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Hand- und Kopfarbeit

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Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

von Tobi Benario

Im Abschnitt „Wen wollen wir mit unserer revolutionären Massenarbeit organisieren?“ hat sich meines Erachtens eine Unklarheit eingeschlichen, die weitreichende Folgen für unsere Praxis haben könnte. Deswegen versuche ich diese aufzuklären. Ich selbst bin Handarbeiter und Betriebsrat in einem der größten deutschen Monopole, aber durch meine Betriebsratsarbeit auch viel in Kontakt mit KopfarbeiterInnen.

Ab Zeile 717 heißt es in unserem Leitantrag:

„Unser Ziel ist die Organisierung des Klassenkampfs der Arbeiterklasse. Das heißt, dass wir mit unserer Massenarbeit auf die Arbeiterklasse abzielen. Wir orientieren grundsätzlich auf die Arbeiterklasse – nicht ausschließlich, aber grundsätzlich. Das heißt zum Beispiel, dass wir Massenarbeit in einem Stadtteil aufbauen, wo mehrheitlich Arbeiter leben. Wenn dann auch kleinbürgerliche Menschen dazu kommen, verweigern wir nicht die Teilnahme, aber im Mittelpunkt stehen die Interessen, die Lebenslage und die Belange der Arbeiter und ihrer Familien.“

So weit, so richtig, aber dann folgt dieser Part:

„In Betrieben und Gewerkschaften fokussieren wir uns nicht auf Ingenieure oder leitende Angestellte, sondern auf die Arbeiter und einfachen Angestellten, deren Lage fast identisch ist mit der der Arbeiter. Die Frage der anderen, nicht in der Produktion tätigen Angestellten ist nicht unwichtig und nicht selten ein Element der Spaltung. Wir gehen aber davon aus, ihre Haltung nur mithilfe einer stärkeren Organisation unter den Arbeitern verändern zu können.“

Hier stellt sich die Frage, was mit „nicht in der Produktion tätigen Angestellten“ gemeint ist, warum IngenieurInnen ausgeklammert werden sollten und warum eine Trennung zwischen Angestellten und ArbeiterInnen im Produktionsprozess aufgemacht wird. Der Kopfarbeiter (Angestellte) in der Fabrik leistet ebenso produktive Arbeit wie die Handarbeiterin. Ein Handwerker vereint vielleicht noch alle Funktionen im Arbeitsprozess und ist Hand- und Kopfarbeiter gleichermaßen: Er entwirft sein Produkt mit seinem Hirn, baut es mit seinen Händen, macht sich Gedanken über den Verkauf und verkauft es letztendlich selbst. Die Monopole – die die bestimmenden Produktionsstätten der kapitalistische Produktionsweise sind – sind hingegen derart durch Arbeitsteilung gekennzeichnet, dass die Mehrwertproduktion (allein diese kann im Kapitalismus als produktive Arbeit begriffen werden) nur als Produkt vieler einzelner Kopf- und HandarbeiterInnen stattfinden kann. Kein Produkt im Monopol ist Produkt einer einzelnen Arbeiterin. Jedes Produkt, ist Produkt vieler Hand- und KopfarbeiterInnen.

Oder hier mit Marx Worten:

„Der einzelne Mensch kann nicht auf die Natur wirken ohne Betätigung seiner eignen Muskeln unter Kontrolle seines eignen Hirns. Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit und Handarbeit. Später scheiden sie sich bis zum feindlichen Gegensatz. Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn.“

Marx, Kapital 1. Band, MEW Band 23, S. 531f (siehe dazu: AG Politische Ökonomie)

Die Entwicklungsingenieurin ist demnach genauso produktive Arbeiterin wie ich – der Montierer in der Produktionshalle. Wir beide besitzen keine Produktionsmittel, noch bestimmen wir den Produktionsprozess oder eignen uns den Mehrwert und dadurch einen größeren Teil des gesamtgesellschaftlichen Reichtums an. (vgl. Lenins Klassendefinition in: Wladimir Iljitsch: Die große Initiative, in: LW, Band 29, Berlin 1984, S. 410. und AG Klassenanalyse ) Wir sind also beide Teil der Arbeiterklasse. Und wenn die Entwicklungsingenieurin das Produkt nicht entwickelt hätte, könnte ich es nicht montieren, mein Kollege im Versand könnte es nicht verpacken und meine Kollegin im Verkauf nicht als Ware verkaufen und somit könnte der Kapitalist keinen Mehrwert abschöpfen. Keiner von uns wäre demnach produktiv.

Kurzum: Es ist egal, ob jemand mit seinem Kopf oder seinen Händen arbeitet. Produktive Arbeit leisten alle ArbeiterInnen im kapitalistischen Produktionsprozess egal, wo genau sie sich in der Wertschöpfung befinden. Demnach sind so genannte Angestellte – egal ob Entwicklungsingenieur oder Qualitätsprüferin – ebenso Teil der Arbeiterklasse wie HandarbeiterInnen.

Dennoch ist ihr Bewusstseinsstand nicht identisch. Während sich der HandarbeiterInnen oft selbst noch als „ArbeiterInnen“ bezeichnen und auch ihr Organisationsgrad in den Gewerkschaften, ihre Streikbereitschaft und ihr Klassengefühl deutlich größer sind, sehen sich die, die im Büro sitzend mit dem Kopf arbeiten, oft eher auf der Seite der Unternehmensleitung und verhandeln ihre Belange (höherer Lohn, flexiblere Arbeitszeiten usw.) meist individuell vermeintlich auf „Augenhöhe“ mit der Personalabteilung eines Unternehmens und ihren Vorgesetzten und nicht durch einen Zusammenschluss in Gewerkschaften und durch Streiks. Die Auseinandersetzungen von KopfarbeiterInnen um ökonomische Belange im Unternehmen findet so oft auf der Ebene der Arbeitsverträge statt, während die HandarbeiterInnen auf Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge zurückgreifen und selten individuell angepasste Arbeitsverträge haben. Die Spaltung ist ebenfalls enorm. Während HandarbeiterInnen bei uns im Betrieb nur eine feste Pause am Morgen und keine Gleitzeit haben und somit z.B. vom Mittagsangebot der schicken Kantine ausgeschlossen sind, haben die KopfarbeiterInnen Gleitzeit und können ihre Pausenzeiten beinahe beliebig legen und ausdehnen. Dafür wird von den KopfarbeiterInnen aber auch fast immer verlangt 40 Stunden pro Woche zu arbeiten oder mehr, während die erkämpfe 35-Stunden-Woche bei tarifgebundenen HandarbeiterInnen im Westen zum Großteil Realität ist.

Der Satz unseres Leitantrages „Wir gehen aber davon aus, ihre Haltung nur mithilfe einer stärkeren Organisation unter den Arbeitern verändern zu können.“ könnte genauso von der IG Metall der letzten Jahrzehnte stammen. Die IG Metall ist gut darin gewesen, HandarbeiterInnen in der deutschen Monopolindustrie anzusprechen, KopfarbeiterInnen schaffte sie aber kaum zu organisieren. Da sich das Verhältnis von KopfarbeiterInnen zu HandarbeiterInnen in der deutschen Industrie aber stark zu Gunsten der KopfarbeiterInnen geändert hat, da die einfache Handarbeit – auf Grund der geringeren Lohnkosten – oft ins Ausland verlagert wurde, ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Monopole in Deutschland deutlich zurückgegangen. Bei uns im Betrieb waren mal vier von fünf ArbeiterInnen in der IG Metall, heute sind es nur noch zwei von fünf. Unter den HandarbeiterInnen sind es jedoch immer noch drei bis vier von fünf, während es unter den Kopfarbeitern nicht einmal einer von fünf ist. Der Anteil der KopfarbeiterInnen hat sich in den letzten Jahren aber verfünffacht. Während es früher gerade einmal 10 % waren, stellen sie heute mehr als die Hälfte der ArbeiterInnen in unserem Betrieb.

Da KopfarbeiterInnen meist keine schwere körperliche Arbeit leisten, höhere Löhne bekommen und meist mehr Flexibilität in ihrer Arbeitszeitgestaltung haben, muss man sie mit anderen Themen in ökonomische Kämpfe führen als die HandarbeiterInnen. Da viele KopfarbeiterInnen durch die Universität eher eine akademische Sprache und andere Formen der Ansprache gewohnt sind, muss man sie auch im Betrieb anders ansprechen. Der Kampf gegen die Nachtschicht interessiert den Kopfarbeiter genauso wenig wie sich die Handarbeiterin im ersten Schritt für Lärmschutz in Großraumbüros einsetzen wird. Der laut schreiende Gewerkschaftssekretär, der die HandarbeiterInnen zur Blockade des Werktors bringt, schreckt viele KopfarbeiterInnen eher ab. Um also ArbeiterInnen in einem Betrieb anzusprechen und organisieren zu können, muss man ihre jeweilige Lage genau kennen und sie an ihren unmittelbaren unterschiedlichen Problemen in ihrer Sprache abholen. Gerade die isolierten und unorganisierten KopfarbeiterInnen müssen erst einmal lernen ihre Interessen gemeinsam mit anderen durchzusetzen. So kann man mit ihnen kreative „Mein Akku war leer“-Streiks gegen die ständige Erreichbarkeit auch in der Freizeit organisieren oder die Dualstudierenden könnten ihre wertschöpfende und nicht oder schlecht entlohnte Arbeit beiseite legen und für eine Aufnahme von Dualstudierenden ins Berufsbildungsgesetz streiken. Erst diese kleinen Erfahrungen der Macht des gemeinsamen Handelns werden es zulassen, Brücken zu den streikenden HandarbeiterInnen zu schlagen und später Kämpfe auf andere Betriebe, Branchen und Länder auszuweiten und zu einem politischen Kampf um die Staatsmacht zu entfachen. Die alleinige Orientierung auf HandarbeiterInnen und ein paar ausgewählte KopfarbeiterInnen, wird es nicht schaffen die Spaltung zwischen Hand- und Kopfarbeit zu überwinden und die gesamte Klasse zu einen und zum Sturm auf die herrschenden Verhältnisse zu verleiten. Denn Klassenbewusstsein entsteht im gemeinsamen Kampf und nicht in der Beobachtung von vermeintlich fremden Kämpfen.

Massenorganisation statt Bewegungsorientierung

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Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

von Lenny

Der Leitantrag zur zweiten Vollversammlung der Kommunistischen Organisation formuliert die notwendigen Schritte zur Verankerung der Kommunisten in der Arbeiterklasse und zum Aufbau einer aktiven, vom Einfluss des Kapitals unabhängigen Arbeiterbewegung.

Die formulierte „Arbeit in den Massen“ ist für die kommunistische Bewegung alles andere als selbstverständlich. Viele von uns kommen aus Organisationen, deren Praxis zu einem großen Teil daraus besteht, sich an der Arbeit von Bündnissen oder Gruppen zu beteiligen, die einzelne politische Themen bearbeiten. Der bürgerliche Parlamentarismus und seine Wahlen sind in dieser Wahrnehmung als politische Beteiligung und Vehikel der Veränderung unzureichend, man müsse daher auch „auf der Straße“ aktiv sein, in politischen Bewegungen.

Was hier mit „Bewegung“ gemeint ist

Der Begriff „Bewegung“ ist mehrdeutig. Hier beziehe ich mich auf die politischen Bewegungen, die spontan in der Bevölkerung entstehen oder als Kampagnen von Organisationen aufgezogen werden. Es wird stets ein politisches Einzelthema aufgegriffen, das als solches gerade in der Bevölkerung virulent ist. Bewegungen knüpfen im Gegensatz zu Massenorganisationen nicht an ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen an, sondern an politischen Überzeugungen.

Es gibt verschiedene Beispiele, die sich organisatorisch unterscheiden, die aber alle mehr oder weniger nach den gerade formulierten Prinzipien funktionieren. Hier lassen sich bspw. die Anti-TTIP-Proteste, die Occupy/Blockupy-Bewegung, Fridays For Future, Kastor schottern oder Aufstehen benennen. Aber auch die Friedensbewegung oder die Proteste der Gelbwesten lassen sich als Bewegungen fassen.

Die Themen der Bewegungen betreffen verschiedene Symptome des imperialistischen Kapitalismus, wie Krieg, Rassismus, das mangelhafte Bildungs- oder Gesundheitssystem oder auch jüngst den Klimawandel. Mal werden sie als Kampagne einer Partei aufgezogen, mal entstehen sie eher spontan, wie die Gelbwestenbewegung in Frankreich. Über jede Sauerei des Imperialismus empört sich ein Teil der Bevölkerung und das meistens zu Recht. Die Arbeit in Bewegungen als zentraler Punkt sozialistischer Praxis ist vielen in Fleisch und Blut übergegangen. Die Kommunistische Bewegung wird darüber, wann sich Kommunisten unter welchen Bedingungen an spontan aufkommenden, politischen Bewegungen und Bündnissen beteiligen sollten oder nicht im Zuge des Klärungsprozesses (vgl. AG Revolutionäre Arbeiterbewegung und Kommunistische Partei) noch elaborierte Positionen entwickeln müssen. Trotzdem lässt sich der Leitantrag als erstes umfangreicheres Dokument der KO zur Praxis der Kommunisten auch als Kritik gegenüber bestehenden Ansätzen verstehen.

Ich halte nach einigen Diskussionen um den Leitantrag und seine mögliche Umsetzung vor Ort, u.a. mit Genossen der KO, eine Auseinandersetzung darum für notwendig, mit welcher praktischen Ausrichtung der Leitantrag auch Schluss macht. In diesem Beitrag möchte ich die Bewegungsorientierung kritisieren, also das Ausschauhalten nach spontan entstehenden Bewegungen und das Initiieren von Kampagnen außerhalb der Massenorganisationen. Es handelt sich meiner Meinung nach um eine weit verbreitete Fehlorientierung. Dies ist eine Praxis der Verlegenheit, die die Bewusstheit und Beständigkeit der Arbeiterbewegung ihrer Spontaneität opfert. Ich will hervorheben, wie mit dem Leitantrag aus meiner Sicht ein sinnvollerer Ausgangspunkt erarbeitet wurde, als ihn die Bewegungsorientierung darstellt.

Die Arbeit in den Massen

Die Erfahrungen der Arbeiterbewegung im imperialistischen Kapitalismus unter den Bedingungen von schwerster Repression staatlicher Seite und dem Phänomen der beschwichtigenden Arbeiteraristokratie innerhalb der Arbeiterbewegung führten gegen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts zu neuen Erkenntnissen über die notwendigen Eigenschaften einer politische Organisation der Arbeiterklasse im Imperialismus. Diese legt Lenin u.a. in den Schriften „Was tun?“ (1902, LW 05) und „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“ (1916, LW 23) umfassend dar. Für den Erfolg der Arbeiterbewegung ist es erforderlich, die richtigen Einschätzungen und Entscheidungen im Aufbau und Kampf zu treffen. Hierfür ist größtmögliche Bewusstheit über alle gesellschaftlichen Bedingungen des Kampfes erforderlich, die unmöglich in der ganzen Masse der Arbeiterbewegung spontan vorhanden sein kann. Dies muss daher möglichst zentral und wissenschaftlich angeleitet geschehen. Diese zentrale Organisation zur Klärung der Bedingungen und notwendigen Schritte im Kampf der Arbeiterklasse ist die kommunistische Partei. Sie ist durch ihre Analyse und Erfahrung in jeder Situation der Arbeiterbewegung in der Lage, die bestmögliche Handlungsentscheidung vorzuschlagen. So bewährt sich die kommunistische Partei im Kampf weiter und ist immer mehr in der Verantwortung – aber durch ihre wachsende Erfahrung auch tatsächlich in der Lage – der Arbeiterbewegung die richtigen Anweisungen zu geben. Die Kommunistische Organisation begeht derzeit mit den Arbeitsgruppen den Klärungsprozess der theoretischen Vorbedingungen, um im Aufbau und Kampf der Arbeiterklasse die notwendigen Entscheidungen treffen zu können.

Ergänzt und komplettiert wird dieser Klärungsprozess durch die Arbeit in den Massenorganisationen der Arbeiterklasse. Um die Auseinandersetzung mit dem Kapital zu gewinnen müssen diese Organisation der Arbeiterklasse zahlreicher und umfangreicher und in ihrer Ausrichtung klarer über den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit werden. Hierfür beschreibt der Leitantrag Prinzipien, denen wir in den Massenorganisationen zur Durchsetzung verhelfen wollen und gibt Hinweise darauf, was erste Schritte der von der Arbeiterklasse losgelösten Kommunisten sein können, um die Arbeiterbewegung wiederaufzubauen und hier Verankerung zu finden. Der Leitantrag stellt so auch eine gut begründete Handlungsempfehlung für die am Boden liegende kommunistische Bewegung in der BRD dar. Er bietet eine Alternative zum Umherirren. Es bleibt aber offen, in welchen Methoden sich die Handwerklerei der Kommunisten genau ausdrückt. So entstehen im Leitantrag offene Flanken für Verlegenheitslösungen wie die Bewegungsorientierung.

Abschied von Bewegungsorientierung

Ohne dass die Arbeiterklasse sich in allen Lebenslagen organisiert, ist sie nicht in der Lage den Zumutungen des Kapitals etwas entgegenzusetzen und langfristig die Herrschaft zu übernehmen. Die Massenorganisationen wie Gewerkschaften und Vereine werden immer kleiner und folgen bürgerlichen Ideen (vgl. Leitantrag S. 20ff.). Um diesen katastrophalen Zustand der Organisierung der Arbeiterklasse zu ändern, müssen die Kommunisten neue Massenorganisationen aufbauen und in bestehenden um ihre Ausrichtung kämpfen. Diesen Weg beschreibt der Leitantrag. Es gibt keine Abkürzungen für den Aufbau der Macht der Arbeiterklasse. Die Arbeit in den Massen erfordert beständige Aktivität, Elan und Verlässlichkeit von den Kommunisten.

Manchen mag es bei Zustimmung zum Leitantrag daneben noch sinnvoll erscheinen in aufkommenden, politischen Bewegungen mitzuarbeiten. Dies zieht Kapazitäten ab vom Klärungsprozess und der Arbeit in den Massen. Kann sich dieser Einsatz lohnen? Welchen Sinn könnte diese zusätzliche Orientierung auf Bewegungen haben? Ich unterstelle zweierlei Erwägungen, aus denen heraus die Mitarbeit in diesen Bewegungen sinnvoll erscheinen kann: 1.) Mit den Bewegungen können Reformen und Richtungsänderungen in der Politik erwirkt werden. Bewegungen betreiben Aufklärung über Probleme wie wachsende Ungleichheit, den Abbau von Sozialleistungen, Krieg, Rassismus, Klimawandel, o.ä. 2.) In den Bewegungen kommen politisch interessierte Leute, diejenigen, die „aktiviert“ wurden und bereit zum Kämpfen sind, zusammen. Jene Leute sind auf der Suche nach politischen Antworten und empfänglich für Agitation und Propaganda der Kommunisten. Um diese Leute anhand ihres politischen Interesses einzufangen, lohnt es sich in der Bewegung mitzuarbeiten oder sie mit eigenen Kampagnen zu locken.

Ich halte beide Überlegungen für fehlgeleitet. Ich will zeigen, wo der Leitantrag mit dieser voluntaristischen Bewegungsorientierung Schluss macht.

Bewegungen fehlt die kommunistische Führung

Tatsächlich gibt es Beispiele, wo die Herrschenden auf Forderungen von Bewegungen eingegangen sind. In den meisten Fällen werden die am wenigsten weitgehenden Forderungen herausgepickt und umgesetzt, um der Aufruhr den Schwung zu nehmen und den Interessengegensatz zu verschleiern. Am Ende sind die Proteste sozialdemokratisch befriedet und viele in ihren Hoffnungen enttäuscht. Der aufgekommene Schwung verebbt im Kompromiss, der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit tritt nicht offen zu Tage. Das Ziel der „Arbeit in den Massen“ aber ist, „dass durch die Erfahrungen in Massenorganisationen die Masse die Fähigkeit lernt, sich zu organisieren und die Macht wirklich übernehmen und ausführen zu können, keine Illusionen in die bürgerliche Herrschaft zu haben, welche Form auch immer sie haben mag.“ (Leitantrag, S. 11, Z. 338ff.) Dem laufen die faulen Kompromisse zugegen, die spontane Bewegungen der Arbeiterklasse ohne verankerte, kommunistische Führung erwirken. Die Reform ist nur sinnvoll, wenn sie dazu dient den Klassenkonflikt zuzuspitzen. Die Überwindung des Kapitalismus ist das Ziel, dem sich alle anderen Erwägungen unterzuordnen haben. Nur der Sozialismus kann tatsächlich jene Verbesserung bringen, in dessen Hoffnung die Bevölkerung überhaupt zu kämpfen beginnt. Angesichts dessen, müssen wir alle Illusionen über ein falsches Verständnis von Reformen zerstreuen, in denen Verbesserungen im Kapitalismus aufeinander aufgehäuft, die gute Welt ergeben könnten. Auch Problemen wie dem Klimawandel oder Rassismus lässt sich meiner Einschätzung nach nicht auf reformistischem Wege beikommen, auch wenn eine Lösung drängend ist. Als Kommunisten in falschem Alarmismus in Bewegungen zu stürzen, hilft nicht bei der Beseitigung der ja nur durch den faulenden Imperialismus bestehenden Probleme. Die Anstrengung der Kommunisten dient heute der Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse und der Entwicklung des Klassenkampfes. „Unser Ziel ist, die eigenständige, das heißt klassenbewusste Organisierung der Arbeiterklasse voranzutreiben, sie neu zu beleben und damit die Grundlage für die Änderung der Kräfteverhältnisse in der Arbeiterbewegung zu schaffen.“ (S.18, Z. 566ff.) Denn nur so, nur mit der klassenbewussten Organisation der Arbeiterklasse lässt sich der Umsturz herbeiführen.

Dies ist auch Voraussetzung, um in einer revolutionären Situation die dann entstandene Bewegung korrekt zum Aufstand zu führen und von der Niederwerfung der Bourgeoisie zu überzeugen. Bewegungen bekommen diese klassenbewusste Ausrichtung nicht spontan. Sie kann auch nicht auf vereinzelten Treffen und Versammlungen plötzlich herbeidiskutiert werden. Es geht dem ein langer Prozess der Bewusstwerdung der Arbeiterklasse voraus, in Kämpfen mit der Bourgeoisie, im Erkennen der Fehler der sozialdemokratisch vereinnahmten Arbeiterbewegung, in der Auseinandersetzung mit den Positionen der Kommunisten. Dies passiert vorrangig in Massenorganisationen. Und nur aus der so zu Bewusstsein und Organisation gekommenen Klasse können Bewegungen hervorgehen, die die Fähigkeit zum Umsturz besitzen.

Bewegungen fehlen die Massenorganisationen

Der Bewegungsfetischismus nimmt schlimme Züge an: Oft gibt es gar keine Strategie, in die sich die Arbeit in Bewegungen einordnet. Mit Demonstrationen oder Aktionen sollen sehr viele Leute zusammengebracht werden können, womit „Druck von unten“ aufgebaut, ein „starkes Signal“ an die Politiker gesendet oder ein „Umdenken“ in der Bevölkerung ausgelöst wird. In einer Erweiterung dieser idealistischen Vorstellungen und der völligen Abwesenheit einer Strategie wurde in letzter Zeit häufig der Begriff Streik als Prothese für fehlende Organisierung und ökonomische Macht verwendet. Der Aktionismus der Bewegungen belügt sich und andere mit dem Wort „Streik“ darüber, auf welcher flüchtigen Basis er eigentlich steht. Die Einschätzung der eigenen Organisierung, der Chancen auf Durchsetzung der eigenen Forderung und der notwendigen Schritte zum Aufbau von Gegenmacht geraten in den Hintergrund vor dem Zweck der kurzfristigen Mobilisierung eines willkürlich anvisierten Kreises von Leuten. Oft geht es tatsächlich um Profilierung einiger führender Köpfe, die sich mit den mobilisierten Massen selbst schmücken und ihre Karriereoptionen im sozialdemokratischen Parteiapparat oder ähnlichem verbessern wollen. Der Karrierismus und der Voluntarismus in Strategie und Taktik sind Ausdruck des Eindringens bürgerlicher Elemente in die Arbeiterbewegung und ihre Parteien. Dies benennt auch der Leitantrag richtigerweise: „Seit der Niederlage von 1989 ist die Arbeiterbewegung von Desorganisierung und Opportunismus geprägt. Die Erkenntnis, dass nur mit dem Sturz des Kapitalismus und der Macht der Arbeiterklasse die Lösung der Probleme möglich ist, ist verschüttet und aus dem Bewusstsein weitgehend verschwunden. Die Lücke, die durch die Niederlage und das Verschwinden oder Schrumpfen der Parteien entstanden ist, wurde gefüllt durch allerlei Varianten der Sozialdemokratie und der kleinbürgerlichen Ideologie. Sie alle zielen auf die Reformierung des Systems ab, auch wenn sie teilweise radikal klingende Parolen und utopische Vorstellungen aufstellen.“ (S. 30, Z. 952ff.) Fehlannahmen und Unklarheit verschleiern, welche Schritte notwendig sind, um tatsächlich „Druck von unten“ aufzubauen. So wird nach jedem Halm gegriffen, der organisierte Macht gegenüber dem Kapital simuliert.

Zur Klärung der notwendigen nächsten Schritte der kommunistischen Bewegung nach der Niederlage 1989 gibt es die Kommunistische Organisation. Der Leitantrag zur Vollversammlung bildet dabei das nächste wichtige Puzzlestück. Es gilt die Arbeit in den Massen aufzubauen. Dabei ist entsprechend der Bedingungen vor Ort und der Lebensbereiche, in denen sich die Genossen der KO im Alltag bewegen, unterschiedlich anzufangen. Die höchste Priorität hat die Organisierung der Arbeiterklasse in den Betrieben (vgl. S.24ff.). Abhängig davon, wie die Kommunisten aufgestellt sind, können aber auch andere Schritte vorher nötig sein: „Wichtig ist auch, dass wir die Frage nach der besseren Organisierung der Arbeiterklasse nicht einfach dadurch beantworten, indem wir einfach selbst in den Betrieb oder in die Gewerkschaft gehen. Das kann durchaus richtig und notwendig sein, muss aber je nach den Bedingungen und Kapazitäten in einem Ort entschieden werden, die besten Ansatzpunkte müssen gefunden und umgesetzt werden.“ Der Alltag macht die gesellschaftliche Praxis der Arbeiterklasse aus, deswegen sollten Kommunisten diesem ihre Arbeit widmen: „Die Sammlung von Menschen, die Orientierung auf die Breite der Bevölkerung und hier vor allem die Arbeiterklasse ist unser Ziel. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf die verschiedenen Bedürfnisse der Arbeiterklasse, seien es ökonomische, soziale oder kulturelle.“ (S. 18, Z. 559ff.)

Gegenseitige Hilfe kann dabei eine wichtige Rolle spielen, weil sie an den Bedürfnissen der Menschen anknüpft. Darin müssen sich Kommunisten als Konstante beweisen: „Die Herstellung von Vertrauen und Beziehungen ist eine politische Aufgabe, weil sie die Grundlage dafür ist, dass man gemeinsam handelt und vielleicht irgendwann als Genossen gemeinsam kämpft.“ (S. 22, Z. 684ff.) Das spontane Kommen und Gehen von Bewegungen verhindert, dass Bewegungen Ausgangspunkt für die notwendige, langfristige Organisation der Arbeiterklasse sein könnten. Hier werden mit kurzfristigen Mobilisierungen Erfolge simuliert, denn tatsächlich tragen sie meist nichts zur Offenlegung der Klassengegensätze und der Organisation der Arbeiterklasse bei. „Unsere Aufgabe ist, überall Keimformen zu entwickeln und sie zum Klassenkampf zu entwickeln, sie zu politisieren, damit die Massen durch Erfahrung lernen und bereit sind, dieses Ziel zu erreichen.“ (S. 6, Z. 175ff.) Spontane Bewegungen knüpfen nicht am Alltag der Arbeiterklasse an und sind meist stark von bürgerlichen Elementen vereinnahmt. Sie führen beim Großteil der Teilnehmer eher zu Enttäuschung und dem Rückzug ins Private, als zur dauerhaften Organisation. Deswegen sind vor allem dauerhaft aktive Organisationen, die ein alltägliches Interesse der Arbeiterklasse bedienen, also die Massenorganisationen der Arbeiterklasse, für die Kommunisten interessant: „Unter Massenorganisationen verstehen wir Organisationen, in denen die Arbeiter sich entlang ihrer ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Interessen organisieren.“ (S. 22, Z. 694ff.) Spontane Bewegungen fallen nicht darunter.

Nun kann man zustimmen, dass die Arbeit in den Massen höchste Priorität hat und es trotzdem als nützlich befinden, nebenbei in Bewegungen für das Projekt der Kommunisten zu agitieren. Doch auch das ist weniger nützlich, als vielmehr Fallstrick und Ablenkung von den im Leitantrag formulierten Aufgaben. Die alltäglichen Auseinandersetzungen sind der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Klassenkampfs. In diesen Auseinandersetzungen gewinnen die Agitation und Propaganda der Kommunisten ihre Schlagkraft und werden zu mehr als nur abstraktem Radikalismus. In Bewegungen, die nicht am Alltag der Arbeiterklasse ansetzen, wird Agitation und Propaganda der Kommunisten zum Appell an bestehende politische Überzeugungen und lockt so vor allem diejenigen, die aus einem Ideal für linken Ideen einstehen und nur nachrangig solche, die qua ihrer gesellschaftlichen Stellung und Erfahrung ein objektives Interesse an der Überwindung des Kapitalismus haben und in den kommunistischen Ideen die notwendigen Schritte dafür erkennen. Auf diese Weise kann auch der Anteil an Personen aus schwankenden Schichten zwischen Kapital und Arbeit in der kommunistischen Bewegung personell noch mehr an Gewicht bekommen, als er ohnehin schon hat. Die Mitglieder der Kommunistischen Organisation – und später einmal der Kommunistischen Partei – nicht vorrangig aus den Interessensorganisationen der Arbeiterklasse zu rekrutieren, stellt langfristig ein Einfallstor für bürgerliche Ideologie und Revisionismus dar. Dieses Tor gilt es eher zu schließen, als noch weiter zu öffnen. Auch dafür könnte die Arbeit in den Massen eigentlich die Grundlage bilden, wenn er denn konsequente Umsetzung findet.

Aus diesen Gründen stehe ich der Mitarbeit in oder Gründung von eigenständigen, von Massenorganisationen losgelösten Bewegungen oder Gruppen als einem dritten Wirkungsort der Kommunisten neben Partei/KO und Massenorganisation skeptisch gegenüber. Anhand des Leitantrags müssen die bestehenden und noch entstehenden Massenprojekte der KO immer wieder auf ihren Charakter hin überprüft, organisationsintern kritisiert und schließlich befördert oder beendet werden.

Politischer Charakter der Massenorganisationen

Zuletzt will ich noch auch auf Probleme hinweisen, die in der Arbeit in den Massenorganisationen mitunter bereits entstanden sind und in Zukunft vermieden werden sollten bzw. die noch eine Lösung erfordern. Die Massenorganisationen „sind Orte der Erfahrung der eigenen gesellschaftlichen Kraft, der eigenen Fähigkeiten, Orte wo man lernt selbst zu entscheiden und diese umsetzen zu können. Sie sind ebenso Räume der gesellschaftlichen, politischen, ideologischen Auseinandersetzung.“ (S. 22, Z. 705f.) Die Massenorganisationen dürfen sich daher nicht auf die Bedienung der ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeiter beschränken. Die am Alltag der Leute ansetzende Agitation der Kommunisten gehört genauso zum Tageswerk in den Massenorganisationen, wie etwa die gegenseitige Hilfe. Zudem dürfen die Organisationen keinen Dienstleistungscharakter annehmen. In den Massenorganisationen lernt „die Masse die Fähigkeit […], sich zu organisieren und die Macht wirklich übernehmen und ausführen zu können, keine Illusionen in die bürgerliche Herrschaft zu haben, welche Form auch immer sie haben mag.“ (S. 11, Z. 339ff.) Bei der Ablehnung der Bewegungsorientierung zugunsten der Arbeit in den Massen darf es nicht passieren, in der Bearbeitung der Interessen der Arbeiterklasse in bürokratischen Trott zu verfallen und so zu vergessen, dass alles was wir in Massenorganisationen an kleinteiliger Arbeit machen, aus politischen Gründen passieren muss und nicht aus reiner Routine. Die gegenseitige Hilfe etwa oder das Sporttreiben im Verein darf nicht zum Selbstzweck werden. Es muss zur Entwicklung des Klassenbewusstseins beitragen oder Anknüpfungspunkt für Kämpfe sein, die auf den Klassenantagonismus gerichtet sind. Dies betreffend finden sich auch in der bisherigen Arbeit der Kommunistischen Organisation in Massenorganisationen deutliche Mängel. Sie sind an manchen Stellen zu sehr nach innen und auf die Bearbeitung der eigenen Probleme gerichtet. An der Schnittstelle von Massenorganisation und AG muss die Organisation sinnvolle, „kampforientierte Handlungsoptionen“ für die Arbeit in den Massen entwickeln und ausprobieren.

Eine Leerstelle des Leitantrags zur Vollversammlung der Kommunistischen Organisation besteht meiner Ansicht nach in der fehlenden Auseinandersetzung mit falschen praktischen Ansätzen im Rest der kommunistischen Bewegung. Wie gezeigt, bietet er aber durchaus die Möglichkeit zu benennen, was die Umsetzung dieses Papiers hinter sich lassen würde. Die Identifizierung falscher Ansätze trägt sowohl nach innen als auch nach außen zur Klärung des heute richtigen Wegs bei.

Massenarbeit und Massenbewegung. Stellungnahme zum Leitantrag der Kommunistischen Organisation

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Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Ein Gastbeitrag von Hans Christoph Stoodt

Zustimmung

Die Genossinnen und Genossen der Kommunistischen Organisation (KO) haben einen umfänglichen Leitantrag zur öffentlichen Diskussion vorgelegt. Bevor ich drei kritische Anmerkungen dazu mache, möchte ich mich für die große Arbeit bedanken, die in diesem Dokument steckt. Ich stimme ihm in der generellen Linie zu und finde insbesondere, dass die Frage der Unabhängigkeit des Aufbaus einer Kommunistischen Partei (KP) – erklärtes Ziel der KO -, die Frage der Klassenorientierung auf die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt, die Beschreibung der sozialistischen Revolution als nächstes strategisches Ziel und die in der derzeitigen Lage richtige Distanz von „breiten Bündnissen“ bisheriger Art absolut richtig sind. Der Leitantrag (LA) ist für mein Verständnis in sich schlüssig und wirft die richtigen Fragen auf, wobei er stellenweise sogar auf Detailfragen eingeht, die man in einem solchen Dokument zunächst nicht vermuten würde. Auch die Fragen der organisatorischen Umsetzung des Antrags in der Praxis vor Ort scheint mir in sich klar und logisch dargestellt. Mir ist aus dem derzeitigen kommunistischen Spektrum hierzulande kein vergleichbares Konzept bekannt, das so durchdacht und von seinem Anspruch her zugleich radikal im Wortsinn, also das Problem bei der Wurzel fassend, formuliert wäre.

Dies vorausgeschickt möchte ich drei kritische Anmerkungen machen:

Kritik

(1) Zur Diskussion um die Frage des Klassenkampfbegriffs

Die Diskussion des Klassenkampfbegriffs, die auf die Veröffentlichung des LA folgte, zeigt aus meiner Sicht, dass hier ein Konflikt auf der Ebene logischer Begriffe und – noch – nicht auf der Ebene realer Erfahrungen des Klassenkampfs ausgetragen wird. Es scheint mir völlig klar zu sein, dass auch diejenigen, die auf der relativ eigenständigen Bedeutung des ökonomischen und ideologischen Klassenkampfs bestehen, die entscheidende Dimension des politischen Klassenkampfs nicht in Frage stellen wollen, also schlimmstenfalls „Ökonomisten“ im Sinn der berechtigten Polemik Lenins zu seiner Zeit wären. Umgekehrt glaube ich kaum, dass diejenigen, die zu Recht auf der übergeordneten Bedeutung des politischen Klassenkampfs bestehen, die ökonomischen Keimformen seiner Entstehung abwerten oder die Bedeutung des ideologischen Kampfs in Agitation und Propaganda zu jeder Phase des Klassenkampfs relativieren wollen. In der Diskussion zum LA, also der Frage der Massenarbeit, kann vielmehr die zuletzt genannte Dimension gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, und zu Recht geht der LA ja auch genau dazu auf die Bedeutung von Agitation und Propaganda ein (Zeilen 175 – 178, 1352 – 1432, von hier an nur als Zahlen zitiert). Folglich macht auf mich diese Diskussion im Moment den Charakter von Fragen, die Marx in der 2. Feuerbachthese als „scholastisch“ bezeichnet hat (MEW 3, 5ff).

Das soll kein Vorwurf sein – die Praxis der Massenarbeit im Sinn der KO beginnt ja gerade erst. Ihre Erfolge und Misserfolge werden in der Auswertung durch die KO Klarheit in Fragen schaffen, für die man auf dem Weg von Klassikerzitaten sicher hilfreiche Schneisen nach hinten, in die eigene Geschichte, schlagen kann und muss, in die man aber nach vorne erst einmal kommen muss, um die reale, die nicht-scholastische Bedeutung der Zuordnung der drei Dimensionen des Klassenkampfs zueinander auf der Haut zu spüren und dann auch ganz anders diskutieren zu können. Die derzeitige Diskussion dazu hat aus meiner Sicht noch einen laborartigen Charakter. Das ist nichts Schlechtes, aber es ist auch noch nicht die Sache selbst.

(2) Zur Frage der Zuordnung von Stadtteil- / Wohngebiets- und Betriebsarbeit

Richtigerweise sieht die KO die Zukunft ihrer Massenarbeit schwerpunktmäßig in den Betrieben. Die Gründe für diese richtige Orientierung müssen hier nicht wiederholt werden. Sie ergeben sich aus der strategischen Zielsetzung der KO, in deren Rahmen die Massenarbeit gehört.
Den Weg in die Betriebe will die KO indirekt, also über die Massenarbeit in Stadtteilen, Zentren, Initiativen, Vereinen, Beratungsangeboten usw. antreten. Das erscheint mir völlig plausibel, hat aber, zusätzlich zu den im LA selbst vorgestellten Problemen die Gefahr, sich auf diesem Weg in eine große Vielzahl von Einzelfragen und -konflikten vor Ort hineinzubewegen, die Gefahr, sich zu verzetteln, letztlich, als politische Kraft bis zu einem gewissen Grad absorbiert zu werden. Das ist unvermeidlich. Es ist klar, dass dieses Problem sich auf der Ebene der Stadtteilarbeit und aller damit sich anbietenden Handlungsfelder größer ist, als auf der Ebene der Betriebsarbeit, auch wenn es hier ähnlich gelagerte Problem geben wird.

In der Vergangenheit gab es in der Frage der Zuordnung der beiden Ebenen nach meinem Kenntnisstand die klare Erfahrung: je schwächer zB. die DKP wurde, desto weniger war sie in den Betrieben präsent und umgekehrt. Die scheinbar leichtere Form der Zugänge kommunistischer Massenarbeit in den Wohngebietsgruppen – vom Kampf um Verkehrsampeln und um den Spielplatz bis zur Gründung einer Friedensinitiative, dem Aufbau eines Jugendzentrums wird mit der Gefahr bezahlt, eben nicht von hier aus, wie im LA skizziert, den Weg in die Betriebe gehen zu können, sondern, im Grunde im Gegenteil, nie dorthin zu gelangen, weil es auf der Ebene des Stadtteils und so weiter von Jahr zu Jahr mehr zu tun gibt, soviel, dass schließlich die Kraft aller Kader dort verbleibt. Dies umso sicherer, wenn zudem auch noch ein falsches Bündnisverständnis herrscht, auf dessen Basis die völlig haltlose Hoffnung formuliert wird, die Massen würden sicher früher oder später auch „wie von selbst“ die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution bejahen und für sie kämpfen, nachdem die Kommunisten vor Ort so rückhalt- und selbstlos für einen Zebrastreifen im Stadtteil eingetreten seien (ich karikiere, aber es ist nicht weit von der Realität).
Nach meinem Kenntnisstand ist es der DKP nie wirklich gelungen, aus diesem Problem auszubrechen, im Gegenteil.

Zudem sind wegen der Vielfalt ihrer vorhandenen Problemfelder die Stadtteil- / Wohngebietsformen der Massenarbeit im übertragenen Sinn des Wortes natürliche Brutstätten des Opportunismus, besonders deshalb, weil praktisch alle Probleme, die dort angetroffen werden, vom realen Grundwiderspruch des Kapitalismus noch relativ weit entfernt sind und es etlicher argumentativer Schritte bedarf, das Problem des Wohnraums, der Umweltqualität, der Jugendarbeitslosigkeit, des Rassismus im Stadtteil mit diesem Grundwiderspruch zu verbinden, den Zusammenhang mit ihm herzustellen.

Für mich stellt sich deshalb die Frage, warum nicht parallel zur Massenarbeit in Stadtteilen, Vereinen, und so weiter eine regelmäßige Präsenz der KO vor ausgewählten Betrieben im Bereich der jeweiligen Ortsgruppe (OG) als Ziel angegeben wird. Ich denke, dass es nötig ist, beide Formen der Präsenz vor und später in Betrieben von vornherein anzugehen. Wie eine solche Arbeit aussehen könnte, ist nicht nur nicht Gegenstand des LA, sondern im Grunde in ihm auch nicht angelegt. Hier sehe ich die Gefahr einer Wiederholung bereits gemachter Fehler in der kommunistischen Bewegung der BRD, die sich die KO ersparen sollte.

(3) Zum Problem der Einheit von Inhalt und Form kommunistischer Massenarbeit

An dieser Stelle habe ich meine schwerwiegendsten Fragen an den LA.

Die Klassiker des Marxismus -Leninismus haben bekanntlich keine Lehrbücher geschrieben. Dafür fehlte ihnen schlicht die Zeit, denn sie waren den größten Teil ihres Lebens nicht nur herausragende Theoretiker, sondern vor allem auch Praktiker der revolutionären Arbeit und wurden unsere Klassiker genau deshalb, weil sie es besser als alle anderen vor oder nach ihnen verstanden, ihre Kampferfahrungen theoretisch zu verallgemeinern und von den dabei gewonnen und erkämpften Ergebnissen weitere Kampfetappen besser und erfolgreicher anzugehen. Das trifft selbst auf Texte wie „Das Kapital“, „Klassenkämpfe in Frankreich“, „Anti-Düring“ oder „Materialismus und Empiriokritizismus“ zu. Theorie und Praxis des Klassenkampfs entstanden für Marx, Engels, Lenin und andere herausragende Revolutionäre der kommunistischen Bewegung oft genug im unmittelbaren Umfeld von Kämpfen.

Das Themenfeld, zu dem sich der LA äußert, also Fragen des Strukturaufbaus zwischen Partei und Massenarbeit, ist Gegenstand solcher klassischen Texte wie dem „Manifest“, dem „Statut des Bundes der Kommunisten“, dem „Programm der Kommunistischen Partei“ von 1848, der „Kritik des Gothaer Programms“ (mit – nebenbei bemerkt – wichtigen Anmerkungen von Marx zur Frage des Verhältnis von Natur und menschlicher Arbeit) und so weiter. Auch Texte wie Lenins „Brief an einen Genossen“ oder „Was tun?“ entstanden mitten im Handgemenge, und je genauer man weiß, welche Fragen seinerzeit jeweils umkämpft waren, desto mehr hat man von der Lektüre auch heute und für den eigenen Kampf. Es geht ja nicht darum, das nachzusprechen, was Marx, Engels oder Lenin geschrieben haben, sondern heute das zu tun, was sie seinerzeit getan haben. Das trifft auch für Stalins Texte wie „Fragen des Leninismus“ oder „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ sowie den „Kurzen Lehrgang“ von 1938 zu. All diese Texte reflektieren immer schon gemeinsam gemachte reale Kampferfahrungen, die jüngeren naturgemäß in höherem Ausmaß als die ersten. Sie ziehen Schlussfolgerungen am Knotenpunkt einer Etappe und argumentieren für weitere Schritte in einer klar angegebenen Richtung und vor Menschen, die diese Etappen selbst miterkämpft haben.

Liest man auf diesem Hintergrund den LA der KO, so hat man den unmittelbaren Eindruck eines durch und durch überlegten, durchdachten, logischen Textes – allerdings auch eines Textes, der, abgesehen vielleicht von diesem oder jenem „wording“ genau so auch vor 30 oder 50 Jahren hätte geschrieben werden können oder hätte geschrieben werden müssen. Den LA zeichnet eine sehr erhebliche, sicher auch bewusst so gewollte Distanz zu den realen Kämpfen der gegenwärtigen Gesellschaft in der BRD aus. Er konzentriert sich aus zunächst einmal nachvollziehbaren Gründen auf eine Strukturfrage, auf eine Form. Er bleibt in abstrakter Distanz zum Inhalt revolutionärer Massenarbeit hier und heute.
Allerdings: in den „Philosophischen Heften“ schrieb Lenin bei Gelegenheit seiner durch das Exil ermöglichten Hegel-Lektüre: „Von der lebendigen Anschauung zum abstrakten Denken und vor diesem zur Praxis – das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis der objektiven Realität.“ (LW 38, 140)

Es gibt keine revolutionäre Theorie, die jenseits gesellschaftlicher Kämpfe entstehen, existieren, sich entfalten und schließlich Praxis werden kann, eine Praxis, die nur revolutionär sein kann, wenn es eine revolutionäre Theorie gibt.

Die KO legt einen LA zur Massenarbeit zu einem Zeitpunkt vor, da die BRD die stärkste Massenbewegung seit der „Friedensbewegung“ der 1980er Jahre durchlebt (oder vielleicht der Bewegung gegen den dritten Golfkrieg 2003, wobei diese deutlich kurzatmiger weil von vornherein sozialdemokratisch domestiziert war).

Die derzeitige gesellschaftsweite Auseinandersetzung um die bevorstehende kapitalistische Klimakatastrophe hat viele Dimensionen, die geradezu nach kommunistischer Massenarbeit schreien: von der propagandistischen Bekämpfung irrationaler und wissenschaftsfeindlicher „Klimaskeptiker“ über die ökonomische Frage der aller Wahrscheinlichkeit nach toten Zukunft der Schlüsselindustrie des deutschen Imperialismus, der KFZ-Industrie, über die demokratiepolitisch erstrangig bedeutsame Frage zB. einer kommunistischen Position in der Energiepolitik bis hin zu in jedem Stadtteil leicht anzuzettelnden Debatte über eine vom Kopf auf die Füße zu stellende Mobilitätspolitik (während ich diese Stellungnahme schreibe, beginnt gerade eine dreiwöchige Kampagne in Frankfurt, mit dem Rad zu Arbeit zu fahren – an ähnlichen Kampagnen beteiligen sich 2019 über 1000 Kommunen in der BRD – noch vor wenigen Jahren unvorstellbar) diese und viele andere Fragen im Alltag praktisch aller Menschen der BRD und münden in ein Szenario, das von praktisch allen Spektren der Politik, natürlich einschließlich der aktuell leider so erfolgreichen GRÜNEN, nicht radikal, das heißt, an der Wurzel angreifend, thematisiert wird, aber in einem engen, wahrscheinlich wenig Jahrzehnte umfassenden Zeitraum nicht nur thematisiert, sondern praktisch und effizient gelöst werden muss, bei Strafe unumkehrbarer Schädigung der natürlichen und zugleich immer gesellschaftlichen Grundlagen des Lebens.

Von den Kämpfen von EndeGelände im Hambacher Forst über die FridaysForFuture-Bewegung bis hin zum Eklat um das Rezo-Video führt eine aufsteigende Eskalation gesellschaftlicher Bewegung in der Klimafragendiskussion der BRD, die allein vor wenigen Wochen an einem einzigen Freitag 320.000 Menschen in der BRD auf die Straße brachte. Das ist fast exakt die Zahl, die zu Beginn der Friedensbewegung um die „Nachrüstung“ Anfang der 1980er Jahre nach monatelanger intensiver Mobilisierung erreicht und als tiefer Einschnitt in die politische Geschichte der alten BRD verstanden wurde. Die meisten Teilnehmenden sind jung, nehmen erstmalig an politischen Aktionen teil, verstehen sich mehrheitlich als wie auch immer links, vernetzen sich international, sind weitestgehend selbstorganisiert und höchst aktiv. FridaysForFuture ist eine globale Bewegung. Sie ist politisch unklar, im Kern kleinbürgerlich in dem Sinn, dass sie in der Regel kein über den Kapitalismus hinausweisendes Ziel benennt oder gar verfolgt und aus vielen unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung einschließlich der Arbeiterklasse stammt.

Als jemand, der in den letzten 13 Jahren 39 Wochen pro Jahr an 5 Tagen mehrere Stunden lang mit Arbeiterjugendlichen in einer Berufsschule verbracht hat, kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass es kein Problem darstellt, im verstehenden, respektierenden, widersprechenden, zustimmenden Kontakt mit ihnen immer wieder überraschend schnell zum kapitalistischen Kernproblem dieser Gesellschaft vorzustoßen. Und das ist selbstverständlich auch in der seit vielen Jahren stärksten gesellschaftlichen Massenbewegung der BRD und darüber hinaus der Fall. Wenn es einen Grund gibt, weshalb eine Bewegung wie die derzeitige nicht den Kapitalismus in Frage stellt, dann den, dass wir in ihr abwesend sind.

Bei der Gelegenheit: es gibt eine Reihe von interessanten Ähnlichkeiten und Unterschieden dieser Bewegung mit der Gilets Jaunes – Bewegung in Frankreich – nicht zuletzt ihre abseits bisheriger politischer Kräfte entstandenen Ausbreitung. Bei allen Unterscheiden: diese Gemeinsamkeit ist bemerkenswert und in meinen Augen ein starkes Indiz dafür, dass die führenden kapitalistischen Staaten auf eine Krise zusteuern, vor deren vollem Ausbruch im Knistern und Knacken des Gebälks die Massenloyalität ebenso rapide verschwindet wie das Vertrauen auf die Versprechung, die nächste Generation werde besser leben als die heutigen. Hieraus allein aber erfolgt keineswegs „automatisch“ eine Wende nach links oder gar in revolutionärer Richtung.

In dieses Knacken, Knistern und Rauschen hinein spricht der LA der KO mit einer kühlen, abgeklärten Sprache ganz so, als werde auch künftig alles seinen lehrbuchartigen Gang gehen. Unberührt und -gerührt von den Aufschreien, die eine „Zerstörung der CDU“ fordern oder etwa jener 26.000 Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler des deutschsprachigen Raums, die sich wundersamer Weise in kürzester Zeit auf einen gemeinsamen Text der „scientists for future“ einigen konnten – und wer einmal versucht hat, mit Naturwissenschaftlern politische Fragen zu diskutieren weiß, wie schwierig das sein kann – unberührt davon, dass sich ein vermutlich sozialdemokratisch-grüner Star des öffentlichen Interesses für naturwissenschaftliche Fragen wie Harald Lesch kürzlich in einem FR-Interview ausdrücklich für den „Sozialismus“ als einzige Rettung aussprach, geht der vorliegende LA der KO offenbar davon aus, dass all diese Bewegungen rund um sie herum sie nicht von der rein strukturformalen Diskussion abbringen darf, wie man am besten in den Massen arbeitet.

Es ist für mich offensichtlich, dass hier das Problem, in welcher Form man einen Inhalt am richtigsten darstellt, auf dem Kopf steht.

Dieses Verfahren hat, so sehe ich es, zwei Gründe.

Zum einen ist sich die KO über die Frage der kapitalistischen Klimakrise nicht einig. Eine gemeinsame Position dazu will sich die Organisation erst in einigen Monaten erarbeiten – offenbar unabhängig von der mit einem Beschluss der nächsten Vollversammlung vermutlich vorerst einmal beendeten Diskussion um die grundlegende Natur kommunistischer Massenarbeit (Anm. der Redaktion: Wir werden im Herbst 2019 eine organisierte, wissenschaftliche Diskussion um zentrale Fragen von Klimawandel und Ökologie und einer kommunistischen Haltung dazu führen. Diese offene Diskussion dient als Aufschlag um sich danach auch in den Arbeitsgruppen weiter mit den Themen zu beschäftigen.). Das ist für mich schwer nachvollziehbar und allenfalls als Ausdruck eines befremdlichen und wissenschaftsfeindlichen Irrationalismus (dazu: https://wurfbude.wordpress.com/2019/06/01/irrationalismus-und-imperialistische-gesellschaft/) zu verstehen. Aber das wird sicher in der KO selber gelöst werden können.

Mich erinnert die derzeit abstinente Haltung der KO zur Klimafrage an die bittere Erfahrung, dass auch die DKP sich Ende der 1980er Jahre aufgrund ihrer falschen Positionierung in der AKW-Frage von der größten außerparlamentarischen, teilweise militanten Bewegung der alten BRD, dem Kampf Hunderttausender gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, „diszipliniert“ fernhielt anstatt sie zu radikalisieren, wie zuvor schon jahrelang in der Anti-AKW-Bewegung.

Zum anderen scheint mir das lebendige Beispiel der Arbeitsweise unserer Klassiker hier nicht befolgt worden zu sein: sie zogen mit ihren bis heute wichtigen Texten eben gerade die Schlussfolgerung aus gemeinsam gemachten Kampferfahrungen und geben damit uns, wenn wir die Entstehung ihrer Texte als Quellen nutzen, noch heute die Chance, zu verstehen, was damals geschah und wie sie sich entschieden haben. Wir können ihnen dabei gleichsam über sie Schulter schauen, wie sie gekämpft, gedacht, gehandelt haben.

Der LA der KO geht genau umgekehrt vor: er legt, von jedem realen, lebendigen Inhalt bewusst abstrahierend, die Form fest, in der künftig gemeinsame Kampferfahrungen erst gemacht werden sollen. Das ist umso schwerer zu verstehen, als es in den Reihen der KO viele Genossinnen und Genossen gibt, die seit Jahren durchaus erfolgreich Massenarbeit geleistet haben. Diese Erfahrungen aber verschwinden gleichsam spurlos in den streng formal bleibenden Überlegungen des LA, anstatt den Leserinnen und Lesern die Chance zu geben, aus der lebendigen Anschauung vorgewiesener inhaltlicher Erfahrungen mit ihnen zusammen eine Diskussion zu beginnen (und nicht durch Beschluss zu beenden), in der es darum geht: was ist kommunistische Massenarbeit in der BRD heute?

Wenn man ein Konzept für kommunistische Massenarbeit erarbeiten will, muss man als Erstes als Kommunist/in mit und in den Massen sprechen, ihnen zuhören, mit ihnen diskutieren. Parallel dazu müsste in den Reihen der KO ein strikt kommunistischer Reflexionsprozess dieser Diskussion geführt werden, dessen Ergebnisse wieder offen in die Diskussion mit Arbeiterinnen und Arbeitern vor dem Betrieb oder in ihm, mit Nachbarschaftsgruppen, im Verein, in der Initiative zurückgegeben wird und so weiter. Stellt man sich diesen Prozess einmal konkret vor, wird man sofort sehen, dass er in seiner Form immer auch massiv vom jeweiligen Inhalt abhängt, von dem man den gesamten Prozess nur im Kopf, nicht aber in der gesellschaftlichen Realität trennen kann. All solche Prozesse laufen rund um die KO herum derzeit ab, und zwar lauter und stürmischer und selbstorganisierter als noch vor wenigen Jahren. Das hat nicht zuletzt objektive Gründe, die ihrerseits wieder formaler (zB. Rolle der sozialen Medien) und inhaltlicher Art (besonders der zeitkritischen Natur der dringend zu lösenden Fragen) sind. Von alledem lese ich im LA kein Wort.

Ein historisches Beispiel für einen in der Geschichte dieses Landes beispiellos wichtigen sozialen Prozess und Text zugleich ist die „Freedom Charta“ Südafrikas, die SACP und ANC in den frühen 1950er Jahren als Form und Inhalt in einem integrierten Prozess zustande brachten – gemeinsamer Ausgangspunkt unterschiedlichster nationaler wie internationaler Anti-Apartheid-Kräfte, der zum Sturz des rassistischen Apartheid-Regimes wesentlich beitrug. (Zugleich lehrt die Geschichte des ANC / der SACP nach der Befreiung, was geschieht, wenn man einen revolutionären Prozess nicht zu Ende führt. Aber das ist ein anderes Thema). Aus dem kritischen Studium der Entstehung dieser Freedom Charta (http://www.historicalpapers.wits.ac.za/inventories/inv_pdfo/AD1137/AD1137-Ea6-1-001-jpeg.pdf, https://de.wikipedia.org/wiki/Freiheitscharta) könnten wir viel lernen für die Frage: wie bewegen sich Revolutionäre in der Massenarbeit heute?

Lenin beantwortete die Frage nach der Organisation von Parteistruktur und Massenarbeit seinerzeit mit der Gründung einer Zeitung als „kollektiver Propagandist und Organisator“ – also als Einheit von Inhalt und Form.

ANC und SACP erarbeiteten nach dem 2. Weltkrieg, zum Zeitpunkt eines enormen Aufschwungs antikolonialer Kämpfe, die Freedom-Charta nicht nur formal als „korrekten“ Text (den hätten die Genossinnen und Genossen damals sicher auch in kürzester Zeit alleine schreiben können) sondern als politischen Prozess mit weitreichender Wirkung – auch das eine beispielhafte Leistung von revolutionärer Erarbeitung einer historisch-konkreten, prozesshaften Einheit des Inhalts und der Form und genau deshalb so wirkungsvoll.

Niemand außer uns wird willens oder in der Lage sein, zB. in der derzeitigen Klima-, Mobilitäts-, Biodiversitäts- und Energiefrage (um nur einen zentralen Komplex zu benennen) so etwas wie eine revolutionäre, also eine die Eigentumsfrage hervorhebende, an den Interessen der Arbeiterklasse orientierte, auf die Überwindung des Kapitalismus abzielende strategische Position einzubringen. Wie wir auf diese und andere drängende Fragen in der kommunistischen Massenarbeit eine Antwort finden, kann ebenfalls nur Gegenstand des Prozesses sein, Inhalt und Form als situationsgerechte und dem strategischen Ziel dienende Einheit zu erarbeiten.

Aber die Form, in der wie das tun, ist selbst ein Inhalt. Sie muss im Zustand höchster Offenheit und revolutionärer Wachsamkeit uns selbst und denen gegenüber, mit denen wir sprechen zugleich und gemeinsam erarbeitet werden. Wenn wir sie quasi von vornherein fix und fertig mitbringen, muten wir denen, die wir für unseren Weg gewinnen wollen, schlimmstenfalls zu, sich einer Art black box anbequemen zu müssen. Das ist gewiss vom LA nicht so gewollt. Aber aus dem derzeitigen Entstehungsprozess des LA resultiert, so wie ich das derzeit sehe, für die künftige Massenarbeit der KO die Gefahr, dass wir nur allzusehr „mit uns selbst auf Tuchfühlung“ gehen (449).

EU-Wahl 2019: Zwischen Pest und Cholera

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Die Ergebnisse der EU-Wahlen spiegeln die Entwicklung innerhalb der EU wider. Diese ist von zunehmenden Widersprüchen, Konflikten und einer ungleichmäßigen Entwicklung geprägt. Während das deutsche Kapital besonders von Binnenmarkt und Euro profitieren konnte, haben Italien, Frankreich und andere Einbußen hinnehmen müssen. Italien hat seit der Weltwirtschaftskrise von 2008 ein Viertel der Industrieproduktion verloren, Frankreich kritisiert seit vielen Jahren die Konkurrenz der deutschen Konzerne, die sowohl von hoher Produktivität als auch von einem großen Niedriglohnsektor profitieren. Im Rahmen der gemeinsamen Währung und des Binnenmarkts fällt es den konkurrierenden Monopolen aus Frankreich und Italien schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Alle Vorschläge Frankreichs, die Bedingungen zu verändern, scheitern an der deutschen Position, die weder eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden noch eine Aufweichung der Maastricht-Kriterien akzeptieren kann, da dies die Stärke des Euro im Verhältnis zu anderen großen Währungen gefährden würde.

Die Widersprüche verschärfen sich

Diese ungleichmäßige Entwicklung und Verschärfung der Widersprüche führt notwendigerweise zu politischen Reaktionen, was sich vor allem am Austritt Großbritanniens aus der EU zeigt. Dort wurde die Brexit-Partei zur stärksten Partei. Wie auch immer die Verhandlungen mit der EU ausgehen werden, das Interesse des britischen Kapitals ist, das Verhältnis zur EU neu zu bestimmen und mehr Handlungsspielraum zu gewinnen. In Frankreich ist das politische Parteiensystem seit längerem in Bewegung. Macron und seine Partei haben bei der EU-Wahl nicht den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Weber, unterstützt und sich stattdessen der liberalen Fraktion angeschlossen. Bei der Frage des Kommissionspräsidenten arbeitet Frankreich massiv gegen die deutsche Bundesregierung, ein weiterer Ausdruck der zunehmenden Konfrontation zwischen den beiden wichtigsten Staaten der EU. Die Stärke des Rassemblement National zeigt ebenfalls die zunehmende Unzufriedenheit nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Teilen des französischen Kapitals mit der EU. In Italien ist mit der Lega eine reaktionäre Partei, die mit faschistischen Kräften zusammen arbeitet, zur stärksten Kraft geworden. In den letzten Monaten inszeniert die italienische Regierung einen Konflikt mit der EU, der zum Teil dazu dient, Wähler zu gewinnen, aber zum Teil auch Ausdruck der zunehmenden Probleme des italienischen Kapitals innerhalb der EU ist. Für die politische Justierung des Verhältnisses zur EU sind rechte Parteien wie die Lega geeignet. Sie erwecken den Eindruck, gegen die EU zu kämpfen, tatsächlich wollen sie aber nur bessere Bedingungen. Die Rechten und Reaktionäre drücken zum Teil die Probleme der Kapitalisten mit der EU aus, nicht die der Bevölkerung.

Die EU und das deutsche Kapital

Für das deutsche Kapital sind die zunehmenden Widersprüche in der EU ein Problem, weil es das wichtigste politische Projekt für die Machtansprüche des deutschen Imperialismus ist. Ohne die EU wird es kaum möglich sein, weltweit ökonomisch und politisch den Einfluss auszubauen. Viele Politiker betonten nach der Wahl, man drohe zwischen den USA und China zerrieben zu werden, wenn es nicht eine starke EU gebe. Der Führungsanspruch Deutschlands steht unter Druck. Der Politologe Herfried Münkler forderte in der FAZ, Deutschland müsse „mehr Führung wagen“ und als Anführer Europa in der Konkurrenz mit den USA und China voranbringen. Die Notwendigkeit der EU für das deutsche Kapital spiegelte sich in der massiven Pro-EU-Stimmungsmache vor der Wahl wider. In den Medien wurde die EU-Wahl zu einer Wahl gegen Nationalismus und Extremismus stilisiert. Unternehmerverbände und auch die Gewerkschaftsführung propagierten und mobilisierten für die EU und die Wahl „demokratischer“ Parteien. Wer gegen Nationalismus sei, müsse für pro-EU-Parteien stimmen.

Die Grünen: Im Interesse des Kapitals

CDU und vor allem die SPD haben Stimmen verloren und können weniger Wähler binden, sie haben einen Teil ihrer Integrationskraft verloren. Diese wird vor allem von den Grünen kompensiert, die von der Stimmung profitierten. Sie sind eine der wesentlichsten integrativen, desorientierenden und kanalisierenden Kräfte, insbesondere für junge Wähler. Ihnen gelingt es, sich als fortschrittliche Partei darzustellen, dabei ist ihre Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung gerichtet und nicht selten offen reaktionär, sei es beim Sozialabbau, bei der Verschärfung des Asylrechts oder und besonders bei der Kriegspolitik. Die grünen EU-Parlamentarier gehören zu den stärksten Unterstützern der faschistischen und nationalistischen Kräfte in der Ukraine und betrieben eine besonders aggressive EU-Politik. Für das deutsche Kapital sind die Grünen eine nützliche Partei, weil sie ideologisch beliebig und beweglich ist. Ihre Mitglieder und Wähler empfinden es als normal, antirassistisch sein zu wollen und dennoch das Asylrecht zu verschärfen, sich als Friedenskraft zu empfinden und dennoch allen Kriegseinsätzen zuzustimmen und sie zu vertreten. Die Grünen vermitteln das Gefühl, Protest und Kritik zu verkörpern, dabei entsprechen sie den Interessen der Herrschenden und setzen ihre Maßnahmen um.

Insgesamt ist die EU-Wahl ein Ausdruck des weiteren Rechtsrucks, auch in Deutschland, wo sowohl die AfD als auch offen faschistische Parteien mehr Stimmen als bisher gewinnen konnten. Die AfD ist eine Option für eine schärfere Gangart der „deutschen Führung“ in Europa und Ventil und Kanalisation für Protest, insbesondere in Ostdeutschland. Die Linkspartei verlor an Stimmen, sie hatte sich zuvor klar positiv auf die EU bezogen, ihre Schwesterparteien sind Teil der volksfeindlichen EU-Politik, wie die Syriza in Griechenland, die in den letzten Jahren in der Regierung extrem tiefe Einschnitte in den Lebensstandard der Werktätigen durchgesetzt hat.

Eine Wahl zwischen Pest und Cholera

Zur Wahl standen zwei reaktionäre Optionen. Auf der einen Seite die reaktionäre, volksfeindliche Politik mit nationalistischen Parolen. Auf der anderen Seite die reaktionäre, volksfeindliche Politik ohne nationalistische Rhetorik, dafür mit Klima-Gleichheit-Gender-Wohlfühl-Rhetorik. Letztere mit der Funktion den Rest an Protestpotential zu kanalisieren, abzulenken und zu paralysieren. Beide sind gegen die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Bevölkerung gerichtet.

In dieser Situation und angesichts der massiven pro-EU-Propaganda hatten es kommunistische Anti-EU-Kräfte schwer. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) hat Stimmen verloren, zog aber die richtige Schlussfolgerung, politisch am Kurs gegen die EU festzuhalten. Positive Lichtblicke sind das stabile Abschneiden der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und vor allem deren große Mobilisierung im Vorfeld der Wahl. Besonders erfreulich ist auch das relativ starke Abschneiden der erst vor zehn Jahren 2009 gegründeten Partito Comunista (PC) in Italien, die mit ihrem klaren Anti-EU-Kurs über 200.000 Stimmen gewinnen konnte.

Solidarität mit BDS und Palästina!

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Am 17.05. traf der Bundestag einen Beschluss zur Ächtung und Isolation der BDS-Kampagne. Diese zivilgesellschaftliche, weltweite Kampagne richtet sich gegen die Menschen- und Völkerrechtsverbrechen, die der Staat Israel begeht, sie gibt den unterdrückten und entrechteten Palästinensern eine Stimme. Dabei zielt sie auf „Boycott“, „Divestment“ und „Sanctions“, also den akademischen, kulturellen und ökonomischen Boykott israelischer Unternehmen und Institutionen, die in Menschenrechtsverbrechen gegen die Palästinenser verwickelt sind, das Zurückziehen von Investitionen gegenüber diesen Unternehmen, sowie die Verhängung von internationalen Sanktionen beispielsweise durch die Vereinten Nationen. Diese Kampagne hat ihren Ursprung in den palästinensischen Gebieten, ist inspiriert von der Boykottbewegung gegen das Apartheidsregime in Südafrika und wird weltweit von hunderten Parteien, Hochschulgruppen, Musikern und Gewerkschaften unterstützt.

Der Beschluss des Bundestags ist nun ein Angriff auf die palästinasolidarische Bewegung in Deutschland. Internationalistinnen und Internationalisten sollen mundtot gemacht werden, Organisationen, die mit dem BDS in Verbindung stehen, werden isoliert oder in ihren existentiellen Grundlagen bedroht. Der Bund soll nicht nur die finanzielle Unterstützung von BDS-nahen Organisationen beenden, er übt auch Druck auf die Kommunen und private Träger aus, keine Räume mehr an BDS Unterstützer zu vermieten. Zum einen trifft dies alle, die mit Veranstaltungen und Diskussionsangeboten auf das Unrecht in Palästina hinweisen wollen, zum anderen isoliert dies politisch alle Organisationen in den palästinensischen Gebieten. Dieser Beschluss richtet sich also bei weitem nicht einfach gegen BDS, vielmehr handelt es sich um einen Angriff auf alle, die den kolonialistischen Charakter des Zionismus anerkennen, die Israel als Besatzungsmacht und den Widerstand der Palästinenser als gerechtfertigt verstehen.

Neben diesem Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen gab es zwei weitere Anträge zum selben Thema. Sowohl die Linkspartei, als auch die AfD stellten eigene Anträge, allerdings unterschieden sich alle drei nicht in ihrer Stoßrichtung, sie alle lehnen die BDS-Kampagne und ihren angeblichen Antisemitismus ab. Die Linkspartei hält sich mit Forderungen von Repression gegen BDS zurück, während die AfD gleich auf ein Verbot setzt, aber alle drei Anträge waren sich einig bezüglich der Unterstützung Israels, bezüglich des Angriffes auf Kritiker, um „Antisemitismus in allen seinen Formen zu verurteilen und zu bekämpfen“.

Dieses krude Antisemitismus-Verständnis setzt allerdings einiges an gedanklicher Gymnastik voraus. Das wichtigste Element dieses Vorwurfs ist die Gleichsetzung von Israel und den Juden, eine der ideologischen Grundlagen des Zionismus. Demnach ist eben der Antisemit, der Israel kritisiert und Ultra-Rechte bekommen einen Persilschein, sobald sie ihre Loyalität zu Israel betonen. Der Vergleich der BDS-Kampagne mit der faschistischen Parole „Kauft nicht bei Juden“ relativiert den tatsächlichen Antisemitismus. Den Boykott eines Wassersprudlers, weil dieser unter widrigen Bedingungen und in einem rassistischen Betriebsklima auf besetztem Land produziert wurde, mit den Pogromen der Nazis hauptsächlich gegen jüdische kleine Selbstständige gleichzusetzen ist absurd und eine massive Verharmlosung des deutschen Faschismus. BDS orientiert auf den Boykott von Großunternehmen, die an der Unterdrückung der Palästinenser beteiligt sind, BDS ist Ausdruck einer Bewegung gegen Vertreibung und Unterdrückung, während die deutschen Faschisten an der Macht und selbst die Unterdrücker waren, indem sie den Staat und seine Fußtruppen offen terroristisch gegen Bevölkerungsgruppen wie die Juden einsetzten.

Dabei wird versucht, jede grundsätzliche Kritik am Zionismus mit faschistischen Positionen gleichzusetzen, so als würde hinter jeder Kritik an Israel und dem Zionismus in Wirklichkeit Judenhass oder sogar ein Vernichtungswunsch gegenüber den Juden stehen. Dabei gibt es genug Gründe, gegen den Zionismus zu sein. Der Leitsatz des Zionismus „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ ignorierte in bester kolonialistischer Manier die Existenz der arabischen Bevölkerung in Palästina, die vor den zionistischen Siedlungsbewegungen und dem Holocaust die große Mehrheit darstellte. Ein jüdischer Staat, also ein Staat, nicht für alle seine Bürger, sondern nur für die Juden, musste in einem Land, indem nur eine geringe Minderheit der Bevölkerung jüdisch ist zu einem chauvinistischen Projekt werden, Israel ist nicht ohne Vertreibung und Entrechtung denkbar.

Bis heute setzen sich diese Zustände fort. Inzwischen ~7,5 Mio. Palästinenser leben in der Diaspora oder unter der Besatzung, ohne das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren. Die BDS-Bewegung stellt hier unter anderem die Forderung auf das Rückkehrrecht aller palästinensischer Flüchtlinge, was den Zionisten ein besonderer Dorn im Auge ist, das sie sich um ihren Rückhalt sorgen, sollten die jüdischen Israelis vermeintlich zur Minderheit werden. In allen möglichen Fragen des zivilen Lebens in Israel haben jüdische Israelis und Palästinenser unterschiedliche Rechte, ganz zu schweigen von den Palästinensern in den besetzten Gebieten oder jenen in Gaza, das durch eine militärische Blockade isoliert wird.

Die BDS-Kampagne ist dem zionistischen Staat auch deshalb ein Dorn im Auge, da sie weltweit viele Unterstützer hat und es schafft, die Stimme Palästinas lauter vernehmbar zu machen. Auch gegen den Beschluss des Bundestags wandten sich 60 Wissenschaftler aus Israel, die die Gleichsetzung von BDS mit Antisemitismus scharf kritisierten. Sie prangerten außerdem an, dass der Beschluss der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels hilft.

Die aktuelle Stimmungsmache gegen die palästinasolidarische Bewegung in Deutschland spitzt sich zu. Dabei sind es nicht nur die bürgerlichen Parteien, die hier mitziehen, vielmehr reicht diese Hetzkampagne im Dienste der Interessen des deutschen Imperialismus bis tief hinein in die Arbeiterbewegung. Nach DGB- und IGM-Jugend, hat zuletzt auch die ver.di-Jugend einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit BDS-Unterstützern angenommen. Damit versuchen die Sozialdemokraten und Pro-Zionisten innerhalb der Gewerkschaften die palästinasolidarische Bewegung von der Arbeiterklasse zu isolieren.

Auch in vielen selbsternannten antifaschistischen Gruppen wird Solidarität mit Palästina verleumdet. Damit wird Antifaschismus ad Absurdum geführt, denn die Unterstützung von Besatzung, Unterdrückung und Apartheid lassen sich nicht mit dem Kampf gegen Faschismus vereinbaren. So kommt es zu einer politischen Anpassung an die herrschenden Verhältnisse. Die „Antideutschen“ sind Vertreter der deutschen Staatsräson und zersetzen antifaschistische Bestrebungen.

Die Gewerkschaftsjugenden stellen sich damit ganz im Sinne der Staatsräson hinter die Bundesregierung und hinter das zionistische Projekt, anstatt sich auf der Seite des palästinensischen Volks zu sehen. Dem stellen wir uns entgegen, in den Gewerkschaften und in der Zusammenarbeit mit pro-palästinensischen Projekten. Wir dürfen uns nicht durch rhetorische Rauchbomben wie einem verdrehten und sinnentleerten Antisemitismusverständnis von der Solidarität mit allen unterdrückten Völkern abbringen lassen. Die Volksschichten aller Länder haben gemeinsame Interessen im Kampf gegen das Kapital, Spaltungen können uns hier nur schwächen. Der deutsche Imperialismus ist nur deswegen so stark, weil er von der Arbeit der werktätigen Schichten anderer Länder getragen wird. Ein Zurückdrängen des deutschen Imperialismus in anderen Ländern verbessert unsere Kampfbedingungen hier und umgekehrt.

Solidarität mit der BDS-Bewegung gegenüber der sozialen, ökonomischen und politischen Repression!

Für klassenkämpferische, antiimperialistische Gewerkschaften!

Für proletarischen Internationalismus!

Freiheit für Palästina! Nieder mit dem zionistischen Apartheidsregime!

Unsere Solidarität gegen die Angstmache!

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Kundgebung: Montag, 12:30 Uhr, PEG – Uni Campus Westend

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Am Campus Westend der Goethe-Uni Frankfurt wurden Flugblätter einer faschistischen Organisation gefunden, die zum Mord an Muslimen aufrufen, auch Rabbis und Imame sollen getötet werden. Auf einem martialischen Cover des Flugblattes wird mit einem Beil auf einem am Boden liegenden Menschen eingeschlagen. Darüber rangt die Überschrift „Tötet Muslime“. Unterschrieben ist der Aufruf mit „Atomwaffendivision Deutschland“.

Diese Gruppierung ist seit Kurzem in der BRD aufgetaucht. Im November letzten Jahres wurden auch an der Humboldt-Uni in Berlin ähnliche Flugblätter mit der gleichnamigen Gruppe gefunden. Die Terrororganisation „Atomwaffendivision“ wurde in den USA im Jahre 2015 von einer Handvoll Neonazis gegründet. Bis heute soll die Gruppe in den USA auf etwa 80 Personen angestiegen sein. Dort sitzen mehrere Mitglieder dieser Terrorgruppe wegen fünf Morden, die sie in den letzten vier Jahren verübt haben, im Gefängnis. Der Chef-Ideologe James Mason jedoch ist ein aktiver Neonazi, der sich frei in den USA bewegt und seinen Einfluss ganz frei ausüben darf.

Wie auch bekannt wurde, wusste die Frankfurter Polizei schon seit Anfang April von diesen Flugblättern, die ihr vom Uni-Präsidium zugeschickt wurden. Die Uni-Leitung hat es aber bis heute nicht für nötig befunden, sich dazu öffentlich zu äußern und in irgendeiner Weise aktiv zu werden. Erst eine direkte Weitergabe des Flugblattes an die Frankfurter Rundschau brachte die Existenz des Mord-Aufrufs an die Öffentlichkeit. Trotzdem schweigt das Universitätspräsidium dazu. Am Dienstagabend noch kein Wort der Empörung, kein Aufruf zur Solidarität mit den Betroffenen. Damit nicht genug. Der AStA hatte sich gerade mal dazu berufen gefühlt, einen kurzen Beitrag dazu mit dem Verweis auf den FR-Artikel auf ihrer Facebook-Seite zu veröffentlichen und die Mord-Aufrufe als „menschenverachtend“ zu bezeichnen. Der Beitrag wurde nicht einmal so eingestellt, dass er wenigstens oben verbleibt und weiterhin eingesehen werden kann.

Antiislamischer Rassismus: ein gefährlicher Konsens!

Übernehmen wir mal die Perspektive der betroffenen muslimischen Studierenden an der Goethe-Universität. Schauen wir uns an, in welchem Klima dieser widerliche Mordaufruf auftaucht. Vor ein paar Wochen noch, wurde durch die in der Öffentlichkeit so genannte „Kopftuch-Konferenz“ die muslimische Minderheit in der Uni wieder einmal Zielscheibe von rassistischer Stigmatisierung. Auch wenn die Organisatoren sich den Anschein der Ausgewogenheit geben wollten, indem sie eine Vertreterin der Muslima zu diesem Thema luden, herrschte bei der Veranstaltung eindeutig eine Stimmung gegen das Kopftuch. Dass sich auch noch muslimische Studierende trauten gegen diese Konferenz zu protestieren, wurde in der Öffentlichkeit, und nicht zuletzt vom Uni-Präsidium und vom AStA, als Anlass genommen um dem antimuslimischen Rassismus mit dem Verweis auf Meinungsfreiheit und Frauenrechte freien Lauf zu lassen.

Aber noch nicht genug: als vor ein paar Monaten an der Frankfurter Uni eine Aktivistin der rassistischen ‚Identitären Bewegung‘ geoutet wurde, schrieb dazu die aktive Uni-Gruppe TiP (Thunder in Paradise), die sich selbst wahrscheinlich für ‚links‘, ‚demokratisch‘ oder sogar ‚antifaschistisch‘ hält, sinngemäß, dass Nazis nicht das Problem seien, man solle doch anfangen ‚Islamisten‘ zu outen.

Zunahme faschistischer Aktivitäten

Wurde nicht vor Kurzem die Gruppe NSU 2.0, eine faschistische Gruppe, bei der Frankfurter und hessischen Polizei enthüllt? In den letzten Jahren beobachten wir eine Zunahme faschistischer Neugruppierungen und Radikalisierungen. Dutzende bewaffnete Neonazis sind untergetaucht, es finden weiterhin massive menschenverachtende Angriffe statt. In der Bundeswehr, in Polizei und Behörden werden neonazistische Zellen ‚entdeckt‘. Einige Gruppen wie z.B. die Partei „Die Rechte“ oder „Der dritte Weg“ beziehen sich offen auf die NSDAP und den Hitler-Faschismus. Die Gruppe „Atomwaffendivision“ reiht sich in diese Strömung ein: sie bezieht sich positiv auf den deutschen Faschismus und deren Rasse-Ideologie, sie geht von einer „jüdischen Verschwörung“ aus, die Muslime in die „weißen Länder“ kanalisiert, um die „weiße Rasse“ zu vernichten. Sie setzt auf Terrorzellen, die durch Morde und Anschläge das Land soweit destabilisieren sollen, bis am Tag X ein Bürgerkrieg ausbricht, bei der nach ihrer Logik „die Weißen“ gewinnen werden, weil sie die Überlegenen seien. Der Name soll auch Programm sein: wenn nötig, soll durch Anschläge auf Atomanlagen der erstrebte Bürgerkrieg in die Wege geleitet werden.

Faschismus und Kapitalismus

Die Sache ist glasklar: es geht darum, eine Stimmung der Angst zu schaffen. Das ist eine Funktion der faschistischen Bewegung. Und der Faschismus gehört zum Kapitalismus, wie der Tag und die Nacht zusammengehören. Die gesellschaftlichen Beziehungen im Kapitalismus, die wirkliche Macht, die Rolle des Staates sind in ‚normalen‘ Zeiten verdunkelt und verschwommen. Tritt aber der Faschismus auf, dann erhellt uns seine Existenz die wahre Fratze des Systems. Bei den Enthüllungen im Falle der NSU-Morde wurde das Verhältnis zwischen Staat und Faschismus schlaglichtartig sichtbar. In einer Gesellschaft, in der eine Minderheit (Eigentümer der Produktionsmittel) die große Mehrheit (Arbeiterklasse und werktätige Schichten) zwecks Ausbeutung in Schach halten muss, sind die Gewalt und die Angst notwendige Mittel der Unterdrückung. Solange eine Illusion in die Demokratie erhalten werden kann, übernehmen faschistische Truppen die Funktion Angst und Schrecken zu verbreiten. Die einfache Losung lautet: eine verängstigte und misstrauische, also gespaltene Gesellschaft ist besser zu kontrollieren. Die Spaltung soll schließlich verhindern, dass die Arbeiterklasse sich vereinigt und organisiert.

Was ist zu tun?

Die einzige Möglichkeit sich gegen den Faschismus und die Methode der Angst und der Spaltung zu wehren ist: eigenständige Organisation und Aufklärung. Erstens: Eigenständige, solidarische Organisierung der Arbeitenden und Lernenden in den Betrieben, Wohnvierteln, an Universitäten und Schulen. Zweitens: Aufklärung über die Ursachen und Quellen des Faschismus, somit über das Wesen der Gesellschaft, in der Menschenverachtung und Verrohung systemimmanente Erscheinungen sind.

Deshalb begrüßen und unterstützen wir explizit den Aufruf muslimischer Studierenden sich zusammenzutun und zu organisieren.

Wir rufen die Studierenden der Goethe-Universität Frankfurt auf, sich anzuschließen und gegen die Politik der Angst, gegen Einschüchterung, Diskriminierung und Stigmatisierung eine nachhaltige und solidarische Struktur aufzubauen, ganz gleich, welcher Herkunft, Schicht oder Religion. Die Kommunistische Organisation wird ihr möglichstes dafür tun, den Aufbau solcher Strukturen zu unterstützen und dabei mitzuwirken. Eine Stellvertreterpolitik lehnen wir ab. Unser Beitrag zum Aufbau solidarischer Organisationen sehen wir darin, die Lehren aus der Geschichte der Kämpfe der internationalen Arbeiterbewegung gegen den Faschismus kritisch und selbstkritisch auszuwerten und der Bewegung zur Verfügung zu stellen und mit anzupacken, wo wir können.

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Ein paar Worte zum wissenschaftlichen Apparat der KP – eine kurze Antwort an Genossen Schönsee

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Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

von Karl Samstag

Bei der Kritik an den Aussagen des Genossen Schönsees beziehe ich mich insbesondere auf folgende Stelle: „Diese wichtige und brennende Aufgabe (theoretische/ideologische Arbeit, Anm. Autor) kann man nicht einem ‚wissenschaftlichen Apparat‘ überlassen. Der kann im besten Fall richtige Materialien, Orientierungen usw. liefern, doch nicht ersetzen, dass sich alle Parteimitglieder und die proletarischen Volksmassen ihren eigenen Kopf über diese theoretischen Probleme (besonders deren Grundlagen) zerbrechen.“

Konsens besteht wohl bei der Frage der Vorhut des Proletariats, also der Partei neuen Typs, der kommunistischen Kaderpartei. Jedenfalls negiert Genosse Schönsee diese in seiner Kritik nicht. Ebenso scheint er nicht die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Apparats innerhalb der Kommunistischen Partei per se zu bestreiten. Er behauptet jedoch, der Leitantrag suggeriere, dass dieser wissenschaftliche Apparat die theoretische und ideologische Arbeit innerhalb der Partei und den Massen allein leistet, quasi von „oben“ herab. Aber steht das wirklich so im Leitantrag? Im Abschnitt 1 steht dazu: „…der alle Verhältnisse aufdeckt, die Kräfte analysiert und damit der Klasse die Orientierung für ihren Kampf geben kann…“, sowie weiter: „Die Entstehung von sozialistischem Klassenbewusstsein geschieht nicht spontan, sondern durch die wissenschaftliche Weltanschauung, die von der Partei organisiert und verbreitet wird, die sich speist aus den Erkenntnissen der Bewegung, des Kampfes. Weil die Kampferfahrungen wissenschaftlich reflektiert werden und damit die Einsicht in die Notwendigkeit möglich ist, ist die Partei als organisierter Ausdruck dieses Zusammenhangs nötig.“

Ich behaupte, der wissenschaftliche Apparat der KP ist Ausdruck höchster Organisierung des Klassenkampfs innerhalb der Partei. Gerade nicht als abgehobenes Gremium, welches alle paar Monate Materialien raushaut, die nur noch von Parteimitgliedern unter den Massen verteilt werden müssen oder weltfremde Orientierungen vorgibt. Neben der Aufgabe die sich stetig veränderten Verhältnisse des imperialistischen Systems zu sammeln, auszuwerten, die Theorie also zu entwickeln und in der Partei und in der Klasse zu verbreiten, sammelt der wissenschaftliche Apparat ebenso sämtliche Erfahrungen die in der Massenarbeit gemacht werden. Dazu gehören selbstverständlich Erkenntnisse aus Diskussionen und aus der Kritik der Massen und Parteimitglieder. Das Klassenbewusstsein ist momentan nur spärlich verbreitet. Also ist es Aufgabe der Kommunisten dieses Bewusstsein zu verbreiten, die Arbeiter zu ermächtigen, überhaupt in die Lage zu kommen, sich wissenschaftlich mit den Fragen revolutionärer Politik auseinandersetzen zu können. Je besser die Massenarbeit durch die KP organisiert wird, Massenorganisationen zurückerkämpft bzw. neu mit der Arbeiterklasse erschaffen werden, desto mehr Arbeiter durch Bildungsarbeit und Anleitung der KP in den Kämpfen ermächtigt werden die künftige Räterepublik zu gestalten und zu leiten, desto enger wachsen KP und Massen auch zusammen. Sie bilden eine organische Verbindung. So gibt der wissenschaftliche Apparat nicht Materialien und Orientierungen heraus, ohne auf Diskussionen und Kritik in der Partei und in den Massen zu setzen. Aus den Erfahrungen der revolutionären Arbeiterbewegung lernend, gibt er Strategie und Taktik der Partei und der Arbeiterklasse im Kampf um den Sozialismus vor. Nirgendwo suggeriert der Leitantrag, dass der wissenschaftliche Apparat der KP die theoretische und ideologische Arbeit unter den Massen, ihre Aktivierung im Kampf und Ermunterung zur Kritik, die Möglichkeit durch Bildung an immer mehr Diskussionen gleichberechtigt teilnehmen zu können, ersetzt. Man kann dem Genossen Schönsee nur zustimmen: ein wissenschaftlicher Apparat allein kann diese wichtige und brennende Aufgabe nicht leisten. Wird er aber auch nicht. Dafür wird auch der Leitantrag sorgen.

Nur die CDU zerstören oder den Kapitalismus? Ein Kommentar zum Video „Die Zerstörung der CDU“

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Diskussionsbeitrag– keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussion)

Von Thanasis Spanidis

Über 11 Millionen Mal wurde das Video des Youtubers Rezo „Die Zerstörung der CDU“ inzwischen angeklickt – ziemlich viel für ein deutschsprachiges Video, vor allem eins zu einem politischen Thema. Und auch wer es noch nicht gesehen hat, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit schon über Freunde, soziale Netzwerke, Zeitung oder Radio davon gehört. Es ist offensichtlich: Rezo hat mit seinem Video einen Nerv getroffen und wohl die Stimmung vieler junger Menschen zum Ausdruck gebracht, dass die Politik der Herrschenden nicht ihren Interessen entspricht.

Dass die CDU als Zielscheibe des „Zerstörungs“-Videos ausgewählt wurde, sollte nicht überraschen. Die CDU ist zum einen die Hauptpartei des Kapitals. Keine Partei hat in den letzten Jahrzehnten so lange das Land regiert wie sie und regelmäßig empfängt sie die größten Wahlkampfspenden von den Konzernen und den Reichen Deutschlands. Auf der anderen Seite wird sie aber von vielen jüngeren und oft akademisch gebildeten Leuten eben auch mit einem konservativen, verbohrten Politikverständnis in Verbindung gebracht, das für die Probleme der Zeit keine Lösungen anzubieten hat. Das Gegenmodell dieser Politik stellen für viele dieser Leute die Grünen da, die es schaffen, sich als modern, jung, weltoffen, umweltbewusst und zukunftsorientiert zu präsentieren.

Auf der einen Seite gibt es hier also ein Misstrauen in die herrschende Politik und die Einsicht, dass ein „weiter so“ keine Option sein kann. Dieses Misstrauen ist natürlich berechtigt, wir sollten es weiter schüren und daran ansetzen, um mit den Menschen über die dahinter stehenden Probleme zu sprechen. Auf der anderen Seite nutzt dieses diffuse Gefühl aber aktuell vor allem der Grünen Partei, die mit über 20 % der große Gewinner der EU-Wahl ist und auch sonst in den letzten Jahren stark an Bedeutung im deutschen Parteiensystem gewonnen hat. Das 55-minütige Anti-CDU-Video hat, ob nun bewusst oder nicht, die gesellschaftliche Stimmung gefördert, die zu diesem Ergebnis beigetragen hat.

Kritik an „Inkompetenz“ und Lobbyismus anstelle von Systemkritik

Rezo spricht ein relativ breites Spektrum an Themenfeldern an, die hier nicht im Detail besprochen werden können: Die wachsende soziale Ungleichheit, den Klimawandel, die Drogenpolitik, die Zusammenarbeit der Regierungen mit den Kriegen der USA usw. Dabei wird eine Menge Daten und Fakten präsentiert und alle mit einer ausführlichen Literaturliste belegt. All das soll belegen, dass die CDU/CSU (und nebenbei bekommen auch SPD, FDP und AfD einiges ab) einfach eine „schlechte“ Politik macht, die von Inkompetenz nur so strotzt und einfach nur den Interessen von ein paar Lobbyisten dient, statt das zu tun, was sinnvoll und vernünftig ist. Das kapitalistische System spielt in dieser Argumentation keine Rolle. Es wird nicht darüber gesprochen, dass Lobbyismus, die finanzielle Förderung des Systemparteien, persönliche Netzwerke zwischen Konzerneigentümern, Managern, Politikern und Journalisten keine peinlichen Entgleisungen oder Schönheitsfehler sind, sondern fester Bestandteil des bürgerlichen politischen Systems sind und lediglich Mechanismen, mit denen die Kapitalisten dafür sorgen, dass die Regierung und das Parlament Politik in ihrem Interesse machen. Und dass manche Politiker keine Ahnung von ihrem Aufgabenbereich haben, mag sein, geht aber am Kern des Problems vorbei – dieser besteht nämlich darin, dass ausnahmslos ALLE Politiker in Regierungsfunktionen, aber auch die der bürgerlichen Oppositionsparteien den Standpunkt einer bestimmten Klasse vertreten; einer Gruppe von Menschen, die in diesem Land eine kleine Minderheit darstellen, die von der Arbeit der Werktätigen leben und denen der Großteil des Vermögens in Deutschland gehört.

Soziale Ungleichheit, Krieg, Umweltzerstörung – Die Ursache heißt Kapitalismus

Nicht nur die CDU hat dazu beigetragen, dass die Reichtumsverteilung sich in den letzten Jahrzehnten weiter zugunsten der reichsten Schichten und auf Kosten der breiten Masse entwickelt hat. Auch SPD, FDP und Grüne waren an den Regierungen beteiligt, die das verbrochen haben. Und die Linkspartei, die bisher nur auf Länderebene mitregieren durfte, hat in Berlin, Brandenburg oder Thüringen ebenfalls ihren Beitrag dazu geleistet. Natürlich stimmt es, dass die Steuerpolitik der Regierungen weiter von unten nach oben umverteilt hat. Aber dass es in unserer Gesellschaft die Wenigen gibt, denen alle Mittel zur Verfügung stehen, ihren gewaltigen Reichtum immer weiter zu vermehren, während große Arbeiterklasse trotz täglicher harter Arbeit ihre Miete nicht bezahlen können, ist nicht nur die Folge einer bestimmten Politik. Es ist die Folge eines gesellschaftlichen Systems, in dem die Betriebe das Privateigentum einer parasitären herrschenden Klasse sind, die eben genau deshalb reich ist, weil sie denen, die mit ihren Händen den Reichtum der Gesellschaft produzieren, einen Lohn zahlt, der für ein abgesichertes Leben nicht reicht, aber dafür dem Kapital satte Profite ermöglicht. Das ist der grundlegende, im Kapitalismus unauflösbare Interessenkonflikt um den es geht und nicht ein vermeintlicher Gegensatz zwischen Rentnern und unter 30-Jährigen, wie Rezo ihn gegen Ende seines Videos konstruiert.

Rezo spricht über einige der furchtbarsten Auswirkungen von Kriegen, über die Massenmorde die das US-Militär per Knopfdruck an Zivilisten in aller Welt begeht. Die CDU wird dafür getadelt, dass sie diesen Kriegsverbrechen Beihilfe geleistet hat, obwohl sie offensichtlich völkerrechtswidrig sind. Auch dass Merkel den Irakkrieg 2003 unterstützt hat und das danach geleugnet hat, wird erwähnt. Dass aber auch der deutsche Imperialismus solche Verbrechen begeht, dass beispielsweise nicht nur die USA friedliche Hochzeitsgesellschaften in die Luft sprengen, sondern auch die Bundeswehr in Afghanistan über 100 Menschen bei einem Luftangriff auf zwei Tanklaster ermordet hat, darüber spricht er nicht. Aber der deutsche Imperialismus ist nicht friedlicher, sondern nur weniger mächtig als die USA. So steht z.B. im Weißbuch der Bundeswehr von 2016: „Unsere Wirtschaft ist ebenso auf gesicherte Rohstoffzufuhr und sichere internationale Transportwege angewiesen wie auf funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme. Die Sicherheit maritimer Versorgungswege und die Garantie der Freiheit der hohen See sind für eine stark vom Seehandel abhängige Exportnation wie Deutschland von herausragender Bedeutung.“ (S. 50). Für die herrschende Klasse der BRD ist die Sicherung der Ressourcenzufuhr und der Handelswege offenbar ebenfalls eine Frage, die, wenn nötig, auch militärisch zu „lösen“ ist. Kriege für Profite sind keine Spezialität der USA.

In dem Video wird das alles als mehr oder weniger zufälliges Ergebnis einer unmoralischen Politik dargestellt. „Die USA haben an echt vielen Orten auf der Welt Krieg. Keine Ahnung, ist vielleicht deren Hobby. Ist nicht mein Ding, ich halt mich da raus“, kommentiert Rezo in seiner flapsigen Art.

Der Imperialismus ist aber an sich ein kriminelles, mörderisches System, in dem eine Handvoll Monopolkonzerne die Weltwirtschaft dominieren und die Staaten im Interesse ihres Kapitals auf der ganzen Welt Ressourcen, Transportwege und Absatzmärkte zu sichern versuchen, ob auf „zivilem“ oder militärischem Wege. Und gerade die Grünen, die Rezo am Ende seines Videos als mögliche Wahloption erwähnt, haben Deutschland gemeinsam mit der SPD 1999 in den ersten Angriffskrieg seit 1945 geführt. Wir sollten niemals vergessen, wie im Namen der „Menschenrechte“, begründet mit einem ganzen Blumenstrauß an Lügen von der rot-grünen Regierung Belgrad bombardiert und ganze Landstriche in Jugoslawien mit Uranmunition verseucht wurden.

Das Video widmet auch dem Klimawandel einen längeren Abschnitt. In Berufung auf zahlreiche Studien der Naturwissenschaften wird ausgeführt, wie der menschengemachte Klimawandel in wenigen Jahrzehnten den Planeten in großen Teilen unbewohnbar machen und Hunderte Millionen Flüchtlinge in Richtung der entwickelten Industrieländer treiben wird. Auch hier dasselbe Muster: Umweltzerstörung wird nicht als zwingende Folge eines Systems verstanden, dass die Anhäufung von Kapital in den Händen der herrschenden Klasse als Sinn und Zweck der gesamten Produktionsweise verfolgt. Sie wird einfach als das Ergebnis einer wahnsinnigen, irrationalen Politik dargestellt, weil die CDU sich nun mal einfach weigert, eindeutige wissenschaftliche Ergebnisse der Klimatologen anzuerkennen. Darum geht es aber nicht. Der Kapitalismus, dem die CDU ebenso dient wie die SPD, die Grünen, FDP, AfD oder die Linkspartei, ist zu einem wirksamen Umweltschutz nicht fähig, weil es dafür einer zentralen Planung der Produktion bedürfte – nur wenn die Fabriken, die Ressourcen, die Transportmittel und Infrastruktur der ganzen Gesellschaft gehören statt privaten Unternehmern, nur wenn die Produktion dann auf wissenschaftlicher Grundlage und entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen geplant wird, nur dann können auch Maßnahmen zum Schutz der Umwelt wirklich in wirtschaftliche Entscheidungen einfließen. Höchst problematisch werden Rezos Ausführungen an der Stelle, wo eine CO2-Steuer auf alle Produkte als Lösung angepriesen wird – so eine Steuer würde nämlich nicht die Verursacher des Problems, die Millionäre und Konzerne zur Kasse bitten, denen ein paar Euro mehr pro Tankfüllung wohl kaum wehtun. Im Gegenteil würde sie gerade die Menschen treffen, die jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fahren und ihre Wohnung mit Öl heizen müssen, weil sie schlicht keine andere Wahl haben. Das ist genau die Politik im Sinne der Reichen und auf Kosten der Armen, die zu Beginn des Videos eigentlich angeprangert wird.

Grün wählen als Lösung?

Am Ende ist das Video vor allem ein Aufruf, an den Wahlen zum EU-Parlament teilzunehmen und seine Stimme nicht der CDU/CSU, SPD oder AfD zu geben. Das ist natürlich richtig – keiner, dem nicht zufällig ein Unternehmen gehört, sollte sich von diesen Parteien etwas versprechen. Es stimmt, dass diese Parteien unsere Zukunft zerstören. Dasselbe gilt aber auch für die Grünen, eine menschenverachtende Kriegsverbrecherpartei der „Besserverdienenden“, die weder für Frieden, noch für Umweltschutz oder eine Politik im Sinne der Armen steht. Es gilt auch für die Linkspartei, die in der Opposition Reformen zur Umverteilung des Reichtums fordert, aber den Kapitalismus nicht infrage stellt und deshalb überall, wo sie in „Regierungsverantwortung“ stand, dieselbe Politik für das Kapital gemacht hat wie die anderen Parteien. Alle diese Parteien befürworten die Europäische Union, die nichts anderes ist als ein autoritäres Instrument zur besseren Durchsetzung der Herrschaft des Kapitals unter Führung der deutschen und französischen Konzerne. Sie sind alle Teil des Problems, nicht der Lösung. Trotzdem gibt Rezo indirekt eine Wahlempfehlung für die Grünen oder „Die Linke“. Dass er auch die Kleinstpartei „Ökolinx“ als mögliche Option benennt, macht seine an sich richtige Kritik am Rassismus der AfD fast schon zur Farce – denn entgegen dem, was ihr Name vermuten lassen könnte, ist „Ökolinx“ eine reaktionäre Partei, die sich vor allem durch ihre bedingungslose Unterstützung der Besatzung Palästinas und Hetze gegen Muslime und Araber hervortut.

Rezo benennt viele richtige Kritikpunkte an der CDU und anderen Parteien. Dass sein Video in den sozialen Medien viral gegangen ist, zeigt, dass bei jungen Leuten eine große Unzufriedenheit vorhanden ist. Das ist gut und das müssen wir ausnutzen. In vielen Gesprächen dürfte es nicht schwerfallen, von den berechtigten Kritikpunkten des Videos den Bogen zur eigentlichen Ursache der Probleme zu schlagen. Das müssen wir Kommunisten tun und in diesem Sinne ist der Erfolg des Videos ein Verdienst.

Leider bewegt sich das Video trotzdem letzten Endes auf der Linie eines Narrativs, das vom grün-alternativen politischen Spektrum massiv gepusht wurde, wonach die EU-Wahlen in völlig absurder Überhöhung ihrer realen Bedeutung zur „Schicksalswahl“ oder „Klimawahl“ hochstilisiert wurden. Nicht nur, dass das EU-Parlament im politischen System der EU sowieso wenig zu entscheiden hat und die wichtigen Beschlüsse von der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und den Konzernen, die dahinter stehen, getroffen werden. Es wird darüber hinaus auch so getan, als würde bei dieser Wahl über die großen Probleme der Zeit entschieden, obwohl alle bürgerlichen Parteien in Wirklichkeit für dieselbe grobe Ausrichtung der Politik stehen.

Die Widersprüche des faulenden, imperialistischen Kapitalismus werden sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter verschärfen, dessen können wir uns sicher sein. Die Gefahr eines Weltkrieges gehört ebenso dazu wie die fortschreitende Zerstörung der Lebensbedingungen auf diesem Planeten. Es ist aber falsch, angesichts dessen in Panik zu geraten und sich angesichts der faktischen Kräfteverhältnisse mit dem vermeintlich „kleineren Übel“ und bescheidenen Appellen an die Politiker zufrieden zu geben. Wir werden die Welt nicht an der Wahlurne verändern, sondern nur durch den Aufstand einer organisierten Arbeiterklasse gegen dieses menschenverachtende, zerstörerische und barbarische System.

Deshalb bauen wir die kommunistische Partei auf. Deswegen kämpfen wir für den Sozialismus.

Zum „Leitantrag – Zur Arbeit in den Massen“ der Kommunistischen Organisation

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Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Ein Gastbeitrag von Karsten Schönsee

Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. […] Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen hat, wird sich die Emanzipation der Deutschen zu Menschen vollziehen.“ Karl Marx

Befreit die Philosophie aus der Haft der Hörsäle und Lehrbücher der Philosophen und verwandelt sie in eine scharfe Waffe in den Händen der Massen!“ Mao Tsetung

Im Leitantrag* wird der Begriff des Klassenkampfes an verschiedenen Stellen immer nur als ökonomischer und politischer Kampf geschildert. Dies greift aber zu kurz, da der Klassenkampf des Proletariats nach drei Seiten hin geführt werden muss: Ökonomisch, politisch und theoretisch/ideologisch. So verweist W.I. Lenin am Schluss des I. Kapitels von „Was tun?“ auf die Bedeutung des theoretischen Klassenkampfes. Darauf müssen wir heute in einer Situation hinweisen, in der die reformistische, revisionistische und ökonomistische Sichtweise auf den Klassenkampf – selbst in der kommunistischen Bewegung (nicht nur in der BRD) – weit verbreitet ist:

Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben. Dieser Gedanke kann nicht genügend betont werden in einer Zeit, in der die zur Mode gewordene Predigt des Opportunismus sich mit der Begeisterung für die engsten Formen der praktischen Tätigkeit paart. […] Wir wollen Engels` Bemerkung über die Bedeutung der Theorie in der sozialdemokratischen Bewegung anführen, die aus dem Jahre 1874 stammen. Engels spricht nicht von zwei Formen des großen Kampfes der Sozialdemokratie (dem politischen und dem ökonomischen) –wie es bei uns üblich ist – sondern von drei, indem er neben diese auch den theoretischen Kampf stellt.“ (W.I. Lenin, Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, Peking, S. 34-36 oder LW Band 5, S. 379-381). Dieses wichtige Zitat von Friedrich Engels, das er der deutschen Arbeiterbewegung in seiner Vorbemerkung zu der Broschüre „Der deutsche Bauernkrieg“ mit auf den Weg gibt, kann im Band 18 der Marx-Engels-Werke (MEW 18, S. 516-517) eingesehen werden.

Daher ist es eine dauernde Aufgabe jedes Kommunisten, sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, also der Theorie des Marxismus-Leninismus (als der theoretischen Verarbeitung und Verallgemeinerung der Klassenkämpfe in der Welt und der Geschichte) zu beschäftigen, diese zu studieren und zu propagieren. Denn: Die Theorie ist die Erfahrung der Arbeiterbewegung aller Länder, in ihrer allgemeinen Form genommen. Natürlich wird die Theorie gegenstandslos, wenn sie nicht mit der revolutionären Praxis verknüpft wird, genauso wie die Praxis blind wird, wenn sie ihren Weg nicht durch die revolutionäre Theorie beleuchtet. Aber die Theorie kann zu einer gewaltigen Kraft der Arbeiterbewegung werden, wenn sie sich in untrennbarer Verbindung mit der revolutionären Praxis herausbildet, denn sie, und nur sie, kann der Bewegung Sicherheit, Orientierungsvermögen und Verständnis für den inneren Zusammenhang der sich rings um sie abspielenden Ereignisse verleihen, denn sie, und nur sie, kann der Praxis helfen zu erkennen, nicht nur wie und wohin sich die Klassen in der Gegenwart bewegen, sondern auch, wie und wohin sie sich in der nächsten Zukunft werden bewegen müssen.“ (J.W. Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus, Peking, 1969, S. 23 oder SW Band 6, S. 79)

Und zur Einheit von Theorie und Praxis schreibt Mao Tsetung in „Über die Praxis“: „Die Marxisten sind der Ansicht, daß nur die gesellschaftliche Praxis der Menschen das Kriterium für den Wahrheitsgehalt ihrer Erkenntnis der Außenwelt ist. In der Tat wird ihre Erkenntnis erst dann als richtig bestätigt, wenn die Menschen im Prozeß der gesellschaftlichen Praxis (im Prozeß der materiellen Produktion, des Klassenkampfes und wissenschaftlicher Experimente) die von ihnen erwarteten Ergebnisse erzielt haben. […] Durch die Praxis die Wahrheit entdecken und in der Praxis die Wahrheit bestätigen und weiterentwickeln; von der sinnlichen Erkenntnis ausgehen und diese aktiv zur rationalen Erkenntnis fortentwickeln, sodann wieder, ausgehend von der rationalen Erkenntnis, aktiv die revolutionäre Praxis anleiten, die subjektive und objektive Welt umzugestalten; Praxis, Erkenntnis, wieder Praxis und wieder Erkenntnis – diese zyklische Form wiederholt sich endlos, und der Inhalt von Praxis und Erkenntnis wird bei jedem Zyklus auf eine neue höhere Stufe gehoben. Das ist die ganze Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus, das ist die dialektisch-materialistische Theorie der Einheit von Wissen und Handeln.“ (Mao Tsetung, Fünf philosophische Monographien, Peking, 1976, S. 3 und 22-23).

Diese wichtige und brennende Aufgabe kann man nicht einem „wissenschaftlichen Apparat“ (offen-siv 2-2019, S. 42) überlassen. Der kann im besten Fall richtige Materialien, Orientierungen usw. liefern, doch nicht ersetzen, dass sich alle Parteimitglieder und die proletarischen Volksmassen ihren eigenen Kopf über diese theoretischen Probleme (besonders deren Grundlagen) zerbrechen. Ein gutes Beispiel welche Formen so eine Massendiskussion über theoretische Fragen annehmen kann, ist der Band „Eins teilt sich in zwei. Hundert Beispiele zur Illustration des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze“ (Hamburg, 1971) aus der Großen Proletarischen Kulturrevolution in der VR China. Folglich definiert auch die Kommunistische Partei Chinas in ihrem auf dem IX. Parteitag am 14. April 1969 angenommenen Statut in Artikel 3 die folgenden Pflichten der Parteimitglieder: „Das Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas muss: 1) den Marxismus, den Leninismus und die Maotsetungideen lebendig studieren und anwenden; 2) sich für die Interessen der großen Mehrheit der Menschen in China und der Welt einsetzen; 3) sich mit der großen Mehrheit der Menschen zusammenschließen können [… und] besonders wachsam sein und verhindern, daß Halunken dieser Art die Führung in Partei und Staat auf irgendeiner Ebene an sich reißen, und somit gewährleisten, daß die Führung der Partei und des Staates für immer in der Hand marxistischer Revolutionäre liegt; 4) bei auftauchenden Anliegen sich mit den Massen beraten; 5) den Mut haben, Kritik und Selbstkritik zu üben.“ (Statut der Kommunistischen Partei Chinas, Peking, 1969, S. 18-20)

Weiterhin fehlt mir bei der Frage der Diktatur des Proletariats (offen-siv 2-2019, S. 41-42) die dritte Stufe der Erringung und Verteidigung der Diktatur des Proletariats – nach der Pariser Kommune (1871) und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution (1917) – die Große Proletarische Kulturrevolution (1966-1976) in der VR China unter Führung von Mao Tsetung (siehe dazu: Es lebe der Sieg der Diktatur des Proletariats! Zum 100. Jahrestag der Pariser Kommune, Peking, 1971). Dabei bin ich mir durchaus darüber bewusst, dass es hier noch längerer intensiver Diskussionen über die Einschätzung der Kulturrevolution in China und dem Weg zur effektiven Bekämpfung des modernen Revisionismus in der Welt bedarf. Ohne darauf eine schlüssige Antwort zu geben, wird es für die kommunistische Bewegung keine Zukunft geben.

* Alle Zitate aus dem Leitantrag beziehen sich auf die Veröffentlichung in der offen-siv Nr. 2-2019, S. 33-71

Gedanken zur Situation in Österreich

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Diskussionsbeitrag– keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussion)

von Philipp Kissel

Die FPÖ ist eine zutiefst reaktionäre Partei und ihr ehemaliger Vorsitzender Strache ein Faschist und Rassist – ebenso wie viele andere Vertreter der Partei. Sie ist mit den faschistischen „Identitären“ verbandelt, die in Österreich eine nicht geringe Rolle spielen. Kurz: Sie ist ein Feind der Arbeiterklasse und werktätigen Bevölkerung. Man könnte sich also freuen, dass ihnen ein Schlag versetzt wurde. Aber die Freude könnte zu früh sein, denn der Schlag wurde ihr leider nicht von der Arbeiterbewegung versetzt.

Der ÖVP-Kanzler Kurz versucht sich jetzt als Opfer darzustellen und die Situation für sich und seine Partei zu nutzen. Vielleicht war es eine willkommene Gelegenheit für einen Exit aus der Koalition. Wir werden sehen, wie es ausgeht. Ein Ende der Zusammenarbeit mit Faschisten ist es ganz bestimmt nicht – das gilt auch für die SPÖ.

Um was geht es?

Das Video, in dem Strache und der ehemalige Fraktionsvorsitzende der FPÖ, Gudenus, zu sehen sind, geht viral und löst Empörung und Verachtung aus. Aber ist es nicht ein Spiel von „bad guys“, die hier formvollendet präsentiert werden und den angeblichen „good guys“ auf der anderen Seite? Nur weil Strache und Gudenus die Rolle gut erfüllen, sollten wir nicht naiv werden. So funktioniert bürgerliche Politik. Korruption ist in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der es stets nur um den höchsten Profit geht unvermeidlich und systemimmanent. Und man vergisst sie schnell. Hat nicht der deutsche Bundestagspräsident (Schäuble, CDU) Koffer voller Geldscheine aus der Rüstungsindustrie angenommen? Ist er nicht ein „good guy“, dem die höchsten Staatsehren zuteil werden? Ist die Liste mit ehemaligen oder zukünftigen Politikern, die in Aufsichtsräten oder Vorständen sitzen und lukrative Staatsaufträge organisieren nicht endlos lang? Die Monopole und ihre Verbände sind in Ministerien und Bundeskanzleramt fest verankert, wie es sich für einen staatsmonopolistischen Kapitalismus gehört. Die Korruption, die ganz normal und geregelt abläuft, übertrifft Villa-Gespräche bei weitem.

Häufig erschallt jetzt der Aufschrei über das Verschachern der „freien Presse“ durch Strache, der die „Kronen-Zeitung“ verkaufen wollte. Auch das ist doch in einer Gesellschaft, in der alles käuflich ist, nicht verwunderlich. Haben die Familien Mohn (Bertelsmann) und Springer (BILD) nichts mit Politik und Interessen zu tun? Machen sie nicht das gleiche nur aus einer viel machtvolleren Position heraus? „Freiheit“ der Presse im Kapitalismus gibt es nicht, nur die Frage, welcher Kapitalist und wie ihr Staat darüber herrscht. Die Freiheit derjenigen Presse, die auf der Seite der Arbeiterklasse steht, wird stets und von allen bürgerlichen Kräften bedroht, auch wenn die Rechten und Faschisten dabei besonders gefährlich sind.

Es geht nicht darum, Strache und die FPÖ zu entlasten, es geht darum aufzuzeigen: Sie alle sind nicht einen Pfifferling Vertrauen wert, sie alle verkaufen die Interessen der Bevölkerung so gut sie können. Sie alle dienen nur dem Kapital – mal besser, mal schlechter.

Das Zerbrechen der ÖVP-FPÖ-Koalition wird von Unternehmensverbänden aus Österreich und Deutschland bedauert. Sie habe ja so viele Reformen angestoßen und einige noch gar nicht beendet, es dürfe jetzt nicht wieder zum Stillstand kommen. Die Steuerreform, die den Unternehmen Milliarden gebracht hätte, konnte ja leider noch nicht durchgesetzt werden. Die „Reformen“ richten sich alle gegen die Arbeiterklasse, vor allem die Ausweitung der Arbeitszeit durch Einführung des 12-Stunden-Tags und der Angriff auf die Sozialversicherung. Die FPÖ hat den Ausbau des Staates zur verschärften Repression vorangetrieben, das dürfte aber auch unter der folgenden Regierung weiter gehen und wird in Deutschland von allen Parteien – inklusive Linkspartei – ebenfalls praktiziert, siehe Polizeigesetze.

Und zu guter Letzt ist die Rolle der SPÖ verlogen. Sie war in mehreren Landesregierungen mit der FPÖ in einer Koalition und sie hat den „Reformen“ der Regierung Kurz nichts entgegen gesetzt, sondern ihr Einfluss in der Gewerkschaftsbewegung hat den Widerstand geschwächt.

Wem nutzt es?

Das Video wurde bereits 2017 gedreht, aber erst jetzt – eine Woche vor der Europawahl – veröffentlicht. Die Kräfte, die sich pro EU aufstellen, nutzen den Skandal, um für sich zu werben. Das ist in der jetzigen Situation, in der Großbritannien aussteigt und die Konflikte mit Frankreich immer offener ausgetragen werden, in der also vor allem die deutschen Monopole ein weiteres Auseinanderdriften ihrer EU fürchten, von größerer Bedeutung. Darum soll es jetzt angeblich gehen: Wählt uns, wählt die EU, denn die anderen das sind die „bad guys“. Der Bundespräsident Österreichs van der Bellen sagte, Österreich müsse seine Rolle in Europa finden, das sei für das Land überlebenswichtig. Ob es jetzt zu einer anderen Ausrichtung der EU-Politik Österreichs kommt und was das bedeutet, werden wir beobachten müssen. Der Skandal wird außerdem genutzt, um weiter Stimmung gegen Russland zu machen, das die EU angeblich angreife und bedrohe, während die EU mit ihrer aggressiven Assoziierungspolitik vor allem in der Ukraine tatsächlich den Frieden bedroht.

Weder die EU noch ihre angeblichen Gegner von rechts sind im Interesse der Arbeiterklasse – in Österreich genau so wie hier.