dem heutigen Stand aus [12]. Dabei ist die Elektromobilität bereits berücksichtigt. Das heißt, die Mehrheit der Bevölkerung wird zu einem Leben in Energiearmut verurteilt. Auch das E-Auto werden sich nur ein Bruchteil derjenigen leisten können, die heute ein Auto mit Verbrennungsmotor besitzen.

Zum Glück gibt es eine CO2-freie Alternative zu diesen Niedrigenergie-Technologien. Das ist die Kernenergie. Es reicht nicht aus, die Ablehnung der Kernenergie vorsichtig zu hinterfragen, wie dies Spanidis et al. tun, sondern sie müsste offensiv gefordert werden.

In jeder Gesellschaftsformation nahm die Produktivität der Arbeit zu. Eng damit verbunden waren neue Formen der Energiegewinnung. Jede Energieform hatte eine höhere Dichte als die vorhergehende und machte das Leben der Menschen einfacher.

Die Evolution der Energieformen reicht von der Verbrennung von Holz über Wind und Wasserkraft, der Verbrennung von Kohle, Gas und Erdöl bis hin zur Kernenergie. Jede dieser Formen stellt größere Quantitäten und Qualitäten von Energie für den Gebrauch des Menschen zur Verfügung. Jede war dichter als die vorhergehende, so dass mehr Energie aus Einheiten mit gleichem Gewicht und Volumen gewonnen werden konnte [13].

Die Kernenergie hat eine um Größenordnungen höhere Energiedichte als alle anderen Energieformen. Denn die Spaltung eines Atomkerns von Uran233, Uran235 oder Plutonium239 setzt rund 200 Megaelektronenvolt frei. Dies entspricht einer erzeugten thermischen Energie von 80 Millionen Megajoule pro Kilogramm, und damit dem 1,8-Millionenfachen des Brennwertes von Benzin und dem bis zu Dreimillionenfachen des Brennwertes von Steinkohle [14].

Kernkraftwerke können nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung leisten, sondern auch zur Dekarbonsierung anderer Bereiche beitragen:

  • Kraft-Wärme-Kopplung aus der Abwärme von Kernkraftwerken und Kernheizkraftwerke
  • Atomfrachter, also Frachtschiffe, die von Kernreaktoren angetrieben werden.
  • Bereitstellung von Industriewärme durch Hochtemperaturreaktoren zum Beispiel vom Typ THTR.

Mittels Plasmarecycling lassen sich alle Stoffe in ihre elementaren Bestandteile auflösen. Das heißt, alle Rohstoffe können unendlich wiederverwertete werden. Eine Rohstoffknappheit gehört damit der Vergangenheit an. Voraussetzung hierfür ist die Zuführung hoher Energiemengen, die nur aus der Kernkraft stammen können [15].

Es ist inzwischen möglich, künstliche Kohlenwasserstoffe herzustellen, wobei das CO2 der Luft oder dem Meerwasser entnommen wird. Damit lassen sich Verbrennungsmotoren CO2-neutral betreiben, weil durch Verbrennung nur dasjenige CO2 emittiert wird, das vorher entnommen wurde. Die großen Energiemengen für diese Prozesse können nur aus der Kernkraft kommen [16].

Ein Vorteil dieser Technologie wäre, dass das Auto mit Verbrennungsmotor weiter genutzt werden könnte.

Selbstverständlich wäre trotzdem ein Ausbau des ÖPNV sinnvoll und auch die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene.

Aber die gesamte Siedlungsstruktur wurde in der BRD nach dem zweiten Weltkrieg auf den Gebrauch des Privatautos ausgerichtet. Dies zu korrigieren, dürfte mindestens so lange dauern, wie es gedauert hat, diese Siedlungsstruktur aufzubauen.

Es wäre zum Beispiel möglich, den Siedlungsbrei durch den Bau von Wohnhochhäusern mit großzügigen Wohnungen an den Stadträndern einzudämmen. Dann könnten die Menschen zum großen Teil mit dem ÖPNV zur Arbeit fahren.

Dennoch bietet das Privatauto bei mittleren Entfernungen, dem klassischen Sonntagsausflug genauso wie bei Fahrten im Urlaub eine zeitliche und räumliche Flexibilität, die Bahnsysteme nicht erreichen können. Es markiert deshalb einen zivilisatorischen Fortschritt und sollte nicht vollständig in Frage gestellt werden.

Mit der Kernenergie wären auch Großprojekte wie die Wiederbewaldung der Sahara möglich. An den Küsten Afrikas könnten Kernkraftwerke vom Typ THTR gebaut werden, deren einziger Zweck die Entsalzung von Meerwasser ist. Dieses neu gewonnen Süßwasser würde dann in das Landesinnere gepumpt, wodurch es möglich wird, dort Bäume anzupflanzen, die große Mengen von Kohlendioxid binden können. Geht man von einer bewaldeten Fläche von einer Milliarde Hektar in der Sahara aus, könnten die hier wachsenden Wälder jährlich 20 – 36 Gigatonnen CO2 der Atmosphäre entziehen. Dies entspricht in etwa dem weltweiten von Menschen verursachten CO2 -Ausstoß von rund 32 Gigatonnen. Das Potential der Kernenergie zur Lösung der Klimakrise wäre also enorm. Kommen weitere Maßnahmen der CO2-Reduzierung hinzu, könnten allein diese Saharawälder einen großen Teil des vom Menschen in die Atmosphäre eingebrachten CO2 wieder aus ihr entfernen. Zusätzlich würde in der nun feuchten Sahara Lebensraum für die explodierende Bevölkerung Afrikas geschaffen [17].

Bei genügend hohen Energiemengen wären auch die Erzeugung von künstlichem Fleisch [18] und die stark konzentrierte Erzeugung von Lebensmitteln in Gewächshäusern mit optimalen Klimabedingungen möglich. Forschungen an künstlichem Fleisch sind gegenwärtig am Laufen; es ist noch nicht serienreif. Aber wenn diese Forschungen mit großen Geldbeträgen unterstützt würden, wäre es das vermutlich in kurzer Zeit. Der hohe Methanausstoß von Kühen muss also nicht durch Fleischverzicht für die ArbeiterInnen eingedämmt werden, wie die Klimabewegung fordert, sondern es gibt auch hier Alternativen.

Deshalb gilt die berühmte leninsche Formel in abgewandelter Form auch heute noch:

Kommunismus = Rätemacht + Kernenergie

5. Argumente gegen die Kernenergie und ihre Widerlegung

Häufig wird die Kernenergie wegen ihrer angeblich großen Gefahren und der scheinbar ungelösten Endlagerproblematik abgelehnt. Tatsächlich sind diese Gefahren längst nicht so groß, wie im völlig entgleisten deutschen Diskurs behauptet wird.

1. Uranknappheit

Gegner der Kernenergie behaupten, dass die Menge des abbaubaren Urans zu gering sei, um die ganze Menschheit mit Energie durch Kernspaltung versorgen zu können. Tatsächlich beträgt die gegenwärtig ökonomisch abbaubare Menge Uran zwar nur 5 Millionen Tonnen. Da aber die Brennstoffkosten nur einen verschwindend geringen Teil der Betriebskosten eines Kernkraftwerkes ausmachen, kann im Bedarfsfall auf weniger ergiebige Uranquellen, Thorium, Phosphate und sogar auf die Gewinnung von Uran aus Meerwasser ausgewichen werden, ohne dass sich die Stromkosten merklich erhöhen würden. Letzteres wird wahrscheinlich noch nicht einmal notwendig sein, wenn eines Tages Kernfusionsreaktoren zur Verfügung stehen werden.

Schnelle Reaktoren der Generation IV können das Uran zudem 100 mal besser ausnutzen als gegenwärtige Leichtwasserreaktoren. Außerdem wird dann der so genannte Atommüll eine wertvolle Ressource und kann ebenfalls zur Energiegewinnung genutzt werden. Eine angebliche Uranknappheit könnte also den Ausbau der Kernenergie nicht verhindern [19].

2. Sicherheit der Kernenergie

Die schwersten Kernkraftunfälle sind die von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima. In Harrisburg gab es keine Toten, bei Fukushima bis heute einen. In Tschernobyl sind 56 Menschen an akuter Strahlenkrankheit und an Krebs gestorben. Wie viele Menschen in Anschluss durch die höhere Strahlenbelastung gestorben sind und noch sterben werden, ist schwer abzuschätzen. Greenpeace geht von 270.000 zusätzlichen Krebsfällen mit 90.000 Toten aus. Die WHO, UNSCEAR und IAEO, also alles UN-Unterorganisationen, in denen die besten Fachwissenschaftler zusammengeschlossen sind, nennen nach Untersuchung von 530.000 Liquidatoren eine weitaus geringere Zahl. Es ist mit maximal 4.000 zusätzlichen Krebstoten infolge des Reaktorunfalls zu rechnen [20].

Andererseits verursachen alle Energieformen Opfer, die in einer Statistik der WHO angegeben sind [21]:

Die hohe Todesrate bei Kohle- und Ölkraftwerken kommt durch Lungenkrankheiten zustande, die durch Schadstoffemissionen entstehen. Dies wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, aber es zeigt sich deutlich an Extremereignissen wie dem Großen Smog in London im Jahr 1952, an dem 12.000 Menschen starben. Nach einer Meldung der WHO starben allein im Jahr 2010 233.000 Personen an Lungenkrebs, der durch die Luftverschmutzung hervorgerufen wurde. Daran haben Kohlenkraftwerke den größten Anteil [22].

Auch die Wasserkraft ist nicht harmlos. Dammbrüche sind selten, aber wenn sie vorkommen, fordern sie regelmäßig sehr viele Tote, zum Beispiel der Bruch der chinesischen Banquiao-Talsperre 1975 mehr als 100.000. Statistisch gesehen ist die Kernenergie die sicherste Form der Energieerzeugung. Das gilt auch dann, wenn man die von Greenpeace behaupteten 90.000 möglichen Krebstoten von Tschernobyl noch berücksichtigen würde, was in obiger Graphik nicht geschehen ist. Dann käme man auf 0,09 Tote pro Terawattstunde und die Kernenergie wäre immer noch die sicherste Energiequelle [23].

3. Radioaktive Strahlung

Viele Menschen lehnen die Kernenergie ab, weil sie die Radioaktivität fürchten.

Unter Radioaktivität, besser radioaktiver Strahlung, versteht man die Strahlung beim Zerfall von Atomkernen. Sie wird unter anderem gemessen in der Dosisleistung. Diese gibt an, wie stark die Strahlung ist und in welcher Zeit der Körper eine Dosis aufnimmt.

Eine hohe Strahlendosis ab 5.000 Millisievert oder mSv endet meist tödlich. Aber streckt man diese Dosis über einen längeren Zeitraum, ist sie harmlos. Denn dann haben die Zellen die Möglichkeit, Schäden zu reparieren.

Im Strahlenschutz gilt immer noch die Theorie der linearen Abhängigkeit. Danach ist die Krebswahrscheinlichkeit proportional zur Dosis. Eine ungefährliche Strahlung gebe es nicht. Allerdings konnten bei Strahlendosen unterhalb von 100 mSv/Jahr niemals zusätzliche Krebsfälle nachgewiesen werden.

Die Theorie der linearen Abhängigkeit berücksichtigt die Reparaturmechanismen des Körpers nicht. Heute wissen wir, dass nicht nur radioaktive Strahlung DNS-Brüche verursacht. Die meisten geschehen aufgrund von normalen Stoffwechselmechanismen und können in den Zellen repariert werden. Bis zu Strahlendosen von 100 mSv/Jahr kommen nur wenige zusätzliche DNS-Brüche hinzu und fallen statistisch nicht ins Gewicht [24].

Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Niedrigstrahlung die Abwehr des Körpers gegen höhere Strahlung stärkt. Über 8.000 Personen wurden durch radioaktiven Baustahl in Neubauwohnungen in Taiwan jahrelang versehentlich bestrahlt, zum Teil mit über 100 mSv/Jahr. Nach der LNT-Theorie hätte die Krebsrate der Bewohner um 30 Prozent steigen müssen. In Wahrheit sank sie dramatisch [25].

Im Jahr 2010 will eine Studie einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Leukämie bei Kindern und ihrem Wohnort in der Nähe von Kernkraftwerken gefunden haben. Das heißt, angeblich treten umso mehr Fälle von Leukämie auf, je näher man an einem Kernkraftwerk wohnt. Aber gibt es diesen Zusammenhang wirklich?

Zunächst einmal ist zu berücksichtigen, dass auch natürliche Radioaktivität existiert und jeder Mensch in der BRD im Durchschnitt 3 Millisievert pro Jahr aufnimmt. Davon sind 60 % der natürlichen Radioaktivität zuzurechnen, die zudem auch noch stark schwankt. In den Alpen und in Teilen des Schwarzwaldes ist die Ortsdosisleistung mehr als doppelt so hoch wie in der norddeutschen Tiefebene. 40% gehören zu der zivilisatorischen Strahlenbelastung, darunter weit überwiegend die Belastung aus medizinischen Anwendungen.

Der Grenzwert für die Exposition der Bevölkerung durch eine Kerntechnische Anlage beträgt nur 0,3 Millisievert pro Person und Jahr, also nur ein Bruchteil der natürlichen Radioaktivität. Er wird selbstverständlich auch während der Revision bei offenem Reaktor eingehalten. Die tatsächlich emittierte radioaktive Strahlung aus Kernkraftwerken ist in den allermeisten Fällen sogar nochmals um Größenordnungen geringer. Sie ist selten höher als 0,002 mSv pro Person und Jahr [26].

Es ist also wissenschaftlich nicht zu erklären, wie die Kernkraftwerke Leukämie verursachen können. Hinzu kommt: Leukämiecluster treten auch in Regionen auf, in denen keine kerntechnischen Anlagen existieren, andererseits sind sie nicht bei jedem Kernkraftwerk vorhanden. In Grohnde, Brokdorf, Gundremmingen, Stade, Philippsburg, Lingen und Würgassen liegt die Leukämierate unter dem Landesdurchschnitt [27].

Inzwischen wurde möglicherweise die Ursache von Leukämie im Kindesalter entdeckt. Sie ist nach einer neuen Theorie nicht auf radioaktive Strahlung zurückzuführen, sondern stellt eine seltene Reaktion des Körpers auf eine gewöhnliche Infektion dar. Leukämiecluster treten dann auf, wenn viele Menschen in ländliche Regionen mit einer bislang eher isoliert lebenden Bevölkerung einströmen. Dies geschah nach dem zweiten Weltkrieg häufiger im Rahmen der Suburbanisierung. Das passierte auch in den eher ländlichen Regionen, in denen Kernkraftwerke errichtet wurden. In diesem Fall wird das Immunsystem der Kinder neuen Viren ausgesetzt, auf die es in manchen Fällen atypische reagiert und Leukämie hervorruft [28].

4. Atommüll

Wie bereits in Kapitel 2 dargestellt, ist Atommüll eigentlich kein Müll, sondern eine wertvolle Ressource. Brutreaktoren können nicht nur Uran und Plutonium aus den abgebrannten Brennstäben nutzen, sondern auch die minoren Aktinide. Die restlichen Spaltprodukte müssten dann nur noch 300 bis 1.100 Jahre gelagert werden. Das sind durchaus überschaubare Zeiträume.

Aber auch eine herkömmliche Lagerung ist unproblematisch. Bisher hat Atommüll noch nie irgendwelche Probleme verursacht und es ist nicht zu erkennen, wie irgendetwas von dem radioaktiven Inventar an die Oberfläche gelangen könnte, wenn er in tiefen Bergwerken oder Salzstöcken gelagert wird.

Das angebliche Atommüllproblem wird vielmehr von der Anti-Atom-Bewegung als Hebel genutzt, um so den Betrieb von Kernkraftwerke zu verunmöglichen.

5. Geringer Platzbedarf

Kernenergie wird vor allem deswegen abgelehnt, weil sie angeblich enorm gefährlich sei. Dass das nicht stimmt, wurde weiter oben belegt. Aber auch die Alternativen, insbesondere die Windkraft sind nicht unproblematisch. Sie nehmen enorm viel Platz ein.

Um ein Kernkraftwerk zu ersetzen, benötigt man gut 20.000 Windkraftanlagen, die bis zu 200 Meter hoch sind und fast 200 Quadratkilometer an Land einnehmen. Dementsprechend sieht die Landschaft in der BRD inzwischen auch aus. Viele Landschaften wie der Hunsrück sind inzwischen mit Windrädern geradezu zugestellt. Sogar im Reinhardswald in Nordhessen, einer ökologisch besonders wertvollen Waldlandschaft, sollen Windräder aufgestellt werden. In diesem auch als Grimms Märchenwald bekannten Mittelgebirge gibt es viele alte Baumveteranen und Naturschutzgebiete. Das stört aber die Grünen am allerwenigsten, die sich stark für den Erhalt des Hambacher Forstes einsetzen und belegt ihren instrumentellen Umgang mit Naturschutzargumenten [29]. Windräder sind für den Tod von Milliarden Insekten und Vögeln verantwortlich. Sie leisten damit einen Beitrag zum Insektensterben [30].

Wegen der sehr hohen Energiedichte des Kernbrennstoffes verbrauchen Kernkraftwerke nur sehr wenig Platz. Ein Kernkraftwerk mit einem Gigawatt Leistung benötigt mit allen Gebäuden und Anlagen nur rund einen Quadratkilometer [31].

Nach einer neuen Studie würde man nur 177 Reaktoren zu jeweils 1,2 GW und 8000 Vollaststunden benötigen, um den gesamten Energieverbrauch, nicht nur den Stromverbrauch der BRD mit Kernenergie zu decken. Wenn man berücksichtigt, dass an einem Kraftwerksstandort mehrere Reaktoren konzentriert werden können, käme man bei 4 Reaktoren pro Kraftwerk auf 45 Standorte. Das ist durchaus überschaubar. Wahrscheinlich wären es in der Praxis einige Standorte mehr, denn man müsste auch einige kleinere, inhärent sichere Kernkraftwerke für Industriewärme und Heizung errichten. Weiter kämen hinzu Wiederaufarbeitungsanlagen und sonstige kerntechnischen Anlagen zum Beispiel für Plasmarecycling und künstliche Kohlenwasserstoffe [32].

Eine ausführlichere Widerlegung von zahlreichen Argumenten gegen die Kernenergie findet sich in den 100 guten Antworten auf die hundert guten Gründe von Greenpeace gegen die Kernenergie:

http://100-gute-antworten.de/lesen/

Der Physiklehrer Simeon Preuß setzt sich in einer sechsteiligen Videoserie auf YouTube ebenfalls mit Argumenten gegen die Kernenergie auseinander:

https://www.youtube.com/watch?v=XhbGlm43h58&list=PLR5LT_0Dyu3ODw1XQ4Oav0qNYa-CHdLK2

6. Taktische Bedeutung der Kernenergie

Nach einer Umfrage sind 20% der Bevölkerung absolut gegen Kernenergie, 20% dafür und 60% ist es egal. Sogar einige junge Menschen können angesichts des Klimawandels den Furor, mit dem gegen die Kernenergie gehetzt wird, nicht nachvollziehen. Dazu gehörte übrigens auch Greta Thunberg, bis sie zum Schweigen gebracht wurde. Es ist fast unnötig zu sagen, dass die neoliberale Klimabewegung die Kernenergie auch ablehnt. Kein Wunder, denn dann wäre ein Verzicht nicht notwendig.

Die ArbeiterInnenklasse ist an wenigsten vom Ökologismus beeinflusst, das heißt, eine proletarische Partei könnte wahrscheinlich mit einem Programm pro Kernenergie punkten, wenn ihre Vorteile vernünftig erklärt und sie als Alternative zum Verzichten dargestellt wird.

Umgekehrt lehnt das pseudolinke Kleinbürgertum die Kernenergie entschieden ab. Das heißt, mit einem Programm pro Kernenergie kann eine Scheidelinie zwischen Kleinbürgertum und Arbeiterklasse gezogen werden. Das ist in einer Zeit, wo die Restlinke nahezu vollständig von der neoliberalen Klimabewegung vereinnahmt worden ist, sicherlich eine gute Sache.

Kissel et al. schreiben: „Aber mit der Klima-Argumentation erscheinen alle, die sich dagegen [gegen das Verzichten] wenden als Steinzeit-Wesen.“ (S. 8)

„Der Individualismus der Öko-Bewegung verkörpert einen naiven ‚Anti-Materialismus‘ im Sinne von ‚Haben-Wollen ist schlecht‘. Er eignet sich aktuell gut, um Verzichtsappelle an die Massen zu richten, denn es sind stets die Massen, die weniger Auto fahren, weniger Urlaub haben sollen, etc. Nur ihr Konsumverzicht fällt ins Gewicht – sie sind die Mehrheit der Gesellschaft, von ihnen soll zu Gunsten der Minderheit umverteilt werden.

Auch beim Kohleausstieg müssen die Arbeiter Verzicht üben, weil es ja für Menschheitsinteressen ist – der einzelne Arbeiter ist Egoist, weil er seinen Arbeitsplatz behalten will, der ‚Klimaretter‘ ist kollektivistisch, weil er die Menschheit retten will.“ (S. 11)

Mit der Kernenergie können die andauernden Verzichtsapelle wirksam gekontert werden. Die Gegner des Verzichts erscheinen nicht mehr als „Steinzeitwesen“. Es kann gut begründet werden, dass ein solcher Verzicht auch bei einer CO2-Reduktion auf 0 nicht notwendig und damit nicht alternativlos ist. Vielmehr wird der Klassencharakter der Verzichtsforderungen und der Klimabewegung sofort sichtbar.

BefürworterInnen der Kernenergie können sich sogar auf das IPCC berufen. Das IPCC hat berechnet, dass die Kernenergie und die CO2-Abscheidung eine wichtige Rolle spielen muss, wenn die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränkt werden soll (IPCC 2018a, S. 19ff, IPCC 2018b S. 131f). Die Klimabewegung, die Grünen, die Linken und die Ökosozialisten wollen die Erderwärmung dagegen allein mit „Erneuerbaren Energien“, also mit Verzichten und Ausstiegen stoppen.

Diese Differenz ist kein Zufall. Dem IPCC wurde die Aufgabe gestellt, einen sozialverträglichen Umstieg in eine dekarbonisierte Wirtschaft zu prognostizieren. Der neoliberalen Klimabewegung sind solche Erwägungen völlig egal.

Neoliberale Anhänger der Klimabewegung können allein schon mit der Frage in Verlegenheit gebracht werden, warum sie die Kernenergie ablehnen, wenn doch die Apokalypse angeblich bevor stünde. Müsste man dann nicht alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um sie zu verhindern? Zumal ja das IPCC die Nutzung der Kernenergie empfohlen hat.

Aus der Befürwortung der Kernenergie können auch Sofortforderungen und Übergangsforderungen abgeleitet werden. Man sollte die Forderung nach dem Bau eines Kernkraftwerkes in der Lausitz nicht Frauke Petry überlassen. Sie ist nämlich durchaus sinnvoll. So könnten auch bei einem Kohleausstieg die bisherigen gutbezahlten Arbeitsplätze erhalten werden. Die ArbeiterInnen könnten umgeschult werden, wie dies schon im KKW Biblis praktiziert wurde.

Im völligen Gegensatz zum neoliberalen Ausstiegsprogramm der Grünen wäre der Aufbau einer Kernenergiewirtschaft ein riesiges Ausgabenprogramm, das eine Fülle von gut bezahlten Arbeitsplätzen schaffen würde. Zunächst natürlich im Bau, dann aber auch beim Betrieb und der Wartung der Kernkraftwerke.

Eine Voraussetzung ist, dass dieses Programm durch eine Vermögensabgabe der Reichen und Superreichen finanziert wird. Es entfiele auch jede Begründung für eine CO2-Steuer, da ja eine wie auch immer geartete Lenkungswirkung nicht mehr notwendig ist.

Es ist natürlich nicht anzunehmen, dass die Kapitalisten solchen Forderungen nachgeben werden. Dennoch sind sie als Übergangsforderungen sinnvoll, da sie die engen Grenzen des kapitalistischen Systems aufzeigen.

7. Literatur

Bücher

  • Wolfram Elling, Ulrich Heber, Andrea Polle, Friedrich Beese: Schädigung von Waldökosystemen, München 2007
  • Ernest Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt am Main 1968 und 1979
  • Stephan Kaufmann und Tadzio Müller: Grüner Kapitalismus, Krise, Klimawandel und kein Ende des Wachstums, Berlin 2009

Texte

Fußnoten

[1] Günter Keil: Chronik einer Panik, Die Zeit, 4. Dezember 2004, im Internet: https://www.zeit.de/2004/51/N-Waldsterben/komplettansicht

[2] Axel Bojanowski: Die Homogenisierung der Klima-Berichterstattung ist ein Problem, 29. September 2019, im Internet: https://uebermedien.de/41860/die-homogenisierung-der-klima-berichterstattung-ist-ein-problem/

[3] RT: Wer steckt hinter Greta Thunberg, 22.09.2019, im Internet: https://www.youtube.com/watch?v=gWdMGaguyEQ

[4] Andreas Peter: Wenn Verschwörungstheorien wahr werden – Heute: Greta und die Fridays for Future – Teil 1, Sputnik, 08.06.2019, im Internet: https://de.sputniknews.com/gesellschaft/20190608325170151-greta-thunberg-fridays-for-future-teil-1/

[5] Ipb: Ein Jahr Fridays for Future – ipb working paper erschienen, 19. August 2019, im Internet: https://protestinstitut.eu/ein-jahr-fridays-for-future-studie/

[6] Ist Demokratie im Anthropozän legitim?, Kopuntu, 30.08.2017, im Internet: https://kopuntu.org/2017/08/30/ist-demokratie-im-anthropozan-legitim/

[7] John Bellamy Foster: Der Mensch im Anthropozän, junge Welt 29.05.2018. im Internet: https://www.jungewelt.de/artikel/333200.mensch-im-anthropoz%C3%A4n.html

[8] Change for Future: Die Systemfrage stellen!, im Internet: https://changeforfuture.cf/

[9] Ernest Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie, Band 2, Frankfurt am Main 1979, S. 772.

[10] David Walters: A Socialist defends nuclear Energy, im Internet: https://climateandcapitalism.com/2013/11/14/socialist-defends-nuclear-energy/

[11] Ernest Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie, Band 2, Frankfurt am Main 1979, S. 809.

[12] Sean Sweeney: Another Energy is possible, Heinrich Böll Stiftung Publication Series Ökologie 44.2, 2018, S. 24.

[13] David Walters: A Socialist defends nuclear Energy, im Internet: https://climateandcapitalism.com/2013/11/14/socialist-defends-nuclear-energy/

[14] Fabian Herrmann: Erneuerbare Energiequelle Uran, im Internet: https://nuklearia.de/2012/08/18/erneuerbare-energiequelle-uran/

[15] Fabian Herrmann: Kurz und knapp: 17 Pro-Atom-Argumente, Argument 15, Nuklearia, 21.09.2012, im Internet: https://nuklearia.de/2012/09/21/kurz-und-knapp-17-pro-atom-argumente/

[16] Fabian Herrmann: Über den Wolken, Nuklearia, 20.06.2014, im Internet: https://nuklearia.de/2014/06/20/ueber-den-wolken/

[17] Hans-Peter Schmidt: Wälder in der Wüste pflanzen, Solarify 29.10.2013, im Internet: https://www.solarify.eu/2013/10/29/300-1-zweites-beispiel-fur-gsw/

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/In-vitro-Fleisch

[19] Fabian Herrmann: Erneuerbare Energiequelle Uran, Nuklearia, 18.08.2012, im Internet: https://nuklearia.de/2012/08/18/erneuerbare-energiequelle-uran/

[20] Anna-Vero Wendland: Tschernobyl – Fakes und Fakten, Nuklearia, 25.04.2017, im Internet: https://nuklearia.de/2017/04/25/tschernobyl-fakes-und-fakten/

[21] Brian Wang: Update of Death per Terawatt hour by Energy Source, Next Big Future, 03.06.2016, im Internet: https://www.nextbigfuture.com/2016/06/update-of-death-per-terawatt-hour-by.html

[22] George Monbiot: Nuclear scare stories are a gift to the truly lethal coal industry, The Guardian, 16.12.2013, im Internet: https://www.theguardian.com/commentisfree/2013/dec/16/nuclear-scare-stories-coal-industry

[23] Simeon Preuß: Klimakrise? Kernenergie! – Aber Tschernobyl… Teil 5/6, YouTube 24.06.2019, im Internet: https://www.youtube.com/watch?v=EPM0tfbi4xU

[24] Klaus-Dieter Humpich: LNT-Hypothese: Mediziner gegen gängige Strahlentheorie, Nuklearia, 29.01.2017, im Internet: https://nuklearia.de/2017/01/29/lnt-hypothese-mediziner-gegen-gaengige-strahlentheorie/

[25] Nuklearia: Strahlung – ein Blick auf die Fakten, im Internet: https://nuklearia.de/strahlung/

[26] BfS: Dosisgrenzwerte im Strahlenschutz, im Internet: http://www.bfs.de/DE/themen/ion/strahlenschutz/grenzwerte/grenzwerte.html; Umweltradioaktivität und Strahlenschutz – Jahresbericht 2016, S. 43, im Internet: https://doris.bfs.de/jspui/handle/urn:nbn:de:0221-2018112017017; Karl-Heinz-Szeifert: Die Natürliche Strahlenexposition in Deutschland, 12.03.2019, im Internet: https://www.mta-r.de/blog/natuerliche-strahlenexposition-in-deutschland/; Bundesverband Geothermie: Natürliche Radioaktivität, im Internet: https://www.geothermie.de/bibliothek/lexikon-der-geothermie/r/radioaktivitaet-natuerliche.html

[27] Walter Krämer: Kein Zusammenhang zwischen Kernenergie und Krebs, Die Welt, 14.06.2010, im Internet: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article8042924/Kein-Zusammenhang-zwischen-Kernenergie-und-Krebs.html

[28] Sarah Knapton: Childhood leukaemia probably caused by mystery virus raising hopes for a vaccination, The Telegraph, 30.09.2016, im Internet: https://www.telegraph.co.uk/science/2016/09/30/childhood-leukaemia-probably-caused-by-mystery-virus-raising-hop/; Robin McKie: “For 30 years I’ve been obsessed by why children get leukaemia. Now we have an answer”, The Guardian, 30.12.2018, im Internet: https://www.theguardian.com/science/2018/dec/30/children-leukaemia-mel-greaves-microbes-protection-against-disease

[29] Georg Sperber / Stephan Thierfelder: Urwälder Deutschlands, München 2008. Der Reinhardswald ist in diesem Übersichtswerk aufgeführt (S. 94ff), der Hambacher Forst jedoch nicht.

[30] Video von Simeon Preuß: Klimakrise? Kernenergie! – Experten und verstopfte Stromnetze Teil 2/6, 24.06.2019, im Internet: https://www.youtube.com/watch?v=KHhrk8Gc5bc

[31] Fabian Hermann: Kurz und knapp: 17 Pro-Atom-Argumente, Nuklearia, 21.09.2012, im Internet: https://nuklearia.de/2012/09/21/kurz-und-knapp-17-pro-atom-argumente/

[32] Norbert Aust: Klar zur Wende – Datenmaterial, Skeptiker, 27.07.2019, S, 7, im Internet: https://tinyurl.com/Begleitmaterial-Skeptiker-3-19

Klima und Klassenkampf – zur Diskussion der Klimadebatte in der Kommunistischen Organisation (KO)

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Beitrag zur Diskussionstribüne Klima&Kapitalismus – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Der Text als pdf

Ein Gastbeitrag von Michael Kubi (KPD)

Liebe Genossen der KO, mit Interesse verfolgte ich die Diskussionen um die Massenarbeit. Mit ebenso großem Interesse verfolge ich auch eure Diskussionen zur Klimapolitik, nicht zuletzt, weil es mit meinem Arbeitsgebiet gewisse Parallelen gibt. Bisher sind bei euch zwei Diskussionspapiere erschienen: „Wir werden nicht in Panik geraten Thesen zu Klima, Apokalypse und Sozialismusvorstellungen“ von Philipp Kissel, Klara Bina und David Mayer (in Folge Kissel et al. genannt) und „Kapitalismus, ökologische Zerstörung und kommunistische Strategie“ von Thanasis Spanidis, Jakob Schulze, Ernesto Camillo und Hans-Christoph Stoodt (in Folge Spanidis et al. genannt). Ich möchte zu dieser Diskussion meinen Beitrag leisten.

Zu allererst: Der Klimawandel ist real, CO2 aus anthropogenen Ursachen ist die Hauptursache des aktuellen Klimawandels. Spanidis et al. haben dies in ihrem Text anhand wissenschaftlicher Literatur gut begründet. Der Artikel von Spanidis et al. konnte auch die Hintergründe der sogenannten „Skeptiker-Szene“ nachweisen, dass diese direkt von der Industrie bezahlte Pseudowissenschaftler und PR-Manager sind, die mit Wissenschaft und Forschung nichts gemeinsam haben. Man könnte zum Klimawandel und zur „Skeptiker-Szene“ sicherlich mehr hinzufügen und in einigen Texten hatte ich auf meiner eigenen Homepage (www.Internet-Evoluzzer.de) einige Artikel zu diesem Thema selbst verfasst. Doch bei mir soll es nicht um eine Konkretisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse gehen. Das würde den Artikel unnötig lang machen und vieles aus Spanidis et al. wiederholen. Seiten wie www.klimafakten.de und https://skepticalscience.com/ sind die hierzu besten Seiten, sich mit weiteren Fragen des Klimas auseinanderzusetzen. Daher werde ich (erstmal) nicht viel zur Klimawissenschaft beitragen wollen – es sei denn zukünftige Diskussionen erfordern dies. Mein Hauptaugenmerk soll sich auf den Text von Genossen Kissel et al. richten, der meines Erachtens nach einige Unzulänglichkeiten hat (die sich aber wohl im Verlauf der Diskussion lösen lassen). Ich beginne hier mit einigen Definitionsfragen.

Zu den Begrifflichkeiten „Experten“, „Natur“ und „Gleichgewicht“

Kissel et al. schreiben, dass sie keine Experten auf diesem Gebiet sind und es nicht möglich sei Experte auf diesem Gebiet zu werden, daher sprechen sie nicht über das naturwissenschaftliche Phänomen der globalen Erwärmung, sondern konzentrieren sich auf die politische Dimension. Darin unterscheiden sie sich vom Artikel von Spanidis et al., welcher recht umfassend das derzeitige Thema der globalen Erwärmung aufgreift. Natürlich können wir nicht in allen Belangen „Experten“ sein. Experten definieren sich dadurch, dass sie sich in einem Thema besonders gut, teilweise bis ins letzte Detail, auskennen. Dennoch halte ich es für wichtig und notwendig, dass man sich bei der Frage „Klimawandel“ mit der wissenschaftlichen Problematik und den Tatsachen auseinandersetzt; keineswegs bis ins letzte Detail, wohl aber sollte ein guter Überblick erfolgen, die wissenschaftlichen Debatten und Arbeiten bekannt sein. Denn um eine richtige Einschätzung der politischen Lage zu haben, bedarf es der vorherigen Analyse. Wer zur Klimapolitik was sagen möchte, sollte die Klimawissenschaft zumindest soweit kennen, sich ein Bild machen zu können – dazu zählen auch die Pseudoargumente der „Skeptiker-Szene“ (die ich lieber „Wissenschaftsleugner“ nenne, da sie oft in einem Boot mit anderen Wissenschaftsleugnern wie Esoterikern, Kreationisten und Impfgegnern stecken und offen antikommunistische, „markt-liberale“ Positionen verkünden). Diesen Punkt haben Spanidis et al. ebenfalls verdeutlicht, was ich nochmals bekräftigen möchte. Engels setzte sich in „Dialektik der Natur“ und „Anti-Dühring“ und Lenin in „Materialismus und Empiriokritizismus“ mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander, um wichtige philosophische und politische Fragen zu erarbeiten. Grundsätzlich ist die Analyse einer jeglichen Thematik Voraussetzung dafür, die politische Praxis zu verstehen. Natürlich darf man es aber auch hier nicht übertreiben: Sich nur auf die Klimathematik zu konzentrieren, sich nur mit den naturwissenschaftlichen Fakten auseinanderzusetzen und seine Zeit komplett in diese Analyse zu stecken ist kontraproduktiv, da man sich so von der politischen Arbeit abkapselt.

Kissel et al. geben in Bezug des Begriffes „Natur“ folgende Definitionen:

Die Natur ist nichts statisches, auch gibt es keinen Idealzustand. Die Natur befindet sich in einem stetigen Wandel, Veränderung ist der Normalzustand. Es gibt genau so wenig einen gleichbleibenden Kreislauf oder ein Gleichgewicht. (…) Es gibt nichts für die Natur Gutes oder Schlechtes. Natur ist blindes Wirken, also keine bewusste Entwicklung. Gesetzmäßigkeiten wirken in der Natur ohne dass es darüber ein Urteil gibt. Natürliche Entwicklung beinhaltet eine unaufhaltsame Formveränderung der Materie – es wird viel zerstört. Weitet man den Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Natur, finden man gewaltige Umwälzungen. Bis hierhin wollen wir nur sagen: es gibt nicht die eine Natur und das, was wir als Natur bezeichnen ist nichts als Wandel.“

Kissel et al. definieren die Natur durch ihren stetigen Wandel und dass diese blind wirkt, also keine Urteile über „gut“ oder „schlecht“ fällt. Während in der Natur ein stetiger Wandel wirkt, und diese Kräfte blind wirken, ist durchaus richtig, es wird jedoch keine vollständige Definition der Natur geliefert. Natur alleine durch ihren Wandel und ihre „Blindheit“ zu definieren wird diesem Begriff nicht gerecht; beschreibt ihn unzureichend. Ich möchte daher aus dem „Kleinen Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie“ zitieren (S. 200), das den Begriff „Natur“ wie folgt definiert:

Natur: im weitesten Sinne die Gesamtheit aller materiellen Gegenstände, Strukturen und Prozesse in der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungsformen. In dieser Bedeutung ist der Begriff der ‚Natur‘ identisch mit den Begriffen ‚Universum‘, ‚Weltall‘, ‚Materie‘ und ‚objektive Realität‘. Die Natur existiert ewig und unendlich in einem ständigen Entwicklungsprozess, in dem immer neue Formen entstehen und andere vergehen“.

Nachdem das Wörterbuch die Unterschiede zwischen unbelebter und belebter Natur erklärt, schreiben sie in Bezug zur Gesellschaft (die als höchste Form der belebten Natur verstanden wird):

Die Gesellschaft geht aus der Entwicklung der Natur hervor und bleibt Teil des Naturzusammenhangs. Aber ihre Entstehung bedeutet den wichtigsten qualitativen Sprung in der Entwicklung der Natur, denn die Gesellschaft gewinnt die Fähigkeit, sich der übrigen Natur entgegenzustellen, sie durch die Arbeit zielstrebig zu verändern und schließlich in wachsendem Maße zu beherrschen. Allerdings kann der Mensch die Natur nicht beherrschen wie der Eroberer fremdes Land, sondern nur dadurch, dass er ihre objektiven Gesetzmäßigkeiten erkennt und richtig anwendet.“

In diesem Zusammenhang – der Erkennung und der Nutzung der Natur im Sinne des Menschen – versteht man unter Natur auch „die natürlichen Existenzbedingungen der menschlichen Gesellschaft, dass natürliche Milieu und die gesamte der Gesellschaft gegenüberstehende natürliche Welt.“

Hier wird eines deutlich: Natur definiert sich nicht nur über ihre Veränderung und ihre Blindheit. Zum einen ist die menschliche Gesellschaft Teil der Natur (im Sinne der sich bewegenden Materie), zum anderen unterscheiden wir unsere Gesellschaft von dem Rest der belebten und unbelebten Natur bzw. Materie. Zum einen besteht eine Einheit zwischen diesen Existenzformen der Materie, die Natur als Existenzbedingung der Erde und unserer Gesellschaft. Denn die menschliche Gesellschaft ist ohne die Naturgesetze nicht lebensfähig bzw. hätte sich ohne den evolutionären Wandel der Natur überhaupt nicht bilden können. Zum anderen unterscheiden sich gewisse Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Gesellschaft, die nur in ihr wirken, von den Gesetzmäßigkeiten in den anderen Existenzformen der Materie. Salopp ausgedrückt: Der Widerspruch zwischen Eigentumsverhältnissen und den Produktivkräften ist etwas spezifisch in der menschlichen Gesellschaft Wirkendes, während physikalische, chemische oder gar biologische Gesetzmäßigkeiten keinen oder einen sehr geringen Einfluss auf die Geschichte der Gesellschaftsformationen einnehmen (die Schwerkraft kann nicht erklären wie sich die Urgesellschaft in eine Klassengesellschaft verwandeln konnte).

Auch wird der Begriff des „Gleichgewichts“ im Artikel von Kissel et al. unvollständig aufgefasst. Natürlich gibt es kein „ewiges“ Gleichgewicht in der Natur. Die 4,5 Mrd. Jahre Erdgeschichte beweist, dass sich das Klima, die Kontinente und die Tierwelt änderten. Jedoch heißt das nicht automatisch, dass ein ökologisches oder sonstiges Gleichgewicht bloß eine Vorstellung des Menschen ist. Relativ gesehen, also über bestimmte Zeitperioden, sind Gleichgewichte in der Natur durchaus vorhanden. So besteht im Stoffwechsel der Natur das chemische Gleichgewicht zwischen Photosynthese und Atmung. Generell ist die Chemie voller Gleichgewichtsreaktionen zwischen Entstehen und Vergehen chemischer Verbindungen. Auch unser Körper hat ein gewisses Gleichgewicht, z. B. dass Zellen absterben und durch neue ersetzt werden. Natürlich ist solch ein Gleichgewicht nicht unveränderlich, sondern in seiner Form dynamisch. In einem Heft zur Evolution lesen wir:

„Im Kreislauf von Materie und Energie wird ständig organische Substanz aufgebaut und Sauerstoff freigesetzt, und ständig wird organische Substanz abgebaut und damit Sauerstoff verbraucht. Aufbau und Abbau stehen in einem dynamischen Gleichgewicht. Das Gegenteil, nämlich ein statisches, d. h. endgültiges Gleichgewicht wäre nur dann erreicht, wenn Aufbau und Abbau beendet würden. Dann nämlich würden alle möglichen chemischen Reaktionen stattfinden, bis kein Stoff mehr mit einem anderen reagieren könnte, zum Schluss würden alle Stoffe im stabilen Gleichgewicht zueinander stehen.“ (Morphisto Querschnitte Heft 7: Die Evolution der Tiere; August 2007, S. 16)

Das heißt konkret: Leben ermöglich ein dynamisches Gleichgewicht von Abbau und Aufbauprozessen. Das ist etwas, was die Naturwissenschaften, z. B. die Ökologie, unter Gleichgewicht versteht. Solche dynamischen Gleichgewichte sind natürlich durch verschiedene Einflüsse (z. B. Sonnenstrahlung, Bewegung der Kontinente, Stoffwechselprozesse) beeinflussbar und störbar. Es kommt zu quantitativen und qualitativen Veränderungen, so dass sich neue Gleichgewichte einpendeln. Hier spielt aber vor allem die Dimension Zeit eine tragende Rolle, was in der Frage der globalen Erwärmung eine wichtige Rolle spielt. Hier sei ein, erdgeschichtlich zu heute vergleichbares, Szenario vorgestellt:

Vor etwa 55,8 Mio. Jahren kam es zu einer nach geologischen Maßstäben sehr kurzen, aber extremen Erwärmungsphase, deren Dauern etwa 200.000 Jahre beträgt. Es kam zu einem starken Anstieg von Treibhausgasen, jedoch in einem Zeitraum von mehreren tausend Jahren, sodass sich die durchschnittliche globale Temperatur um 6-8 °C erhöhte. In der Klimaforschung gilt dies als die bislang schnellste Erderwärmung. Diese Erwärmungsphase dauerte jedoch mehrere tausend Jahre an, unsere läuft in wenigen Jahrzehnten ab, sodass sich Änderungen des Klimas viel schneller vollziehen werden. In diesem Sinne hat die jetzige globale Erwärmung eine durchaus nicht unbedeutende Tragweite, weil so sich bestehende „Gleichgewichte“ zu schnell ändern und auf Veränderungen nicht oder nicht so schnell reagieren können.

Wissenschaft und Klassengesellschaft

In Bezug zur Wissenschaft und Klassengesellschaft schreiben Kissel et al.:

Die These, dass Naturwissenschaften eher weniger von der herrschenden Ideologie berührt werden würden, weil sie es mit härteren Fakten zu haben, ist fern von der Realität des Wissenschaftsbetriebs. Auch in den Naturwissenschaften werden idealistische und fragwürdige Hypothesen aufgestellt, die dann Scharen von Köpfe beschäftigen: z.B. in der Hirnforschung, die These, dass es keinen freien Willen gäbe oder Forschungen zu Bevölkerungswachstum, historisch das Beispiel der Eugenik, der „Rassenlehre“. Naturwissenschaftler sind nicht qua Beruf frei von der allgemeinen herrschenden Ideologie. Die Ängste und Bedürfnisse der herrschenden Klassen schlagen sich auch in ihren Köpfen nieder: Positivismus, Irrationalismus und Reaktion, Autoritarismus, Untertanengeist und vieles mehr sind bei Naturwissenschaftlern und anderen Wissenschaftlern gleichermaßen wirksam. Die Verbindung der Klimaforschung mit der Politik ist besonders offenkundig. (…) Die Wissenschaft dient der herrschenden Klasse, (…) Die Wissenschaft im Allgemeinen und die Naturwissenschaften im Konkreten sind keinesfalls neutral, wie leider zu oft behauptet wird. Viele Institute sind direkt oder indirekt von Unternehmen finanziert und das ist kein Geheimnis. Investitionen werden häufig in profitable Bereiche getätigt und nicht dort, wo es sich nicht lohnt, weil z.B. viele sich ein Medikament was erforscht wird nicht werden leisten können.“

Vieles was die Genossen hier sagen ist durchaus richtig, aber in meinen Augen unvollständig. Zweifelsohne ist die Wissenschaft nicht klassenneutral, steht also nicht über der Klassengesellschaft. Aber hier muss klar unterschieden werden zwischen der wissenschaftlichen Arbeitsmethode und Praxis auf der einen Seite und der philosophischen bzw. ideologischen Interpretation und ihrem Nutzen für die herrschende Klasse.

Das „kleine Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie“ definiert Wissenschaft wie folgt (S. 305-306):

höchste Form der theoretischen Tätigkeit der Menschen und zugleich deren Resultat in Gestalt des aus dem gesellschaftlichen Erkenntnisprozess auf der Grundlage der Praxis hervorgehenden Systems von Erkenntnissen über die Gesetze der Natur, der Gesellschaft und des Denkens (…) Die Wissenschaft ist sowohl als Form der gesellschaftlichen Tätigkeit der Menschen, soziale Institution wie auch ein System des Wissens über die objektive Realität in den materiellen Lebensprozess der Gesellschaft einbezogen und wird in ihren Existenzbedingungen, ihrer Entwicklung und ihrer Anwendung durch die Produktivkräfte und Produktionsverhältnissen der jeweiligen ökonomischen Gesellschaftsformation bestimmt und geprägt. In diesem Sinne gibt es eine sozialistische und eine kapitalistische Wissenschaft, die sich wesentlich voneinander unterscheiden, weil sie als Elemente in entgegengesetzte Gesellschaftssysteme eingehen. Das bezieht sich jedoch nicht auf den objektiven Inhalt der Erkenntnisse, die eine relativ adäquate Widerspiegelung der Eigenschaften, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten bestimmter Objektbereiche sind; in diesem Sinne gibt es keine sozialistische oder kapitalistische Physik, Biologie, Chemie usw.“ (Hervorhebung von mir)

„Wissenschaft“ kann also mindestens drei verschiedene Dinge bedeuten, 1) der „Wissensinhalt“ verschiedener Disziplinen (wie in Physik, Chemie, Biologie) über das Universum; 2) die Prozesse, durch die dieses Verständnis erlangt wird (die „wissenschaftliche Methode“ und umfassendere Fragen der Wissenschaftsphilosophie); und 3) das Verhältnis der Wissenschaft zur Gesellschaft, insbesondere die Organisation, Finanzierung und Kontrolle der Forschung (in den Laboratorien der Universitäten, von Pharmaunternehmen oder innerhalb des „militärisch-industriellen Komplexes“) und wie der Zugang und die Nutzung dieses Wissens kontrolliert ist. Gerade letzterer Punkt lässt viele Menschen an der Wissenschaft zweifeln.

Heute ist die tägliche Arbeit der meisten Wissenschaftler Routine. Die meisten wissenschaftlichen Forschungen werden von kommerziellen Organisationen oder durch öffentliche Gelder durchgeführt oder finanziert. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler sind Angestellte, die unter der Leitung ihrer Manager (oftmals unter befristeten Verträgen) an spezifischen Problemen arbeiten, die Teil eines größeren Ganzen sind, von dem sie häufig nichts wissen – eine Situation analog zum Taylorismus der Fabrikarbeit (Maximierung der Effizienz durch Zerlegung von Arbeitsplätzen in einfache Routineelemente) und Finanzierung entweder durch externe Zuschüsse oder direkt durch die Unternehmen, für die sie tätig sind. In diesem Sinne unterscheiden sich die meisten Wissenschaftler nicht von anderen Vertretern der arbeitenden Bevölkerung. Natürlich unterscheidet sich die konkrete Arbeit eines Wissenschaftlers von der eines Bäckers oder Automechaniker, gerade auch in Bezug des Anteils der geistigen Arbeit. Die Vorstellung jedoch, dass alle Wissenschaftler jenseits der Arbeiterklasse stehen ist eine veraltete Vorstellung des Proletariates, welches nur die Fließbandarbeiter sein können. Oftmals haben wissenschaftliche Fachkräfte, ob sie nun studiert haben oder eine Ausbildung als technischer Assistent gemacht haben, das Problem schlecht bezahlter Arbeit (im Verhältnis zur Komplexität ihrer Ausbildung – man bedenke, dass man mindestens 6 Jahre studiert, ohne für dieses Studium ein Ausbildungsgehalt zu bekommen, sofern man kein Stipendium oder BAföG erhält), viele Verträge in den Universitäten laufen nach wenigen Jahren aus, Doktoranden werden oftmals nicht bezahlt und die Universitäten immer schlechter finanziert. Auch in der Industrie (z. B. in Pharmaunternehmen) sieht die Lage oft nicht besser aus. In Bezug zur Klimawissenschaft heißt es:

Die meisten Klimawissenschaftler arbeiten in der Universität oder in öffentlichen Forschungseinrichtungen (z. B. PiK, Max-Planck-Institut, Senckenberg-Institut etc.), meist für Gehälter des öffentlichen Dienstes oder vergleichbarerer Tariftabellen – sicherlich hohe Gehälter verglichen mit der prekären Situation unausgebildeter Arbeitskräfte, jedoch auch nicht die Millionensummen der Manager und Aufsichtsräte der Energiekonzerne. Wer Klimawissenschaft betreibt, der macht es sicherlich nicht, um Riesenprofite zu erwirtschaften, da geht man besser in die Privatindustrie. Und genau das machen ja die Propagandisten der „Skeptikerszene“, z. B. sind Vertreter des EIKE-Instituts (eigentlich ein Verein, der keine Forschung betreibt), dem deutschen Ableger der „Klimaskeptiker“, hochrangige Vertreter und Aufsichtsräte von Energiekonzernen oder Lobbyisten von Großkonzernen aus der Branche der Ölindustrie. Der Artikel von Spanidis et al. hat dies auch nachgewiesen, weshalb das hier nicht nochmal aufgeführt werden soll.

Natürlich ist auch die Finanzierung von Universitäten und Forschungseinrichtungen zweifelsohne nicht unproblematisch. Zum einen versuchen immer mehr Unternehmen die öffentliche Forschung zu investieren und auch öffentliche Gelder sind die Gelder des kapitalistischen Staates. Doch sind zum einen solche Spenden in Anbetracht des Arbeitsaufwandes der Grundlagenforschung ein Tropfen auf den heißen Stein (in Bezug zu den erwirtschafteten Profiten) und nicht immer ein unmittelbares Profitinteresse, sondern nicht selten eine PR-Kampagne, um das „Image“ des Unternehmens aufzubessern, Steuervergünstigungen oder andere Vorteile zu haben. Universitäten haben aufgrund mangelnder Finanzen oftmals sogar keine andere Wahl, als diese Drittmittel zu beziehen. (vgl. Artikel im ntv: https://www.n-tv.de/politik/Unternehmen-auf-dem-Vormarsch-in-die-Uni-article14533331.html). Jedoch sind keine Lobbyisten-Gruppen mit der Grundlagenforschung, so auch in der Klimawissenschaft, bekannt, bei dem zweifelsfrei nachgewiesen ist, dass Wissenschaftler im Interesse gewisser Konzerne Daten manipulieren etc. Das wäre auch sehr unwahrscheinlich, da alle wissenschaftlichen Institute in den verschiedenen Ländern, und alle Fachzeitschriften, egal, in welchem Land sie erscheinen, die Realität der globalen Erwärmung nachgewiesen haben. (vgl: https://skepticalscience.com/global-warming-scientific-consensus-intermediate.htm

Um die Frage der Finanzierung von Klimawissenschaftlern zu beenden, möchte ich ein Zitat der Klimawissenschaftlerin Katharine Hayhoe bringen:

„‘Der Klimawandel ist ein Schwindel ….Gelddruckmaschine für Wissenschaftler um an Fördergelder zu kommen…. Klimawandel ist Sozialhilfe für Wissenschaftler!!‘

Ich bekomme regelmäßig solche Kommentare. Und wenn ich darauf hinweise, dass ein Geowissenschaftler mit einem Doktortitel wesentlich mehr Geld bei einer Ölfirma als an einer Universität verdienen könnte, treffe ich auf komplettes Unverständnis.

Woran liegt es, dass die Leute davon überzeugt sind, dass alle Klimawissenschaftler Millionen an Fördermitteln der Regierung auf ihren schweizer Bankkonten scheffeln (aber Bosse der Ölfirmen keine Milliarden in Konten auf den Cayman Inseln scheffeln)?

Zum Teil mag es daran liegen, dass Zuschüsse immer mit so enormen Summen verbunden zu sein scheinen. Und es ist wahr, der größte Zuschuss, den ich je erhalten habe, war der atemberaubende Betrag von 1,1 Mio. USD. Atemberaubend, das heißt, bis wir es aufschlüsseln.

Ich habe die Förderung mit 4 Kooperationspartnern aus verschiedenen Universitäten geschrieben. Also teilten wir das Geld zu gleichen Teilen auf und gaben jedem von uns etwa 220.000 Dollar. Immer noch ein netter Betrag.

Der Zuschuss war für 4 Jahre, was bedeutete, dass ich jedes Jahr 55.500 Dollar ausgeben konnte. Immer noch ganz nett, oder?

Dann bekommt die Universität 1/3 des Betrags für „Einrichtungen & Verwaltung“. Dadurch wird kein Luxus finanziert – mein Büro hat kein Fenster, ich habe alle meine eigenen Möbel und Computer gekauft – aber wir bekommen dafür Internet, Strom und jede Menge Papierkram. Dann bleiben mir noch 37.000 Dollar, die ich jedes Jahr ausgeben kann.

Mit diesem Geld zahle ich einem Doktoranden das fürstliche Gehalt von etwa 25.000 Dollar; ich zahle der Universität seine Studiengebühren, die etwa 10.000 Dollar betragen; und das lässt jedes Jahr 2.000 Dollar übrig. Im ersten Jahr kaufe ich dem Schüler einen Computer; im zweiten Jahr bezahle ich für die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Konferenz; und im dritten u. vierten Jahr zahle ich für die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Arbeit, denn ja, die kostet auch etwa 2.000 Dollar.

BOOM – Das ist, wie ein Wissenschaftler $1,1M ausgibt! Überrascht?“ Quelle: https://skepticalscience.com/translationblog.php?n=3644&l=6

Die Klimawissenschaftler gehen ihrer Arbeit nach und zu behaupten sie würden für Milliardenprofite irgendeine „Lüge“ herbeizaubern ist schlicht und einfach Unsinn. Denn wenn das für die Klimawissenschaften zutreffen sollte, warum dann nicht auch alle anderen Wissenschaften? Die Evolutionslüge? Alle Ärzte, die impfen wollen, sind böse Menschen? Die Erde ist vielleicht doch eine Scheibe, weil alle für die NASA arbeiten?

Ich möchte hier aber anmerken, dass ich den Genossen des Artikels von Kissel et al. keineswegs unterstelle, solche Sichtweisen zu haben, jedoch verführen Aussagen wie „Wissenschaft dient der herrschenden Klasse“ und die „Verbindung zwischen Politik und Klimawissenschaften“ zu solchen verschwörungstheoretischen Aussagen einer „kapitalistischen Klimawissenschaft“.

Natürlich haben die Genossen Kissel et al. recht, dass Klimawissenschaften und Politik miteinander verwoben sind und dass Wissenschaftler an sich nicht klassenneutral sind. Als Beispiele führen sie die Hirnforschung an, die den freien Willen leugne oder den Rassismus und die Eugenik. Hier muss aber Folgendes bedacht werden: Wir können feststellen, dass sobald Wissenschaftler, die von der bürgerlichen Ideologie beeinflusst sind, über ihre Expertise hinaus zu gesellschaftlichen und philosophischen Fragen Stellung nehmen, ihre bürgerliche Ideologie zum Vorschein tritt. Das hat aber im Prinzip erstmal nichts mit den gesammelten empirischen Daten zu tun. Man muss eben unterscheiden zwischen ihrer empirischen Arbeit und ihren Versuchen, daraus allgemeine Aussagen über die Welt abzuleiten. Denn die Aussagen der Hirnforscher zur Willensfreiheit stehen teilweise sogar im Widerspruch zu den gemessenen Daten bzw. werden falsch interpretiert und durch die bürgerliche Ideologie vernebelt und missbraucht (vgl. z. B. Suitbert Cechura: Kognitive Hirnforschung. Mythos einer naturwissenschaftlichen Theorie menschlichen Verhaltens). Der Fehler liegt hier oft dabei, dass einzelne Wissenschaftler ihre wissenschaftliche Expertise überbewerten und ihre Methodiken auf philosophische, politische und gesellschaftliche Fragen anwenden, obwohl sie dafür nicht geeignet sind. So lässt sich menschliches Verhalten und seine Geschichte eben nicht nur auf die Biologie zurückführen (genauso wie sich die Biologie nicht auf die Chemie und Physik zurückführen lassen kann).

Fragen der Willensfreiheit sind nämlich nicht nur Aufgaben der Hirnforscher, sondern auch anderer Wissenschaftszweige. Das genau macht sich die bürgerliche Ideologie zu Nutze: Statt sich ein kritisches Gesamtbild zu bilden, basierend auf einer materialistischen und dialektischen Methode, werden selektiv einzelne Daten ausgesucht, diese falsch wiedergegeben, andere aber verschwiegen oder missinterpretiert. Dasselbe gilt übrigens auch für den Rassismus, Sexismus, Eugenik und andere Mythen, die sich mit der „Natur des Menschen“, biologischem Determinismus oder mit erkenntnistheoretischen Fragen befassen. Also in jenen Gebieten wo sich die eher materialistische Naturwissenschaft mit der Gesellschaftswissenschaft überschneidet.

Übrigens gab es auch solche Tendenzen in der Sowjetunion, dass man jegliche Wissenschaft und ihre Ergebnisse aus dem Klassenstandpunkt betrachten muss. Es gab vulgär-materialistische Ideologen, die von einer „proletarischen Wissenschaft“ sprachen und sie der „kapitalistischen Wissenschaft“ entgegenstellten. Anders als das Zitat im marxistisch-leninistischen Wörterbuch meinten sie dabei nicht die Klasseninteressen einzelner wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern die Erkenntnisse überhaupt. Diese Bewegung ähnelt dem „Proletkult“ in Kunst und Kultur alles „Bürgerliche“ (bzw. das was als „bürgerlich“ angesehen wurde) komplett abzulehnen. Das reicht von der Ablehnung der Erkenntnisse der modernen Physik (Quantenmechanik) bis hin zu der Auffassung, dass eine „kommunistische Gesinnung“ ausreiche und technisches Wissen nicht nötig sei, da bürgerliches Expertenwissen. Die sowjetische Regierung um Stalin, sowie mit ihm viele Physiker und Kulturschaffende konnten erfolgreich solche „linksradikalen Tendenzen“ zurückschlagen. Stalin selbst befasste sich dabei besonders in seinen Artikeln über die Fragen der Sprachwissenschaften in der Linguistik mit solchen Tendenzen. In anderen Bereichen (z. B. in der Genetik – sog. Lysenkoismus) hatte aber der „Proletkult“ in den Wissenschaften noch weitreichend Einfluss. Dies soll hier nicht weiter intensiver ausgeführt werden und wäre allgemein ein interessanter Forschungsansatz im Klärungsprozess (allgemein: das Verhältnis von Marxismus zur Wissenschaft).

Die Rolle des IPCC wird im Artikel von Kissel et al. auch nicht richtig wiedergegeben. Das mag sein, dass sich im IPCC viele Forscher beteiligen, die auch politisch aktiv sind. Das hat jedoch erstmal rein gar nichts mit den Berichten des IPCC zu tun, die die Forschung tausender Wissenschaftler weltweit zusammenfassen. Spanidis et al. haben dazu einiges formuliert.

Klima und Klassenkampf

Worin liegt also das Klasseninteresse der Klimawissenschaft? Sicherlich nicht an der Tatsache, dass es eine globale Erwärmung gibt, die die Folge der kapitalistischen Produktionsweise ist. Der bürgerliche Klasseninhalt der Klimawissenschaftler zeigt sich vor allem in ihren Forderungen, das „Problem“ der globalen Erwärmung zu lösen, wobei bei der Lösung der globalen Umweltprobleme sicherlich kein 97%-Konsens herrscht (dieser Konsens bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass die aktuelle globale Erwärmung anthropogene Treibhausgase als Ursache hat). Da die meisten Wissenschaftler kein Verständnis von der kapitalistischen Produktionsweise haben, des Klassenkampfes nicht bewusst sind, sollte es nicht verwundern, dass sie Lösungen vorschlagen, die sich „innerhalb des Systems“ befinden. So kommen Forderungen wie die CO2-Steuer zustande, bei denen die arbeitenden Menschen die Lasten der kapitalistischen Produktionsweise zu schultern haben. Genauso kommen Forderungen einer „Verzichtsideologie“, die die Massen zu tragen haben – über den verschwenderischen und gesellschaftlich unnötigen Luxus der Bourgeoisie wird meistens geschwiegen. Entsprechend nutzt die Bourgeoisie und ihre Parteien, allen voran die Grünen, Bewegungen und Massenproteste in ihrem Interesse zu lenken und zu fördern. Kissel et al. zeigen dies durchaus überzeugend in Bezug zur „Fridays-for-Future“-Bewegung auf, dass genau diese Forderungen gestellt werden. Der Kapitalismus soll „grün“ erscheinen, die System- und Eigentumsfrage soll nicht in den Mittelpunkt gerückt werden. Doch das hat erstmal nichts mit dem Klima und dem Klimawandel an sich zu tun. Die entscheidende Frage ist, wie Kommunisten sich bei solchen Bewegungen oder allgemein zur „Klimafrage“ verhalten sollen. Ich halte es für falsch zu diesem Thema zu schweigen, denn das würde aktuell bedeuten, dass reaktionäre Kräfte wie die AfD mit ihrer wissenschaftsfeindlichen Ideologie als angebliche „Stimme der Vernunft“ und auf Seiten „des kleinen Mannes“ Oberhand bei sozialen Protesten gewinnen.

Wie sollten wir uns zu FFF verhalten? Kissel et al. merken an, dass es hauptsächlich Jugendliche und Schüler sind, die aus unterschiedlichen Motivationen heraus protestieren und diese sehr diffus und politisch leicht zu instrumentalisieren sind. Die politisch führenden Kräfte bei FFF sind jedoch in dieser Hinsicht politisch durchaus klar und agieren im Interesse des Kapitals. Das alleine ist jedoch kein Grund solche Proteste grundsätzlich abzulehnen, da eine jede Bewegung – unabhängig von FFF – in vielen Aspekten nicht klar ist und diffuse Vorstellungen hat. In vielen Bewegungen der Arbeiterklasse, so auch bei den Gewerkschaften, dominieren auch opportunistische und reformistische Kräfte, die die Massenbewegungen, Streiks und Demonstrationen im Interesse des Kapitals sabotieren und revolutionäres Potential schwächen. Es ist ja gerade Aufgabe der Kommunisten dieses Klassenbewusstsein zu erzeugen und die Bewegungen anzuführen (was natürlich in der aktuellen Lage sehr schwierig ist). Der Unterschied bei FFF ist aber natürlich, dass diese Proteste direkt vom Staat gefördert wurden und werden, somit einen anderen Charakter von Anbeginn an tragen als z. B. Streiks. Denn die FFF-Bewegung ist im Wesentlichen kleinbürgerlich: Eine Studie belegt z. B., dass der allergrößte Teil der Demonstranten aus der oberen und unteren Mittelschicht kommt (zusammen 90%). Siehe link zur Studie https://www.boell.de/sites/default/files/fridays_for_future_studie_ipb.pdf

Natürlich ist das erstmal auch keine Klassenanalyse, denn es bleibt die Frage offen, was unter „Mittelschicht“ überhaupt zu verstehen ist und ob es mit dem marxistischen Konzept des Kleinbürgertums identisch ist. Weiterhin bleibt, neben der Repräsentativität der Umfrage, das Problem, dass die Befragung nach der zugehörigen Schicht laut Studie (S. 13) auf einer „subjektiven Schichteinstufung“ basiert. D. h. die Befragten werden nicht nach ihrer objektiven Stellung zu den Produktionsmitteln analysiert, sondern danach in welche man sich selbst einordnen würde. Die bürgerliche Ideologie hat schon lange dafür gesorgt, dass viele Menschen, die eigentlich dem Proletariat angehören, aufgrund der Tatsache, dass sie einen „höheren“ Lohn erhalten oder nicht in einer Fabrik arbeiten oder ein Eigenheim besitzen, sich zur „Mittelschicht“ gehörig fühlen (zur Problematik der „Klassen im Kapitalismus“ siehe mein entsprechendes Kapitel im Buch Zur Geschichte der Sowjetunion – Eine totalitäre Diktatur der Bürokraten? https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2019/03/Kubi_Zur-Geschichte-der-Sowjetunion-1.pdf ). Unabhängig davon ist aber davon auszugehen, dass das Kleinbürgertum eine dominierende Rolle bei den FFF-Protesten spielt. Dass alleine ist jedoch auch kein Grund, sich bei solchen Bewegungen nicht zu beteiligen, denn das Kleinbürgertum ist erstmal Bündnispartner des Proletariats, jedoch unter der Voraussetzung, dass das Proletariat die führende Kraft sein muss. Das ist aktuell nicht der Fall, was dazu führt, dass wir uns keine Illusionen zur FFF-Bewegung machen sollten, dort großes Protestpotential zu finden. D. h. natürlich nicht, dass Kommunisten sich dort nicht beteiligen sollen, auch dort ihr Gesicht zeigen sollten, richtige Forderungen zu stellen und alleine Präsenz zu zeigen, dass es auch Kräfte gibt, die diese reaktionären Forderungen nicht mitmachen. Aber bei der organisierten Schwäche der Kommunisten und des Proletariates, sollte man sich mehrmals überlegen, wie viel Kraft man in solche Bewegungen investieren sollte. Aber unabhängig von der FFF-Bewegung lassen sich „Klima“ und Klassenkampf miteinander verbinden, steht beides nicht im Widerspruch, sondern kann sich ergänzen; auch ohne der FFF nachzulaufen. Das hätte auch zum Vorteil, auch in Bezug zum „Klima“ materialistisch zu argumentieren, ohne das wissenschaftsfeindliche Kauderwelsch der „Skeptiker“-Szene von AfD bis EIKE- „Institut“ zu übernehmen. Es folgen einige Ideen, die keineswegs auf Vollständigkeit beruhen, konkretisiert und ausgebaut werden müssen.

  • Bei der Klima-Debatte – auch völlig unabhängig von der FFF-Bewegung (wir können davon ausgehen, dass dieses Thema auch außerhalb präsent sein wird) – sollte es klare Aufgabe der Kommunisten sein, gegen die CO2-Steuer und andere Maßnahmen, die auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung abgewälzt werden sollen zu argumentieren und ggfs. Proteste in diese Richtung zu kanalisieren. Gleichzeitig muss aufgezeigt werden sollen, dass das Kapital die Kosten zu tragen hat, denn dies ist der Hauptverursacher. Der Text der Genossen Spanidis et al. hatte hierzu einige grundlegende Beispiele erwähnt. Beispielsweise hatte eine Studie des „NABU“ (Naturschutzbund) gezeigt, dass nur 15 Containerschiffe so viel CO2 produzieren wie 780 Mio. Autos (Quelle: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/verkehr/140623-nabu-hintergrundpapier_containerschifftransporte.pdf ). Wir können davon ausgehen, dass Deutschland als imperialistisches Zentrum und „Exportweltmeister“ hier sicherlich seine Hände im Spiel hat, also das Deutsche Kapital Miteigentümer ist. Freihandelsabkommen und weitere Profitmaximierung werden dieses Problem sicherlich vergrößern und ärmere Länder zunehmend in die Abhängigkeit treiben. Gerade die imperialistischen Mächte und damit die Bourgeoisie sind hauptverantwortlich für die größte Umweltverschmutzung und nicht der Konsument und schon gar nicht die Entwicklungsländer.
  • Imperialismus geht auch immer mit Krieg einher, zunehmende Rüstung und Konfrontationen mit Russland und China dienen den Interessen der deutschen Bourgeoisie. Durch CO2-Steuer lassen sich, wie durch andere Steuererhöhungen, Kriege und Aufrüstung im Interesse des Kapitals zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung finanzieren. Dem Klima wäre damit auch nicht geholfen. Eine konsequente antiimperialistische Friedenspolitik halte ich für wichtig.
  • Der Individualverkehr im Kapitalismus ist eine Katastrophe. Mit dem veralteten Fortbewegungsmittel Auto kann heute in den Großstädten kein Massenverkehr mehr aufrechterhalten werden. In den Staus bewegt sich eben nichts, völlig egal ob mit Diesel oder mit Elektromotor. Gleichzeitig ist der öffentliche Nah- und Fernverkehr ebenso desaströs, dass viele auf ihren PKW angewiesen sind. In der Automobilindustrie erleben wir in Deutschland seinen Niedergang, ob bei Opel, Daimler, Audi oder den Zulieferern werden tausende Arbeitsplätze gestrichen. In der Chemieindustrie sieht es so ähnlich aus, zum einen verpesten sie die Umwelt und gleichzeitig bauen sie tausende von Stellen ab. Wie können Kommunisten diesen Widerspruch zwischen Erhalt der Arbeitsplätze auf der einen Seite und Kampf gegen Umweltverschmutzung auf der anderen lösen? In der Betriebsarbeit sollte verdeutlicht werden, dass egal welchen Weg die Bourgeoisie einschlägt, diese niemals die Interessen der Arbeiterklasse vertreten können. Der Kampf um den Erhalt der verbliebenen Arbeitsplätze durch Betriebsräte, Streiks und andere Formen des Arbeitskampfes ist nur der erste Schritt von vielen Kämpfen. Der entscheidende Aspekt muss die Machtfrage sein, da die Zeit längst reif ist für die Enteignung der Monopolbetriebe. Dies wäre die Aufgabe der Kommunisten in den Betrieben. Denn nur durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel lassen sich nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern die Wirtschaft im Interesse der arbeitenden Menschen rational planen, womit ein menschenwürdiges Leben erst möglich wird; dies käme auch der Umwelt und dem Klima zugute (z. B. durch Ausbau des öffentlichen Verkehrs). Natürlich sind wir Kommunisten in der BRD weit davon entfernt so stark in den Betrieben verankert zu sein, doch auch hier müssen die Kämpfe geführt werden.

Diese groben Beispiele, die noch weiterer Konkretisierung bedürfen, zeigen, dass der „Aspekt“ des Klimas auch in die Klassenkämpfe mit einbezogen werden kann. Man merkt aber, dass der Klimawandel hierbei nicht im Vordergrund steht, sondern in die Klassenkämpfe miteinbezogen wird. Da dieses Thema aktuell „in Mode ist“ und es wahrscheinlich noch über einige Zeit sein wird, können diese Argumente gebracht werden; d. h. der Klimawandel ist eine Realität, die Schuld liegt aber nicht beim Verbraucher, sondern in der kapitalistischen Produktionsweise und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel kann als erster Schritt verstanden werden, das „Problem Klimawandel“ überhaupt sinnvoll zu lösen.

Nun schreiben aber Kissel et al., dass der Klimawandel auch im Rahmen des Kapitalismus lösbar sei und der Sozialismus nicht automatisch ein „Heilsversprechen“ darstelle. Ich halte diese Ansicht in mehreren Punkten für problematisch:

Sicherlich vermag es der Kapitalismus auf bestimmte Probleme zu reagieren, jedoch maximal nur kurzfristig. Die Anarchie der kapitalistischen Produktion erlaubt es nicht, Probleme, seien sie nun gesellschaftlich oder ökologisch, langfristig und vor allem rational zu lösen – siehe CO2-Steuer. Sicherlich führt der Klimawandel als solcher nicht zum Weltuntergang, verbunden mit der kapitalistischen Produktionsweise wird er jedoch bestehende Probleme verschärfen.

Natürlich ist der Sozialismus auch kein „Heilsversprechen“, dennoch liefert er Möglichkeiten (und lieferte sie auch historisch) „klimaschonender“ zu Wirtschaften.

Sicherlich wird ein sozialistischer Staat noch lange Zeit auf fossile Energieträger angewiesen sein. Gleichzeitig bestehen aber die Möglichkeiten die Forschung in andere Energieressourcen (neben den „erneuerbaren Energien“ auch die Kern- und Fusionskraft) zu fördern. Weiterhin bestehen auch technische Möglichkeiten CO2 und andere Treibhausgase „einzufangen“ und für andere Bereiche zu recyceln (z. B. für Gewächshäuser), sodass Treibhausemissionen sinnvoller eingesetzt werden können.

Natürlich wird ein sozialistisches Deutschland, vor allem wenn es noch isoliert ist, stark auf Rüstungsindustrie setzen müssen, um die Revolution zu verteidigen. Gleichzeitig wird es aber keine Angriffskriege aus Profitinteresse führen. Ein Großteil der Umweltzerstörung ist auf solche Raubkriege zurückzuführen. Ein anderer Aspekt ist die rücksichtslose ökonomische Ausbeutung anderer Länder.

Der Sozialismus setzt auf öffentliche Verkehrsmittel statt auf Privatautos, ein Ausbau dieser wird die Emissionen ebenfalls reduzieren.

Die sozialistische Ökonomie vermeidet eine Ressourcenverschwendung, wodurch viele Produkte länger halten und nicht weggeworfen werden. Die sozialistische Landwirtschaft wird umgestaltet, sodass Lebensmittel hauptsächlich vor Ort produziert werden und keine unnötig weiten Transportwege haben; Lebensmittel werden auch nicht aufgrund von Überproduktionskrisen vernichtet. Die Wunschvorstellungen der Öko-Bewegung regional einzukaufen und möglichst auf Müll wie Plastikverpackungen zu verzichten war im Sozialismus gelebte Praxis.

Die Liste ließe sich noch fortsetzen und sicherlich wäre hierzu ein historischer Beitrag interessant, der aufzeigt wie solche Probleme in der DDR, der Sowjetunion oder in anderen sozialistischen Ländern behandelt und gelöst wurden.

Nein der Sozialismus ist kein „Heilsversprechen“, er ist aber die einzige Alternative diese „Klimaprobleme“ potentiell zu lösen – selbst bei allen vorhandenen Schwierigkeiten. Denn der Klimawandel ist für den Sozialismus kein Weltuntergang oder unlösbares Problem, sondern eine prinzipiell machbare Herausforderung.

Wohlstand für immer? Zum „Schwarzen Freitag“ 1929

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Heute vor genau 90 Jahren, am 25. Oktober 1929 krachte es gewaltig an der Wallstreet in New York. Dieser Tag, auch als „Schwarzen Freitag“ in die Geschichte eingegangen, markierte den Beginn einer Wirtschafts- und Finanzkrise, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte.

Die Folgen dieser Wirtschaftskrise sind uns bis heute im Gedächtnis: Eine massive Verelendung weiter Teile der Arbeiterklasse weltweit, ein Aufflammen der Reaktion und der faschistischen Bewegungen überall in Europa und den USA und letztlich der einzige Ausweg aus der Krise für die Herrschenden aller kapitalistischer Länder: Der 2. Weltkrieg markiert für die Menschheit das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte, für die Kapitalisten war er jedoch der Heilsbringer, der Anschub, der die kapitalistische Maschinerie auf Kosten von Millionen Opfern wieder zum Laufen brachte.

Alles Gerede davon, dass die Weltwirtschaftskrise überraschend kam, soll die Wahrheit nur verschleiern: Regelmäßige Wirtschaftskrisen, also Überproduktionskrisen, sind notwendiger Bestandteil des Kapitalismus. Auch solch schwere Krisen wie 1929 sind keineswegs Vergangenheit. Das hat spätestens die Weltwirtschaftskrise von 2008 gezeigt. Aufgrund der Widersprüche der kapitalistischen Produktion kann es keinen stabilen Kapitalismus geben. Im Rahmen des Klärungsprozesses werden wir uns mit den vielfältigen Erscheinungsformen der kapitalistischen Krise befassen – insbesondere auch, um die Krise von 2008 tiefer zu durchdringen und die aktuellen ökonomischen Entwicklungen und das Anbahnen einer neuen Krise besser einschätzen zu können.

Bereits Karl Marx erkannte die Regelmäßigkeit der Krisen im Kapitalismus. Ganz in seinem Sinne und gestützt auf die jeweils aktuellsten Wirtschaftsdaten beschäftigten sich die Ökonomen der Kommunistischen Internationale seit ihrer Gründung 1919 mit der Entwicklung der Weltwirtschaft. Sie erkannten schon frühzeitig, dass eine neue Krise im Anmarsch ist und benannten diese Erkenntnis in ihren Publikationen. Doch nicht nur über die bevorstehende Krise konnten sie etwas aussagen – auch ihre Konsequenzen sagten sie mit erstaunlicher Genauigkeit voraus. Nicht jedes Detail ist so eingetroffen, wie es insbesondere Eugen Varga, Chefökonom der Kommunistischen Internationale in seinen ökonomischen Vierteljahresberichten vorausgesagt hat. Aber die allgemeinen Entwicklungen wurden von ihm treffend benannt. Die Krise verschärfte die Widersprüche im Kapitalismus – unter den Monopolen und den imperialistischen Mächten ebenso, wie zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. Diese Verschärfung führte zu Krieg, sowohl zwischen den imperialistischen Mächten wie mit dem Angriff des deutschen Imperialismus auf Polen 1939 geschehen.

Sie brachte aber auch Krieg gegen die Arbeiterklasse und das Herz der Revolution, die Sowjetunion hervor: Der Angriff der Faschisten auf die Sowjetunion 1941. Denn die Sowjetunion war der Bourgeoisie weltweit ein Dorn im Auge. Ein riesiger Teil der Welt war aus dem kapitalistischen System herausgebrochen, wurde von der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht erfasst und zeigen eine nie dagewesene Geschwindigkeit bei der Entfaltung der Produktivkräfte, beim Aufbau der Industrie. Eugen Varga schätzte ein, dass es in der Folge der Krise und der Schwierigkeiten für die Herrschenden, einen Ausweg aus ihr zu finden, auch eine Periode der Revolutionen geben würde. Zweifelsohne bestand eine solche revolutionäre Situation, in der „die Oben nicht mehr können und die Unten nicht mehr wollen“, in verschiedenen Ländern am Ende des Krieges. Welche Maßnahmen die Kommunisten dieser Länder in der gegebenen Situation ergriffen, kann hier nicht Gegenstand der Diskussion sein – damit beschäftigt sich auch unser Klärungsprozess, einsehbar auf unserem BolscheWiki.

Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Abschnitt aus Eugen Vargas „Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im 4. Vierteljahr 1929“, veröffentlicht Anfang 1930 in der Internationalen Pressekorrespondenz, der Wochenzeitung der Kommunistischen Internationale. Der Text soll helfen, ein Verständnis der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu entwickeln. Hier als pdf:

Abschnitt I aus dem Text „Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im 4. Vierteljahr 1929“ von Eugen Varga, veröffentlicht in der Internationalen Pressekorrespondenz, Berlin 1930

Wohin die Reise geht. Zu den Landtagswahlen in Thüringen

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Der Text als pdf

Nach den „Schicksalswahlen“ von Sachsen und Brandenburg – bei denen sich letztlich doch nicht so viel getan hat – stellt sich nun in Thüringen die Frage: „Sozialismus oder Barbarei“. Zumindest scheint es so, wenn man die aktuelle Berichterstattung betrachtet. Auf der einen Seite steht die von Bodo Ramelow geführte Rot-Rot-Grüne Landesregierung aus der Partei Die Linke, SPD und Grünen. Auf der anderen Seite die von Björn Höcke geführte AfD. Dazwischen scheint nicht viel Platz zu sein. Ein Zustand, den in den letzten Monaten auch die Thüringer CDU schmerzhaft zu spüren bekommen hat. Sind doch die Zeiten, in denen sie in Thüringen allein regieren konnte, schon lang vorbei. Tatsächlich muss die CDU nun darum kämpfen in der Wählergunst nicht hinter Die Linke und die AfD auf Platz drei zu rutschen. Und die FDP? Die kämpft um die 5 % Hürde und könnte dabei tatsächlich zum Stolperstein für Rot-Rot-Grün werden. Doch was ist dran am Gerede vom drohenden Sozialismus, Faschismus, der Spaltung der Gesellschaft?

Rot-Rot-Grüner Sozialismus?

Tatsächlich haben nach der Wahl 2014 viele Menschen große Hoffnungen in die neue Landesregierung gesetzt. Immerhin wurde mit Bodo Ramelow zum ersten Mal ein „linker“ zum Ministerpräsidenten (MP) gewählt – der zudem auch noch eine Vergangenheit als Gewerkschafter hat. Auch im Wahlkampf 2019 setzt Die Linke deshalb voll auf ihren „linken MP“. Auf Plakaten ist nicht einmal der Parteiname abgedruckt – lediglich Ramelow schaut in die Ferne und zu lesen sind Sprüche wie: „Willkommen in Thüringen“ oder „Wohin die Reise geht“. Ramelow stilisiert sich als Staatsmann und Die Linke als die Partei des kleinen Mannes. Politische Inhalte finden kaum einen Platz in diesem Wahlkampf – auch aufgrund der hohen Zustimmungswerte für „Ihren“ MP stellt Die Linke Ramelow in den Mittelpunkt und scheint damit Erfolg zu haben, wie die aktuellen Umfragewerte zeigen.

Ein Blick in die Geschichte Ramelows verrät allerdings, dass seine Politik nicht gerade die eines Vertreters der Interessen der Arbeiterklasse war und ist. So wirkte der 1990 aus Hessen nach Thüringen gekommene Gewerkschaftssekretär, als Landesvorsitzender der HBV (heute: ver.di) aktiv mit an der Abwicklung des Kaliwerkes Bischofferode durch die Treuhand. Fast 1.000 Kumpel verloren ihren Arbeitsplatz. Von diesem Schlag hat sich die Region bis heute nicht erholt.

In jüngerer Vergangenheit ist Ramelow vor allem dadurch aufgefallen, dass er bspw. die „Wertegemeinschaft NATO“ betont und eine „Veränderung in der Außen- und Verteidigungspolitischen Haltung“ der Partei Die Linke fordert. Er gehört somit maßgeblich zu den Kräften, die Die Linke auf Zustimmungskurs für „mehr Verantwortung in der Welt“ – kurz: Kriegseinsätze – bringen wollen.

Doch wie sieht es realpolitisch in den letzten 5 Jahren in Thüringen aus?

2014 hatten Teile der CDU noch gemeinsam mit der AfD, NPD, freien Kameradschaften und anderen gegen Rot-Rot-Grün demonstriert. Sie einte der Antikommunismus und die Angst vor einer DDR 2.0. Diese Angst konnte Die Linke den mit Fackeln am 09. November aufmarschierenden „Verteidigern der Demokratie“ aber nehmen. Denn in Sachen DDR bezog Die Linke in Thüringen klar Stellung. Grüne und SPD hatten es für eine Koalition zur Bedingung gemacht, dass sich Die Linke dazu bekennt, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Dies fiel der Partei offenbar nicht schwer – sie ging sogar noch weiter und schrieb sich die „Aufarbeitung des DDR-Unrechts“ ganz oben auf die Fahnen. Sie entledigte sich so ihres Erbes als Nachfolgeorganisation der SED und des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden endgültig.

Auch in vielen anderen Bereichen zeigte die „linke“ Landesregierungen ihr wahres Gesicht. Hier ein paar Beispiele: Trotz 2015 verhängten Abschiebestopps wurden in den letzten 5 Jahren nahezu jeden Monat Geflüchtete abgeschoben – „Willkommen in Thüringen“. Das Landesamt für Verfassungsschutz wurde nicht wie im Wahlkampf 2014 angekündigt abgeschafft, sondern bekam in erster Linie einen neuen Namen und neues Personal. In den Thüringer Schulen ist Unterrichtsausfall nach wie vor an der Tagesordnung. Es wurden zwar neue Lehrer eingestellt, damit jedoch lediglich Ersatz für in Ruhestand gehende Lehrer geschaffen. Ansonsten blieb eigentlich alles beim alten: Schuldenbremse, Bekenntnisse zur Sozialpartnerschaft und einem verantwortungsvollen Unternehmertum, Repression gegen Antifaschisten – all das kennen wir in Thüringen auch schon von der CDU.

Von einer linken Regierung hätte man dies nicht erwartet – und das ist auch korrekt. Denn die Rot-Rot-Grüne Landesregierung ist keine linke oder gar sozialistische Regierung. Die Linke tut also gut daran einen Wahlkampf zu führen, in dem die Inhalte in den Hintergrund rücken. Leider regt sich gegen diese Politik aber auch kaum Widerstand von links. Aufgrund der engen persönlichen und politischen Verflechtungen zwischen Regierungsparteien, Gewerkschaften und anderen sozialen Akteuren ist von ihnen kein Widerstand gegen die Rot-Rot-Grüne Politik zu erwarten. Das führt neben den kurzfristigen Folgen einer reaktionären Politik auch langfristig dazu, dass viele Menschen zu Recht ihr Vertrauen in alles was sich „links“ nennt verlieren.

Eine Alternative für Deutschland?

Das Ergebnis dieser Politik ist, dass die Zustimmungswerte für die AfD und Björn Höcke weiter steigen. Denn die AfD greift die Unzufriedenheit der Menschen auf. Sie stellt sich als Partei dar, die das System der „Blockparteien“ durchbrechen will und bezeichnet sich selbst als „Vollender der Wende“. Damit zeigt sie zugleich, wessen Geistes Kind sie ist. Die AfD ist tatsächlich nämlich keine Partei, die gegen das System kämpft, sondern sie ist in diesem System fest verankert. Sie behauptet zwar die „soziale Frage“ wieder neu stellen zu wollen. Letztlich bietet sie uns aber nur den Geflüchteten oder Migranten als Sündenbock. Die Politik der Herrschenden in diesem Land, die Politik des Kapitals, hingegen greift sie nicht an. Stattdessen ist auch sie klar antikommunistisch und volksfeindlich.

Die Thüringer AfD stellt dabei den reaktionärsten Flügel der AfD dar. Höcke behauptet, die „neue soziale Frage“ verlaufe nicht zwischen Oben und Unten, sondern zwischen Innen und Außen. Er könnte falscher nicht liegen. Ähnlich wie schon in der Ideologie der NSDAP wird hier erneut das Bild der Volksgemeinschaft gebraucht, um die tatsächlichen Widersprüche in unserer Gesellschaft zu verschleiern. Während Konzerne weiterhin Rekordprofite einstreichen, sinken die Reallöhne, die Armut nimmt zu und der ökonomische Druck steigt in allen Lebensbereichen. Statt diese Ungerechtigkeiten anzugehen, wollen Höcke und Co. den Druck auf Erwerbslose und Migranten noch erhöhen. Die AfD behauptet, die Ausländer und Flüchtlinge würden uns die Arbeitsplätze wegnehmen und die Sozialkassen plündern. Dies ist und bleibt eine Propagandalüge, um die Schwächsten der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen und die eigentliche Ursache für Arbeitslosigkeit, Lohndruck und Ohnmacht im Nebel zu verhüllen: Nicht die Flüchtlinge sind das Problem, sondern die Kapitalisten, die auf der Jagd nach dem Profit die Belegschaften spalten. Wir sollen uns untereinander bekriegen, während sie ungestört enormen Reichtum einfahren. Diese Verschleierung dient de facto einer Politik im Sinne des Kapitals. Es wird nicht über die Ursachen von Krisen, Kriegen und Ungleichheit geredet. Stattdessen werden Sündenböcke konstruiert und die realen Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit in Kulturkämpfe umgelogen.

Widerstand gegen Rechts?

Alle anderen im Landtag vertretenen Parteien reagieren auf das Erstarken der AfD mit Mobilisationen zu Demonstrationen wie „unteilbar!“ oder Aufrufen „demokratisch zu wählen“. Dafür mobilisieren sie weite Teile des Kultur- und Wissenschaftsbetriebes. An jeder Ecke ist zu lesen, dass eine Stimme für „eine demokratische Partei“ eine Stimme für die Demokratie und gegen die AfD sei. Sie setzen der AfD vor allem einen moralischen Antirassismus entgegen. Das Grundübel – das kapitalistische System – tasten sie selbstverständlich nicht an.

Wir haben aber weder von der AfD noch von den anderen bürgerlichen Parteien etwas zu erwarten. Keine der großen Parteien vertritt unsere Interessen. Die AfD ist aus den bürgerlichen Parteien, wie der CDU hervorgegangen, die jahrelang rechte Politik gemacht haben und Nazis Freiraum gegeben haben. Sollte sie stärkste Partei werden ist ein weiterer Rechtsruck zu befürchten, der negative Folgen für die Arbeiterklasse hat, wie den Abbau demokratischer Rechte. Zum Kampf gegen Nazis und Faschisten streben wir den Zusammenschluss der Kollegen im Betrieb, der Nachbarn im Wohnviertel und der Mitschüler und Studenten an, um sich gemeinsam zu wehren.

Aber was denn sonst?

Für unsere Lage ist die kapitalistische Produktionsweise verantwortlich, welche auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Kapitalisten beruht und die Bedingungen hervorbringt, unter denen wir leiden: Armut, Kriege, Arbeitslosigkeit uvm. Durch die Politik aller bürgerlichen Parteien und den Staat, den sie lenken, wird jene gestützt und geschützt. Das Interesse des bürgerlichen Staates besteht letztendlich darin, optimale Bedingungen für die kapitalistische Produktionsweise zu schaffen. Die Spaltung der Arbeiterklasse ist dabei eine nützliche Methode, um uns Ausgebeutete daran zu hindern, uns zu organisieren und gemeinsam gegen die Ursachen unserer Misere zu kämpfen: Die einen machen Migranten verantwortlich für unsere Lage und lenken uns von den eigentlichen Kämpfen ab, die anderen grenzen sich moralistisch von ihren Klassenbrüdern und –schwestern ab. Diese Spaltung gilt es zu überwinden, sodass wir Schulter an Schulter für die Überwindung des kapitalistischen Systems kämpfen.

Keine Illusionen in das Parlament, trotzdem wählen gehen!

Der Parlamentarismus ist nur eine Form der Herrschaft des Kapitals. In der Republik kann ungeheure Anhäufung von Reichtum bei wenigen und die Ausbeutung von vielen am besten verkleidet werden. Wahlen sind dennoch wichtig, denn sie sind ein Gradmesser des Bewusstseins der Bevölkerung und der politischen Stimmung insgesamt. Wahlenthaltung oder Boykott nutzt den Herrschenden, die mit ihrem Parteien-Spiel ungestört weiter machen können. Kommunisten nutzen das Parlament als Tribüne, um die volksfeindliche Politik zu entlarven und anzuprangern.

Wir dürfen uns von der scheinbaren Demokratie des Parlamentarismus nicht täuschen lassen. Trotzdem sollten wir uns auch nicht einfach davon abwenden. Schließlich richtet sich zur Zeit der Wahl die ganze Aufmerksamkeit auf die politische Entwicklung des Landes. Es ist wichtig zu erkennen, dass gerade in dieser Zeit eine Partei, die wirklich die Interessen der Mehrheit vertritt, die volksfeindliche Politik der andere Parteien anprangern kann. Die Wahl ist eine wichtige Gelegenheit den Parlamentarismus als Instrument zur Durchsetzung der Herrschaft des Kapitals zu entlarven.

Wir rufen dazu auf, die KPD zu wählen, um diese Einsicht in die herrschenden Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen. Die Arbeiterklasse muss sich für ihre Interessen eigenständig organisieren, unabhängig von bürgerlichen Institutionen und Parteien. Um ihr Ziel, den Sturz des Kapitalismus, zu erreichen, braucht die Arbeiterklasse neben der Kommunistischen Partei überall solidarische und aktive Strukturen, mit denen sie handeln kann und nach der Revolution den Sozialismus aufbauen kann. Die Kommunisten sagten zur Wahl 1932: “Wir sagen nicht: Wählt Thälmann, dann habt ihr Brot und Freiheit. Wir sagen, um Brot und Freiheit müsst ihr kämpfen.”

Im Moment gibt es keine starke kommunistische Kraft in Deutschland. Um zu dieser zu gelangen, ist ein Klärungs- und Aufbauprozess notwendig. Wir haben damit begonnen, diesen zu organisieren. Dazu haben wir Programmatische Thesen formuliert, eine Plattform mit dem Namen „BolscheWiki“ für den Klärungsprozess aufgebaut und Thesen zur Arbeit in den Massen beschlossen. Alle Dokumente sind auf dieser Homepage zu finden.

Wir arbeiten mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD, Liste 10) zusammen und haben sie bei der Sammlung der Unterschriften zur Landtagswahl unterstützt. Uns verbindet ein klarer Bezug auf die DDR als größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, die wir gegen alle Angriffe verteidigen, sowie das Ringen gegen Aufweichungen des Marxismus-Leninismus und das Streben nach Klärung auf wissenschaftlicher Grundlage. Die KPD ist eine kleine Partei und sie wird nicht in den Landtag kommen, dennoch rufen wir zur Wahl der KPD auf. Denn es ist eine gute Möglichkeit, Protest gegen die arbeiter- und volksfeindliche Politik aller Parteien und zugleich gegen die Hetzer und Spalter von rechts auszudrücken. Die Stimme für die KPD ist deshalb nicht verloren, weil sie den Herrschenden zeigt, dass es Menschen gibt, die verstanden haben, dass wirklicher Protest und Widerstand gegen sie kommunistisch sein muss.

Deine Stimme gegen die herrschende Politik!

Deine Stimme gegen Rechts!

Deine Stimme für die KPD!

Die Natur ist unser unorganischer Leib, von dem wir leben – sie ist großartig, aber die Geschichte scheint mir doch großartiger als die Natur

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Beitrag zur Diskussionstribüne Klima&Kapitalismus – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Der Text als pdf

Ein Gastbeitrag von Oskar Kirsch

Liebe Genossen und Genossinnen,

Klarheit in jeglicher Hinsicht schadet nie. Allerdings wäre darüber nachzudenken, ob man sich mit dem Klima-Thema nicht gerade von den Lohnschreibern des Kapitals wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf treiben lässt und nächste Praxisschritte und ihre Prämissen deshalb drohen vorübergehend in den Hintergrund zu treten (sogar, wenn man diese Gefahr selbst dabei thematisiert). Dennoch will auch ich meinen Beitrag zur Klärung versuchen zu leisten:

I. Natur in der Urgesellschaft (Urkommunismus)

Philipp, Klara und David (PKD) argumentieren richtigerweise, dass am Anfang einer Klärung eine möglichst zutreffende Begriffsbildung als Widerspiegelung vergangener und zukünftiger Praxis stehen muss. Sie beginnen bei dem Begriff „Natur“ und seiner Widerspiegelung bei den Menschen der Urgesellschaft. Dort heißt es: „Die Natur ist nichts Statisches, auch gibt es keinen Idealzustand. Die Natur befindet sich in einem stetigen Wandel, Veränderung ist der Normalzustand. Es gibt genauso wenig einen gleichbleibenden Kreislauf oder ein Gleichgewicht. Solche Vorstellungen sind historisch entstanden, weil der Mensch z.B. unter bestimmten natürlichen Bedingungen besser leben und arbeiten konnte und weil sein Gesichtskreis noch beengt war auf die Zeit, die er selbst erfassen konnte. So kam es, dass der Mensch das Wiederkehren der Jahreszeiten, Tag/Nacht etc. als Kreislauf wahrnahm. Erst später wurde erkannt, dass es sich hier nur um relative Größen [handelt] und wenn [es] überhaupt so etwas wie Zyklen, dann diese nur spiralförmig gibt, also in Entwicklung begriffen.“ Dem ist insoweit zu widersprechen, dass selbst in den frühesten bekannten kulturellen Erzeugnissen ein Verständnis der Entwicklungsförmigkeit der Umgebungszyklizität enthalten zu sein scheint – beispielsweise in unterschiedlich großen Tier- und später Menschenabbildungen innerhalb einer Zeichnung an Höhlenwänden. Die Vorstellung von Entwicklungslosigkeit würde stattdessen sehr wahrscheinlich eine Gleichförmigkeit der Abbildungen innerhalb der jeweilig abgebildeten Art zur Folge haben. Sicher kann man an dieser Stelle über den Zeitraum des Übergangs vom Tier zum Menschen streiten, aber wenn man vom „Menschen“ allgemein spricht, ihm eine Form der vollständig statischen Realitätswiderspiegelung unterstellt und diese zu späteren Gesellschaftsformationen abgrenzt, kann man nur die Menschen der Urgesellschaft meinen, die in dieser Vorstellung dann aber stark unterschätzt werden. Das ist an dieser Stelle auch nicht weiter verwunderlich, da das Argument offensichtlich die Funktion erfüllen soll, heute lebenden Menschen zu unterstellen, sie würden ein angeblich vollkommen statisches Naturverständnis ihr eigen nennen, wenn sie in Bezug auf das Klima Begriffe wie „Kreislauf“ oder „Gleichgewicht“ (und später im Text noch: „Harmonien“) nutzten. Als Beweis dient dann eine menschheitsgeschichtliche Stufe, die fast noch gar nicht menschlich genannt werden kann. Deshalb zeigt sich in diesem nicht zutreffenden Vergleich nun vielmehr ein gewisses Unverständnis gegenüber Menschen, die als Teil eines erfüllten Lebens ein „Gleichgewicht“ in Lebens“kreisläufen“ und „Harmonie“ anstreben. Harmonien sind aber zuerst einmal Einheiten von Gegensätzen – besonders bekannt aus der Musik und dort sowie darüber hinaus als Gleichklang unterschiedlicher Töne, Handlungen, Empfindungen und Gedanken. Überträgt man dieses Bild nun auf den Menschen und seine ihn umgebende „Natur“, ist der offensichtliche Kern der Harmonie-Vorstellung eine gesunde körperlich-geistige Entwicklung im Stoffwechsel-Prozess mit Luft, Wasser, Bodenerde, Pflanzen und Tieren – eine Keimform eines Ideals, was im Sozialismus/Kommunismus seine positive Entsprechung hat, ebenso wie die bekannte Achtung von Urgesellschaftsvölkern vor Tieren und Pflanzen: im Sozialismus/Kommunismus dann als Respekt vor der gemeinsamen Lebenswelt und ihre Pflege.

Dass, wie PKD implizieren, es bei bürgerlichen Ideologieproduzenten den Missbrauch dieser Keimform als „harmonische Natur“, getrennt von der Gesellschaft, gibt und damit die Menschheit zum „die Natur“ störenden und besser schnell ableben sollenden Störenfried erklärt wird – was sich immer gegen die Ausgebeuteten richtet – ist sicher richtig, verfehlt aber den springenden Punkt, dass die kommunistische Bewegung diese klassenharmonisierende Position bisher zu wenig von einem positiv in den Lebensinteressen der Arbeiterklasse gründenden Standpunkt aus angreifen konnte – ein hinreichender Grund für die Bearbeitung dieses Problems auf dieser Tribüne. Und dabei meine ich nicht, wie Thanasis, Jakob, Ernesto und Hans (TJEH) schreiben: „Wälder, Wiesen, Seen, Meere, Gebirge usw. sind das, was Landschaften schön macht. Die Existenz einer schönen Natur erhöht für den Menschen bereits an sich enorm die Lebensqualität, als Rückzugsraum vom Lärm und der Verschmutzung der Städte sowie dem Alltagsstress. Man kann sich durchaus die Frage stellen, wie lebenswert eine Welt ohne Blumenwiesen, saubere Gewässer, Wälder oder wilde Tiere wäre.“ Denn dieser Vorstellung ist einerseits entgegen zu halten, dass die sozialistische/kommunistische Stadtentwicklung die Aufhebung der Trennung von Wohn-, Arbeits- und Grünflächen anstreben wird und andererseits, dass „Blumenwiesen … Wälder und wilde Tiere“, ohne die die Welt nicht „lebenswert“ sein können würde, schon recht stark an die von PKD kritisierte „Natur-Romantisierung“ erinnert, die bekanntlich nach Peter Hacks von englischen Spionen gegen die Französische Revolution in Deutschland verbreitet wurde und deren Autoren die Kriterien erfüllten, „die englische Literatur zu lesen, Opium zu verzehren, sexuell von patriotischen Groupies betreut zu werden und Karl Justus Gruner zum Führungsoffizier zu haben“ (Zur Romantik, 54). Womit wir bei den Klassengesellschaften angelangt wären.

II. Natur in der Klassengesellschaft (bis zum Kapitalismus)

PKD stellen zur näheren Klärung der Entwicklung des „Verhältnis Mensch-Natur“ in Klassengesellschaften die These auf, dass sich dort das „Interesse der Allgemeinheit (somit auch das der Gattung Mensch) von den Interessen der herrschenden Klasse abspalten

würde. Dies ist offensichtlich ein Irrtum, da das Interesse der herrschenden Klassen nie im Allgemeininteresse einer sich allseitig kooperativ und gesund entfaltenden Menschheit enthalten war und sich somit auch nicht „abspalten“ kann. Hier fand vielmehr eine teilweise Verwischung des Klassengegensatzes von Ausbeutern und Ausgebeuteten statt. Kurz darauf äußern PKD: „Weil aber mit der kapitalistischen Produktionsweise eine massive Produktivkraftentwicklung einhergeht, wird erst hierdurch die Abhängigkeit des Menschen von der Natur in einem allumfassenden Maße relativiert. Das ist für den Menschen – allgemein betrachtet oder potentiell – positiv. Es gibt die Möglichkeit, Hunger, Kälte, Krankheiten und vieles mehr zu überwinden.“ Weder „allgemein betrachtet“ noch „potentiell“ ist die Produktivkraftentwicklung für „den Menschen“ „positiv“, da sie mit dem Blut und der ausgesaugten Lebenskraft der Ausgebeuteten verwirklicht wird. Sie ist einzig und allein „positiv“ für die Ausbeuter, da „die Möglichkeit, Hunger, Kälte, Krankheiten und vieles mehr zu überwinden“, kein „[Potential] menschlicher Produktivkraft“ im Kapitalismus ist, sondern nur als Ergebnis des weltweiten Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat der Bourgeoisie und ihren Agenten abgetrotzt wird. Zum verwirklichbaren (also nicht idealistisch behauptetem) Potential wird die Produktivkraftentwicklung erst im Sozialismus/Kommunismus. Selbiges gilt für alle vorher dagewesen Klassengesellschaften. Deshalb ist PKD auch zu widersprechen, wenn sie schreiben: „Klassengesellschaften sind keine absolute Negation der schöpferischen Entwicklung der menschlichen Gattung. So wie es möglich war, die Luftverschmutzung, das verseuchte Wasser und andere Dinge wieder in den Griff zu bekommen, sind auch viele weitere schöpferische Lösungen möglich, auch im Kapitalismus.“ Eine „schöpferische Entwicklung“ in einer Klassengesellschaft findet, wenn sie nicht die Abschaffung aller Klassen zur Grundlage hat, immer im Dienste der einen oder anderen (oder: der alten oder der neuen) Ausbeuter statt. Dies ist eine „absolute Negation der schöpferischen Entwicklung der menschlichen Gattung“, da jede Schöpfung ob unmittelbar oder indirekt von den Ausbeutern für ihre Zwecke missbraucht wird, womit jede Befriedigung eines Lebensbedürfnisses der Ausgebeuteten in letzter Instanz durch ihren Tod und Verfall gegen sie gekehrt wird – von Generation zu Generation weitergereicht. Diese Tatsache ist auch der Grund für die stetig steigenden Seelenqualen (oder wie man sonst den eigenen als relativ stabil empfundenen Kern der Persönlichkeit an Stelle von „Seele“ nennen möchte) der Ausgebeuteten – ob durch den Zwang, von sinnstiftender Arbeit als produktivem Beitrag zur gesellschaftlichen Lebenssicherung ausgeschlossen zu sein oder durch körperliche wie nervliche Verausgabung und Verzweiflung, bis hin zur Selbsttötung. Somit gibt es einfach keinen Grund für die Arbeiterklasse, ihre natürlichen Lebensgrundlagen über ihren eigenen Tod hinaus zu erhalten, wenn sie nur die Aussicht hat, ihre eigene elende Lage zu reproduzieren und diese an ihre Kinder weiterzugeben. Deshalb irren sich PKD ebenfalls, wenn sie schreiben: „Auf der einen Seite haben wir es mit einer massiven und zunehmenden Verelendung, auf der anderen Seite mit einer ständigen Verbesserung der Lebensbedingungen zu tun. Der Mensch lebt heute viel gesünder, länger und kann sich mehr entfalten als in allen vorherigen Gesellschaftsformationen … Die Entwicklung der Produktivkraft führt eben auch zu einer relativen Verbesserung des Lebens der Massen, weil es entweder zeitweise profitabel ist oder einfach als ein Nebeneffekt der Produktion.“ Seit Beginn der Klassengesellschaften findet eine zunehmende relative und absolute Verelendung der Ausgebeuteten statt. Es existiert kein „Nebeneffekt der Produktion“, der zu einer „relativen Verbesserung des Lebens der Massen“ führt und erst recht lebt „der Mensch“ heute nicht „viel gesünder, länger und kann sich mehr entfalten als in allen vorherigen Gesellschaftsformationen“. Stattdessen werden in der Formulierung „der Mensch“, in dieser Weise angewandt auf Klassengesellschaften, fortgesetzt die Klassengegensätze verwischt. Dazu kann auch „Entfaltung“ immer nur in Nutzung des von der Menschheit geschaffenen Reichtums und durch die Entwicklung einer adäquaten Realitätswiderspiegelung stattfinden – also nicht in absoluter, nicht in relativer und erst recht nicht in geistiger Armut (oder Abstumpfung oder tiefer Verwirrung). Also kann von mehr Entfaltung in diesem Sinne weder heute noch in den letzten 6.000 Jahren die Rede sein, selbst wenn die Produktivkraftfortschritte gewaltig und, als Produkte der Arbeit und Anstrengung der Ausgebeuteten gesehen, großartig waren und weiter sind. Die Konsequenzen von PKD aus dieser verharmlosend erscheinenden Sichtweise auf die Geschichte der Klassenkämpfe sind dem entsprechend – trotz ihrer vielen, richtige Punkte treffenden kulturellen, sozialen und politischen Kennzeichnungen der „Umweltbewegung“ – ebenfalls eher beschwichtigend: „Wir werden nicht in Panik geraten“; „Es ist uns bewusst, dass es für uns aufgrund unserer Haltung zu diesem Thema einfacher ist, ruhig zu bleiben, da wir vom allgegenwärtigen Alarmismus nicht erfasst sind. Es ist aber auch und gerade in Notsituationen angeraten, Ruhe zu bewahren“; „[man] muss der Arbeiterklasse auch erklären, dass es bis 2030 nicht möglich sein wird, sozialistische Verhältnisse einzuführen, schon mal gar nicht weltweit“; „Wir schlagen vor, dass die Arbeiterklasse zuerst den Charakter der gesellschaftlichen Bewegung und Verhältnisse, der dahinterliegenden Klasseninteressen erkennen muss und also die Panik anderen überlassen sollte“. Gleichzeitig sind auch leichte Ansätze eines linken Radikalismus herauslesbar, wenn PKD schreiben, dass „der Sturz des kapitalistischen Staates nur durch eine organisierte Partei der Arbeiterklasse und mit Gewalt bewerkstelligt werden kann“. Den Sturz führt die Arbeiterklasse, also heute mindestens in der BRD: die große Mehrheit des Volkes, selbst durch – unter Führung der kommunistischen Partei. Und Gewalt kommt nur als präventive Selbstverteidigung zum Einsatz – zum Schutz der Arbeiter und ihrer Führer vor der zu erwartenden Reaktion. Dass in einer solchen Situation nun notwendig würde, bestimmte Energieformen vorzuhalten, auf die man im Falle des Umstellens auf erneuerbare Energien verzichten müsste, erscheint mir etwas weit hergeholt. Höchstwahrscheinlich werden Panzer, Kampfschiffe und -flieger noch lange mit Benzin laufen, ja, aber der springende Punkt ist dabei, dass es gelingt, die Mehrheit der Soldaten davon zu überzeugen, im Falle einer volksherrschaftsfeindlichen Anweisung, dass sie auf demonstrierende Arbeiter schießen sollen, diesen Befehl zu verweigern – was im Angesicht der, sogar im aktuellen bürgerlichen Klassenrecht der BRD verankerten Option für Soldaten dies zu tun, heute zumindest bessere Grundlagen als vor 1945 hat und die recht offen interpretierbare Formulierung „nur … mit Gewalt bewerkstelligt werden kann“ präzisieren und gegen linken Radikalismus abgrenzen würde.

Die Kombination aus kurzfristiger Beschwichtigung und mittelfristigem Radikalismus lässt sich wohl am ehesten so deuten, dass PKD (zumindest so wie sie es in diesem Papier äußern) weniger Hoffnung in eine dynamische Bewusstseinsbildung und organisierte Praxis der Arbeiterklasse haben, als real aus den historischen Erfahrungen der Rebellionen der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker heraus ableitbar wäre. Das wird aber auf verängstigte Arbeiter wenig überzeugend wirken, da die ausgelöste Angst in Bezug auf die Zerstörung der weltweiten Lebensgrundlagen und Kriege ja nicht primär in der exakt berechneten (oder verharmlosten) Wahrscheinlichkeit dieser Ereignisse liegt, sondern in der Tatsache, dass der größte Teil der Menschheit (wovon sie Teil sind) von der Kontrolle über die gesellschaftliche Entwicklung und damit auch der Sicherung der gemeinsamen Lebensgrundlagen vollständig ausgeschlossen ist – demgegenüber eine geäußerte mittelfristige Umsturzhoffnung in Kombination mit der skizzierten kurzfristigen Beschwichtigung selbst den Charakter einer erlösenden Heilsvorstellung hätte, den PKD zu Recht kritisieren. Insoweit wäre stattdessen die emotionale Energie eines solch intensiven Gefühls wie Panik auf seinen lebendigen Kern der empfundenen Einflusslosigkeit hin zu befragen, um den Betroffenen damit die Möglichkeit zu geben, mit der gleichen Energie der Situation angemessenere Handlungen zu entwickeln. Deshalb ist PKDs Schlusspointenteil, dass die Arbeiterklasse „sich organisieren muss, um die Angriffe gegen sie abzuwehren – sei es die CO2-Steuer, Rationalisierung auf ihre Kosten oder die ideologischen Angriffe in Form von Verzichtsappellen und autoritären, sozialchauvinistischen Ideologien“, zuzustimmen. Genauso wie TJEHs Zwischenpointe, dafür die Grünen „zu bekämpfen, auch indem man ihre Heuchelei und den Bankrott ihrer Umweltpolitik aufzeigt“. Dennoch machen sich weder PKD noch TJEH hinreichend an die Arbeit, den Begriff der „Natur“ im Sozialismus/Kommunismus anzureichern, um dies für die kommunistische Bewegung fruchtbar zu machen und in Gesprächen mit Arbeitern über das Klima die bürgerlichen Klassenharmoniepositionen von einem in dieser Hinsicht entwickelteren, positiv in den Lebensinteressen der Arbeiterklasse gründenden, Standpunkt aus angreifen zu können – insbesondere vor dem Hintergrund, dass keine der beiden Autorengruppen für einen Organisierungsfokus auf „Umweltthemen“ argumentiert und die konkrete Praxisveränderung durch die Diskussionstribüne zu Klima&Kapitalismus somit nur in der ideologischen Klärung für Diskussionen liegen kann. Dabei sind TJEHs Aufzählungen von möglichen politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen und Auseinandersetzungen zum Klima auf dem Weg zum Sozialismus keine begrifflichen Anreicherungen, sondern (zwar nicht unbegründete, aber wenig im Kampf entwickelte, sondern mehr anhand historischer Beispiele abgeleitete) Spekulationen, die, wie PKD ebenfalls richtig anmerken, sich als eher lasche Reformen herausstellen oder durch ihre vorgetragene Radikalität nur den Anschein erwecken, sie wären im Kapitalismus verwirklichbar, weshalb man den Sozialismus gar nicht mehr bräuchte. Deshalb müsste TJEHs Appell, „Forderungen und konkrete Standpunkte in der Umweltpolitik zu erarbeiten“, eine solche Begriffsbildung erst zum Ausgangspunkt haben, was hier nun geschehen soll.

III. Natur in der klassenlosen Gesellschaft auf erweiterter Stufenleiter (Sozialismus/Kommunismus)

TJEH nehmen für ihr begriffliches Naturverständnis Marx als Ausgangspunkt: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur.“ (MEW 23, 192).Dabei verweisen sie auch auf seine und Engels Hinweise zur Naturzerstörung in Klassengesellschaften sowie zur Verantwortung die„[Erde] als gute Familienväter den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (MEW 23, 784). Damit ist der Begriff der „Natur“ in allen Gesellschaftsformationen zuerst einmal um die Tatsache des Austauschprozesses mit dem Menschen sowie deren wechselseitige Veränderung angereichert und durch einen sittlichen Appell ergänzt.

Marx hat aber noch weiteres zum Thema der „Natur“ in allen Gesellschaftsformationen beigetragen: „Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Der Mensch lebt von der Natur, heißt: Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um nicht zu sterben. Dass das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen anderen Sinn, als dass die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur“ (MEW 40, 516) und an anderer Stelle: „Durch das Jagen der Stämme wird eine Erdregion erst Jagdrevier; durch den Ackerbau wird die Erde, der Grund und Boden erst zum verlängerten Leib des Individuums …“ (MEW 42, 401). Die Formulierung des „unorganischen Leibes“ ist insoweit bemerkenswert, da die Trennung zwischen Leib und Seele, Körper und Geist, Gedanke und Tat, Denken und Fühlen, Theorie und Praxis sowie Mensch und Natur ein Wesensmerkmal feudaler und bürgerlicher Klassenherrschaftsideologie und ihrer Legitimation ist: die emotionalen, praktisch schaffenden und natürlichen Körper der Ausgebeuteten (am stärksten: die Frauen unter ihnen) im natürlichen und deshalb ewigen Gegensatz zu ihren geistvoll denkenden theoretischen „menschlichen“ Führern, den Ausbeutern. Marx hebt diesen Gegensatz mit seiner Formulierung sprachlich auf und verweist damit bis heute auf mögliche Probleme bei kommunistischen Sichtweisen, die ihre nicht-menschliche Umgebung nicht als ihren „unorganischen Leib“ sehen – beispielsweise das Tappen in Fallstricke bürgerlicher Ideologie und die damit verbundene Entfremdung von der Arbeiterklasse.

Vom Verständnis des „unorganischen Leibes“ ausgehend, äußert er sich an einer Stelle explizit zum Verhältnis des Menschen zur „Natur“ im Sozialismus/Kommunismus: „Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten (frei und bewusst vereinten) Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rational regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und passendsten Bedingungen vollziehen. (MEW 25, 828). Engels äußert sich perspektivisch ähnlich: „Vor allem seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaft in diesem Jahrhundert werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfernteren natürlichen Nachwirkungen wenigstens unserer gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen. Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als Eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen …“ (MEW 20, 453). Und noch zu beider Lebzeiten konkretisiert Bebel diese rational geregelte, gemeinschaftliche Kontrolle: „Die vollste Ausnutzung und umfassendste Anwendung aber wird diese Kraft erst in der sozialisierten Gesellschaft erlangen. Sie wird sowohl als motorische Kraft wie als Licht- und Heizquelle in ungemeinem Maße zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Gesellschaft beitragen. Die Elektrizität zeichnet sich vor jeder anderen Kraft dadurch aus, dass sie in der Natur im Überfluss vorhanden ist. Unsere Wasserläufe, Ebbe und Flut des Meeres, der Wind, das Sonnenlicht liefern ungezählte Pferdekräfte, sobald wir erst ihre volle und zweckmäßige Ausnützung verstehen“ (Die Frau und der Sozialismus, 42). Aufschlussreich sind hierbei drei Dinge: 1. Die vollständig rational regelnde gemeinschaftliche Kontrolle 2. Das Gefühl des Eins-Seins mit der „Natur“ und das Wissen darum 3. Die ausschließliche Nutzung der überall reichlich vorhandenen Wasser-, Wind- und Sonnenkraft zur Stromerzeugung.

Lenin – selbst ein großer Naturliebhaber, der sich lieber einsam in der Natur als in Gesellschaft erholte (LW 37, XXIII) – betont an allen Stellen (aufgrund der Fülle hier nicht zitierbar), dass einzig die Natur die menschliche Erkenntnis- und Arbeitsfähigkeit gebildet und die Auseinandersetzung mit der Natur dieselbe entwickelt hat. Auch Engels verweist ähnlich auf das Anwachsen der menschlichen „Intelligenz“ durch seine Veränderung der „Natur“ (MEW 20, 498) und ist ebenfalls ein Naturfreund: „Die Natur ist großartig, und als Abwechslung von der Bewegung der Geschichte bin ich immer gerne zu ihr zurückgekehrt, aber die Geschichte scheint mir doch großartiger als die Natur“ (MEW 39, 63). Lenin geht aber selbst nicht konkreter auf den Charakter des „unorganischen Leibs“ und sich daraus ergebende Konsequenzen ein. Er hatte auch Wichtigeres zu tun, ebenso wie Stalin. In dessen Werken findet sich wenig substantiell Neues zum Begriff der Natur, bis auf den Satz, dass die Produktivkräfte die „Beziehungen der Menschen zur Natur“ sind (SW 15, 225), womit er in der ihm eigentümlichen praktischen Weise Marx und Lenins Überlegungen auf die gesellschaftliche Produktion in der UdSSR anwendet, um das kommunistische Verständnis des Mensch-Natur-Verhältnisses zu verbreitern. Allerdings schreibt er noch an anderer Stelle: „Es gab eine Zeit, wo die Menschen den Kampf mit der Natur gemeinsam, in der kommunistischen Urgemeinschaft führten, und damals war auch ihr Eigentum ein kommunistisches Eigentum, so dass sie fast gar nicht ‚Mein‘ und ‚Dein‘ unterschieden, ihr Bewusstsein war kommunistisch“ (SW 1, 160). Hier möchte ich nochmal bekräftigend auf die weiter vorn von mir genannte „Harmonie-Vorstellung eine[r] gesunde[n] körperlich-geistige[n] Entwicklung im Stoffwechsel-Prozess mit Luft, Wasser, Bodenerde, Pflanzen und Tieren“ verweisen, welche ebenso wie die „Achtung von Urgesellschaftsvölkern vor Tieren und Pflanzen“ auf erweiterter Stufenleiter „im Sozialismus/Kommunismus seine positive Entsprechung hat“. Hinzu kommt nun noch durch Marx und Engels: das Wissen um das eigene Eins-Sein mit seinem „unorganischen Leib“ sowie um die Naturgesetze und ihre gemeinschaftliche kontrollierte Anwendung.

Fassen wir nun den positiv in den Lebensinteressen der Arbeiterklasse gründenden Standpunkt auf der Basis der Auffassungen von Marx, Engels, Bebel, Lenin und Stalin zusammen: Die urkommunistische Klassenlosigkeit bedeutete auch ein klassenloses Verhältnis zu sich selbst und der einen am Leben erhaltenden Natur. Die Klassengesellschaften haben den Menschen (aller Klassen) seiner Natur als Mensch sowie als ihn umgebenden Leib entfremdet und ihn sich selbst und damit seiner Natur in beiderlei Sinne zum Feind gemacht. Die klassenlose Gesellschaft auf erweiterter Stufenleiter im Sozialismus/Kommunismus hebt diese Entfremdung und Feindschaft wieder auf. Alle Gründe für die unnötige Verschlechterung der Lebens-, Arbeits- und Erholungsbedingungen fallen mit ihrer Quelle. Das Reich der Freiheit wird von den vereint produzierenden, in Technik, Wissenschaft und Forschung voranschreitenden Menschen in großen Schritten erschlossen: Sonnen-, Wind- und Wasserkraft erleben eine heute unvorstellbare Blüte und dienen als nie mehr versiegende Quellen menschlicher Energiegewinnung bis zur Erfindung effektiverer Techniken wie dem Fusionsreaktor und noch dahinter liegenden Technologien. Atmosphäre, Gewässer, Böden, Pflanzen und Tiere werden in zunehmenden Ausmaße vom Menschen steuer- und modifizierbar. Der Mensch wird in seinen kleinsten Bestandteilen und ihren Wechselwirkungen erforscht und sein Leben dadurch und durch die Vertiefung der Bio- und Gentechnologie in ungekanntem Ausmaße verlängerbar gemacht. Die Menschheit revolutioniert wieder und wieder ihr eigenes Sein und damit ihr Bewusstsein – von ihrer gesellschaftlichen Natur wie von ihrem unorganischen Leib.

Um nun die Wege dahin über den Bereich des Klima-Themas zu entwickeln und zu verhindern, dass die gemachten Begriffsbildungen als religiöse Heilsvorstellungen abtubar sind, wären weitere Studien vonnöten: An unsere Klassiker anknüpfend, müssten noch andere besonders prägende Intellektuelle (Wissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten, Politiker, Künstler – auch in Bild und Ton), die das Verhältnis des Menschen zur Natur thematisieren, daraufhin überprüft werden, inwieweit sie zur Bildung des heutigen Massenbewusstseins und damit dessen Begriff von „Natur“ beigetragen haben. Beispielsweise schreibt Zola über einen Bergwerksschacht 1885: „In der Tiefe seiner Höhle aber hockte wie ein böses Tier der Voreux [der Schacht], duckte sich noch mehr und atmete stärker unter anhaltenderem Schnaufen, als sei er verdrossen über seine mühsame Verdauung von Menschenfleisch“ (Germinal, 15). Ein negatives, der vulgärkapitalistischen Ausbeutung entsprechendes, Verhältnis zur bearbeiteten Erde. Dagegen beispielsweise Steinbeck 1939: „Es ist unser Land. Wir haben es vermessen und haben es umgepflügt. Wir sind darauf geboren, und wir sind darauf getötet worden, wir sind darauf gestorben.“ (Früchte des Zorns, 42). Eine zwar immer noch vorsozialistische Vorstellung, aber sichtbar anknüpfend an das kommunistische Bewusstsein der Urgemeinschaft. Beide Schriftsteller waren Sozialismus-Sympathisanten und wurden deshalb auch beispielsweise in der DDR verlegt. Dazu wären zwei weitere, sich aus der Begriffsbildung mindestens ergebende Schritte: die Untersuchung der Natur-verändernden und -schützenden Maßnahmen der UdSSR sowie der DDR (und anderer dafür bekannter sozialistischer Staaten) sowie der gesamten (Negativ-)Geschichte der „Umweltbewegung“, um lebendige Beispiele für die Agitation und die Propaganda in den weiter vorn erwähnten Gesprächen zu haben. Vielleicht ist das Thema dafür aber wirklich (noch) nicht nah genug an der Arbeiterklasse dran, um als Kommunistische Organisation zu diesem Zeitpunkt so viel Zeit darauf zu verwenden.

Die DDR war unser Staat

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Bericht von der Konferenz der KPD zum 70. Jahrestag der Gründung der DDR

Am Wochenende des 5./6. Oktober richtete die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) eine wissenschaftlich-strategische Konferenz zum 70. Jahrestag der Gründung der DDR aus.

Die Konferenz war sehr gut besucht, Eintrittskarten waren komplett ausverkauft.

Die Kommunistische Organisation (KO) nahm zahlreich an der Konferenz teil und beteiligte sich mit Referaten und vielen Diskussionsbeiträgen. Wir haben viel gelernt und einige Ideen gesammelt für die weitere Arbeit, die auf dem Gebiet der Aufarbeitung unserer Geschichte, der Geschichte der DDR, ihrer Errungenschaften wie auch auf dem Gebiet der Niederlagenanalyse, noch geleistet werden müssen.

Das Besondere an dieser Konferenz war das konsequente und konstruktive Herangehen an die eigene Geschichte: Wer den Sozialismus in Deutschland erkämpfen will, muss verstehen, warum er mit der Konterrevolution in der DDR eine große Niederlage erlitten hat. Dass eine DDR-Propaganda, die die Errungenschaften des sozialistischen Staates auf deutschem Boden gegen die herrschende Kommunistenhatz in Stellung bringt, in keinem Widerspruch zur selbstkritischen Aufarbeitung der Fehler in den eigenen Reihen steht, das wurde auf dieser Konferenz durchgehend spürbar und nachvollziehbar gemacht.

Die Referate behandelten Themen wie Arbeitsrecht, Jugend- und Frauenpolitik, Militär-, Bildung, Kulturpolitik, sowie die Kriminalitätsfrage. Weitere Referate beschäftigten sich mit dem Verhältnis zur UDSSR und behandelten Ereignissen wie dem 17. Juni 1953 und den 20. Parteitag der KPdSU vor dem Hintergrund des Revisionismus in der Kommunistischen Weltbewegung. An dieser Frage wurde lebhaft über die Ursachen des Revisionismus diskutiert. Man war sich weitgehend einig, dass es nicht reicht, nur äußere Ursachen für den Revisionismus ausfindig zu machen, sondern auch in den eigenen Reihen Gründe für die Entstehung revisionistischer Positionen zu suchen. Ein Genosse führte aus, dass es häufig die Komplexität der Aufgaben und Herausforderungen in ökonomischen, gesellschaftlichen, wie auch in verteidigungspolitischen Fragen seien, die zu falschen Antworten, kompromisslerischen, opportunistischen Positionen führen können. Das heißt, dass Opportunismus und Revisionismus notwendig aus den Kämpfen resultieren und eine Kommunistische Partei durch laufende Auswertung der Erfahrungen sich den Einfallstoren des Revisionismus bewusst werden muss, um ihr nicht immer wieder zu verfallen und die gleichen Fehler zu machen. Das Studium und die Anwendung des Wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus und das Studium der Geschichte sind dabei das nötige Rüstzeug, um der Gefahr des Revisionismus zu begegnen und diesen erfolgreich zu bekämpfen.

Des Weiteren sind hervorzuheben die Referate, die sich mit der Vorphase der Gründung der DDR, speziell mit der Vereinigung von KPD und SPD, mit dem Neuen Ökonomischen System der Planung und Lenkung der Volkswirtschaft und mit revisionistischen Auffassungen in Theorie und Praxis der DDR-Ökonomie auseinandersetzten. Eine insgesamt lebendige und fruchtbare Diskussion eröffnete Perspektiven für weitere Auseinandersetzungen mit konkreten Fragen, für die es bei dieser Konferenz keinen Raum geben konnte.

Die Veranstaltung, ihre Produktivität und Konstruktivität, das hohe Niveau der Diskussion und der Einblick in die starken theoretischen Kenntnisse, sowie praktischen Erfahrungen vieler Genossen haben gezeigt, wie richtig und wichtig eine freundschaftliche Beziehung zur KPD ist. Auch unser Grußwort spricht diese Sprache:

Grußwort der Kommunistischen Organisation zur Konferenz zum 70. Jahrestag der Gründung der DDR, ausgerichtet von der KPD. Für weitere Beiträge siehe den YouTube-Kanal der KPD unter https://www.youtube.com/user/KIDeutschland/videos

Sowohl bezüglich der welthistorischen Rolle der sozialistischen Staaten, allen voran der DDR als größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, als auch in der Frage des stetigen Kampfes gegen Opportunismus und Revisionismus haben sich unsere geteilten Überzeugungen gezeigt.

In diesem Sinne möchten wir uns bei der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) für die Ausrichtung dieser Konferenz bedanken und alle Interessierten, die nicht an der Konferenz teilnehmen konnten aufrufen, sich das noch erscheinende Protokollband der Konferenz zu besorgen und zu studieren. Wir können nur hoffen, dass diese Konferenz ein erster Aufschlag für die weitere Bearbeitung vieler Fragen sein wird, mit denen wir uns auch im Rahmen des kommunistischen Klärungsprozesses (auf der Plattform BolscheWiki) befassen. Rüsten wir uns für die nächste Runde im Kampf um einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden mit den Erfahrungen aus der DDR.

Auf dem YouTube-Kanal der KPD sind schon jetzt einige Beiträge der Konferenz zu sehen und es kommen noch weitere.

Die PKK und der proletarische Internationalismus

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Diskussionsbeitrag– keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussion)


Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart der PKK

Von Klara Bina

Vorbemerkung zur Kurdenfrage

Der folgende Beitrag soll dazu dienen, einige Fragen in diesem Themenbereich aufzuwerfen und erste Ansätze für eine Positionierung zur PKK abzustecken. Einleitend soll folgendes klargestellt werden:

Die Kurdenfrage ist zu unterscheiden von der Frage der Haltung zur PKK und zu ihren Schwesterorganisationen, genauso wie zu anderen Organisationen in der Region, die für sich in Anspruch nehmen für das kurdischstämmige, kurdischsprachige Volk bzw. Völker in der gesamten Region zu sprechen oder diese gar zu vertreten.

Um die Kurdenfrage wird es in diesem euch vorliegenden Artikel nicht gehen können. Eine historisch-materialistische Untersuchung der Kurdenfrage muss noch geleistet werden. Zurzeit kann nur festgestellt werden, dass es in den vier Nationalstaaten Türkei, Irak, Iran und Syrien unterschiedliche Ausprägungen und Besonderheiten der Bevölkerungsteile gibt, die die kurdische Sprache bzw. kurdische Sprachen sprechen. Ihre Siedlungsgebiete sind weit über die Region zerstreut und teilweise nicht miteinander verbunden. Es sind drei unterschiedliche kurdische Sprachen mit etlichen Dialekten bekannt. Die kurdischen Völker sind weder sprachlich, noch religiös, noch kulturell einheitlich. Die Entwicklung dieser Völker in der Gesamtregion im Rahmen der hier genannten Nationalstaaten haben einen je spezifischen Verlauf genommen. Eine historisch-materialistische Untersuchung ist notwendig, damit geklärt werden kann, ob es sich bei der Kurdenfrage um eine nationale Frage handelt und wenn ja, wie diese aus kommunistischer Perspektive zu beantworten ist. Nationalistische Positionen sind dabei klar abzugrenzen. Versuche über Ländergrenzen und spezifischen Entwicklungen hinweg einen gemeinsamen Ursprung eines bestimmten Volkes auszumachen, wie es von der – anfangs noch von Erdoğan und Gülen gemeinsam angeführten – Osmanisierungs-Bewegung gemacht wurde, sind nicht mit unserem Nationenbegriff vereinbar. Hier wird eine Sprachfamilie (die Turksprachen) als Grundlage für eine nationalistische Bewegung angeführt, die vom Mittelmeer über den Kaukasus bis nach China reichen soll. Ähnlich ist der zionistische Ansatz das Judentum als Volk zu konstruieren, zu werten.

Im Zuge der Entwicklung des Wissenschaftlichen Sozialismus gab es viele politische und theoretische Auseinandersetzungen um die Frage der Nation und die nationalen Selbstbestimmung. Die wohl pointierteste Zusammenfassung der Einsichten aus diesen Debatten ist der folgende Satz von Stalin: „Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart.“ (Stalin 1913) Keine dieser Merkmale kann jedoch von den anderen abgetrennt werden und einzig als Maßstab für die Analyse genommen werden. Nur das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren schweißt sozusagen eine Nation zusammen. Des Weiteren ist der Nationenbegriff ein historischer Begriff, der eng mit der Entwicklung des Nationalstaates zusammenhängt. Für uns Kommunisten münden die Erkenntnisse zur Frage der Nation auch in einen Volksbegriff1, der nicht auf ethnische Identität oder ähnliches reduziert werden kann. Wenn wir Volk sagen, meinen wir damit Popolo, die Leute, die breite Masse. Und die Leute sind die hier auf diesem Land lebenden, arbeitenden und ausgebeuteten Menschen – mehrheitlich wohlgemerkt – ein Teil zeichnet sich durch ihre Klassenstellung dadurch aus, dass ihre Interessen denen der Nation entgegenstehen. Die Leute in einer Nation können sich zwar durch ganz spezielle, ihnen eigene Sprichwörter oder durch einen speziellen Humor mit ihren Unterdrückern im Land besser verständigen, aber was sie gesellschaftlich zusammenbringt, ist die Produktion und Reproduktion des Lebens. Kurzum, die Klassenfrage ist mit unserem Verständnis von Nation sofort gesetzt, es gibt keine davon losgelöste Betrachtung. Versuche die nationale Frage von der Klassenfrage zu lösen, werden häufig mittels Abtrennung bestimmter Merkmale einer Nation, wie z.B. Sprache, vollzogen.

Eine Voraussetzung dafür, dass wir spezifische Fragen wie die Kurdenfrage beantworten können, ist eine begriffliche, grundlegende Klärung in der Frage der Nation. Wie viele andere Fragen, gab und gibt es jedoch hier sehr unterschiedliche Auslegungen, Abweichungen und Neuinterpretationen. Wir sollten uns diesen Fragen im Rahmen des von uns begonnenen kommunistischen Klärungsprozesses (Siehe BolscheWiki) widmen. Sowohl die Frage danach, was eine Nation und demzufolge, was die nationale Frage ist, als auch die Frage, ob die Kurden eine Nation darstellen und demzufolge ihre Kämpfe einen nationalen Kampf um Befreiung sind, sind für uns wichtige Voraussetzungen im Rahmen unserer Verpflichtungen, die sich aus dem proletarischen Internationalismus ergeben.

Die PKK-Solidarität – Welche Relevanz hat das für die kommunistische Bewegung in der BRD?

Hier soll es um die PKK und ihre Schwesterorganisationen gehen und um das Verhältnis linker und kommunistischer Kräfte zu ihr/zu ihnen.

Dazu sei vorab gesagt: wenn hier im Folgenden von den Apoistischen Organisationen die Rede ist, dann sind gleichermaßen die Organisationen in den anderen Ländern gemeint, die unter der gleichen Fahne, mit der gleichen Ideologie, mit den gleichen Medien, mit den gleichen Farben auf ihren Fahnen und mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan, mit den gleichen politischen Parolen ihre Arbeit tun. Zu diesen Organisationen gehören: in der Türkei die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), in Syrien die PYD (Partei der Demokratischen Union), im Iran PJAK (Partei für ein freies Leben in Kurdistan) und im Irak PCDK (Partei für eine politische Lösung in Kurdistan). Sie alle vertreten die gleiche strategische Orientierung, den so genannten „Demokratischen Konföderalismus“2. Diese sind nicht zu verwechseln mit den anderen Organisationen, wie z.B. der KDP im Irak unter der langjährigen Führung von Masoud Barzani oder der DPKI (Demokratischen Partei Kurdistan / Iran), der PUK (Patriotische Union Kurdistan / Irak) unter der Führung von Jalal Talabani oder der Komalah (Eine Partei, die sich der maoistischen Strömungen innerhalb der kommunistischen Weltbewegung zuordnen lässt). Weder in der Türkei, noch in Syrien gibt es jedoch neben den PKK-Organisationen eine weitere einflussreiche kurdische Organisation. Der Einfachheit halber wird im Folgenden von den Apoistischen Organisationen gesprochen, weil diese eindeutig und offen den von Abdullah Öcalan (kurz: Apo) propagierten politischen Vorstellungen und den daraus abgeleiteten Strategien folgen. Sie sind aber auch organisatorisch eng miteinander verknüpft.

Warum ist es überhaupt von Bedeutung das eigene Verhältnis zur PKK zu klären? Welche Relevanz hat die PKK für den kommunistischen Klärungs- und Sammlungsprozess in der BRD?

Es ist kaum übersehbar, dass die Solidarität mit der PKK innerhalb der linken und kommunistischen Bewegung in der BRD (und weltweit) zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Es gibt eine sehr kleine Minderheit, die sich entweder mit Vorsicht oder mit Ablehnung vom Mainstream der Pro-PKK-Positionen abhebt. Die Tatsache aber, dass sich ein großer Teil der Linken (aus sehr unterschiedlichen Beweggründen) mit der PKK solidarisch erklärt, hat in den letzten Jahren zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der antimilitaristischen, antiimperialistischen Bewegung geführt. Alte Bündnisse sind zerrüttet, neue Bündnisse sind entstanden. Die zentralen Fragen, die neue Spaltungen hervorgerufen haben und neue Bündnisse haben entstehen lassen, sind an erster Stelle die Zusammenarbeit der PKK mit den USA im Syrienkrieg, zweitens die Politik der PKK in der Türkei und in diesem Zusammenhang ihre antiislamische Propaganda, drittens ihre antikommunistisch-anarchistische Ideologie, die letztendlich dazu führt, einen gewissen Teil der Potentiale, besonders in der Jugend, durch ihre scheinradikale Politik in die Irre zu führen. Inwiefern die Solidarität mit der PKK innerhalb der linken und kommunistischen Bewegung die Funktion erfüllt, einerseits notwendige Differenzen innerhalb der Bewegung hintanzustellen,– weil z.B. der Kampf gegen den so genannten „IS-Faschismus“ bzw. „Erdoğan-Faschismus“ dringliche Aktion, statt Klärung erfordert –, andererseits aber auch falsche Vorstellungen von Befreiung, Revolution, Sozialismus und nicht zuletzt antimarxistische Erklärungsmuster in die Bewegung einzuführen, dafür soll im vorliegenden Artikel ein erster Aufschlag gemacht werden. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass diese Funktionen deshalb wirkmächtig sein konnten und bis heute sind, weil in der Bewegung schon ein fruchtbarer Boden für alle diese Fehlentwicklungen vorhanden war und ist. Dieser Boden ist gesät mit romantisch-linksradikalen Vorstellungen eines bewaffneten Guerillakampfes bis hin zu kruden Faschismusvorstellungen, reformerischen Übergangsvorstellungen wie auch kleinbürgerlich-antikommunistischen Ressentiments. Wir haben es also nicht mit einer einseitigen Einflussnahme der PKK innerhalb der linken und demokratischen Kräfte in der BRD zu tun, sondern mit Bündnissen, die den Entwicklungen verschiedener Teile der Gesamtbewegung entsprechen, dem Opportunismus und Revisionismus im großen und ganzen. Welche Folgen diese Entwicklungen auf und für die Arbeiterbewegung haben, müssen aufgezeigt werden.

Eine auf der Hand liegende, weitere Begründung für die Solidarität mit der PKK ist das weiterhin geltende Verbot der PKK hierzulande und teilweise international3. Eine, nach den massiven Repressionen des BRD-Staates gegen die PKK und ihre Vorfeldstrukturen seit den Neunzigern, politisch nachvollziehbare Begründung, die aber leider viel zu selten im aktuellen politischen Kontext analysiert wird. Fragen, die hier gestellt werden müssen, sind: welche Veränderungen haben seitens der politischen herrschenden Kräfte, sowohl im Gefüge der etablierten Parteien, aber auch in der veröffentlichten Meinung im Verhältnis zu den Apoistischen Organisationen in der BRD stattgefunden, welche anderen Interessen (z.B. das Verhältnis zur Türkei) sind ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung des Verbots und last but not least, welche taktischen Überlegungen könnten eine Rolle spielen.

Jedenfalls ist das weiter fortwirkende Verbot der PKK der BRD kein Hindernis für eine kritische Auseinandersetzung mit ihr. Es sei vorab klargestellt, dass die Autorin keine Grundlage mehr für eine Solidarität mit der PKK sieht. Der Hauptgrund dafür ist die Kollaboration der Apoistischen Organisationen mit den USA, die entgegen der Verlautbarungen aus den Organisationen selbst, keine taktische, sondern eine strategische Orientierung ist, die Abdullah Öcalan unmissverständlich in seinen Verteidigungsschriften begründet hat.

Die unzähligen weiteren Revisionen des Marxismus, die falsche Kritik am Realsozialismus und falsche Vorstellungen von Sozialismus und Revolution allein wären kein Grund für die Entsagung der Solidarität. Die PKK aber hat sich auf einen Weg begeben, der nicht nur Verrat an der internationalen Bewegung ist, sondern an der kurdischen Sache selbst, ganz egal, ob es um die Kurdenfrage in den jeweiligen Nationen oder um den allgemeinen Kampf der entrechteten Kurdinnen und Kurden in Westasien4 geht. Durch ihre Zusammenarbeit mit dem aggressivsten Imperialismus unserer Zeit, dem US-Imperialismus, bringen sich die Apoisten in eine feindliche Stellung zu den Interessen und Kämpfen des internationalen Proletariats. Trotz aller schöner Wortkreationen, wiegt es weitaus schwerer, was Organisationen tun. Und das, was die Apoistishen Organisationen in die Tat umsetzen, kann nur als Absage an den proletarischen Internationalismus verstanden werden: es ist eine militärische Kooperation, die es dem US-Imperialismus und ihren Verbündeten erlaubt in Nordsyrien ihre verbrecherische Politik durch Stützpunkte abzusichern. Inwiefern es aus Sicht der herrschenden Kreise der USA – besonders vor dem Hintergrund ihres Bündnisses mit dem NATO-Partner Türkei – das Risiko lohnt, wird sich in der nächsten Zeit zeigen.

Der vorliegende Text orientiert sich an der Entwicklung der PKK. Es kann hier zwar kein detaillierter Einblick in die Entwicklungsetappen der Organisation und den politischen Kontext der Entwicklungen in der Region gegeben werden, aber soll ein erster Aufschlag für eine Einordnung der PKK im regionalen und internationalen Kontext sein. Ohne Zweifel bleiben sehr viele Fragen noch offen. Die strategische Neuorientierung der PKK kann aber im Lichte der historischen Entwicklung besser erfasst werden.

Zum Schluss werden noch einige Überlegungen zur aktuellen Strategie der Apoisten und der Repression gegen die PKK angestellt.

Die Entstehung der PKK

Der Name der 1978 in der Türkei gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan) ist heute nicht Ausdurck ihrer programmatischen Orientierung. Ob sie das damals bei der Gründung der PKK sein konnte, muss einer weiteren Untersuchung überlassen bleiben. Stammten damals doch viele Arbeiterinnen und Arbeiter in den Großstädten der Türkei aus den kurdischen Gebieten, waren sie sicherlich eine mögliche Basis für die Gründung einer kurdischen Arbeiterpartei. In diesem Zusammenhang bleibt die Frage, warum der Kampf der kurdischen Bevölkerung in der Türkei keinen Platz in der kommunistischen Bewegung hatte oder warum die Gründer der PKK diesen Kampf nicht als ausreichend betrachteten, eine noch zu beantwortende Frage. Ist es der antikurdische Chauvinismus innerhalb der kommunistischen Bewegung in der Türkei gewesen, den man durch die Gründung einer eigenständigen kurdischen Arbeiterpartei zu überwinden glaubte?5 Diese Fragen müssen im vorliegenden Artikel unbeantwortet bleiben. Sowohl in ihren programmatischen Grundsätzen, als auch aus den Aktionen und dem Aktionsgebiet der ersten Jahre ist klar ersichtlich, dass der Kampf der PKK sich vor allem auf die ländlichen, kurdisch besiedelten Gebiete in der Türkei bezog. Dieser Kampf richtete sich gegen die mit dem türkischen Staat kollaborierenden kurdischen Großgrundbesitzer. Es wurden aber auch Arbeiterkämpfe, z.B. in den Erdölraffinerien in der Stadt Batman, organisiert bzw. unterstützt. Das Erstarken der Repression und der als Reaktion darauf stattfindende Rückzug auf den bewaffneten Kampf in den Bergen, brachte die PKK immer mehr dazu, sich auf ländliche Gebiete zu konzentrieren. In ihrem ersten Programm war die Zielgruppe wie folgt formuliert:

„Die kurdische Revolution ist eine Volksrevolution, deren Basis die revolutionäre Jugend, die Arbeiter sowie die armen Bauern bilden.“6 Dort war auch die Rede von Kurdistan als eine kolonisierte Entität: „Die kurdische Frage ist nicht allein die Frage eines Teils Kurdistans, sondern hat die Freiheit und Einheit aller vier Teile Kurdistans zum Ziel.“ Des Weiteren sah die PKK ihren Kampf als einen national-demokratischen Kampf an, der sich in erster Linie gegen den türkischen Staat und die sie unterstützenden imperialistischen Länder richtete und in zweiter Linie gegen die feudalistische Ordnung und Tradition. Was den letzteren Kampf angeht, ist nicht klar, ob damit der Klassenwiderspruch innerhalb der Türkei oder die feudale Struktur in den kurdischen Gebieten gemeint war oder gar beides. Auch ist nicht klar, ob sich die PKK allgemein als antiimperialistisch verstand oder ob sie nur den Kampf gegen die Imperialisten, die den türkischen Staat unterstützten, führen wollte7. Als Bündnispartner betrachtete sie aber alle Befreiungsbewegungen und die sozialistischen Länder. Ob es hier Eingrenzungen gab, muss Gegenstand anderer Untersuchungen sein.

Der Rückzug nach dem Militärputsch in der Türkei 1980

Der von den NATO-Staaten unterstützte Militärputsch in der Türkei im September 1980 zog für die PKK, sowie für alle linken, gewerkschaftlichen und revolutionären Kräfte im Land eine Repressions-, Verhaftungs- und Auswanderungswelle nach sich, von der sich die gesamte Bewegung bis heute nicht hat erholen können.8 Die PKK zog sich nach dem Putsch vor allem auf das syrische Territorium zurück und konnte dort ihr Hauptquartier errichten bis sie 1982, wie auf ihrem zweiten Kongress beschlossen, wieder mit politischen Aktivitäten und bewaffneten Aktionen nach Außen treten konnte.

Die politische Zentrale, das Kommando der PKK und mit ihr Abdullah Öcalan, fand knapp zwanzig Jahre lang (bis 1998) in Syrien den Schutz des syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad, der Vater des heutigen Präsidenten Bashar al-Assad. Diese Kooperation basierte auf das objektiv angespannte, widerspruchsvolle Verhältnis zwischen den herrschenden Klassen in der Türkei und in Syrien. Die Partei konnte dort ihre Kader ausbilden, Treffen mit internationalen Kontakten organisieren und sich vernetzen.

Die PKK und der imperialistische Krieg gegen den Irak

Als die PKK ihren vierten Kongress im Nordirak Ende 1990 / Anfang 1991 abhielt, waren die Vorbereitungen der USA und ihren Alliierten gegen den Irak auf vollen Touren. Inwiefern der Zweite Golfkrieg (1990/1991) eine bessere Situation für die PKK in der Region herstellte und wie die damaligen Protagonisten diese Situation selbst einschätzten, muss noch untersucht werden. Seit 1991 herrschte in der kurdisch besiedelten Region im Norden Iraks eine De-facto-Autonomie, bei der die beiden Parteien KDP und PUK sich die Macht teilten oder besser gesagt sich im ständigen Gezerre um die Macht befanden. Die Offensive der türkischen Regierung und des Militärs ging unvermindert weiter. Ein Waffenstillstands-Angebot der PKK wurde 1991 nicht angenommen. 1993 kommt es zu einer Situation, in der ein Waffenstillstand kurz vor dem Abschluss zu stehen scheint. Turgut Özal, zu dieser Zeit Staatspräsident der Türkei, verfolgte eine für die türkische herrschende Klasse neue Politik der Anerkennung der Kurdenfrage und ließ sich auf Gespräche über eine Lösung der Kurdenfrage ein. Hierbei wurde Jalal Talabani als Vermittler beteiligt. Kurz vor einem Zustandekommen eines Abkommens macht die Nachricht über den plötzlichen Tod Özals durch Herzversagen den ganzen Prozess zunichte. Bis heute kursieren Vermutungen über eine Tötung von Özal durch die Teile der herrschenden Klasse, die die Kurdenfrage in der Türkei nur durch Assimilierung, Repression und Gewalt ‚gelöst‘ haben wollten.

In der Frage, wie der türkische Staat mit der Kurdenfrage umgehen solle, waren die verschiedenen Fraktionen in den politischen und militärischen Machtzentren des Landes also uneinig. Zwischen Zugeständnissen und Versprechen und Todesschwadronen und militärischen Schlägen gab es ein ständiges Hin und Her. Nach dem Tod Özals begann das Militär jedoch mit heftigen Schlägen im Südosten der Türkei. Die PKK konnte aufgrund der heftigen Repression und Massenvertreibungen und Morde ihre Unterstützung innerhalb der kurdischen Bevölkerung ausbauen. Der Guerillakampf wurde kontinuierlich fortgeführt. Teilweise wurden auch Selbstmordattentate und politische Morde umgesetzt.

Der nächste ähnliche Schritt, wie ihn Özal unternahm, einer wirklichen Lösung der Kurdenfrage näherzukommen, kommt erst mit dem Wahlgewinn der AKP 2002 und dem Ausspruch Erdoğans, dass alle Völker in der Türkei geschwisterlich unter dem Dach des Islam zusammen leben könnten. Es gibt die These, dass die Haltung beider Politiker zur Kurdenfrage auf ihren islamischen Glauben bzw. ihrer Organisierung in der politischen Strömung, die sich auf den Islam bezieht, zurückzuführen sei.9

Das Verbot der PKK in der BRD

Im Ausland, besonders stark in der BRD, fanden große Proteste der PKK-Anhänger gegen die repressive Politik der Türkei gegen die Kurden im Land statt. Die damalige Kohl-Regierung nutzte die Gelegenheit und nahm die starken Proteste in Deutschland zum Anlass, um ihrem langjährigen Bündnispartner Türkei einen Gefallen zu tun: 1993 wurde die PKK verboten! Dass die kurdische Bevölkerung in der BRD, die aus der Türkei stammte und mit der PKK sympathisierte, so ruhig gestellt werden könnte, war ein großer Trugschluss.

„Was hat das PKK-Verbot bewirkt? Das PKK-Verbot führte nicht zu einem Rückgang der Unterstützung der kurdischen Massen für die PKK, sondern ganz im Gegenteil zur Steigerung der Unterstützung. Diesen Schluss zog auch der deutsche Verfassungsschutz in seinen Berichten. Alle Vereine wurden neu gegründet, wenn auch unter anderen Namen. Im Juli 1994 hob das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Vereine auf. Trotzdem gab es sehr ernste Beschränkungen für die PKK. Die deutsche Regierung bekam die Möglichkeit in die Hand, die PKK in einem gewissen Maß zu kontrollieren und zu instrumentalisieren. Für den türkischen Staat lieferte das Verbot Material zur psychologischen Propaganda.“10

Auch wenn das Protestpotential durch das Verbot nicht gemindert werden konnte, darf dieser hier von Çelik angesprochene Aspekt der Möglichkeit der Kontrolle der Organisation nicht unterschätzt werden. Bis heute hält der deutsche Staat ein Mittel in der Hand, um in Verhandlungen Druck auszuüben.

Die Abwendung vom Realsozialismus – Orientierung auf Nordirak

Im Jahre 1995 verabschiedete die PKK auf ihrem fünften Kongress ein neues Parteiprogramm. Darin wurde weiterhin das explizite Ziel der Gründung eines Staatsgebildes formuliert. Im Widerspruch dazu hatte Öcalan 1994 ein Lösungspaket vorgelegt, das explizit die Lostrennung nicht mehr als Ziel vorsah und ein Ende der Gewalt forderte. Im gleichen Jahr waren dennoch verstärkte Guerillaaktionen zu verzeichnen. Auf diesem Kongress wurde auch beschlossen, dass die Zeichen Hammer und Sichel von der Fahne entfernt werden. Der Grund dafür war nach Çelik nicht, weil die PKK allgemein Abstand vom Sozialismus nehmen wollte, sondern lediglich vom als „degeneriert“ interpretierten „Realsozialismus“11. Damit war der Sozialismus in der UdSSR gemeint. Die Einschätzung Çeliks sollte sich als falsch erweisen: mit dem neuen Paradigma findet eine grundlegende Absage am Marxismus statt. Auch wenn dann noch das Wort Sozialismus benutzt wird, ist das nicht zu verwechseln mit dem Sozialismus, worunter eine grundlegend andere Wirtschaftsweise gemeint ist.

Ein weiterer wichtiger Beschluss bezog sich auf die de-facto-autonome Region in Nordirak, die die PKK bis heute als „Südkurdistan“ bezeichnet. Diese Bezeichnung deutet auf die strategische Orientierung auf ein zusammenhängendes Gesamtkurdistan hin, die seit Gründung der PKK explizit als Ziel ausgegeben wurde. Auf diese Orientierung wollen wir später noch einmal genauer eingehen. Der Beschluss bezüglich der kurdisch besiedelten Gebiete im Norden Iraks sah eine „demokratische Föderation“ für diese Region vor. Das Ziel der PKK war es ein Bündnis mit der KDP und der PUK zu erreichen und von „Südkurdistan“ aus eine bessere Position für den Kampf in der Türkei und in der langen Frist auch in den anderen Ländern aufzubauen. Die türkische Regierung nahm diesen Beschluss als Anlass, um militärisch im Norden Iraks zu intervenieren.

Auch wenn die Türkei damit keine größeren Schläge gegen die PKK-Stellungen in der Grenzregion zwischen der Türkei und Irak versetzen konnte, brachte sie sich als Verhandlungspartner in der „Nordirak-Frage“ an den Tisch. Beim Abkommen von Dublin im August 1995 konnte die Türkei ihr Ziel der Spaltung zwischen der KDP und PUK auf der einen Seite und der PKK auf der anderen Seite durchsetzen. Das Treffen in Dublin wurde von den USA organisiert. Die PKK war nicht dabei. Das positive Ergebnis aus der Sicht der türkischen Regierung war, dass die KDP eine Absicherung der Grenzregion durch 2000 so genannte Dorfschützer zusicherte. Daraufhin kam es in der nächsten Zeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der KDP und der PKK.

Einschätzung der Entwicklung in der ersten Hälfte der Neunziger

Betrachten wir die Gemengelage in dieser Region zwischen 1990 – also nach dem Ende der Sowjetunion – und 1995, dann kommt es in der Kurdenfrage zu folgenden Widersprüchen:

Die USA und die anti-irakische Koalition haben nach der Schwächung der irakischen Zentralregierung es als opportun angesehen, die Kurden im Nordirak, also die KDP zu unterstützen und ihnen eine Quasi-Autonomie zu gewähren. Ebenso gibt es Vorstöße seitens Frankreich, die PKK und die KDP zusammenzuführen (Treffen in Paris 16.-22.Juni 199412). Die türkische Regierung steht im Widerspruch zu den Nordirak-Plänen der USA und anderer Mächte, ist aber ein wichtiger NATO-Partner der USA und auch der Besatzungsmacht Israel, die ihrerseits wiederum Beziehungen zur KDP pflegt und das langfristige Ziel der Etablierung eines Staates der Kurden anstrebt, um in der Region einen möglichen staatlichen Akteur als ihren unterwürfigen Partner aufzubauen. Es scheint jedoch der Türkei zu gelingen, die USA davon zu überzeugen ihre Nordirak-Pläne ohne die PKK durchzuführen (siehe das Treffen von Dublin) und die KDP als Partner zu festigen. Als der 5.Kongress der PKK im Nordirak Anfang 1995 tagte, war also die PKK in einer relativ isolierten Situation. Hier wurde ein Vorstoß gewagt: die PKK strebte eine „demokratische Föderation“ in „Südkurdistan“ an und gründete ein so genanntes kurdisches Exilparlament (PKDW) in Den Haag am 12. April 1995. Dieses Parlament setzte sich aus sehr unterschiedlichen Exilorganisationen der Kurden zusammen: unter anderem waren Organisationen der Yeziden, der Alewiten, aber auch eine islamische Organisation dabei. Ein ehemaliger PKK-Kader schätzt die Gründung des Exilparlaments als positiv ein: „Es brachte Dynamik in die kurdische Diplomatie, leistete eine wirksame politische Arbeit auf internationaler Ebene und knüpfte erfolgreiche Beziehungen zu westlichen Regierungen und internationalen Institutionen.“13 Dass diese Regierungen und Institutionen ihre jeweils eigenen Interessen bzw. bestimmter imperialistischer Staaten vertraten und somit auch hier Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Staaten vorprogrammiert waren, ist selbsterklärend. Besonders hervor traten damals in der Zusammenarbeit mit dem PKDW Italien, Russland und Österreich.

Die Entwicklung in der Türkei Anfang der Neunziger

In der Türkei waren die Neunziger Jahre eine Zeit des Tauziehens zwischen den Kräften, die in der Kurdenfrage etwas gemäßigter auftraten und den Teilen der herrschenden Klasse, die eine harte Linie gegen die PKK, aber auch allgemein gegen die Arbeiterbewegung umsetzen wollten. Anfang der Neunziger wurde der Ausnahmezustand über die kurdischen Provinzen verhängt und es wurden zirka 2000 kurdische Dörfer von den Militärs gewaltsam geräumt, um eine Unterstützung der PKK durch die Bevölkerung unmöglich zu machen. Das Gegenteil trat jedoch ein: hatte die PKK noch 1990 nur ein paar Hundert Kämpfer, wuchs diese Zahl bis 1993 auf mehrere 1000, manche sprechen von zirka 14 000 Kämpfern. Dieser Konflikt, der Mitte der Achtziger begonnen hatte, forderte Zehntausende Opfer und spaltete die Bevölkerung in der Türkei. Die Taktik der Militärs einen Teil der kurdischen Gesellschaft in ihren Kampf gegen die PKK einzubinden, spaltete auch bis zu einem gewissen Maße die kurdische Bevölkerung, die noch sehr stark durch alte feudale Traditionen und Klassenbeziehungen geprägt war und teilweise bis heute noch ist.

Viele Vertreter linker Organisationen halten die Militärs für diejenigen, die die politischen Fäden in der Türkei lange in der Hand hielten und durch ihre Spezialkriegstaktiken nicht nur in den Regionen, die mehrheitlich von Kurden besiedelt waren, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen die Geschicke des Landes bestimmten. In diesem Zusammenhang ist die so genannte Susurluk-Affäre 1996 zu erwähnen. Durch einen Autounfall kamen Informationen über die Zusammenarbeit von international führenden Verbrechern aus der Drogenkriminalität und rechten Terroristen und Staatsvertretern zu Tage, die die Gesellschaft erschütterten. Eine Regierungskrise folgte der nächsten.

Im gleichen Zeitraum liefen die Bestrebungen der Türkei (mit Unterstützung der USA) Beitrittsgespräche mit der EU zu beginnen. Die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller, sah es in diesem Zusammenhang als opportun an, die harte staatliche Repression, an der sie selbst großen Anteil hatte, etwas zu lockern. Sie schlug vor, den berühmten Paragraphen 8 der Anti-Terror-Gesetze zu verändern. Den Verfolgten sollte wenigstens etwas nachgewiesen werden müssen, was vorher explizit nicht nötig war! Es saßen Hunderte wegen angeblicher Gespräche und Ähnlichem in Gefängnissen. Diese Änderung war der Anlass für die Freilassung von etwa 80 politischen Gefangenen, was wie ein Tropfen auf dem heißen Stein war. Çiller erhoffte sich dabei den Anschein zu erwecken, sie würde sich um eine Besserung in der Kurdenfrage bemühen. Am 1.Juni 1996 trat die Zollunion mit der EU in Kraft und es folgte eine prinzipielle Befürwortung der Beitrittsgespräche durch das EU-Parlament.

Die Losung der PKK: „Nationale Einheit“!

Für die PKK war klar, dass der türkische Staat weder im Inneren, noch außerhalb seiner Grenzen bereit war, Bestrebungen nach einer Einheit der verschiedenen Organisationen der Kurden in der Region zuzulassen, also der Apoistischen mit der KDP und der PUK. Die PKK hatte sich in den unterschiedlichsten Ländern der Region Rückzugs- und Ausbildungsgebiete und Kooperationspartner gesucht und gefunden. Sie war im Libanon, in Palästina, in Syrien und auch im Nordirak, seit die USA dort ein quasi-autonomes kurdisches Gebiet nach Kolonialherren-Mentalität zugelassen hatten. Diese Aktivitäten im nordirakischen Gebiet versetzten die Türkei in Unruhe. So begann die türkische Armee ihre Aktivitäten auf den Nordirak auszuweiten. Diese sollten sich zwar offiziell gegen die PKK richten, aber tatsächlich wurden viele Zivilisten durch die Angriffe getötet und um ihre Lebensgrundlage beraubt. Für die PKK ging es aber im Nordirak nicht nur um einen Rückzugsgebiet, um sich auf die Kämpfe in der Türkei zu rüsten und vorzubereiten. Schon auf ihrem zweiten Parteikongress 1986 hatte die PKK ihr Ziel für ganz Kurdistan ausgegeben: die nationale Einheit! Die kurdisch besiedelten Gebiete im Norden Iraks boten sich der PKK für die Umsetzung der ersten Schritte Richtung nationaler Einheit deshalb besser an, als die Gebiete in der Türkei, weil diese Grenzen in dieser Zeit durch die Interessen der USA sowieso neu verhandelt wurden. Die PKK wollte sich hier als Organisation stärken und sich eine gewisse Basis in der Bevölkerung für ihre gesetzten Ziele aufbauen. Für die Türkei war das ein Grund – es gab auch durchaus andere Interessen, wie z.B. die Sicherung der Öl-Einfuhr –, um den Krieg in den Nordirak zu exportieren und dort militärische Aktionen auszuführen und ein Bündnis mit der KDP anzustreben. Auch die turkmenische Bevölkerung im Nordirak wurde als Verbündeter der Türkei aufgebaut. Sowohl die KDP, als auch die PUK sahen in der PKK einen potentiellen Konkurrenten und ließen sich unter anderem durch die Türkei gegen die PKK in Stellung bringen. Aber auch zwischen den beiden Parteien gab es Machtkämpfe, die sich oft um Zolleinnahmen und Gebiete drehten. Als sich 1994 Vertreter der KDP und der PUK zwecks Gesprächen über die Gründung eines kurdischen Staates trafen, verhinderte die türkische Regierung durch Druck auf ihre Bündnispartner diesen Schritt. Tansu Çiller konnte das später als einen ihrer größten Erfolge preisen.

Durch die Gründung des Exilparlaments PKDW 1995 machte sich die PKK aber selbst zu einem Akteur im Nordirak – gewissermaßen gegen alle großen und kleinen Player in der Region. In dieser Zeit lieferten sich die zwei großen kurdischen Organisationen im Nordirak weiterhin erbitterte Kämpfe bis die USA durch den Abschluss zweier Abkommen die Lage in den Griff bekam: das Abkommen von Dublin 1995 und das Washingtoner Abkommens 1996. Es wurde eine Machtaufteilung in diesem Gebiet festgelegt. Bei beiden Abkommen wurden die Interessen der Türkei berücksichtigt und eine Isolation und Schwächung der PKK explizit festgeschrieben. Die PKK begann schon nach dem Abschluss des Abkommens von Dublin mit bewaffneten Aktionen gegen die KDP. Die Zielsetzung einer nationalen Einheit mit der PKK als Hauptprotagonisten entfernte sich somit in weite Ferne.

Die Kurdenfrage und das Machtgezerre in Westasien

Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen werden müssen sind, ob die PKK so in Widerspruch zu den westlichen Staaten geriet oder ob sie sich als möglicher Akteur und Verhandlungspartner in Position brachte? Festzuhalten ist in jedem Fall, dass bisher deutlich wurde, dass die Frage nach der Entstehung eines kurdischen Staates in der Region, eine erklärte Strategie der USA (unter anderem durch das Greater Middle East Project)14, zumindest auf dem ersten Blick, durch das Verhältnis der Türkei zu den USA verhindert werden konnte. Inwiefern das bis heute noch der Fall ist, muss noch untersucht werden. Jedoch darf dabei nicht übersehen werden, dass die imperialistischen Grenzziehungen in der gesamten Region während des Ersten Weltkrieges verhandelt wurden.15 Die festgelegten Einflussgebiete wurden zwar teilweise nach dem Zweiten Weltkrieg, z.B. in Palästina, leicht verändert, jedoch verfolgen die alten Mächte (Großbritannien, Frankreich und Russland) bis heute noch eigene Interessen bezüglich der Aufteilung der Region. Sie sind nicht bereit eine Neuaufteilung durch die USA einfach zuzulassen. Und den USA ist es nicht gelungen die Karte zu verändern, auch wenn sie strategische Überlegungen in diese Richtung machen16. Andere gewichtige regionale Akteure sind die zionistische Besatzungsmacht Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabische Emirate, die wiederum ihre eigenen Interessen bezüglich der Kurdenfrage verfolgen. Und gerade für Israel ist es ein schwieriges Unterfangen, sich der kurdischen Organisationen zu bedienen, da dieses Ansinnen in der Praxis mit vielen Widersprüchen konfrontiert ist, die sich nicht einfach durch offene oder verdeckte Beziehungen, finanzielle und militärische Hilfen und Bekundungen aushebeln lassen.17 Dass Israel die Autonome Region Kurdistan (kurz: KRGI) unterstützt, daran scheint es keinen Zweifel zu geben.18 Die genannten Widersprüche sind einerseits die eigenen Beziehungen zur Türkei, aber auch die notwendige ökonomische Zusammenarbeit der opportunistischen Kräfte KDP und PUK mit den muslimischen und / oder arabischen Völkern in der Region. Ofra Bengio, die als Expertin für die Kurdenfrage in Israel gilt, beschreibt die lange bestehenden Beziehungen zu den irakischen Organisationen und dann auch zur Autonomen Region Kurdistan / Irak als besonders eng und intensiv.19

Der innere Zustand der PKK

Der innere Zustand der PKK darf auch nicht ganz außer Acht gelassen werden, wenn wir die Entwicklung der PKK nachvollziehen wollen. Es gab sehr viele Auseinandersetzungen innerhalb der PKK, die zu Verfolgungen, Hinrichtungen und Entmachtungen führten. Berichten alter PKK-Kader zufolge waren zum Abschluss der Neunziger, noch vor der Verhaftung Öcalans nur wenige der alten Kader geblieben.20 Zu diesen alten Kadern gehören bis heute noch Cemil Bayik, Murat Karayilan und Duran Kalkan. Ein weiteres prominentes Mitglied der ersten Stunde war Sekine Cansiz, die 2013 in Paris ermordet wurde21.

An dieser Stelle können die Auseinandersetzungen innerhalb der PKK nicht einer tiefen Analyse unterzogen werden. Es kann nur darauf hingewiesen werden, dass es innerhalb der PKK unterschiedliche Positionen zu Fragen der Strategie und Taktik und zu den Methoden gegeben hat, die für die spätere Entwicklung bzw. Veränderung der Programmatik von Bedeutung sind. Anfang der Neunziger gab es z.B. unterschiedliche Positionen bezüglich der Frage, ob sich die PKK in den Kampf der Kurden gegen Saddam Hussein einmischen sollten. Mitte der Neunziger hatte Öcalan einen Friedensplan vorgelegt, der die Zielsetzung eines eigenen kurdischen Staates zumindest relativierte, da darin keine Forderungen nach Lostrennung erhoben wurden. Auch hierin waren sich nicht alle einig.

In den Neunziger Jahren, auch das soll hier nicht unerwähnt bleiben, übte die PKK für viele Internationalisten in aller Welt, aber auch ganz besonders aus der BRD, eine starke Anziehungskraft aus. Sicherlich hing dieses besondere Interesse auch mit den vielen Demonstrationen in der BRD und der heftigen staatlichen Repression, mit dem PKK-Verbot und der rassistischen Hetze sowohl in den deutschen Medien, als auch seitens türkischer Faschisten, zusammen. Viele Frauen und Männer aus Europa besuchten Öcalan in Syrien und schlossen sich zeitweise der PKK und ihren bewaffneten Einheiten an. Waren es damals Aktivisten aus dem so genannten antiimperialisitischen Lager (vor allem aus der autonomen Szene), darf diese heute mit dem breiten Bündnis der Unterstützerschaft der PKK nicht verwechselt werden, das von FDP-Kreisen bis zu antinationalen Gruppen reicht. Die alten so genannten Anti-Imps sind zwar auch geblieben, aber sie machen nicht mehr den Kern der Kurdistan-Soli aus.

Öcalans Verhaftung – eine politische Wende wird eingeläutet

Manche haben das damals als politische Wendung wahrgenommen, was Abdullah Öcalan in seiner Verteidigungsrede verlauten ließ. Das führte, so Çelik, unter anderem zum Rückzug seiner Anwälte, die ihm nahelegten einen politischen Prozess zu führen. Aber wie kam es eigentlich zur Verhaftung Öcalans? 1998 läutete die türkische Regierung eine Offensive gegen die PKK ein, indem sie – kurz gesagt – allen Nachbarländern einen Krieg androhte, wenn sie weiterhin die PKK beherbergen würden. Das betraf vor allem Syrien, wo die PKK seit Jahren ein ruhiges Hinterland gefunden hatte, von wo aus sie ihre Politik in der Region planen und vorbereiten konnte. Es war offiziell bekannt, dass sich Öcalan in Syrien aufhielt und viele internationale Besucher empfing. Auf Druck der türkischen Regierung wurde am 20. Oktober 1998 das Adana-Abkommen zwischen Syrien und der Türkei abgeschlossen, worin Syrien versicherte der PKK keinen Rückzugsort mehr in Syrien zu bieten. Auch der Libanon nahm Öcalan nicht mehr auf. Mehrere Versuche Öcalans über einen Verbindungsmann ein Visum für Russland zu bekommen, scheitern. Insgesamt beginnt eine 130-tägige Odyssee für Öcalan. Zweimal wird er in Italien verweilen. Seine Anwälte und auch andere politische Weggefährten und Vertreter anderer Organisationen raten ihm in Italien zu bleiben, politisches Asyl zu beantragen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Öcalan besteht aber auf Gespräche mit Diplomaten und Staatsvertrtern. Während seines erstens Aufenthalts in Rom, unterbreitet er im Januar 1999 dem Vatikan einen politischen Vorschlag, der, so zumindest der Bericht von Selahattin Çelik, nicht mit dem Zentralkomittee der PKK abgesprochen war. Dieser Vorschlag beinhaltete das Angebot den bewaffneten Kampf einzustellen, wenn eine Amnestie für die PKK gegeben werde. Des Weiteren würde die PKK die demokratische Republik Türkei anerkennen, wenn die geforderten Rechte der kurdischen Bevölkerung zugestanden werden.22 Dieser Vorschlag sorgt zwar für einigen Widerhall in der Öffentlichkeit, bleibt aber seitens der EU und einzelner europäischer Staaten unbeantwortet. Die Situation insgesamt ist davon geprägt, dass die Türkei vorgibt, eine Aufnahme Öcalans durch ein drittes Land als Kriegserklärung zu betrachten. Kein europäisches Land, auch und gerade nicht Griechenland (aufgrund der bestehenden Spannungen wollte Griechenland kein Risiko eingehen, was zu einer Eskalation hätte führen können), auch nicht Russland sind bereit Öcalan aufzunehmen. Auf die Einzelheiten der weiteren Irrfahrt Öcalans kann hier nicht näher eingegangen werden. Letztendlich werden der griechische und der US-amerikanische Geheimdienst Öcalan nach Kenia befördern. Das Argument ist, dass so ein Krieg zwischen der Türkei und Griechenland abgewendet werden kann. Dort in Kenia haben aber der türkische Geheimdienst MIT und die CIA schon längst Vorkehrungen für die Verhaftung Öcalans getroffen und werden ihn am 15.Februar 1999 in die Türkei verschleppen und unter massiven Sicherheitsvorkehrungen auf die Insel Imrali bringen, wo er seitdem, also seit nunmehr zwanzig Jahren, eigeknastet ist.

Während dieser ganzen Zeit häufen sich chauvinistische und antikurdische Demonstrationen und massive Verhaftungen in der Türkei, – vor allem von Mitgliedern der HADEP (die PKK-nahe Partei in der Türkei). In Griechenland kommt es nach der Verhaftung zu einer Regierungskrise, in der BRD kommt es zu heftigen Protestaktionen mit einer Welle von Repression gegen die kurdischen Organisationen und Vereine. Bei einer Demonstration vor der israelischen Botschaft in Berlin gegen die Unterstützung der Verschleppungsaktion durch den israelischen Geheimdienst Mossad, werden drei PKK-Aktivisten von Mitarbeitern der Botschaft ohne Vorwarnung erschossen und sechzehn weitere verletzt. Bis heute sind es unter anderem diese Erfahrungen innerhalb der PKK und ihrer Basis, die einer Annäherung an Israel im Wege stehen.

Verteidigungsrede Öcalans

Es wäre zu erwarten gewesen, dass mit dem Prozess gegen Abdullah Öcalan, von der gesamten PKK und ihrer beachtlichen Basis als Serok Apo (Führer/Vorsitzender Apo) bewundert und gepriesen, eine Offensive beginnt, die die politische Begründung für den Kampf der kurdischen Bevölkerung gegen ihre Entrechtung, Diskriminierung, Verfolgung und Erniedrigung liefert. Nichts dergleichen. Seitens der türkischen Regierung ist der Prozess wie ein Schauprozess organisiert und soll die PKK als Terrororganisation und Verbrecher darstellen, Mütter der Opfer des „PKK-Terrors“ werden zu den Prozessen zugelassen, kaum kritische Journalisten. Zwischen Öcalan und seinen Anwälten muss es eine Auseinandersetzung über die richtige Taktik in diesem Prozess gegeben haben, die letztendlich zum Rückzug der ersten Anwälte führt. „Ob unter dem Eindruck der Propaganda des türkischen Staates oder aus internen Gründen, innerhalb der PKK hatte sich eine lautlose Opposition gegen Öcalan entwickelt, und dies führte während der Entführung zu widersprüchlichen Haltungen. Während ein Teil Öcalans Abreise aus Syrien und vor allem seine Einreise nach Italien als einen positiven Beginn für eine Wandlung der PKK bewerteten, betrachtete ein anderer Teil dies als „Komplott, um Öcalan eine prowestliche Linie aufzuzwingen.“ Auch wenn diese unterschiedlichen Einschätzungen nicht die Ebene einer organisatorischen Spaltung erreichten, verhinderten sie doch eine gemeinsame Haltung in der Praxis.“23 (die Anführungszeichen im Text von Çelik) Es gab schon seit Mitte der Neunziger Überlegungen seitens Öcalan, wie ein Friedensplan aussehen könnte und ob die PKK ihre Taktik ändern müsse. Nun saß Öcalan im Knast. Müsste die PKK nicht eine neue Führung wählen? Weit davon entfernt, veröffentlichte der Präsidialrat der PKK eine Erklärung am 9.2.2000, die den bisherigen Vorsitzenden bestätigt und seine Orientierung annimmt.24 Apo aber war nicht mehr Teil eines Kollektivs. Der türkische Generalstab hatte ihn in der Hand. Ob er sich politisch hat beeinflussen lassen und wer noch Alles seit seiner Verhaftung bei der Einflussnahme auf das „Neue Paradigma“ eine Rolle gespielt haben mag, bietet noch Stoff für investigative Recherchen und Fleißarbeit von Historikern. Fest steht, dass einige Weggefährten von der Wendung in seiner Verteidigung enttäuscht waren und darin das Ende der alten PKK sahen. Nun zu den Inhalten seiner Verteidigungsrede25 in Kürze: er führt die den „kurdischen Aufständen“ zugrundeliegenden Probleme auf ein Demokratiedefizit zurück und konstatiert, dass dieses Defizit zuallererst auch in der feudalen Struktur der kurdischen Gesellschaft zu suchen sei. „Noch immer ist das schwerwiegendste Problem der kurdischen Gesellschaft das Demokratieproblem. Das Dreigespann von Ağas, Scheichs und Aşirets26 hat eine Trennungslinie zwischen den Kurden und dem Staat errichtet. Dies verhindert, dass der Einzelne ein freier Bürger und die Gesellschaft eine freie Gesellschaft wird. Dies ist die Wunde der Republik.“27 „Aufstände“ bzw. „Rebellionen“ seien falsch, es müsse ein Prozess der Demokratisierung von unten beginnen. Schon die Bezeichnung „Aufstand“ und „Rebellion“ löste Befremden bei einigen langjährigen Genossen aus. Der bisherige Kampf der PKK wäre damit also kein „nationaler Befreiungskampf“ mehr, sondern eine Rebellion, die vielleicht aus der rückständigen Lebensform der kurdischen Bevölkerung resultiert? Öcalan erklärte seinen Wunsch nach Beendigung des bewaffneten Kampfs. Zu guter letzt sei noch erwähnt, dass Abdullah Öcalan explizit erklärte, dass seine Aussagen Ausdruck seines freien Willens seien und nicht unter Druck der staatlichen Repression zustande gekommen seien. Aber wir wissen, dass solche Aussagen gerade auch unter massiver Repression politischen Gefangenen aufgezwungen werden, somit ist diese Aussage wenig relevant.

Im Juni 1999 wird Abdullah Öcalan zum Tode verurteilt. Das Urteil wird jedoch auf internationalem Druck nicht vollstreckt. Da 2002 die Todesstrafe in der Türkei abgeschafft wurde, konnte das Urteil in eine lebenslange Haft umgewandelt werden.

War das Wort von Apo der PKK wie ein Befehl? Warum hat die PKK dann nicht den bewaffneten Kampf eingestellt? Und verfolgt die PKK noch das Ziel eines zusammenhängenden Kurdenstaates?

Es soll im folgenden der Versuch unternommen werden die Handlungen der PKK vor dem Hintergrund ihrer Proklamationen nachzuvollziehen. Sie wird nach einer Rekonstituierungsphase zwischen den Jahren 2000 – 2004 eine Neukonstituierung vornehmen. In dieser Phase hatte sich die PKK (ab 2002) offiziell für aufgelöst erklärt.

Der Irakkrieg 2003: die PKK und die Verschlechterung der USA-Türkei-Beziehung

Bevor wir auf die Neukonstituierung und den Paradigmenwechsel eingehen, soll noch ein Blick auf die weitere Entwicklung im Nachbarland Irak geworfen werden. Die Ereignisse dort hatten keine geringe Wirkung auf das politische Verhältnis zwischen der Türkei und den USA.

Am 20. März 2003 begannen die USA und Großbritannien mit einer so genannten „Koalition der Willigen“ mit den Bombardierungen Iraks. Die BRD beteiligte sich nicht direkt an diesem völkerrechtswidrigen, verbrecherischen Angriffskrieg, unterstützte jedoch die Aggressoren mit der Versorgung in Deutschland. Die rot-grüne deutsche Regierung zog zwar verbal gegen den Krieg ins Feld, war aber keineswegs eine Friedenstaube, sondern sah nur die eigenen Interessen nicht genügend bedient. Wie auch immer das innerimperialistische Gezerre um die Neuaufteilung aussah, der Krieg gegen den Irak wurde mit aller Härte geführt. Die Koalition der Angreifer konnte durch den schweren luftgestützten Einsatz von Bodentruppen die Macht der Baath-Partei brechen und letztendlich den Irak besetzen. Die Besatzung des Irak dauerte offiziell bis 2011. Die kurdische Regionalregierung im Irak unter Führung der Parteien KDP und PUK beteiligte sich am Krieg gegen die irakische Regierung. Nach dem Sieg erlangte die Autonomieregion einen De-Fakto-Status, ist aber bis heute nicht als eigenständiger Staat anerkannt. In der folgenden Zeit kommt es verstärkt zur Präsenz von PKK-Kräften im Nordirak. Die türkische Regierung beäugt diese Entwicklung mit großer Sorge, da sie eine Neuformierung der PKK, die sich ja 2002 für aufgelöst erklärt hatte, befürchtet. Tatsächlich zieht die PKK immer mehr Kräfte in die Kandilberge. Schon Anfang März 2003 verweigert die Türkei die Stationierung von US-Truppen und ihrer Koalitionäre auf türkischem Gebiet. Im gleichen Jahr wird die HADEP („Partei der Demokratie des Volkes“, der eine politische Nähe zur PKK nachgesagt wurde) verboten. Die Begründung lautet „separatistische Bestrebungen“. In der Zeit nach der Besatzung gibt es laufend Forderungen an die USA seitens der türkischen Regierungen gegen die Stellungen der PKK im Nordirak vorzugehen. Diese bleiben weitgehend unbeantwortet. Auch gibt es im Jahre 2005 Beschwerden wegen der Umsiedlungspolitik in Nordirak, bei der es zu zwangsweisen Umsiedlung von über 30 000 Turkmenen gekommen sein soll28. Schließlich eröffnet die PKK im August 2005 ein Büro in der von US-Besatzungstruppen kontrollierten, ölreichen Stadt Kirkuk im Norden Iraks. Interessant dabei ist, dass das möglich war, nachdem die PKK ab dem Jahr 2004 mit Operationen gegen türkische Militärs, aber auch Zivilisten (vor allem in Touristengebieten) begonnen hatte, nachdem sie den Waffenstillstand, zu dem sie sich selbst verpflichtet hatte am 1. Juni 2004 gekündigt hatte. In diesem größeren Zusammenhang muss auch die Gründung der so genannten Freiheitsfalken, der TAK, erwähnt werden. Diese Organisation, die vor allem Terroranschläge im urbanen Raum durchführt, wurde laut Verfassungsschutzbericht 2006, 1999 von der HPG, also dem bewaffneten Arm der PKK gegründet, um in städtischen Gebieten eine militärische Antwort auf die Verhaftung von Abdullah Öcalan bereitzuhalten29. Bis heute wird sowohl seitens der TAK, als auch seitens der PKK eine direkte organisatorische Verbindung dementiert. Offiziell hat sich die TAK zwar 2004 von der PKK gelöst, aber ihre Kämpfer werden angeblich in Nordsyrien bei der YPG ausgebildet30.

Die Neukonstituierung der PKK und der Paradigmenwechsel

Im Mai 2005 wird auf einer Versammlung das neue Programm des „Demokratischen Konföderalismus“ verkündet, nachdem sich die PKK im April des selben Jahres neu gegründet hatte. Die neue Programmatik, die laut den Angaben der Organisation von Abdullah Öcalan entwickelt wurde, ist an die Gedankenwelt des Libertären Kommunalismus angelehnt, der vor allem von Murray Bookchin, einem US-amerikanischen Anarchisten, geprägt wurde. Kernaussagen des neuen Programms der PKK waren die Ablehnung des Staates und das Streben nach einer demokratisch-ökologischen Zivilgesellschaft. Dabei soll die „Selbstverwaltung“ dieser Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen, worin Hierarchien und Differenzen aufgehoben werden sollen. Explizit wird das Streben nach einem Nationalstaat überhaupt und damit auch für die Kurden abgelehnt. Auch sei Gewalt kein Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen, vielmehr soll die Einsicht in die Vernunft der Selbstverwaltung eine Entwicklung hin zum demokratischen Leben befördern. Weiter unten wird nochmal auf die verschiedenen Aspekte dieser neuen Programmatik eingegangen und die Widersprüche zur Praxis der PKK aufgezeigt.

Ein Jahr nach der Verabschiedung des neuen Programms, wird auf einer weiteren Versammlung die Orientierung ausgegeben, Selbstverwaltungen auch in den von Kurden besiedelten Gebieten im Irak, in Syrien und im Iran aufzubauen. So werden im Jahr 2003 die PYD in Syrien auf Beschluss der PKK und im Jahre 2004 die PJAK im Iran gegründet.

2005 wurde auch die Organisation KKK/TK (Kurdistand Demokratischer Konfödertion / Türkei-Koordination) gegründet, die später im Jahr 2007 in KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans) umbenannt wurde. Aufgabe dieser Organisation ist bis heute der Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen mit speziellen Komitees, die sich um Bereiche wie Bildung, Selbstverteidigung, Recht und Gesundheit kümmern. Die KCK erkennt in ihrer Verfassung die Führung von Abdullah Öcalan an. Die Führungspositionen haben Kader der PKK inne, Als Bedingung für den Waffenstillstand oder sogar für die Abgabe der Waffen wird unter anderem die Anerkennung der kurdischen Identität genannt, des Weiteren Kurdisch als zweite offizielle Sprache des Landes in den mehrheitlich von Kurden besiedelten Gebieten, die Einführung bestimmter demokratischer Rechte wie die freie politische Betätigung, Rückzug aller Truppen aus der Osttürkei und die Freilassung aller politischen Gefangenen, einschließlich Abdullah Öcalans.

Wie kommt es zwischen den Jahren 1999 und 2005 zur programmatischen Neuorientierung der PKK. Einer der ersten Anwälte Abdullah Öcalans, Mahmut Şakar, sagt dazu rückblickend bei einem Interview im Jahre 2019: „Für mich war es natürlich eine äußerst interessante Begegnung. Seine vorgebrachten Gesichtspunkte waren wichtig für mich – sowohl um Herrn Öcalan zu verstehen als auch die Dimensionen des internationalen Komplotts. So sagte er uns: »Ich versuche euch am Leben zu erhalten. Ich versuche mein Volk am Leben zu erhalten. Ich versuche mein Volk wohlbehalten von diesem Ufer ans gegenüberliegende Ufer zu bringen.« Es war eine sehr bildhafte Ausdrucksweise. Wenn ich später von dieser Zeit erzählte, kam mir immer eine moderne Moses-Geschichte in den Sinn, in der ein Anführer seinen eigenen Stamm, seine Gesellschaft vor einer Gefahr schützen will. Mir wurde klar, dass die internationale Staatengemeinschaft, deren Regierungen Öcalans völkerrechtswidrige Verschleppung mindestens duldeten – wenn sie an dem Komplott nicht sogar direkt beteiligt waren –, mit ihrer Haltung die Tür zu einem bevorstehenden Genozid öffnete. Die Gefahr, mit der die kurdische Bevölkerung konfrontiert war, wurde mir durch dieses Treffen bewusst. Es ging Öcalan nicht um seine persönliche Situation, seine Haft oder um sein Überleben. Wichtig war ihm, dass sein Volk sich in ernster Gefahr befand. Er überlegte, was er gegen den drohenden Genozid tun könnte. Dies prägte das erste Treffen und war wichtig für mich, um das internationale Komplott in all seinen Dimensionen zu verstehen.“31 Wollte Öcalan das kurdische Volk vor einem Genozid retten und musste also den Kurs der PKK neu bestimmen? Oder dient diese Begründung fünfzehn Jahre später dazu, die kritischen Stimmen bezüglich der strategischen Neuorientierung zu besänftigen? Welche Beweggründe auch immer für die Formulierung eines neuen Paradigmas tatsächlich gegeben waren, wir können uns aus den Schriften Öcalans ein recht genaues Bild von den Inhalten des neuen Paradigmas machen, die auf türkischer Sprache schon 200432 veröffentlicht wurden. In deutscher Sprache erschienen sie unter dem Titel Jenseists von Staat, Macht und Gewalt im Jahr 2010.

In dieser Schrift finden sich Ausführungen über die Geschichte Westasiens, Auseinandersetzungen mit der Kurdenfrage, Einschätzungen zur aktuellen Situation in der Region, eine Selbstkritik bzw. Kritik der PKK, die gleichzeitig eine Kritik des so genannten Realsozialismus und des Marxismus beinhaltet. Im Zusammenhang des vorliegenden Diskussionspapiers kann es nicht um alle diese Aspekte gehen und auch nicht um eine intensive Kritik der von Öcalan formulierten Thesen. Der nächste Abschnitt soll lediglich einen allgemeinen, zusammenfassenden Einblick in die Argumentation von Abdullah Öcalan geben und ein paar Schlaglichter auf seine Sichtweise werfen.

Das neue Paradigma der PKK

Das von Öcalan gezeichnete Bild über den heutigen Imperialismus sieht so aus: das „globale System“, so wie er es nennt, ist in eine neue Stufe eingetreten, in der – zwecks weiterer Profitschöpfung – mit den alten Strukturen von Nationalstaat, Religion und Tradition gebrochen werden muss. Das wiederum führe dazu, dass das System überall dazu dränge diese alten Herrschaftsformen und -instrumente aus dem Weg zu räumen. In dieser Phase, in der wir uns seit etwa Ende des Zweiten Weltkrieges befinden, sei die USA – durch ihre hegemoniale Rolle – die Hauptprotagonistin des Systems. In Bezug auf die Region in Westasien geht Öcalan mehrfach auf den US-amerikanischen Plan des Greater Middle East Project (GMEP) ein:

„Machtblöcke, die die Befreiung des Individuums und die Demokratisierung der Gesellschaft verhindern, sind mittlerweile für das globale System inakzeptabel geworden. In ähnlicher Weise, wie sie seinerzeit in den ersten und zweiten Weltkrieg eingetreten sind, haben sich die USA als Führungsmacht des Chaos-Imperiums und der Block ihrer Verbündetem mit der Besetzung von Afghanistan und des Irak in eine Art dritten Weltkrieg gegeben. Die NATO wendet sich der Region zu und neutralisiert gleichzeitig wichtige Mächte wie Russland, China und Indien. Mit dem Greater Middle East Project versucht man, einen Ausweg aus dem Chaos und eine Lösung zu finden. Als Antwort darauf drängen sich Lösungen auf, die durch mehr Demokratie, Freiheit und Gleichheit zu Optionen für die Völker werden können.“33

Interessant dabei ist unter anderem der historische Vergleich mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Waren doch damals die USA die Macht, die nicht die Kriege vom Zaun gebrochen hat, sondern später „eingetreten“ ist und trotz aller bekannten eigenen imperialistischen Interessen, als Friedensmacht erscheinen konnte, so ist die Rolle der USA im Irak und Afghanistan eine gänzlich andere, nämlich die des Aggressoren, der asymmetrische Kriege führt. Dass die USA sich in den Krieg begeben hätten bedeutet aber, dass es ihn schon gegeben hat oder soll es heißen, dass es für sie notwendig war einzutreten, um ‚das globale System‘ nach vorne zu bringen? Und wie ist es zu verstehen, dass die „Führungsmacht des Chaos-Imperiums“ mit dem GMEP „einen Ausweg aus dem Chaos“ suchen will? Noch mehr Fragen: die Lösungen, die die USA sucht seien „Demokratie, Freiheit und Gleichheit“? Und wenn dann Öcalan hinzufügt, dass diese „Lösungen“ „Optionen für die Völker“ sein können, dann ist man geneigt diese Aussage so zu interpretieren, dass im Freiheitskampf der Völker die Zusammenarbeit mit den USA eine Option sein kann. Diese Vermutung bestätigt sich im Laufe der Lektüre dieser – wohlgemerkt schon 2004 – erschienen Schrift. Auch wenn Öcalan immer wieder versucht die negativen Seiten „des globalen Systems“ zu benennen und zu betonen, dass es hier nicht um die Frage geht, ob wir dieses System gut oder schlecht finden, bleibt die Quintessenz seiner Aussage, dass die USA in dieser „neuen Epoche des Imperialismus“ neue Wege für die Befreiung eröffnen, weil sie – zusammengefasst gesprochen – gegen die (vor allem regionale) Reaktion handeln. Öcalan bezeichnet seine eigene Sichtweise als eine „realistische“ Sichtweise:

„Im Lichte unserer bisherigen Analyse erscheint es zutreffend, die USA als ein „Imperium des Chaos“ zu betrachten. Dies unmoralisch und illegal zu finden, spricht nicht dagegen, dass es realistisch ist. (…) Man kann über das Ausmaß der dritten großen Offensive des Kapitalismus diskutieren. Man kann seine chaotischen Eigenschaften aufzählen. Sie alle bestätigen die Notwendigkeit für eine imperiale Führung zum jetzigen Zeitpunkt. Viele Autoren weisen darauf hin, dass Staaten überall dort, wo die Zivilisation fortschreitet, keine weißen Flecken und kein politisches Vakuum akzeptieren. Von daher ist es unvermeidlich, dass die USA als der Staat, der sich auch in der jüngsten Revolution von Wissenschaft und Technik an die Spitze gesetzt und so eine gigantische militärische und ökonomische Macht geschaffen hat, die Expansion des Systems fortsetzt. Das liegt in der Natur der Politik und des Staats. Dies zu sagen bedeutet nicht, einzuräumen, dass sie im Recht ist.“34

Auf der einen Seite ist es klar, dass die imperiale Hegemonie der USA im eigenen Interesse handelt, das beinhaltet andere Regionen und Völker von sich abhängig zu machen, auf der anderen Seite aber eröffnet dieses Handeln – laut Öcalan – Möglichkeiten, die auch für die Befreiung der Völker nutzbar gemacht werden können. Das sei deshalb möglich, weil sowohl die alten nationalstaatlichen Herrschaftskonstrukte überholt seien, als auch weil die USA neue „Abhängigkeitsformen“ als gewinnbringender ansieht. Dabei betont Öcalan, dass es ihm nicht bei dieser „Analyse“ um Bewertung geht:

„Ebenso ist die Aussage, dass das Zeitalter der Nationalstaaten vorbei ist, nicht gleichbedeutend damit, den globalen Imperialismus gutzuheißen. Es handelt sich viel mehr um die Einschätzung, dass die globale ökonomische, militärische und politische Realität das Modell des Nationalstaates nicht mehr als effektiv einschätzt, sondern ihn als Ballast betrachtet. Im Gegensatz zu dem, was der nationalistische Diskurs suggeriert, ist ein Nationalstaat kein Staat, in dem völlige Unabhängigkeit realisiert wäre.“35

Aber jenseits von Bewertungen aus welcher Perspektive auch immer, bewertet Öcalan doch selbst die neuen Abhängigkeitsformen insoweit als positiv, indem er sie von negativen Merkmalen abgrenzt:

„Die Art und Weise der Abhängigkeit, die sich in der imperialen Tendenz der USA konstituiert, ist eine sehr flexible. Sie beruht nicht auf veralteten Methoden wie starrem Kolonialismus, ethnischen Säuberungen oder religiösem Fanatismus. Vielmehr probiert sie Abhängigkeitsformen aus, die noch postmoderner sind als der Neokolonialismus. Ohnehin begreift eine große Zahl von Nationalstaaten wegen der Struktur ihrer Führungen die Abhängigkeit von den USA als eine Belohnung. Der Nationalstaat wird nicht abgeschafft. Aber ihm wird auch nicht erlaubt, sich so draufgängerisch (sprich: ‚schurkisch‘) zu verhalten wie früher.“36

Wir erfahren hier, welche schrecklichen Methoden die USA angeblich nicht anwenden bzw. unterstützen: keine kolonialistischen Methoden, keine ethnischen Säuberungen, keinen religiösen Fanatismus, keine „schurkischen“ Methoden. Es ist schwer diese Sätze ohne Empörung zu lesen und sich nicht über das Ausmaß an Realitätsverlust nicht zu wundern. Das, was einem hier begegnet, könnte direkt aus den Propagandaministierien eines George W. Bush Senior oder Junior stammen, aus den reaktionärsten US-amerikanischen Kreisen, die ihre verbrecherischen Taten hinter den Begriffen von Demokratie, Freiheit und Frieden eher schlecht als recht zu verstecken versuchen. Es hilft auch nicht, wenn Öcalan an unterschiedlichen Stellen es doch noch schafft, die USA für ihre Politik zu kritisieren und ihre Pläne für Westasien der PKK gegenüber als potentiell feindlich zu bezeichnen.37

Und was rät Abdullah Öcalan im Jahre 2004, also noch vor der Neukonstituierung der PKK und der Verabschiedung ihres neuen Programms des „Demokratischen Konföderalismus“, der kurdischen Völker? Welche Rolle können und sollen die PKK und die anderen kurdischen Organisationen aus seiner „realistischen“, – man könnte auch sagen pragmatisch-opportunistischen, sich dem US-Imperialismus anbiedernden – Sichtweise tun?

„Es hat eine Zeit begonnen, in der sich die Kurden nicht länger wie bisher steuern lassen werden. (…) Wie eine Lösung aussieht und wann sie eintritt, wird von der Art und dem Tempo derjenigen Kräfte bestimmt, die aktiv intervenieren. Es scheint, als werden die Kurden für den ganzen Mittleren Osten eine ähnlich erschütternde Rolle spielen, wie sie Israel inmitten der arabischen Staaten spielt. Die Etablierung eines kurdischen Bundesstaates im Irak wird zum Zerfall des starren nationalstaatlichen Modells in der Region beitragen. Ohne dass diese Staaten es wollen, wird sich so vielleicht die Tendenz zu einer allgemeinen Föderation beschleunigen, was den historischen Gegebenheiten des Mittleren Ostens besser entspräche. Die aktuell brennende Frage ist dabei, ob es zu einem Konflikt zweier Nationalismen oder zu einer Lösung durch demokratische Kompromisse kommt.“38

Eine ähnliche Rolle wie Israel, also ein Vorposten der Zivilisation gegen die rückständige Barbarei, so wie es Theodor Herzl39 seinerzeit den Imperialisten ans Herz gelegt hat? Das würde zumindest einigen Aussagen Öcalans zum Thema Zionismus widersprechen, Aussagen die von israelischer Seite als feindlich angesehen werden.40 Schaut man sich den weiteren Verlauf der Geschichte der PKK bis in die aktuelle Zeit an, verstärkt sich der Eindruck, dass das jedoch so gemeint sein könnte, wie Herzls Formulierung. Zumindest gibt es da auch innerhalb der PKK sicherlich unterschiedliche Positionen. Ofra Bengio, eine auf die Kurdenfrage spezialisierte israelische Professorin (Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies) sieht eine Spaltung innerhalb der PKK bezüglich der Israelfrage.41 Beispielsweise nimmt Murat Karayilan, einer der historischen Führer der PKK, in einem Interview mit einem israelischen Journalisten eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber Israel ein, beklagt allerdings, dass Israel trotzdem mit der Türkei kooperiere und damit den Kurden in den Rücken falle: „Wissen sie, es ist wirklich ein großes Rätsel für mich. Ich hätte von Israel mehr als von jedem anderen Volk der Welt erwartet, dass sie uns verstehen und sich mit uns identifizieren. (…) Einst waren wir Freunde. In den 1960ern und 1970ern hat Israel keine Mühen gescheut, um den Kurden zu helfen. Wir haben euch bewundert.“42. Das habe sich erst in den 80ern durch die zunehmende Militärkooperation mit der Türkei geändert. Nun war aber Israel auch in den 1960ern und 70ern bereits eine Besatzungsmacht, die z.B. im Sechstagekrieg 1967 ihre Nachbarn überfiel und die Palästinenser unterdrückte. Die Tendenz, die kurdische nationale Befreiung auch auf Kosten der Kämpfe anderer Völker durchsetzen zu wollen, findet sich also auch hier wieder. Hier geht es erst einmal um die Frage, wie sich Öcalan die Rolle der Kurden vor dem Hintergrund der US-Pläne für die Region vorstellt.

„Seit sich die USA um 1990 herum als einzige Weltmacht etablierten, haben sie sich besonders auf den Mittleren Osten konzentriert. Ihr Greater Middle East Project ist täglich in der Diskussion. Eines der wichtigsten Themen dabei ist die Stellung der Kurden in diesem Projekt. Es ist möglich, dass die strategische Bedeutung der Beziehungen zwischen den Kurden, den USA und Israel noch zunehmen wird. Die Folgen für die Region müssen genau abgewogen werden. Es ist eine Diskussion wert, ob für die Kurden eine Zeit des Aufschwungs oder eine Zeit des Verrats bevorsteht. Erstmals stellen die Beziehungen der Kurden untereinander und mit den Nachbarvölkern und -staaten für die Region einen derart bedeutenden strategischen Faktor dar.“43

Ein strategischer Faktor, den Öcalan als Chance für die eigene Sache erkennt? Wer die Diskussionen rund um die Zusammenarbeit der Apoistischen Partei PYD mit den USA verfolgt, wird – zumindest in linken Kreisen – die Behauptung zu hören bekommen haben, dass es sich bei dieser nicht um Kollaboration, sondern um eine taktische Kooperation, gar Ausnutzung der innerimperialistischen Widersprüche handelt. Wenn man sich aber die Überlegungen Öcalans über eine strategische Orientierung hin zu einer Zusammenarbeit mit der imperialistischen Hegemonialmacht USA anschaut, die über ein Jahrzehnt früher gemacht wurden, hat Grund genug die heutige Argumentation44 anzuzweifeln.

Die Zeit nach der Neukonstituierung der PKK

In den nächsten Jahren nach 2004 sind auf der einen Seite mehrere Repressionswellen sowohl in der Türkei, als auch in der BRD und in Europa zu verzeichnen. Auf der anderen Seite sind zahlreiche Anschläge seitens der PKK oder ihr nahestehenden Organisationen wie die so genannten Freiheitsfalken TAK an der Tagesordnung. Die PKK wartet auch mit Waffenstillstandsangeboten auf und startet mehrere politische Kampagnen, vor allem zur Freilassung bzw. auch zu den Haftbedingungen Abdullah Öcalans. Das türkische Militär marschiert mit Bodentruppen im Nordirak ein (Februar 2008), der Fernsehsender ROJ TV wird in den Niederlanden und in der BRD verboten, die HPG, der militärische Arm der PKK, verübt einen Anschlag auf eine Polizeistation in Hakkari im Südosten der Türkei. Immer wieder berichten die Anwälte Öcalans von seiner Misshandlung, woraufhin Kampagnen zur Verbesserung der Haftbedingung und zur Freilassung Abdullah Öcalans von den der PKK nahe stehenden Organisationen lanciert werden. Insgesamt ist eine erhöhte Präsenz der Jugend- und Studentenorganisation der PKK-solidarischen Vereine in Europa und besonders in der BRD zu beobachten. Durch Kampagnen wie „Tatort-Kurdistan“ finden zunehmend Annäherungen und gesteigerte Bündnisaktiviäten in der BRD statt. Viele Fragen und Themen, die linksorientierte, autonome und anarchistische Bewegung in der BRD bewegen, werden von den den Apoistischen Organisationen aufgenommen. Dazu gehört die Geschlechterfrage, Ökologie, aber auch bei einigen Internationalisten noch vorhandene und bei der Jugend teilweise neu aufkommende Begeisterung für den bewaffneten Widerstand, also eine Art Guerilla-Romantik. Ein weiterer neuer Nenner, der breite Bündnisse hier in der BRD möglich macht, sind die Aktivitäten gegen die Erdoğan-Regierung und die Kritik an der islamischen Bewegung aus der die AKP, – und damals noch mit ihr gemeinsam die Gülen-Sekte – ihre Basis schöpfte.

Im August 2009 wird von Öcalan eine so genannte „Roadmap für Demokratisierung der Türkei und die Lösung der Kurdenfrage“ veröffentlicht.45 Darin wendet sich Öcalan gegen so genannte etatistische Lösungsansätze, nachdem er seine Vorstellung von der Bedeutung von Demokratie, Nationalstaat usw. in einer Einführung dargelegt hat. Etatistische Lösungsansätze würden in allen Fragen den Staat bzw. die Verstaatlichung als Lösung betrachten, was aber keineswegs eine wirkliche Lösung der Probleme bringen würde. „Ein anderer Nachteil von etatistischen Theorien ist, dass sie die Kräfte der Gegenseite, die unter dem Problem leidet, ebenfalls in den Etatismus treiben. Dadurch entsteht also das Risiko, dass diese die Forderung nach einem eigenen Nationalstaat als einzige Lösung betrachten, eine Mentalität, die einen Staat gegen den anderen Staat stellt. Die demokratische Theorie besitzt ein größeres Potenzial, Lösungen hervorzubringen, da sie weder eine Separation staatlichen Territoriums noch eine Ausrichtung auf einen gegnerischen Nationalstaat erfordern oder vorschreiben. Die große Chance für demokratische Theorien liegt darin, dass sie eine nichtstaatliche, flexible Lösung vorsehen, die einen Staat weder anstrebt, noch negiert, noch verleugnet.“46 Kurz gesagt: die Existenz von Nationalstaaten drängt z.B. Minderheiten dazu auch etatistische Vorstellungen und Pläne zu hegen. Diese Minderheiten wollen dann sozusagen auch einen eigenen Staat haben. So reflektiert Öcalan selbstkritisch in diesem Entwurf die Geschichte der separatischen Bestrebungen der PKK47. In diesen Ausführungen spiegelt sich die moralisch-idealistische Denkweise Öcalans wider: es geht nicht darum, das Wesen des Staates, seinen Klasseninhalt zu begreifen und die daraus erwachsenden notwendigen Schritte zu seiner Überwindung herauszufinden und umzusetzen. Vielmehr wird der existierende Staat als ein Problem bewertet, um ihn seine Existenz dann auf etatistische Vorstellungen zurückzuführen. Weder in dieser, noch in anderen Schriften ist Öcalans Argumentation jedoch in sich konsistent. Teilweise leitet er die Existenz des Staates auch historisch durch die Entstehung des Kapitalismus ab. Genauso ist sein Lösungsvorschlag idealistisch. Idealistisch in dem Sinne, dass er nicht entlang der wirklich existierenden Bedingungen für die Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaften und damit auch des bürgerlichen Staates seine Überlegungen anstellt, sondern glaubt durch die Abschaffung „etatistischer Vorstellungen“ könnte man schon zur richtigen Lösung gelangen.

Der „Fahrplan für eine demokratische Lösung“ würde historisch zu einem passenden Zeitpunkt vorgelegt, wo es gerade aufgrund der internationalen Konstellationen eine gute Chance für ihre Umsetzung gäbe: „Faktoren dafür, dass ein demokratischer Lösungsplan erstmals eine realistische Chance auf Umsetzung besitzt, waren allgemeinen demokratischen Tendenzen der Gegenwart, Anreize von USA und EU im Rahmen der Harmonisierungsgesetzgebung und die Tatsache, dass Medien, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit größtenteils sowie die Kurden vollständig in diese Richtung tendieren.“ Die PKK würde in einem Drei-Phasen-Fahrplan eine dauerhafte Waffenruhe einführen, dann soll auf Initiative der Regierung und mit Zustimmung des Parlaments eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ gebildet werden. Das Parlament solle auf Grundlage der hier erbrachten Ergebnisse einen Vorschlag für Amnestie unterbreiten, dann könne „die PKK ihre illegalen Strukturen unter der Kontrolle einer Institution, die aus Vertretern der USA, der EU, der UN, der irakisch-kurdischen Regionalregierung und der Türkischen Republik gebildet wird, vom Territorium der Türkei zurückziehen“. Es soll keine Grundlage mehr für den „Griff nach Waffen“ geben. In der letzten Phase sollen die Aktivitäten der KCK legalisiert werden und damit der Demokratisierungsprozess in der Gesellschaft, also durch die so genannten Volksräte, beginnen.

Zuallerletzt betont Öcalan, dass dieser Plan ohne ihn persönlich nicht funktionieren werde, deshalb muss seine Situation, also seine Freilassung, verhandelt werden.48

In der weiteren Entwicklung der PKK – bis heute – sind vor dem Hintergrund des hier vorgestellten Planes ist die Schaffung einer so genannten Autonomen Region in Nordsyrien bedeutsam für unsere Betrachtung.

Bekanntlich wurde nach der zunächst erfolgreichen Intervention durch Milizenverbände und der damit einhergehenden Destabilisierung Syriens durch die USA und ihre westeuropäischen und regionlen Verbündeten der Norden Syriens von der PYD Und ihre bewaffneten Kräfte der YPG zu einer Art befreiten Zone erklärt. In dieser von den Apoistischen Organisationen als Rojava (Westkurdistan) bezeichneten Region begann die PYD mit dem Aufbau des „Demokratischen Konföderalismus“, also den Selbstverwaltungsstrukturen. Damit wurde eine massive Kampagne der Solidarität mit Rojava eingeläutet, der bis heute anhält und nahezu die gesamte linke Bewegung (mit wenigen Ausnahmen) erfasst hat.

Krieg gegen Syrien und die ‚Optionen‘ für die PYD

Als 2011 der Krieg gegen Syrien begonnen wurde, erschien die Haltung der PYD eine neutrale zu sein. Man werde weder gegen die syrische Regierung kämpfen, noch diese verteidigen, also eine so genannte äquidistante Haltung einnehmen. Es gehe lediglich darum Selbstverwaltungsstrukturen im Norden Syriens aufzubauen. Dieser Aufbau der so genannten Selbstverwaltungsstrukturen wurde als „Revolution“ und / oder „Sozialismus“ gefeiert. Schlagworte wie Frauenbefreiung und Ökologie bildeten Anziehungspunkte für die internationale Linke, die sonst wenig mit antiimperialistischen Kämpfen und der internationalen Solidartiät am Hut hat. Spätestens nach dem Auftreten des so genannten „Islamischen Staates“ (IS) 2014 und ihre Angriffe auf Ain Al Arab (Kobanê) wurden auch Antinationale, Antideutsche, aber auch Grüne, Sozialdemokraten und viele weitere bis hin zu den Liberalen zu Unterstützern der kurdischen Sache. Die USA kamen Kobanê demonstrativ zu Hilfe. Diese Rettungsaktion wurde durch eine mediale Kampagne begleitet, die größtenteils unterstützend auf der Seite der PYD bzw. Kobanê stand. In dieser Zeit konnte aber noch nicht die Rede von einer offenen Zusammenarbeit der PYD mit den USA sein. Erst mit der Gründung des Militärbündnisses SDF Ende 2015 (Demokratische Kräfte Syriens) war die Kooperation mit den USA besiegelt. In der SDF sind auch andere Einheiten, aber die militärischen Arme der Apoistischen PYD, YPG und die YPJ, sind die stärksten Teile innerhalb der SDF. Die USA begannen ab hier mit der offenen Ausrüstung und dem Training der SDF. Die Rückeroberung der von der IS besetzten Stadt Raqqa ging auf das Konto der SDF und den USA.

An dieser Stelle können nicht alle Aspekte des gesamten Kriegs in Syrien beleuchtet werden und auch nicht der damit einhergehenden Solidarität mit den YPG/J-Kämpfern hier, die von Guerillaromantik bis hin zu paternalistischen Haltungen reichen. Der Märtyrerkult um die Jugendliche Ivana Hoffmann oder ein aufgesetzter Guerilla-Style auf der einen Seite, auf der anderen diejenigen, die früher die PKK wegen ihres Führer-Kultes und dem „Stalinismus“ verachteten, heute aber von oben herab eine Besserung attestieren, ob der anarchistischen Neuorientierung. Die Frage, die hier nur behandelt werden soll, ist ob die dann zustande gekommene Zusammenarbeit der Apoistischen Kräfte in Syrien mit den USA eine taktische Zusammenarbeit war und ist oder auf das Neue Paradigma der PKK seit 2005 aufbauenden Strategie.

Auch wenn die Zusammenarbeit mit den USA eigentlich unter Internationalisten und Antiimperialisten als Tabubruch bezeichnet werden kann, war dieser ‚Bruch‘ – zumindest in der BRD – ein sehr leiser Vorgang.

Nichtsdestotrotz sahen sich die Vertreter der Apoistischen Organisationen dazu genötigt, diese Entscheidung zu rechtfertigen. In einem langen Interview49, das Anfang 2018 gegeben wurde, versuchte Riza Altun50 die Kooperation mit den USA zu relativieren: „Dies sind keine Ergebnisse einer vorher geplanten strategischen politischen Beziehung, sondern mehr eine politische und taktische Situation, die sich im Laufe des Widerstands herausgebildet hat.“ Altun vergleicht dann mehrmals die Situation in Syrien mit der Situation der Sowjetunion vor und während des Zweiten Weltkrieges:
„So wie während des Zweiten Weltkrieges von beiden Seiten und der Gesellschaft das Bündnis zwischen der Sowjetunion und den USA gegen den Hitler-Faschismus als legitim angesehen wurde, wird auch die Beziehung zwischen der von den USA angeführten Koalition und der YPG/J von beiden Seiten der Öffentlichkeit als legitim und notwendig angesehen. So wie die Sowjetunion und die USA im Zweiten Weltkrieg, haben diesmal beide Seiten das Bedürfnis nach einer Beziehung gehabt. Somit ist eine taktische Beziehung mit der von den USA angeführten Koalition im Kampf gegen den IS zustande gekommen.“

Das ist schon ein starkes Stück: Die USA sind seit Jahrzehnten der am aggressivsten auftretende Imperialist. Sie überziehen die gesamte Region in Westasien mit einem regelrechten Vernichtungsfeldzug. Sie bauen sich Milizentruppen auf, stoßen diese ab und bauen wieder neue auf. Das scheint Riza Altun selbst auch zu wissen. Er behauptet zwar, dass auch Iran, Russland und Syrien salafistische Gruppen aufbauen würden (eine hanebüchene Behauptung, über die jeder Kenner der Region nur staunen kann: gerade diese Länder haben sich im Gegensatz zu Saudi-Arabien, Türkei, Israel und USA massiv gegen solche Gruppierungen gestellt, da sie in der Region ihren Einfluss durch diese Gruppen besonders gefährdet sehen, im Iran auch durch separatistische sunnitische Gruppen), aber im gleichen Atemzug sagt er, dass vor allem die USA und Israel diese Verbände unterstützen. Wie absurd erscheint dann der Vergleich mit der Situation der Sowjetunion vor dem Hintergrund dieser Aussagen. Man kann sich des Eindruckes nicht verwehren, dass die Propaganda-Abteilung der KCK der Kritik der Kollaboration mit dem US-Imperialismus etwas entgegensetzen möchte – ein verzweifelter Versuch. Es bleibt festzustellen, dass der Vergleich mit der Bündniskonstellation im Zweiten Weltkrieg ein sehr schlechter Vergleich ist. Dieser hat aber zwei Dimensionen: der eine Aspekt ist die Behauptung, dass die PYD sich in einer ähnlichen Situation befinden würde wie die SU während des Zweiten Weltkrieges. Der zweite Aspekt ist, dass es in Ain Al-Arab (Kobanê), wie damals in der SU, um die Verteidigung der Revolution oder sogar des Sozialismus gehen würde: „Ähnliche Beispiele gibt es auch während der Oktoberrevolution. Während der Revolution gab es eine Vielzahl von Abkommen. Es gab wirtschaftliche Vereinbarungen mit dem Kapitalismus und den ImperialistInnen sowie politische Abkommen. Aber wenn wir das Wesen dieser Abkommen betrachten, gibt es keine Verleugnung des Sozialismus in ihnen.“ Der zweite Aspekt, also die Behauptung in Nordyrien hätten wir es mit einem Sozialismus wie in der SU zu tun, wird also noch durch historische Vergleiche mit der Zeit nach 1917 ergänzt.

Tatsächlich sind sehr viele historische Beispiele für ein kluges Taktieren, gerade in der SU, zu finden. Diese können aber nicht beliebig für jede historische Situation eingesetzt werden. Im Gegensatz zur Sowjetunion kann in Nordsyrien keine Rede vom Aufbau des Sozialismus sein. Sozialismus ist nicht ein Schild, das man beliebig auf- und wieder abhängen kann, sondern ein anderes Gesellschaftssystem als der Kapitalismus. Es ist aber auch nicht einfach eine andere Form des Miteinanders, sondern eine grundlegend andere Gesellschaft, in der die herrschenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse in sozialistische überführt werden. Und wenn es in den von der PYD besetzten Gebieten etwas gibt, worüber man nicht so gerne spricht, dann sind es die Produktionsverhältnisse. Eine schöne Rhetorik reicht eben nicht aus, um Sozialismus zu machen: Geschlechterbefreiung, Ökologie, Volksräte und viele andere schön klingende Vorstellungen mögen kleinbürgerliche Herzen höher schlagen lassen, aber Sozialismus wird erst gemacht, wenn die ökonomische Basis der Gesellschaft grundlegend geändert wird. Das sind die Verhältnisse in denen gesellschaftlich produziert und das Produkt gesellschaftlicher Arbeit privat angeeignet wird.

Diese beiden historischen Vergleiche stellen sich als falsch dar: die Sowjetunion hat im Zweiten Weltkrieg nicht mit dem Aggressor paktiert und Krieg gegen andere Staaten geführt. Sie hat auch nicht dem Aggressor erlaubt Militärbasen aufzubauen und Besatzungstruppen zu stationieren. Und sie hat im Gegensatz zur PYD tatsächlich den Sozialismus verteidigt.

Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass das Neue Paradigma eine gänzlich andere Sozialismusvorstellung hat. Vor allem ist die Kritik am Realsozialismus, dass dieser sich am Nationalstaat orientiert habe und mit dem Instrument des Staates den Sozialismus habe umsetzen wollen. Dabei wird die Klassen- und damit auch die Machtfrage im Staat komplett ausgeblendet. Es geht dann nur um das kapitalistische Konstrukt des Nationalstaates. Das Alles lässt sich in den vielen und langen Ausführungen Öcalans und auch im hier zitierten Interview mit Riza Altun nachlesen.

Kommen wir zur Frage zurück, ob es sich bei der Kooperation der PYD mit den USA um ein taktisches Bündnis handelt oder nicht. Wenn wir uns die strategische Orientierung von Abdullah Öcalan wieder vergegenwärtigen, dann scheint diese Zusammenarbeit eine konkrete Umsetzung der Anfang des Jahrtausends formulierten Strategie des „Demokratischen Konföderalismus“ zu sein, indem die USA als ein Wegöffner für Demokratie und Freiheit bezeichnet wird. Ein taktisches Bündnis ist es sicherlich für den US-Imperialismus. Das bezieht sich aber nicht auf die Kurdenfrage im Allgemeinen, sondern auf das konkrete Bündnis mit der PYD bzw. mit den Apoistischen Organisationen. Die USA haben im Rahmen ihres langfristigen Plans in Westasien Fuß zu fassen, sicherlich die verschiedenen kurdischen Organisationen im Blick. Die PKK und die Apoistischen Organisationen sind aufgrund ihrer schwierigen Basis (eine Basis, die aus der Sicht des Neuen Paradigmas noch zu sehr antiimperialistischen und sozialistischen Vorstellungen nachhängt), ihrer relativen Eigenständigkeit und Stärke aus der Sicht der USA und der Besatzungsmacht Israel, die ähnliche Pläne mit den Kurden verfolgt, noch nicht als strategische Partner gewonnen, so wie es die KDP (trotz aller Schwierigkeiten) ist. Tatsächlich hat sich aber durch die Zusammenarbeit in Nordsyrien und durch das beidseitige Heranrücken reaktionärer Gruppen und der Apoistischen Organisationen auf internationalem Terrain, etwas entwickelt: es ist für die Protagonisten diesbezüglich Land in Sicht. Zu diesen reaktionären Kräften gehören christlich-konservative bis liberale Kreise, genauso wie prozionistische Gruppen und Einzelpersonen.

Gibt es eine Doppelstrategie der PKK?

Jedem Beobachter der PKK muss auffallen, dass es einen Widerspruch zwischen der Programmatik und der tatsächlichen Praxis der PKK gibt. Auf der einen Seite wird gegen Gewalt argumentiert, auf der anderen Seite der bewaffnete Kampf nicht nur geführt, sondern auch erfolgreich in Szene gesetzt.

Auf der einen Seite wird gegen einen Staat argumentiert, auf der anderen Seite unterstellt, es gäbe doch ein Kurdistan. In der Praxis wird das so umgesetzt, dass man durch die Bezeichnung von Süd-, West-, Nord-, und Ostkurdistan, durch die Zeichnung von Karten, die das ganze Kurdistan aufzeigen auf ein ethnisch einheitliches Gebilde hinarbeitet. Teilweise passiert das ohne Rücksicht auf Gebiete, die eben nicht nur von Kurden besiedelt, sondern auch von anderen Minderheiten – teilweise bis zur Hälfte der Bevölkerung51 – bewohnt werden. Aber auch Gebiete, wo es historisch erst durch Vertreibung anderer Bevölkerungsgruppen (siehe Dyarbakir) zu einer kurdischen Mehrheitsbevölkerung kommen konnte52, wofür zwar jetzt die PKK keine Verantwortung trägt, aber in ihrer Propagandaabteilung durchaus in der Lage wäre, diese Geschichte transparent zu machen, anstatt lapidar von einer kurdischen Stadt zu sprechen. In den nordsyrischen Gebieten ist es immer wieder bezüglich der Ethnifizierung der Gegend vor allem durch kurdische Lehrpläne für die Schulen53 zu Auseinandersetzungen gekommen,– trotz aller Bekundungen der PYD kein ethnisch rein kurdisches Gebiet aufbauen zu wollen.

Auf der einen Seite wird behauptet, dass „Rojava“ (Nordsyrien) ein multiethnisches Gebilde sei und dass die PYD Alles dafür tue andere Parteien an der Gestaltung des Lebens aufbauend auf dem so genannten „Gesellschaftsvertrag“ zu beteiligen, auf der anderen Seite werden Berichte bekannt, dass die PYD vor Ort die Kontrolle durch ihre Einheiten, wenn es sein muss auch mit Repression, Aufrecht erhält.54

Alles in Allem können hier nur viele Fragen aufgeworfen werden, die einer weiteren Bearbeitung bedürfen. Klar ist, dass es nicht reicht, nur die Bekundungen der Apoistischen Organisationen zu beachten, sondern genauer hinzusehen und ihre Praxis zu überprüfen.

Repression gegen die PKK

Die Solidarität mit der PKK wird unter anderem auch dadurch begründet, weil sie in der Türkei, international, in der EU und in der BRD von massiver staatlicher Repression betroffen ist. Die Frage, die sich uns stellen muss, ist nicht ob wir gegen die Repression sind, sondern ob wir aufgrund der Repression solidarisch mit der Politik der PKK sind.

In diesem Zusammenhang gilt es aber einige Gedanken zur Frage der Repression gegen die PKK loszuwerden. Es stellt sich vielen die Frage, warum es trotz der großen Solidaritätsbekundungen in den bürgerlichen Kreisen, Medien, der Politik immer noch das PKK-Verbot gibt. Gründe für die Aufrechterhaltung des Verbots können sein:

Erstens dass der BRD-Staat gegen die PKK bzw. in Bezug auf die Apoistischen Organisationen weiterhin ein Druckmittel in der Hand haben möchte. Würde man das Verbot lockern, dann würde man jegliches Druckmittel aus der Hand geben. So kann man über Repression eine Verhandlungsmasse schaffen, die es sonst nicht geben würde.

Zweitens dürfen die Beziehungen zur Türkei nicht unterschätzt werden. Aus der Sicht des deutschen Imperialismus wäre es ein sehr unkluger Zug, die Beziehungen zur Türkei aufs Spiel zu setzen, um ein Bündnis mit einer Organisation wie die PKK in der Region zu festigen. Und dass die Beziehungen zur Türkei sich noch weiter verschlechtern würden, wenn das Verbot der PKK aufgehoben werden würde, wäre sicher. Dabei ist auch die innerdeutsche Situation zu berücksichtigen: immerhin leben in der BRD viele Menschen aus der Türkei, die nicht die PKK unterstützen, aber selbst – teilweise sehr gut – organisiert sind. Dieser Risikofaktor wird sicherlich in die Überlegungen einbezogen.

Alle diese Überlegungen beiseite geschoben: allein aus der Repression gegen die PKK lässt sich nicht eine solidarische Haltung ableiten.

Solidarität mit der PKK?

Es konnte hier keine Analyse der Gründe für die Umwandlung der PKK von einer aus ihrer Sicht marxistisch-leninistischen Partei hin zu einer Partei mit einer libertären, anarchistischen Weltanschauung vorgenommen werden. An dieser Stelle konnten wir nur ein Schlaglicht auf die Frage werfen, ob die heutige PKK aus ihrer eigenen Programmatik und Weltanschauung heraus einerseits und andererseits durch ihre praktische Politik eine Arbeiterpartei ist, ob sie also die Klassenfrage stellt und vielleicht sogar beantwortet und ob sie einen nationalen Befreiungskampf im Sinne der unterdrückten und entrechteten Völker der Region führt und deshalb unsere Solidarität und Unterstützung haben muss. Bei der Behandlung der hier aufgeworfenen Fragen und zu behandelnden Aspekte wurden die verschiedenen Entwicklungsphasen und historischen Bedingungen zwar einbezogen, es ist aber klar, dass eine genaue historische Analyse noch nicht geleistet werden konnte. Trotz all dieser Mängel, reichen die bisher gesammelten Informationen, um festzustellen, dass die PKK sich durch ihre Politik in Widerspruch zu den Interessen der Völker der Region und damit in Widerspruch zu den Prinzipien des proletarischen Internationalismus bringt.

„Der proletarische Internationalismus ist Grundlage für den gemeinsamen Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen unterschiedlicher Länder gegen Kapitalismus und Imperialismus und findet seinen konkreten Ausdruck in der praktischen Klassensolidarität über nationale Grenzen hinweg. Aus dem proletarischen Internationalismus ergibt sich auch, dass die Arbeiterklasse die Einheit des Handelns der internationalen Arbeiterbewegung im Klassenkampf anstreben muss.“55 Darauf haben wir uns als Kommunistische Organisation geeinigt.

Weder der Krieg gegen Syrien, noch die Destabilisierungspolitik der ganzen Region in Westasien sind im Interesse der Arbeiterklassen und Völker der Region. In diesem Zusammenhang von Optionen für bestimmte Völker zu sprechen, wie es Abdullah Öcalan macht, ist mehr als zynisch. Die kurdische Bevölkerung in den verschiedenen Gebieten kann kein Interesse an einem wie auch immer gearteten Bündnis mit den imperialistischen Aggressoren haben. Ein solches Bündnis bringt die Kurden in eine Frontstellung mit den anderen Bevölkerungsgruppen. Zu gewinnen haben dabei nur diejenigen, die eh schon in irgendeiner Weise die Geschicke der Mehrheit in einer Region bestimmen: seien es die ausländischen imperialistischen Mächte, die alten feudalen Klassen oder diejenigen, die die politische Macht in ihren Händen halten. Im Nordirak ist es sehr gut zu beobachten, wie sehr die opportunistische Politik eines Barzani im Interesse der alten Feudalherren liegt, die sich in der mit der Billigung und der Unterstützung der USA entstandenen Autonomieregion als Ausbeuterklasse etablieren können. Wie ist das in den von der PYD kontrollierten Gebieten? Wird dort die Eigentumsfrage gestellt? Werden die alten Feudalherren nur ersetzt oder gar beteiligt an der neuen Macht?

Es ist auch nicht möglich auf der einen Seite Kritik an den von der Programmatik und der Ideologie der PKK zu üben und praktisch an ihrer Seite zu kämpfen, so wie das einige Organisationen tun.56 Wenn es nur um ideologische Differenzen, unterschiedliche Vorstellungen von der Überwindung des Kapitalismus und vom Sozialismus gehen würde, aber der Kampf gegen den Imperialismus im Interesse der unterdrückten und abhängigen Nationen geführt werden würde, dann wäre eine solche kritische Solidarität möglich.

Es wurde oben schon ausgeführt, dass die praktische Politik der PKK Maßstab für die Bestimmung des Verhältnisses zu ihr sein muss. Aus dieser Perspektive hat die PKK den Boden des proletarischen Internationalismus durch ihre Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus verlassen.


1 Wobei auch weiterhin „Volk“ im Sinne von ethnischen Gruppen Anwendung findet. Es gibt im Deutschen sozusagen zwei Bedeutungen, erstens die breite Masse der Menschen in einem Land, zweitens ein Volk im Sinne einer Ethnie. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch findet Volk im Sinne einer Ethnie kaum noch Verwendung, in der Alltagssprache ist eine solche Bedeutung noch weit verbreitet.

2 Manche sehen in der politischen Orientierung der Apoistischen Organisationen einen tatsächlichen radikal-demokratischen Ansatz, aber das Gefüge der Institutionen werden wie hier hier als einheitlich eingeschätzt: siehe dazu: Jongerden, Joost: The Kurdistan Worker Party (PKK), Radical Democracy and the Right to Self-Determination beyond the Nation State, In: The Kurdish Question Revisited, 2017

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeiterpartei_Kurdistans#Einstufung_als_terroristische_Vereinigung

4 Die aus kolonialer und imperialistischer Sicht als der Nahe und Mittlere Osten bezeichnete Region zwischen Afghanistan und der Levante wird hier als Westasien bezeichnet.

5 https://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hintergrund/geschichte/hausarbeitpkk.htm#4.1

6 https://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hintergrund/programm_1/03.htm

7 ebd.: „Die Beendigung der Herrschaft des türkischen Kolonialismus und des hinter ihm stehenden Imperialismus über Kurdistan.“ Aus dem Gründungsprogramm der PKK 1978

8 Siehe dazu Nick Brauns: Der NATO Putsch, Junge Welt, 11.9.2010

9 Guida, Michelangelo: Turgut Özal and Islamism in Turkey, In: Hamdard Islamicus, Quarterly Journal of Studies and Research in Islam, Karachi, July-September 2005

10 S. Çelik: Den Berg Ararat versetzen, November 2002, S.170/171

11 Çelik 2002, S.178

12 Çelik 2002, S.177

13 Çelik 2002, S.181

14 Das Greater Middle East Project ist eine Agenda der USA, die offiziell 2004 auf dem G8-Gipfel vorgestellt wurde und die Umgestaltung der gesamten Region Westasien und Nordafrika umfassen soll. Die Hauptanliegen dieses Projekts seien Demokratie, Aufbau einer Zivilgesellschaft und Entwicklung der ökonomischen Potentiale, vor allem duch Privatisierung. Dass es dabei darum geht, imperialistische Interessen der USA durchzsetzen und in dieser Region den eigenen Einfluss zu sichern, liegt auf der Hand. Siehe dazu: Basevich, Andrew: Americas War for The Greater Middle East, 2016

15 Sykes-Picot-Abkommen 1916

16 Zum Beispiel der von Lieutnant-Colonel Ralph Peters vorgestellte Plan, auch als Peters Map bekannt. https://www.globalresearch.ca/plans-for-redrawing-the-middle-east-the-project-for-a-new-middle-east/3882

17 Siehe hierzu ein Papier von Ofra Bengio: Surprising Ties between Israel and the Kurds, in: The Middle East Quarterly, Summer 2014;

18 Liga, Aldo: Israel and Iraqi Kurds in a Transforming Middle East, IAI Working Papiers 16 | 34 – Dezember 2016 oder siehe dazu auch: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/israelisch-kurdische-beziehungen-13116886.html

19 Bengio, Ofra: Suprising Ties between Israel and The Kurds, In: Middle East Quarterly, Summer 2014,

20 Çelik 2002, S. 333

21 Der Mord an Cansiz konnte bis heute nicht restlos aufgeklärt werden. Der mutmaßliche Mörder, der von der MIT beauftragt gewesen sein soll, wurde wenige Tage vor Prozessbeginn ermordet.

22 Çelik 2002, S.353 / 354

23 Çelik 2002, S.374

24 Erklärung des Präsidialrates der PKK zu den Beschlüssen des 7. außerordentlichen Kongresses der PKK – nach einer Presseerklärung des KIZ vom 9.2.2000 https://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hintergund/kongress/01-bk.htm

25 https://www.nadir.org/nadir/initiativ/kiz/verteidigung/verteidigungsschriften/verteidigungsschrift01/index.htm

26 Das sind althergebrachte feudale Hierarchien, die noch bis heute in den dörflichen Gegenden existieren

27 Çelik 2002, S.390 Fußnote 24 6.Sitzungstag 03.06.1999, S.50

28 Eligür, Banu: Turkish-American Relations since the 2003 Iraqi War: A Troubled Partnership, May 2006, In: Middle East Brief, No.6/2006, Massachusetts.

29 https://www.spiegel.de/politik/ausland/terror-in-der-tuerkei-kurdische-freiheitsfalken-boten-der-hoelle-a-434388.html

30 https://www.swp-berlin.org/kurz-gesagt/kurden-terrorakte-der-freiheitsfalken-schaden-der-pkk/

31 http://www.kurdistan-report.de/index.php/archiv/2019/68-kr-204-juli-august-2019/860-die-gesellschaft-muss-ihre-beteiligung-aktiv-einfordern

32 http://civaka-azad.org/jenseits-von-staat-macht-und-gewalt/

33 Abdullah Öcalan: Jenseits von Staat, Macht und Gewalt, Köln 2015, S.370

34 Ebd. S.271/272

35 Ebd. S.272

36 Ebd. S.272

37 Öcalan 2015, S. 331. Hier kritisiert Öcalan unterschwellig die Politik der USA, die möglicherweise eine „Liquidierung“ der PKK im Rahmen des GMEP vorsehen könnte. In diesem Zusammenhang droht er mit einem „palästinensisch-israelischen Drama in Kurdistan.“

38 Öcalan 2015, S.305/306

39 Herzl, Theodor: Der Judenstaat 1896, S.30

40 Bengio, Ofra: Suprising Ties between Israel and The Kurds, In: Middle East Quarterly, Summer 2014

41 ebd.: „It also seems there are two camps in the PKK, one led by Murat Karayılan which is open to ties and that of Cemil Bayık which is more reluctant. The umbrella organization in Europe, the Kurdistan National Congress (KNK), also seems more willing to consider developing ties.[53] In a March 2014 interview with The Jerusalem Post, prominent KNK member Zübeyir Aydar also called for „breaking the walls“ between Kurds and Israelis.“

42 Itai Anghel 2010: PKK Leader: Israel Is Helping Turkey to Destroy Us, Haaretz 22.9.2010

43 Öcalan 2015, S.306

44 Auf diese Argumentation wird gegen Ende des Papiers nochmal genauer eingegangen

45 http://civaka-azad.org/roadmap-fuer-die-demokratisierung-der-tuerkei-und-dieloesung-der-kurdischen-frage-2/

46 ebd.

47 Mehr oder weniger die gleichen Aussagen finden sich auch in der oben behandelten Schrift Jenseits von Staat, Macht und Gewalt

48 Alle Informationen in diesem Absatz sind hier zu finden: http://civaka-azad.org/roadmap-fuer-die-demokratisierung-der-tuerkei-und-dieloesung-der-kurdischen-frage-2/

49 http://civaka-azad.org/mit-dem-paradigma-der-pkk-den-sozialismus-neu-schaffen/

50 Mitbegründer der PKK und Mitglied des Exekutivrates der KCK

51 Das gilt z.B. für die Stadt Urumiya im Nordwesten Irans. Hier treffen häufig kurdische und azerische Nationalisten aufeinander. Die PJAK jedenfalls behauptet, dass Urumiya eine kurdische Stadt sei und das Kurdistan-Map der Apoistischen Organisationen sieht es auch genauso.

52 Gotschlich, Jürgen: Beihilfe zum Völkermord, Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier, Berlin 2015, S.191/192. Kurdische Stämme / Stammesführer halfen der damaligen türkischen Armee mit deutscher Hilfe die Armenier zu vertreiben. Im Nachgang veränderte sich die ethnische Zusammensetzung so, dass die Kurden in der Mehrheit waren.

53 https://www.the-american-interest.com/2019/04/15/the-improbable-rise-and-uncertain-future-of-syrias-kurds/

54 SWP Berlin: Der Aufschwung kurdischer Politik: Lage in Irak, Syrien und der Türkei, Mai 2015, S.40 – und hier der Verweis auf www.kurdwatch.org

55 https://develop.kommunistische-organisation.de/programmatische-thesen/

56 Das ist bei fast allen Organisationen aus der Türkei zu beobachten, die allermeisten sind Schwesterorganisationen der MLPD.