Suche

Start Blog Seite 74

Gegen die EU! Gegen den deutschen Imperialismus! Für ein sozialistisches Deutschland und Europa!

0

Der Text als pdf

Am 26. Mai wird das neue Parlament der Europäischen Union gewählt. Kaum jemandem wird dies entgangen sein – die Viertel sind voll mit Wahlplakaten, im Fernsehen wird debattiert und selbst in den sozialen Netzwerken gibt man uns die Möglichkeit, öffentlich zu verkünden: „Ich gehe wählen!“. Gerade in Deutschland wird diese Wahl zu einer Schicksalswahl aufgebauscht und heuchlerisch behauptet, dass die EU im Interesse der Völker Europas sei. Denn die deutschen Kapitalisten und ihre Vertreter im Bundestag befürchten, dass sich die Krise in der EU weiter vertiefen und letztlich die Existenz der EU gefährden könnte. Ist doch diese EU für die deutschen Kapitalisten das wichtigste politische Projekt zum Ausbau ihrer Dominanz in Europa. Was wollen also jene, die zur Wahl antreten, eigentlich wirklich? Welche Haltung sollten wir zur EU einnehmen?

Eine Wahl zwischen Pest und Cholera

Alle bürgerlichen Parteien – von der AfD bis zur Linkspartei – sind sich einig: Die EU gilt es zu erhalten. Natürlich gibt es in dieser Einigkeit verschiedene Schwerpunkte. So macht die AfD zwar ihre Zustimmung zur EU von der Umsetzung ihrer Reformforderungen abhängig – mit einer ernsthaften Ablehnung hat das jedoch nichts zu tun. Denn solange die EU im Interesse der großen Mehrheit des deutschen Kapitals ist, solange wird auch die AfD sich hüten, offensiv gegen die EU aufzutreten. Sie bezeichnet den Austritt Deutschlands nur als allerletzte Option, macht diesen „Dexit“ von einem Volksentscheid abhängig und strebt auch dann die Neugründung einer „europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ (EU-Wahlprogramm der AfD) an. SPD, Grüne, FDP und CDU sind die eifrigsten Vertreter der deutschen Kapitalinteressen in der EU-Frage doch auch die Linkspartei (PdL) strebt letztlich nur eine etwas „demokratischere“ und „sozialere“ EU an. In unterschiedlicher Ausprägung vertreten diese Parteien die Interessen der deutschen Kapitalisten in der EU – denn die EU selbst ist ein imperialistisches Projekt.

Soziale EU?

Wenn es nach CDU, AfD und FDP geht, sollen Sozialsysteme nicht EU-weit gelten. PdL, SPD und Grüne hingegen fordern einen europaweiten, national angepassten Mindestlohn. Das hört sich gut an, ist aber eine unrealistische, ablenkende Forderung: Die Arbeiterklasse des jeweiligen Landes hat wenig Möglichkeiten, auf EU-Ebene für diese oder andere Forderungen zu kämpfen. Denn weder EU-Parlament noch irgendeine der anderen von den Regierungen der einzelnen Staaten eingerichteten EU-Institutionen wäre in der Lage, eine solche Forderung umzusetzen. Letztlich läuft diese Forderung also auf einen „guten Willen“ der einzelnen Staaten hinaus und ist damit reine Augenwischerei. Wenn, dann müsste die Arbeiterklasse in Deutschland für einen umfassenden, höheren Mindestlohn und ein Existenzminimum kämpfen. Doch genau dann würde sie auf den Widerstand eben jener Parteien stoßen, die die großen Töne von einem „europäischen Mindestlohn“ spucken. Sie sind die Parteien, die in Deutschland Hartz4 und die Agenda 2010 zu verantworten haben und die aktuelle Armutspolitik in Bundes- oder Landesregierungen mit umsetzen.

Offene EU?

In der Frage von Flucht und Migration fordern die Grünen und die FDP eine geregelte „Arbeitsmigration“ für die deutschen Unternehmen. Im Klartext heißt das, nur solche Menschen ins Land zu lassen, die entweder als ausgebildete Fachkräfte zu billigeren Löhnen einsetzbar sind oder als billige, ungelernte Arbeitskräfte Druck auf die Löhne der gesamten Arbeiterklasse ausüben. Garniert wird diese Forderung von den Grünen mit der Aussage, „Klimaflüchtlinge“ vor Abschiebung schützen zu wollen. Sie verheimlichen, dass sie in allen beteiligten Regierungen wie z.B. in Baden-Württemberg, die Abschiebung Tausender in den Tod durch Armut und Krieg mittragen.

Die Linkspartei behauptet zwar, auch Menschen ins Land lassen zu wollen, die aufgrund von Armut aus ihrem Land fliehen. Doch ihre klare Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung neben der SPD, ihrerseits mitverantwortlich für alle Verschärfungen der aktuellen Asylgesetze, zeigt deutlich: Alles Gerede von einem „solidarischen Europa“ (EU-Wahlprogramm der PdL) ist heiße Luft und wirkt letztlich auch nur in Richtung einer weiteren Spaltung der Arbeiterklasse im In- und Ausland. Die CDU hingegen fordert ganz offen den Ausbau von Frontex und nimmt so den Tod von noch mehr Flüchtlingen in Kauf. Außerdem will sie die Zahl der akzeptierten Flüchtlinge weiter begrenzen. Die AfD wiederum will aus Europa eine noch skrupellosere Festung machen, an deren Außengrenzen schon jetzt zig Tausende sterben. Durch ihre offen menschenverachtende Hetze versucht sie, die Konkurrenz und Spaltung unter den Arbeitern zu vertiefen und dient damit ausschließlich den Interessen der Kapitalisten.

Friedliche EU?

Auch in militärischen Fragen fordern Grüne, FDP und CDU eine gemeinsame Politik, auch wenn sie das alle „Sicherheitspolitik“ nennen. SPD und CDU wollen sogar eine gemeinsame EU-Armee – mit dem Ziel, in militärischen Auseinandersetzungen den Interessen der verschiedenen Kapitalisten Europas mehr Durchsetzungskraft gegenüber den anderen Großmächten zu verleihen. Die scheinheilige Behauptung verschiedener Parteien, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen steht eine gnadenlose Realität gegenüber: „Fluchtursachen bekämpfen“ heißt im Deutsch der herrschenden Kapitalisten und ihrer Parteien Einflussgebiete durch „Entwicklungspolitik“, Beratertätigkeiten, militärische Präsenz und andere Machenschaften ausweiten. Denn eine Bekämpfung der wahren Fluchtursachen kann nur der Kampf gegen den Kapitalismus/Imperialismus selbst sein – und alle genannten Parteien verteidigen diesen bis zum Untergang. Zwar fordert die PdL noch immer den Stopp aller Rüstungsexporte aus der EU – aber spätestens bei Beteiligung an einer Bundesregierung wird sie auch dieses Feigenblatt fallen lassen: Denn ein kapitalistischer Staat wie Deutschland ist zur Wahrung der Interessen der deutschen Kapitalisten unweigerlich auf Rüstung angewiesen. Ein Rüstungsunternehmen, welches für den inneren Markt produziert, aber nicht exportieren darf, kann sich jedoch in der internationalen Konkurrenz nicht halten.

Die EU: Ein Projekt der Solidarität und der Gemeinschaft? 

Wenn man Parteien wie SPD und CDU glaubt, macht die EU grundsätzlich das Leben für uns alle besser. Reisefreiheit, Wohlstand, eine gemeinsame Währung, friedliches Zusammenleben und vieles mehr sind Zweck und Errungenschaft der EU, wenn man den bürgerlichen Parteien und Medien Glauben schenkt.

Tatsächlich entstand die EU nicht spontan und aus plötzlichem Nachkriegs-Pazifismus heraus. Sie war von Beginn an ein Klassenprojekt – eines der herrschenden Klasse natürlich – und gegen die Errungenschaften der Arbeiterklasse und damit gegen den Sozialismus in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten gerichtet. Doch gleichzeitig war die Gründung der EU auch Ausdruck einer stärker gewordenen Konkurrenz der Kapitalisten Europas gegenüber den USA und anderen imperialistischen Länder. Die Handelskonflikte zwischen der EU und den USA heute sind daher kein Zufall – sie sind das Ergebnis einer sich verschärfenden imperialistischen Konkurrenz auf der gesamten Welt. Im Laufe der Jahrzehnte hat die EU gezielt mehr und mehr Gesetze und Strategien geschaffen, die Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung in der EU und weltweit bedeuten – ganz im Interesse der Steigerung der Profite der verschiedenen nationalen Monopolkonzerne in Europa.

So ist die Freiheit der EU die Freiheit der Unternehmen, ihre Arbeiter flexibler auszubeuten. Die europäische Jugend wird zur billigen, nicht versicherten Arbeitskraft, die von Land zu Land wandern darf. Die Arbeiter werden gegeneinander ausgespielt, der Lohndruck durch mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt spaltet im Interesse der Kapitalisten. Wer nicht nützlich für das Kapital ist, wird nicht hereingelassen. Den Opfern der imperialistischen Kriege, die in Europa ein neues Leben anfangen wollen, gesteht die EU daher keine „Reisefreiheit“ zu. Zehntausende Tote an den Außengrenzen der EU allein in den letzten Jahren zeugen davon. Und auch für viele Menschen in der EU ist an Urlaub im Ausland angesichts von Armut und existenziellen Nöten gar nicht zu denken.

Durchgesetzt werden die Interessen der Unternehmen entweder über die nationalen Politiker, wie bei Merkels Kampf gegen strengere Abgasnormen für die Automobilindustrie oder offen und direkt wie beim „Europäischen Runden Tisch der Industriellen“, der sowohl bei der Schaffung des zollfreien europäischen Binnenmarkts und der Einführung des Euro als Währung eine entscheidende Rolle spielte. Auch nach außen werden die Interessen der Unternehmen gesichert: Um zu verhindern, dass andere Länder ihre Rohstoffe irgendwann nicht mehr hergeben wollen, meldete die EU-Rohstoffstrategie 2008 dasselbe Anrecht darauf an: „Viele bedeutende Rohstoffvorkommen befinden sich in den Entwicklungsländern Afrikas und anderen Entwicklungsländern. Es empfiehlt sich, die EU-Entwicklungspolitik auf diskriminierungsfreien Zugang der EU zu Rohstoffen auszurichten“. In verschiedenen Dokumenten hat das europäische Parlament deutlich gemacht, dass es ohne Zweifel diese Interessen auch mit militärischer Gewalt durchsetzen wird, wenn es nötig wird. 

Die Haltung der Kommunisten zur EU

In der europäischen kommunistischen Bewegung existieren zwei ihrem Inhalt nach verschiedene Aufrufe, die von kommunistischen Parteien unterschrieben wurden. Der erste stammt von der „Initiative kommunistischer und Arbeiterparteien Europas“ und wird von 36 Organisationen getragen. Unterzeichner sind zum Beispiel die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) und die Kommunistische Partei (PC) aus Italien. Ihr Aufruf ist richtig, weil er klar die Ablehnung der EU formuliert und die Illusion in eine Reformierbarkeit der EU zurückweist: „Die EU dient nicht und wird auch nie den Bedürfnissen der Werktätigen dienen. Die Erwartungen, dass die EU in eine volksfreundliche Richtung reformiert werden kann, haben sich als vergebens erwiesen.“

Stattdessen benennt der Aufruf unmissverständlich den Sozialismus als einzige Lösung für die Arbeiterklasse und macht deutlich, dass nationalistische und faschistische Kräfte wie die AfD in Deutschland und die „Goldene Morgendämmerung“ (Chrysi Avgi) in Griechenland einzig den Kapitalisten dienen und mit den Interessen der Völker Europas nichts gemeinsam haben.

Wir unterstützen den Aufruf der „Initiative“!

Die zweite Erklärung unter dem Titel „Für ein Europa der arbeitenden Menschen und der Völker“ umfasst ein augenscheinlich politisch breiteres Spektrum an Organisationen inklusive sozialdemokratischer Parteien wie der PdL. Wir kritisieren diesen Aufruf, weil er – ganz im Gegensatz zum ersten – die EU eben nicht als imperialistisches Bündnis benennt. Vielmehr bleibt er in seinen Formulierungen schwammig und bietet opportunistischen Haltungen, allen voran dem Glauben an eine Reformierbarkeit der EU, ein Einfallstor. Sätze wie: „Ein anderes Europa – ein Europa, das den Arbeitern und Völkern und ihren Bedürfnissen dient – kann durch einen radikalen Wandel in den Grundlagen, auf denen die EU aufgebaut wurde, entstehen.“ suggerieren, dass die EU an sich den Interessen der Arbeiterklasse nicht widersprechen würde. Nicht der Sozialismus, die Planwirtschaft und die damit verbundene Verstaatlichung der Produktionsmittel werden als notwendige Forderungen genannt, sondern lediglich die Einschränkung des Monopolkapitals sowie die zusätzliche Förderung (nicht weiter definierter) ,kleinerer und mittlerer‘ Unternehmen. So heißt es im Aufruf: „Für einen Weg der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung unseres Kontinents, der […] kleine und mittlere Unternehmen unterstützt; der Steueroasen, freie und deregulierte Kapitalbewegungen beendet und die spekulativen Aktivitäten des Kapitals bekämpft und besteuert.“

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), welche auch zur EU-Wahl antritt, hat in den letzten Jahren zunehmend eine klarere ablehnende Haltung gegenüber der EU entwickelt und auch offen Kritik an der PdL und ihrer Europa-Politik geübt. Im aktuellen EU-Wahlprogramm stellt sie das imperialistische Wesen der EU klar heraus und schließt damit eine Reformierbarkeit richtigerweise aus: „Die ‚Europäische Einigung‘ war von Beginn an ein zu tiefst reaktionäres Projekt als Bollwerk gegen den Sozialismus. Im Gegensatz auch zu manchem Politiker der Partei ‚Die Linke‘ halten die KommunistInnen die EU nicht für reformierbar“.

Doch im Widerspruch dazu zählt auch die DKP zu den Unterstützern des zweiten, schwammigen Aufrufs. Dieser wird auch von den Kräften getragen, die nicht nur Illusionen in die EU verbreiten, sondern auch in der Europäischen Linkspartei (ELP) organisiert sind. Die ELP trägt jedoch mit ihrer Politik massiv zur Aufweichung und Zersetzung kommunistischer Parteien bei. Zwar richten sich die konkreten Forderungen, die die DKP im EU-Wahlprogramm aufstellt zu Recht gegen Militarisierung und Sozialabbau. Sie vermitteln aber den Eindruck, dass all das durch Umverteilung und Kürzung bei Rüstungsausgaben realisierbar sei. Sie lässt die Frage offen, wie die Arbeiterklasse den Kampf für die Realisierung der Forderung führen muss. Indem die DKP nicht den Kampf um die Macht der Arbeiterklasse, den Sozialismus, als einzigen Weg benennt, fördert sie reformistische Vorstellungen gegenüber der EU.

Die einzige Alternative – gegen die EU und für den Sozialismus!

Alle angesprochenen Probleme für die Arbeiterklasse und die Angriffe auf sie haben System – ihr Ursprung liegt im Kapitalismus, wo die Unternehmen und insbesondere die Monopolkonzerne stets nach dem größtmöglichen Profit streben. Imperialistische Bündnisse wie die EU schaffen den Rahmen dafür. In unseren Programmatischen Thesen halten wir daher fest: „Der Kampf gegen die EU ist notwendiger Bestandteil des Kampfes der Arbeiterklasse in Deutschland, sowie in allen Mitgliedsländern dieses Bündnisses“ (Programmatische Thesen der KO, S.9).

Wir dürfen uns keine Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus oder seiner Institutionen machen und auch ein Kapitalismus ohne die EU ist gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtet. Unser Kampf muss deshalb unmissverständlich gegen den Kapitalismus und gegen die EU gerichtet sein und mit dem Kampf für die Macht der Arbeiterklasse, den Sozialismus verbunden sein. Der Kampf um eine solche bessere Zukunft wird vor allem im Betrieb, in der Schule, der Uni und im Stadtteil stattfinden. Doch auch Wahlen und Parlamente können von einer Kommunistischen Partei, welche konsequent die Interessen der Arbeiterklasse verteidigt, genutzt werden, um ihre Positionen zu verbreiten. Treiben wir also die eigenständige Organisierung der Arbeiterklasse und den Aufbau der kommunistischen Partei voran!

Redebeitrag 15.02.20

0

Am 09. November 1938 wurden jüdische Mitmenschen, Nachbarn, Bekannte und Verwandte jeden Alters brutal verfolgt und ermordet.

Nur wenige Meter von hier entfernt, in der Steinstraße 8 hat bis zum 10. November 1938 eine der beiden Gießener Synagogen gestanden. Beim Novemberpogrom 1938 wurden beide Synagogen durch SA-Männer geplündert und angezündet. Die anwesende Feuerwehr durfte sich nur auf den Schutz der Nachbarhäuser beschränken. Wenige Tage nach dem Brand ließ die Stadtverwaltung die Brandruinen sprengen und den Schutt abfahren. Mehrere Geschäfte, die noch im Besitz jüdischer Personen waren, wurden ebenfalls demoliert und geplündert. Die meisten jüdischen Männer wurden verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Am 14. September 1942 wurden die in der Stadt noch lebenden 141 jüdischen Personen in einem Massenquartier in der Goetheschule eingesperrt. Am 16. September 1942 erfolgte über den Güterbahnhof die Deportation in faschistische Konzentrationslager. Diese Konzentrationslager gab es bereits knapp 10 Jahre. Zur großen Mehrheit waren die Insassen Angehörige der Arbeiterklasse, darunter viele KommunistInnen und andere AntifaschistInnen. Die KZ´s waren die Orte, wo die Faschisten mit all ihren Gegnern auf blutrünstigste Weise abrechneten. So überlebten nur fünf der damals aus Gießen deportierten Personen.

Auch in anderen Städten wurden am 9. und 10. November 1938 jüdische Mitmenschen auf offener Straße massakriert, blutig geschlagen, erhängt, erstochen, zu Hunderten ermordet. Tausende Läden von jüdischen Besitzern wurden in Stücke geschlagen, hunderte Synagogen in Brand gesetzt.

„Nie, nie, Nie wieder Krieg!“ 

Eine Tat des Volkes?

Nein, am 09. November 1938 gab es keinen Massenaufstand gegen Juden. Den weitaus größten Teil der Hetzer und Totschläger machten staatlich gelenkte Trupps der SA aus – nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung beteiligte sich freiwillig an dem Pogrom. Auch in Gießen waren es SA-Männer, die die Synagogen anzündeten und die Feuerwehr an den Löscharbeiten behinderte. Denn der Antisemitismus war in der deutschen Bevölkerung keineswegs so verbreitet und verwurzelt, wie es sich die Faschisten damals wünschten und einige noch heute wünschen. Die meisten Menschen standen den Ausschreitungen ablehnend gegenüber, verhielten sich aber passiv. Dies war jedoch nach fünf Jahren faschistischer Terrorherrschaft nicht groß verwunderlich.

Heute wissen wir, dass die angerückte SA sehr häufig aus Auswärtigen bestand. Sie wurden aus völlig anderen Städten und Regionen herbeigekarrt, um gezielt und vorbereitet ihre Schreckenstaten zu begehen. Daraus zeigt sich besonders klar: Die Reichspogromnacht war keine Tat des Volkes, kein „spontaner Volkszorn“, wie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels verlautbarte. Sie war eine staatliche Aktion, eine Inszenierung – geplant von der faschistischen Regierung. Wer in den deutschen Genen ein Antisemitismus-Gen sucht, wird vergeblich suchen und ist der Rassenideologie der Faschisten auf den Leim gegangen.

Aber wieso dann das alles?

Die Juden waren für die Regierung unter Hitler von Anfang an Ziel der Hetze. Schon in den 1920er Jahren benutzte die NSDAP die Juden als fiktiven Sündenbock für jedes reale kapitalistische Übel. Damit sollten die Arbeiter, die im Kapitalismus ihren Gegner erkannten, verwirrt und politisch ruhig gestellt werden. Ihr berechtigter Zorn auf das Kapital sollte auf vermeintliches „jüdisches Kapital“ kanalisiert werden. Gleichzeitig wurde damit die Spaltung der Arbeiterklasse betrieben. 

Denn den jüdischen und deutschen ArbeiterInnen sollte auf diese Weise erschwert werden, ihre Gemeinsamkeit zu erkennen. Darüber hinaus war das Pogrom ein wichtiger Schritt für die Arisierung – also den Raub jüdischen Eigentums und dessen Übergabe an den deutschen Staat bzw. „arische“ Besitzer. 

Am 12. November 1938 wurde die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“beschlossen. Damit wurde die Arisierung in Gesetzesform gegossen – drei Tage nach der Hinmetzelung von Jüdinnen und Juden. Bei diesem Verbrechen half u. a. ein gewisser Friedrich Flick – Großkapitalist unter Hitler und später in der BRD der 50er Jahre wieder einer der reichsten Unternehmer.

Was sollen wir tun?

Wir wollen an all den Jüdinnen und Juden gedenken, die unter dem Faschismus gelitten haben und den Tod fanden. 

Aber wir wollen auch all den anderen Opfern des faschistischen Mordens gedenken. Daraus geht dreierlei hervor:

  1. Auch all den gefallenen KämpferInnen gegen dieses bestialische System gehört unser Gedenken. Sie sind uns Vorbild im Kampf gegen ein neues 1933.
  2. Auch all den Opfern des faschistischen Mordens unserer Gegenwart gedenken wir. Sie sind uns Mahnung, dass die Geschichte sich wiederholt, wenn wir nicht aus ihr lernen.
  3. Wir dürfen nicht beim Gedenken verharren. Wir müssen selbst aktiv werden, um Krieg und Faschismus nie wieder möglich zu machen! – Denn: Gedenken heißt kämpfen!

In Gedenken an alle Opfer des Faschismus sagen wir deshalb:

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

„Hoch die internationale Solidarität!“

Zur Verbindung des ökonomischen mit dem politischen Klassenkampf

0

Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

von Philipp Kissel

Warum diskutieren wir überhaupt über den Begriff des Klassenkampfs? Was soll daran so relevant sein? In unserem Leitantrag zur Arbeit in den Massen versuchen wir im ersten Abschnitt das politische Ziel und die Bedeutung der Massenarbeit zu bestimmen. Damit sind wir beim Klassenkampf des Proletariats. Was ist überhaupt sein Wesen und Ziel? Das müssen wir bestimmen, denn dafür wollen wir die Organisierung vorantreiben.

Lange Zeit gab es kaum eine Debatte über den Klassenkampf, seit einiger Zeit ist sie mit Beiträgen von Eribon und zur „neuen Klassenpolitik“ neu aufgekommen. Umso wichtiger, dass wir unser politisches Verständnis des Klassenkampfs schärfen.

Beim Klassenkampf handelt es sich um einen politisch umkämpften Begriff. Kampf der Klassen findet objektiv und in jeder Gesellschaftsformation, in der es Klassen gibt, statt. Was aber das Wesen und Ziel des Klassenkampfs des Proletariats ist, ist eine politische Streitfrage in der Arbeiterbewegung. Die Diskussion dreht sich um die Frage, was die marxistische Auffassung vom Klassenkampf ist. Und zwar nicht des Klassenkampfs allgemein, sondern des Proletariats, der sich von den Kämpfen anderer Klassen unterscheidet.

Genosse Thanasis und ich sind uns einig, dass das politische Ziel der Arbeiterklasse die Errichtung ihrer eigenen Macht ist und welche wichtige Rolle dabei die Kommunistische Partei spielt. Wir sind uns auch darin einig, dass eine Trennung von ökonomischen und politischen Kampf falsch ist. Darin besteht nicht unser Dissens, sondern wenn dann darin, ob die Bestimmung des Klassenkampfs, die Lenin vornimmt, richtig ist oder ob sie eine Verengung des Klassenkampf-Begriffs darstellt. Das soll der Gegenstand dieser Klärung sein. Wenn ich hier scharfe Kritik von Marx, Engels und Lenin an revisionistischen Auffassungen zitiere, beziehe ich sie explizit nicht auf die Aussagen von Genosse Thanasis, sondern führe sie an, um die Auseinandersetzungen besser verständlich zu machen.

Im zweiten Teil will ich konkreter auf die Frage der Gewerkschaften eingehen und warum wir eine starke Gewerkschaftsbewegung anstreben.

Lenin führt aus: „Nicht genug damit, dass der Klassenkampf nur dann echt, konsequent, entfaltet ist, wenn er den Bereich der Politik erfasst. Auch in der Politik kann man sich entweder auf unbedeutende Einzelfragen beschränken oder in die Tiefe gehen, bis auf den Grund. Der Marxismus erkennt den Klassenkampf erst dann als voll entfaltet, als ,gesamtnational‘ an, wenn er nicht nur die Politik, sondern in der Politik auch das Wesentlichste: die Frage der Staatsmacht, erfasst. Der Liberalismus dagegen wagt es schon nicht mehr, den Klassenkampf zu leugnen, wenn die Arbeiterbewegung etwas stärker geworden ist, sucht aber den Begriff des Klassenkampfes einzuengen, zu stutzen, zu kastrieren. Der Liberalismus ist bereit, den Klassenkampf auch auf dem Gebiet der Politik anzuerkennen, allerdings unter der Bedingung, dass die Frage der Staatsmacht nicht mit einbezogen wird.“ (Lenin, Werke Band 19, S. 105-106)

Ich glaube, dass diese Ausführungen Lenins über die marxistische Auffassung des Klassenkampfs sehr aktuell sind und dass auch heute in vielen Debatten zum Klassenkampf die Frage der Staatsmacht ausgeklammert wird.

Ich will versuchen nachzuvollziehen, warum Lenin diese klare und eindeutige Bestimmung des Begriffs des Klassenkampfs des Proletariats vornimmt und dazu einen Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung werfen. Dabei führe ich zentrale Aussagen aus Band 1 der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (Dietz, Berlin, 1966) an, ohne sie hier separat zu kennzeichnen, um die Übersichtlichkeit zu erhalten.

Mit der Entstehung des Proletariats als Klasse begann auch sofort sein Kampf und es stellte sich den kämpfenden Arbeitern die Frage der politischen Organisierung und Zielsetzung. Zunächst nahmen die Arbeiter die Ideen des utopischen Sozialismus auf. Die fortgeschrittensten Arbeiter spürten sehr wohl, dass ihr bisheriges theoretisches Rüstzeug nicht ausreichte, aber sie waren nicht imstande selbst die Lösung zu finden, weil ihnen der Zugang zur Wissenschaft verwehrt blieb. Der Aufschwung des Klassenkampfs machte die Entstehung des wissenschaftlichen Kommunismus zu einer historischen Notwendigkeit. Marx, Engels und andere erreichten mit ihrem Kampf und ihrer Arbeit die Vereinigung der Arbeiterbewegung mit dem wissenschaftlichen Kommunismus.

Man kann sagen, dass die Kommunisten und die Kommunistische Partei eine notwendige und untrennbare Entwicklung des Kampfs der Arbeiterklasse sind. Man könnte auch sagen, dass die Kämpfe der Klasse immer wieder die politische Frage und vor allem die Frage der Macht und des Staates aufwerfen und die Frage der Organisierung, sodass immer wieder Kommunisten entstehen müssten, falls sie vom Erdboden verschluckt worden sein sollten – was sie zum Glück nicht sind. Das heißt nicht, dass wir einfach abwarten könnten, da ja aus den Kämpfen, wenn sie heftiger werden, schon genug fortgeschrittene Arbeiter kommen werden, die die Kommunistische Partei stellen werden. Das ist im Leitantrag beschrieben: „Ohne die bewusste, politische Kraft gibt es keine Organisationen, mit denen die Arbeiter ihren Kampf entfalten können. Wir stehen in einem fortgeschrittenen Stadium der Arbeiterbewegung, nicht am Anfang wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als die Arbeiterklasse sich zunächst emanzipieren musste und sich als Klasse und Bewegung herausbildete.“ (Zeilen 1029-1033).

Marx und Engels wiesen ständig auf die Notwendigkeit hin, den politischen mit dem ökonomischen Kampf zu verbinden. Diese Verbindung war für die Vorbereitung einer revolutionären proletarischen Partei unbedingt notwendig. Sie arbeiteten im „Manifest der Kommunistischen Partei“ und in der Schrift „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850“ heraus, dass die Arbeiterklasse im Rahmen der bürgerlichen Republik nicht ihre Ausbeutung beseitigen kann. Dieses Ziel setzt voraus: „Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!“

Mit dem „Kapital“ gaben Marx und Engels der Vorhut der Arbeiterklasse eine entscheidende Waffe in die Hand, eine feste theoretische Grundlage für ihr Wirken, die es ihr ermöglicht, eine von der Analyse der objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung ausgehende Politik zu entwickeln, den ökonomischen mit dem politischen Kampf und den Kampf um Teilaufgaben mit dem Kampf um das Endziel zu verbinden.

Auch beim Aufbau von Gewerkschaften spiegelte sich dieser Kampf wider. Während Lassalle sie dem bismarckschen Staat unterordnen wollte, strebten die Marxisten die Gewerkschaften als organisierende Kraft zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit selbst, als organisierende Zentren der Arbeiterklasse im Interesse ihrer vollständigen Emanzipation an. Dazu mussten sie selbständige und demokratische Organisationen sein, um möglichst viele Arbeiter unabhängig von ihrer politischen Überzeugung zu organisieren und zu aktivieren.

Die Lehre vom Ziel des Klassenkampfs des Proletariats entwickelten Marx und Engels mit der Auswertung der Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 weiter, als die Arbeiterklasse zum ersten Mal ihre eigene Herrschaft errichtet hatte. Die Opportunisten versuchten stets die Lehre der Pariser Kommune kleinzureden, während die Marxisten die Lehre weiter entwickelten und sie in der Oktoberrevolution verwirklichten, die wiederum in der späteren Entwicklung zum Prüfstein der Arbeiterbewegung wurde.

Die Angriffe auf den Kern der Marxschen Lehre nehmen je nach Entwicklungsstadium der Arbeiterbewegung verschiedene Formen an. Lassalle erkannte niemals die welthistorische Mission des Proletariats an, im revolutionären Klassenkampf und mittels der Errichtung seiner politischen Macht eine neue, sozialistische Gesellschaftsordnung zu schaffen, sondern weckte die verderbliche Illusion, es sei möglich, ohne revolutionären Klassenkampf und ohne Diktatur des Proletariats, mit Hilfe des bestehenden Staates in den Sozialismus friedlich hineinzuwachsen.

Bernstein und andere pflichteten zwar formell der Eroberung der Macht durch das Proletariat bei, verschoben sie aber in unerreichbare Ferne und propagierten das „friedliche Hineinwachsen“ in den Sozialismus, bestritten also die Notwendigkeit der Errichtung der eigenen Macht der Arbeiterklasse. Die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus durch Bernstein und anderen drehte sich ebenfalls um die Frage der Macht und des Staates. Rosa Luxemburg stellte fest, dass damit die Sozialreform von einem Mittel des Klassenkampfs zu seinem Zweck gemacht wird. Als die Kämpfe der Arbeiterklasse das Mittel des Massenstreiks hervorbrachten, versuchten die opportunistischen Gewerkschaftsführer es durch Bedingungen und Klauseln zu verunmöglichen. Sie wollten die Partei den Gewerkschaften unterordnen und diese nur für die „Führung von wirtschaftlichen Kämpfen“ zu nutzen.

Beim Eintritt des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium nahmen die Auseinandersetzungen mit dem Opportunismus zu. Mit der Oktoberrevolution begann eine neue Etappe der höher entwickelten Arbeiterbewegung. Sie hatte nicht nur den Zarismus und die Kapitalisten gestürzt, sondern auch ihren eigenen Staat errichtet und ihn erfolgreich aufgebaut. Die opportunistischen Versuche, den politischen Kampf des Proletariats zu hemmen und zu stutzen, mussten neue Formen annehmen, um die Arbeiter von der Ergreifung der Macht abzuhalten. Dazu übernahmen sie zum Teil auch den Begriff der „Diktatur des Proletariats“, um ihn zu entkernen oder in weite Ferne zu rücken.

Lenin schreibt in seiner Auseinandersetzung mit Karl Kautsky, dass in der Diktatur des Proletariats „das Wesen der Marxschen Lehre besteht.“ (Lenin, Werke Band 28, S. 231) Seine Ausführungen fassen die Auseinandersetzungen zum Klassenkampf zusammen: „Wer nur den Klassenkampf anerkennt, ist noch kein Marxist, er kann noch in den Grenzen bürgerlichen Denkens und bürgerlicher Politik geblieben sein. Den Marxismus auf die Lehre vom Klassenkampf beschränken heißt den Marxismus stutzen, ihn entstellen, ihn auf das reduzieren, was für die Bourgeoisie annehmbar ist. Ein Marxist ist nur, wer die Anerkennung des Klassenkampfes auf die Anerkennung der Diktatur des Proletariats erstreckt. Hierin besteht der tiefste Unterschied des Marxisten vom durchschnittlichen Klein- (und auch Groß-)Bourgeois. Das muß der Prüfstein für das wirkliche Verstehen und Anerkennen des Marxismus sein.“ (Lenin, Werke Band 25, S. 424)

Es ist also keine Verengung des Begriffs des Klassenkampfs, wenn er wie hier von Lenin verstanden wird, sondern anders herum versucht die bürgerliche Klasse durch welche politischen Strömungen auch immer, den Klassenkampf des Proletariats zu begrenzen. Man könnte auch zusammenfassen: Das Besondere des Kampfs der Arbeiterklasse ist die Diktatur des Proletariats, zu der er gesetzmäßig führt, was nicht heißt automatisch oder von alleine. Das hat der Kampf der Klasse selbst gezeigt und es ist Resultat der Widersprüche der Produktionsverhältnisse – es ist die Form, mit der der Kapitalismus beendet wird und die nächste höhere Stufe der Produktivkräfte ermöglicht wird.

Die Gewerkschaften und die Verbindung des ökonomischen mit dem politischen Kampf

Ich will hier kurz auf ein Beispiel der jüngeren Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung eingehen, das unterstreicht, wie notwendig eine politische Kraft ist, die das Ziel der Arbeiterklasse nicht nur kennt, sondern auch organisatorisch umsetzen kann.

Die mit den Hartz-Gesetzen eingeleitete Umstrukturierung des Arbeitsmarkts und Sozialstaats war nicht nur eine große Niederlage der Arbeiterbewegung, sie ermöglichte dem deutschen Imperialismus den Ausbau seiner Dominanz in Europa. Die rot-grüne Bundesregierung entwarf die Gesetze in Zusammenarbeit mit den Führungen der Gewerkschaften, die in der Kommission vertreten waren und dem Vorhaben zustimmten.

Diesem Verrat an der Arbeiterklasse standen der Protest großer Teile der Basis und der mittleren Gliederungen der Gewerkschaften gegenüber. Über Monate demonstrierten zehntausende Beschäftigte und Erwerbslose, Organisierte und Unorganisierte gemeinsam gegen die Gesetzesvorhaben. Am 1. November 2003 demonstrierten allein in Berlin 100.000 Menschen. Die Mobilisierung ging zu nicht geringen Teilen von Gewerkschaftsgliederungen aus. Die DGB-Landesvorsitzenden sprachen sich gegen ein zentrales Vorhaben der „Reform“, der Einführung des ALG II, aus. Die Führung der Gewerkschaften beendete die Unterstützung der Proteste im Sommer 2004, um die SPD-Grünen-Regierung nicht zu gefährden. „Wir sind schließlich Demokraten“, erklärte DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer. Der DGB akzeptiere den parlamentarischen Entscheidungsprozess. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer schrieb einen „Friedensbrief“ an den SPD-Kanzler Schröder, weil die „Gewerkschaften derzeit keine politische Alternative mehr haben“, müssten sie eben mitarbeiten.

Dieser politische Kampf der Arbeiterklasse scheiterte, weil es keine Kraft gab, die systematisch die Frage der Macht und des Staates damit verknüpfen konnte und in den Massen wirken konnte. Es zeigte sich der politische Charakter der Gewerkschaften und ihr Potential zur Mobilisierung. Sie hätten nur mit einer politischen Kraft zu Zentren des Widerstands weiter ausgebaut werden können.

Die Gewerkschaften in Deutschland, wie sie heute existieren, sind sowohl Ergebnis des Kampfs der revolutionären Arbeiterbewegung als auch des Versuchs des kapitalistischen Staats, sie zu integrieren und politisch unschädlich zu machen.

Unumstritten ist unter uns die Frage, ob wir in den DGB-Gewerkschaften wirken, arbeiten und kämpfen sollen. Alles andere wäre nicht nur unrealistisch, sondern würde uns von den in den Gewerkschaften organisierten Massen isolieren. Die Frage, die uns beschäftigt ist, ob die bestehenden Gewerkschaften zu klassenkämpferischen entwickelt werden können und wie mit der Reaktion der Sozialdemokratie umzugehen ist. Genossin Klara Bina hat schon den wichtigen Punkt gemacht, dass wir zunächst mit systematischer und entschlossener Arbeit beginnen (oder sie fortsetzen) müssen und jetzt noch nicht die Antworten auf spätere Entwicklungen geben können, auch wenn wir die historischen Erfahrungen genau auswerten müssen.

An dieser Stelle will ich nur kurz darauf verweisen, dass die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung stets von opportunistischen Kräften ausging. Als nach der Oktoberrevolution der revolutionäre Aufschwung auch die Gewerkschaften in den westlichen Ländern ergriff, reagierten die opportunistischen Gewerkschaftsführer mit massenhaften Ausschlüssen der revolutionären Arbeiter. Die Rote Gewerkschaftsinternationale war zur Koordinierung des Kampfs in den Gewerkschaften gegründet worden. Gegen die linksradikale Losung der Zerstörung der alten Verbände orientierte sie auf die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiter in den bestehenden Gewerkschaften. Diese Orientierung ist auch für uns heute richtig. Wie der Kampf sich entwickeln wird und wann und wie eine Fraktion innerhalb der Gewerkschaften nötig und möglich wird, werden wir konkret prüfen müssen. Deshalb wäre es auch falsch, die Gewerkschaftspolitik der KPD einfach abzutun, wie es in manchen Diskussionen getan wird. Auch hier müssen wir die Bedingungen, die Probleme und die politischen Antworten verstehen. Es sei hier nur auf die spannenden und lehrreichen Reden und Aufsätze von Fritz Heckert zur revolutionären Gewerkschaftspolitik verwiesen (Verlag Tribüne, 1974).

Unser Problem besteht in dem Mangel der Organisation der Kommunisten. Dieser drückt sich in der geringen Kraft in den Gewerkschaften aus, aber er würde sich ebenso in jedem anderen Gewerkschaftsansatz ausdrücken, der nicht mehr als bloße Proklamation wäre. Ich will an dieser Stelle nur ein Beispiel nennen, warum unsere Aufgabe, die Verbindung des ökonomischen mit dem politischen Kampf nur mit aktiver Arbeit in den Betrieben und Gewerkschaften und einer starken, systematisch aufgestellten politischen Organisation möglich ist.

Ich will hier einige Beispiele anreißen, warum wir den ökonomischen mit dem politischen Kampf verbinden müssen und dabei die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen. Die Produktivkraftentwicklung der letzten Jahrzehnte fand zu einem nicht geringen Teil durch Arbeitsverdichtung und -intensivierung statt. Verdichtung der Arbeit, Stress und Druck auf der einen Seite, Teilzeit und geringfügige Beschäftigung auf der anderen Seite.

Die Frage der Arbeitszeit ist für immer größere Teile der Arbeiterklasse zentral und die Unzufriedenheit steigt. Die Befragung der IG Metall vor der Tarifrunde 2018 war zwar so konstruiert, dass die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich gar nicht genannt werden konnte. Dennoch spiegelte sie den Druck der Belegschaften in dieser Frage wider. Die „Lösung“, die im Tarifabschluss der IG Metall 2018 ebenso wie bereits vorher bei der EVG gefunden wurde, ist dagegen keineswegs im Sinne der Arbeiterklasse. Die Wahlmöglichkeit zwischen mehr Urlaub oder mehr Lohn führt zur weiteren Spaltung der Belegschaft und verlagert gesellschaftliche Aufgaben, wie die Pflege von Kindern oder Alten auf die individuelle Ebene. Sie erlaubt es den Arbeitgebern außerdem die Arbeitszeit auszudehnen. Hier sei nur kurz auf eine interessante Auseinandersetzung zu diesen Abschlüssen in der „Unsere Zeit“ verwiesen, in der Anne Rieger eine wichtige Kritik daran übte. (https://unsere-zeit.de/de/Dossierseiten/6/6844/Geld-oder-Freizeit.htm)

Mir geht es an dieser Stelle nur darum, aufzuzeigen, dass der politische Kampf der Arbeiterklasse für die Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein wichtiger Schritt wäre, um verschiedene Teile der Klasse zusammen zu führen und um einen Fortschritt im Bewußtsein zu erzielen über die Frage der Eigentums- und Machtverhältnisse. Das geht aber nur, wenn wir konkret aufzeigen können, warum wir zwar für diese Teilforderung kämpfen, die Frage der Arbeitszeit in diesem Staat dauerhaft aber nicht lösbar ist, sondern Unternehmen und Staat immer versuchen werden, die Arbeitszeit auszudehnen und den Arbeitsdruck zu erhöhen. Es wäre notwendigerweise auch ein Kampf gegen Vertreter des Kapitalinteresses in der Gewerkschaftsbewegung.

Diesen Kampf können wir aber nur führen, wenn wir in den Betrieben und in den Gewerkschaften aktiv an der Seite der Kollegen sind und in Diskussionen einen Weg aufzeigen können. Deshalb ist zum Beispiel jede Arbeitszeitbemessung im Betrieb – also eine vermeintlich kleine ökonomische Frage – für uns von Bedeutung, um daran anknüpfen zu können.

Die Verbindung des ökonomischen mit dem politischen Kampf gilt nicht nur für die Gewerkschaftsfrage, sondern für alle Bereiche des Lebens der Arbeiterklasse. Ähnliches gilt für die Wohnungsfrage, wo wir konkrete Kämpfe gegen schlechte Wohnungen und hohe Mieten organisieren müssen und zugleich aufzeigen müssen, warum sie im Kapitalismus nicht lösbar ist. Und auch die Frage der Armut müssen wir ähnlich angehen, also den konkreten Kampf gegen Niedriglohn, Leiharbeit und Jobcenter durch gegenseitige Hilfe und durch die Ausdehnung der Gewerkschaften im Niedriglohnsektor organisieren. Wir müssen erklären, warum wir für ein höheres Existenzminimum kämpfen, aber die Akkumulation des Kapitals gesetzmäßig zur Verelendung der Arbeiter führt und nur der Sturz des Systems die Bedürfnisse der Arbeiter befriedigen kann. Beides tun – den ökonomischen mit dem politischen Kampf verbinden.

Das gilt auch für den Kampf gegen Militarismus und Aufrüstung, der ein wichtiger Teil des Klassenkampfs ist, wo wir aber aufklären müssen, dass der Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium gesetzmäßig zu Krieg führt und er nicht friedlich gemacht werden kann.

Diese Verbindung können wir nur herstellen, wenn wir eine politische Organisation haben, die alle ökonomischen und politischen Fragen systematisch erarbeitet und zwar auf marxistischer Grundlage. Dafür müssen wir uns aufstellen und das ist ein wichtiger Teil des Leitantrags.

Eine letzte Bemerkung möchte ich zur Frage der unorganisierten Arbeiter machen. Wir formulieren in unserem Leitantrag Prinzipien für die Tuchfühlung mit den Massen. Wir wollen überall, wo es möglich ist, Arbeiter erreichen und sie organisieren. Viele Arbeiter sind nicht in den Gewerkschaften organisiert. Dadurch sind sie geschwächt. Wenn wir im Stadtteil oder woanders aktiv sind und Arbeiter erreichen, muss unser Ziel sein, dass sie sich in den Gewerkschaften organisieren. Wir müssen gleichzeitig eine Struktur aufbauen, die ihnen ermöglicht auch dort einen konsequenten Kampf zu führen, auch gegen Bestrebungen, die sich gegen ihre Interessen richten. Dazu brauchen wir die Erfahrung und das Wissen bereits in den Gewerkschaften organisierter Kollegen, die den neuen Kollegen zur Seite stehen und mit ihren Erfahrungen helfen.

Wir streben eine wirkliche Stärkung der Gewerkschaftsbewegung an. Dazu ist das Prinzip der Aktivität zentral. Die unorganisierten Massen können dabei eine Rolle spielen, sie können neue Erfahrungen in die Gewerkschaftsbewegung bringen. Anders herum ist es notwendig, dass die organisierten Arbeiter der Großbetriebe gesellschaftlich nicht isoliert sind. Die Unterstützung von Streiks durch Menschen aus dem Stadtteil, die Einbeziehung anderer Branchen, die Vermittlung politischer Losungen und nicht zuletzt die Vermittlung der Erfahrungen der Arbeiterbewegung – all das zusammengenommen kann zu einer starken, eigenständigen und verzweigten Arbeiterbewegung führen. Und diese kann zu einer massenhaften Bewegung werden, wie es in der Geschichte bereits der Fall war.

Den Klassenkampf nicht zerlegen! Darum geht es

0

Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Von Klara Bina

Die Kommunistische Organisation hat sich mit ihrer zweiten Vollversammlung das Ziel gesetzt, sich kollektiv mit der Frage der Massenarbeit auseinanderzusetzen, um sich selbst eine Orientierung zu geben, wie die Arbeit der Kommunisten unter den Massen auszusehen hat. Der vorliegende Leitantrag „bezieht sich auf unser Vorhaben, den Klassenkampf zu organisieren (…).“ und unternimmt in der politischen Einleitung den – sicherlich noch entwicklungsfähigen – Versuch sich einen Begriff vom Klassenkampf zu machen.

Ich will mich in meinem Diskussionsbeitrag erstens auf die Einwände des Genossen Thanasis bezüglich der Anwendung des Begriffs vom Klassenkampf im Leitantrag beziehen, zweitens ein paar Worte zu den DGB-Gewerkschaften verlieren und drittens auf ein paar Lücken im Leitantrag eingehen.

Braucht es wirklich eine Klärung darüber, was Klassenkampf ist? Liegt das nicht schon längst auf der Hand? Wenn die Arbeiterklasse gegen die bürgerliche Klasse kämpft, ist das doch Klassenkampf. Wozu braucht es jetzt noch der Verschwendung von Zeit, Papier und Hirnschmalz? Besonders in solchen Zeiten wie jetzt, wo Kämpfe eher eine Seltenheit sind, zumindest in Deutschland, erscheint jeder kämpferischer Ton schon als Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten. Schon im Manifest der Kommunistischen Partei wurde formuliert: „Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfs, einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“ (MEW, Band 3, S. 474/5) Der Klassenkampf läuft also oder läuft nicht so gut, die Theorie der Kommunisten ist nur ein Ausdruck davon. Hiermit wäre die Diskussion auf der allgemeinen Ebene beendet. Die wirklichen Fragen des Kampfes aber beginnen erst hier.

Um die Relevanz der Frage nach der richtigen Auffassung vom Klassenkampf zu erfassen, müssen wir die allgemeine Ebene der Betrachtung verlassen. Der Diskussionsbeitrag des Genossen Thanasis bleibt zu sehr auf dieser allgemeinen Ebene, steuert jedoch einige gute Gedankengänge und Fragen zur Diskussion bei, mit denen ich mich hier kritisch auseinandersetzen möchte. Es geht, meiner Auffassung nach, nicht um die Frage, ob wir den ökonomischen Kampf vom politischen Kampf allgemein abtrennen oder ob schon in ökonomischen Kämpfen Keimformen des Klassenkampfes zu finden sind.

Die wirkliche Frage ist, welchen Kampf Kommunisten führen wollen. Genauer gesagt: je nachdem, ob wir den Kampf ums Ganze, also um die Staatsmacht führen wollen oder nicht, verändert sich auch die Anwendung des Begriffs Klassenkampf. Er ist sozusagen nicht unabhängig vom Klassenstandpunkt. Nun haben wir die Erkenntnis, dass die Klassenkämpfe selbst zu den richtigen Fragen führen, die Fragen und unsere Theorie nur ein Ausdruck der entfalteten Kämpfe sind. Wir wissen aber auch, dass auf richtige Fragen nicht notwendig richtige Antworten folgen, sondern etliche Fallstricke und Einfallstore des Opportunismus zu Verirrungen und falschen Antworten geführt haben und auch führen werden. Dabei blicken wir diesbezüglich auf eine heiße Debattengeschichte innerhalb der Arbeiterbewegung zurück. Es geht und ging stets um die Frage, ob wir bei den Kämpfen der Klasse die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Auge haben und damit die politische Macht anvisieren oder ob wir uns auf die Entwicklung des Bewusstseins aus den Kämpfen selbst heraus verlassen, ob wir im Kampf die Trennung zwischen ökonomischem und politischen Kampf vollziehen und andere Fragen mehr. Alle diese und ähnlichen Aspekte betreffen vor allem die Kampfseite des Klassenkampfes, also wie kämpfen wir, worum kämpfen wir. Es gibt aber auch – und wir werden uns im Rahmen des Klärungsprozesses damit beschäftigen müssen – unterschiedliche Vorstellungen des Begriffes Klasse. Je nachdem, wen ich zur Arbeiterklasse dazu zähle, verändert sich meine Vorstellung vom Klassenkampf. Sind es nur die Industriearbeiter oder sogar nur die Kernbelegschaften in den großen Industrien? Sind es auch Dienstleistende? Wie sieht es eigentlich mit Erwerbslosen aus? Und Hausfrauen, also z.B. die Frauen der Industrie-Facharbeiter? Es ist recht klar, wie schnell ein selektiver Begriff von Klasse den Klassenkampf zersetzen kann. Um diese Fragen soll es aber hier nicht gehen.

Die Auseinandersetzung um die Frage, wie der Kampf zu führen ist und welche Rolle darin Kommunisten einnehmen, ist bis heute nicht ausgefochten. Die reduktionistischen Sichtweisen, die Anbetung der Spontaneität, die linksradikale Überhöhung jeglichen Kampfes bestimmen maßgeblich die Krise der Bewegung und beengen den Horizont und die Handlungsfähigkeit der Arbeiterklasse.

Es geht dabei nicht um das Wort Klassenkampf, sondern darum was wir Kommunisten darunter begreifen. Es ist akademisch, wenn wir uns mit einer Art Definition des Klassenkampfes auf der Ebene von was-gehört-dazu-und-was-nicht auseinandersetzen. Natürlich gehören jegliche Kämpfe der Klasse – allgemein betrachtet und irgendwie – zu den Kämpfen der Klasse. Das ist reine Tautologie. Es geht darum, in den Kämpfen den Klassencharakter der Probleme und die daraus notwendig folgenden Klassenstandpunkte aufzuzeigen und daraus die einzig richtige Strategie, nämlich die Eroberung der politischen Macht, die rigorose Beendigung dieser Produktionsverhältnisse abzuleiten. Das gilt es als Kommunisten in den Kämpfen zu tun. Erst die richtige Anwendung dieses Begriffs lässt die notwendige Organisierung als Klasse mit einer klassenkämpferischen Perspektive zu. Wer sich schon auf den höchsten Höhen des Klassenkampfes wähnt, nur weil ein Betrieb einen Streik organisiert hat, der wird nicht auf die noch zu erklimmenden Gipfel blicken können, sondern gerade so die nächste Steigung im Tal wahrnehmen.

Ganz einfach gesagt: wer den Begriff Klassenkampf auf seinen ökonomischen Anteil verengt, wird die Arbeiter nicht auf die nächsten Etappen und Ebenen des Kampfes orientieren, sondern eine Stimmung der Genügsamkeit erzeugen. Wer aber den Klassenkampf als Aufgabenstellung für die Klasse begreift, wird die Arbeiterklasse ständig weiter in ihrer Organisierung vorantreiben müssen. Es geht also dem Leitantrag nicht darum, ob ökonomische Kämpfe kein Teil des Klassenkampfs sind, sondern ob ökonomische Kämpfe der Klasse schon Klassenkampf in seiner vollen Bedeutung sind. Auch der Kampf um das richtige Verständnis vom Klassenkampf ist Teil des Klassenkampfes, nämlich ideologischer Klassenkampf. Er ist es aber nicht an sich. Der ideologische Klassenkampf ist nur dann Klassenkampf, wenn er in die Kämpfe um die Diktatur des Proletariats eingebettet ist. Eine von den Kämpfen losgelöste Auseinandersetzung über diese Begriffe mag vielleicht sophisticated sein, aber keine Wirkung erzeugen. Wir ringen also um die praktische Seite des Begriffes, um die Erdung unserer theoretischen Einsichten. Diese ist nicht loszulösen von der Theorie, aber als reine, allgemeine Theorie bleibt der Klassenkampf leblos.

Kehren wir zurück zur Relevanz der Auseinandersetzung. Wir sind bekanntlich nicht allein auf dem Terrain des Klassenkampfes. Da gibt es einige, die man nun mit allen uns bekannten Attributen benennen könnte: Sozialdemokraten, Vertreter des Demokratischen Sozialismus, Anarchisten, Linksradikale verschiedener Couleur und andere.

Nehmen wir uns die Relevantesten vor: die Sozialdemokraten, die den Lohnkampf in einem Betrieb oder z.B. wie vor nicht allzu langer Zeit den Kampf gegen die Entlassungen bei Halberg-Guss als Klassenkampf betiteln und damit jegliche Keimform des Klassenkampfes im Klassenkampfgetöse ersticken. Wer die Gelegenheit hatte, an den Demonstrationen der IG Metall in Frankfurt am Main teilzunehmen, konnte diese fatale Wirkung auf den Kampf regelrecht spüren. Und spüren konnte man auch, dass die sozialdemokratischen Wortführer sich dieser lähmenden Wirkung durchaus bewusst sind. In dieser Situation wäre es unsere Pflicht als Kommunisten darauf hinzuweisen, dass die Gewerkschaftsführer doch bitte wirklichen Klassenkampf machen sollen und den Streik auf VW-Werke ausweiten, statt ihn einzustampfen und auf diese oder jene Zulieferer-Betriebe zu beschränken. Es geht nicht darum, dass wir bei jedem erdenklichen Kampf radikale Sprüche reißen, damit wir unsere Pflicht getan haben. Es geht darum den kämpfenden Arbeiterinnen und Arbeitern aufzuzeigen, dass dieser Kampf nur ein Schritt ist in einem längeren Prozess der Kämpfe, in denen wir uns organisieren müssen. Die Kritik an der Reduktion des Begriffs bis zu seiner Unkenntlichkeit, ist nicht deshalb so wichtig, weil wir das „richtige“ sagen müssen, was apropos auch linke Sozialdemokraten in abgeschwächter und äußerst opportunistischer Form und manche kommunistische Gruppen auch in „reiner“ Form tun, indem sie z.B. auf die Verantwortung der Regierung hinweisen bzw. den Arbeitern einen allgemeinen Vortrag über die Machtverhältnisse halten, ohne diese auf die konkrete Situation zu übertragen. Die Verwendung des ganzen Begriffs vom Klassenkampf ist deshalb von Bedeutung für uns, weil es dabei um die Frage der Zielführung des Kampfes geht. Ganz gleich, ob ein konkreter Kampf gewonnen, teils gewonnen oder dramatisch verloren geht, es bleibt die Frage: „was ist danach?“ Wenn wir nicht den ganzen Begriff des Klassenkampfes, den Begriff also, der auf die organisierte Macht des Klassengegners in Form seines Staates abzielt, benutzen, werden wir den je nach Situation entweder zufriedenen oder frustrierten Arbeitern, nicht nahe bringen können, warum und wie wir uns organisieren müssen. Wir müssen vermitteln lernen, dass wenn wir noch einen Schritt weiterkommen wollen, wenn wir den nächsten Kampf gewinnen wollen, wenn wir die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsführer loswerden wollen, wenn wir diese und jene Gesetze verhindern oder verändern wollen und so weiter, dass wir uns dafür besser organisieren und fester zusammenschließen müssen. Wenn wir uns aber besser organisieren, werden wir die Knute des Staates noch härter zu spüren bekommen. Also müssen wir uns noch besser organisieren. Wenn wir nicht bis in Ewigkeit kleine Kämpfe führen wollen, müssen wir uns auf die große Schlacht vorbereiten.

Was aber passiert, wenn die Sozialdemokraten die klassenkämpferischen Keimformen in den Kämpfen schon als Klassenkampf bezeichnen? Was zunächst als äußerst radikaler Spruch daherkommt, – und auch daherkommen soll, entpuppt sich als Luftablasser. Die Kämpfenden kämpfen sich aus, gewinnen oder verlieren, letztendlich bleibt eine verblasste Erinnerung, ein gutes Gefühl mal dabei gewesen zu sein. Weder das Bewusstsein über die eigene Lage, noch der Grad der Organisierung steigert sich. Unweigerlich wird aber die Arbeiterklasse zu weiteren Kämpfen getrieben, sei es auch nur aufgrund ihrer Notlage – z.B. bei Entlassungen. Und genauso unweigerlich wird die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen auf die organisierte Macht des Klassengegners, des Staates stoßen und sich immer wieder über dessen Klassencharakter bewusster werden. Diese spontanen und unorganisierten Schübe von Kämpfen und Bewusstseinsbildung werden aber nicht von alleine in eine feste, zielgerichtete Organisierung der Klasse für ihre gemeinsamen Klasseninteressen führen. Dafür braucht es die Kommunistische Partei.

Ich denke, dass es klar geworden sein muss, dass es nicht um eine künstliche Trennung zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen oder um die Loslösung der Keimformen des Klassenkampfes vom Kampf um die Diktatur des Proletariats geht. Dazu heißt es im Leitantrag: „Streik und andere Formen des ökonomischen Kampfs sind Keimformen des Klassenkampfs. In ihnen ist also das Potenzial enthalten zur Entfaltung des gesamten, politischen Kampfs der Klasse.“ (KO-Leitantrag an die 2. Vollversammlung, Zeilen 150/151) Vielmehr geht es darum, den Begriff nicht zu stutzen, ihn nicht zu reduzieren. Genosse Thanasis plädiert gegen eine scharfe Trennung zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen. Genau diese Trennung versucht der Leitantrag zu vermeiden. Wer den rein ökonomischen Kampf als Klassenkampf bezeichnet, der trennt ihn vom politischen, kastriert ihn um seine Zielführung. Unser Begriff vom Klassenkampf sollte eine solche Trennung nicht zulassen.

Fragen wir also nach dem Verhältnis der Kommunisten zur Arbeiterklasse, dann lässt sich mit dem Manifest der Kommunistischen Partei antworten: „Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; (…)“ (MEW, Band 3, S. 474), was im Leitantrag durch die Anwendung eines Begriffes vom Klassenkampf zum Ausdruck kommt, der die Kämpfe weiter treibt und nicht auf ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe stecken bleibt.

Nun zur Gewerkschaftsfrage. Worum geht es? Erstens um die Frage, ob die DGB-Gewerkschaften Massenorganisationen sind. Diese Frage kann nur mit einem Ja beantwortet werden. Sie sind nicht nur von ihrem Wesen, sondern auch von ihrer Quantität her betrachtet, Massenorganisationen. In ihnen sind Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter zwecks der Verbesserung ihrer ökonomischen Situation organisiert.

Sind Gewerkschaften eigenständige Massenorganisationen im objektiven Interesse der Arbeiterklasse? Nein. Das sind sie keinesfalls. Klassenstandpunkte werden in ihnen kaum vertreten. Die Mitgliedschaft zeichnet sich durch Entpolitisierung und Passivität aus. Die Gewerkschaftsführung ist korrumpiert und vertritt den Standpunkt der Kapitalistenklasse.

Können Arbeiterinnen und Arbeiter in den Gewerkschaften kämpfen? Gibt es für solche Kämpfe formal demokratische Strukturen? Ja. Alle DGB-Gewerkschaften haben formal eine demokratische Struktur, es wird von unten nach oben bestimmt, alle sind an die Beschlüsse gebunden. Demzufolge können Klassenstandpunkte in den Gewerkschaften erkämpft werden. Ob diese ausreichend sind, wie Genosse Thanasis fragt, wissen wir heute nicht. Das sollten wir als Aufgabenstellung verstehen. Informelle Strukturen sind nicht satzungsgemäß. Gegen Opportunismus und Korrumpierung ist aber keiner aus der Arbeiterklasse geimpft, also sind auch die Gewerkschaften ein Kampffeld wie jeder andere auch.

Gibt es irgendwelche Barrieren für die Aufnahme neuer Mitglieder? Nein. Warum sollten wir dann nicht auf die Organisierung in den bestehenden Gewerkschaften orientieren. Jede andere Orientierung käme doch einer Schwächung und Isolierung der klassenkämpferischen Teile der Klasse gleich.

Es ließen sich weitere Fragen aufwerfen:
Sind die bestehenden DGB-Gewerkschaften ein nützliches Instrument für die Organisierung auf Betriebsebene? Ich würde sagen ja. Sie sind in der BRD sogar die zurzeit effektivste Verbindung der Betriebe in einer Branche und sogar darüber hinaus.

Es bliebe dann nur noch die Frage, ob wir denken, dass die Kapitalistenklasse und die Gewerkschaftsführung und ihre politischen Unterstützer dazu bereit sind, ihre Position einfach so aufzugeben oder ob sie alles dafür tun werden, um an den Schaltstellen zu bleiben. Ich denke, dass wir alle wissen, dass letzteres der Fall sein wird. Und es ist doch gut, dass wir uns bis hierhin keine Illusionen machen. Bereiten wir uns auf diesen Kampf vor. Führen wir ihn erst einmal bis zu diesem Punkt. Es hat überhaupt keinen Sinn in vorauseilendem Gehorsam bzw. vorauseilender Furcht, den Kampf in den Gewerkschaften gar nicht erst zu beginnen. Es hat nichts mit Realismus und kluger Einsicht zu tun, wenn ein offensichtlich wichtiger Kampf, bevor er überhaupt begonnen wurde, schon aufgegeben wird.

Wir sollten diese Diskussion noch schärfer dahingehend führen, ob es denn zurzeit in der BRD irgendeine andere Alternative für die Organisierung der Arbeiterinnen und Arbeiter gibt, ohne dass die Klasse zersetzt, gespalten und geschwächt wird. Die kommenden Kämpfe in den Gewerkschaften werden die Klasse stärken.

Alle Zweifel bezüglich der Schwäche unserer Klasse, bezüglich der Stärke des Klassengegners geschenkt, sind das Gründe um einen Kampf nicht aufzunehmen oder sind das lediglich wichtige Erkenntnisse für uns, um klug und behutsam vorzugehen. Soweit zur Frage, ob es sich lohnt in den Gewerkschaften zu kämpfen. Soweit erstmal zur Gewerkschaftsfrage.

Drittens möchte ich auf zwei Lücken im Leitantrag hinweisen:

Die Arbeit der Kommunisten in den Massen kann nicht ohne die Vermittlung der Erfahrung der Geschichte der Arbeiterbewegung vor sich gehen. Die Arbeiterklasse besitzt einen reichen Erfahrungsschatz aus den Siegen und Niederlagen in ihrer gesamten Geschichte und über nationale Grenzen hinweg. Die Vermittlung von Klassenbewusstsein und die Organisierung der Massen für ihre Belange wird ohne die Wiederaneignung dieser Geschichte nicht möglich sein. Es ist unsere Aufgabe als Kommunisten der Arbeiterklasse ihre Geschichte wiederzugeben. Das kann und sollte ein unabdingbarer Bestandteil der Massenarbeit sein und mit den jeweiligen Kämpfen der Klasse verbunden werden.

Ein weiterer Punkt, der zu kurz kommt, ist die Frage des proletarischen Internationalismus. Die Arbeiterklasse ist international, auch wenn sie im nationalen Rahmen kämpft. Die Solidarität und Geschwisterlichkeit innerhalb der internationalen Arbeiterklasse ist nicht von den Kämpfen der Klasse im nationalen Rahmen zu trennen. Es kann dabei nicht nur darum gehen, die Spaltung zwischen den in einer Nation lebenden Teile der Klasse zu überwinden, vielmehr muss der proletarische Internationalismus ein wesentlicher Bestandteil der Massenarbeit sein. Er ist die Antwort auf die Angriffe des Kapitals gegen die Lebensinteressen der gesamten Klasse. Besonders stark kommt das in der Kriegsfrage zum Ausdruck.

Ein anderer Aspekt, der in der Beschreibung der gesellschaftlichen Situation fehlt, ist die Relevanz und Ausbreitung irrationaler, fatalistischer Vorstellungen innerhalb der Klasse. Die Arbeiterklasse hat ein objektives Interesse an der Wahrheit und an Wissenschaft. Wo, wenn nicht in der Massenarbeit, müssen wir Kommunisten darum kämpfen, dass die Wissenschaft wieder zu einer Waffe in den Händen der Arbeiterklasse wird. Wie wir das tun wollen, darüber müssen wir uns noch den Kopf zerbrechen und praktische Erfahrungen sammeln. Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir uns diese Aufgabe explizit stellen.

Diskussionsbeitrag zu Fragen des Klassenkampfes und der Gewerkschaften

0

Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

von Thanasis Spanidis

Ich teile die grundlegende Ausrichtung des Leitantrags und halte ihn für geeignet, dem Aufbau einer kommunistischen Massenarbeit die richtige Stoßrichtung zu geben.

Positiv hervorheben möchte ich erstens die Orientierung des Antrags auf Massenarbeit im Allgemeinen anstelle einer beschränkten Konzeption von Gewerkschafts- und Gremienarbeit oder gar Bündnissen innerhalb der „linken Szene“. Es ist richtig, auf Organisierung der Arbeiterklasse am Lebens- und Arbeitsschwerpunkt zu organisieren und Organisierung im weiten Sinne zu verstehen; also nicht nur im Sinne von Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft anhand der unmittelbaren ökonomischen Interessen im Betrieb, sondern auch entlang anderer Bedürfnisse wie Wohnung und sozialer Absicherung, aber auch Kultur, Sport und Freizeit. Das ist der richtige Ansatz, um unsere Massenarbeit breit aufzustellen und auch die Teile der Arbeiterklasse zu erreichen, die aus verschiedenen Gründen schwer gewerkschaftlich organisierbar sind. Es ist richtig, jetzt in diese Richtung loszugehen und unser Verständnis von Massenarbeit mit der Zeit ständig weiterzuentwickeln und zu korrigieren.

Zweitens möchte ich den Gesichtspunkt der Unabhängigkeit positiv hervorheben. Die Erkenntnis, dass einerseits nur die Selbstaktivität der Klasse dazu führen kann, sie zum kollektiv kämpfenden Subjekt zu erheben, dass andrerseits dafür aber die Führung durch die kommunistische Partei erforderlich ist, ist zentral. Damit grenzen wir uns richtigerweise einerseits vom Spontaneismus ab (z.B. „Bewegungslinke“, die sich gesellschaftliche Veränderungen oder gar eine Revolution von einem Zusammenwirken verschiedenster autonomer Bewegungen erhoffen), andrerseits aber auch von Vorstellungen über „Vorfeldorganisationen“, die in intransparenter und undemokratischer Weise von den Revolutionären ferngesteuert werden und damit die Initiative und das Potenzial, das in der Selbstaktivierung der Klasse steckt, von vornherein abtöten. Beides sind letztlich opportunistische Abweichungen, die in der einen oder anderen Form zwar auch zwangsläufig aus dem Kampf entstehen, die wir aber trotzdem kritisieren und bekämpfen müssen.

Ich möchte zu zwei Themenkomplexen im Leitantrag Einwände erheben. Das betrifft erstens den Begriff des Klassenkampfes.

Der Leitantrag zitiert dazu Lenin: „Der Kampf der Arbeiter wird erst dann zum Klassenkampf, wenn alle fortschrittlichen Vertreter der gesamten Arbeiterklasse des ganzen Landes sich bewußt werden, eine einheitliche Arbeiterklasse zu sein, und den Kampf nicht gegen einzelne Unternehmer, sondern gegen die ganze Klasse der Kapitalisten und gegen die diese Klasse unterstützende Regierung aufnehmen.“ (Z. 272-277). Klassenkampf sei demnach nur der gesamtnationale Kampf des Proletariats um die Staatsmacht, der im vollen Bewusstsein des Klassengegensatzes gegen die Bourgeoisie geführt wird. Die weiteren Zitate Lenins im Antrag zeigen jedoch, dass auch er in dieser Frage gewisse Interpretationsspielräume offen ließ. Lenin spricht hier auch davon, dass auch vereinzelte ökonomische Kämpfe, z.B. im Betrieb, Keimformen des Klassenkampfes sind.

Marx schreibt zu der Frage am Vorabend der Revolution von 1848: „So hat die Koalition stets einen doppelten Zweck, den, die Konkurrenz der Arbeiter unter sich aufzuheben, um dem Kapitalisten eine allgemeine Konkurrenz machen zu können. Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maß, wie die Kapitalisten ihrerseits sich behufs der Repression vereinigen zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie als die des Lohnes. (…) In diesem Kampfe – ein veritabler Bürgerkrieg – vereinigen und entwickeln sich alle Elemente für eine kommende Schlacht. Einmal auf diesem Punkte angelangt, nimmt die Koalition einen politischen Charakter an.Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf.“ (Elend der Philosophie, MEW 4, S. 181f). Hier findet sich keine scharfe Trennung zwischen ökonomischem und politischem Kampf. Im Gegenteil wird dargestellt, wie die Organisierung der Arbeiterklasse in Koalitionen (Gewerkschaften) zunächst zur Verteidigung der Löhne stattfindet, dann jedoch die Organisierung als solche angestrebt wird und sich schließlich zu einem Kampf entwickelt, indem alle Kräfte gegen die Bourgeoisie gebündelt werden. Auf dieser Stufe des Klassenkampfes bildet sich das Bewusstsein über die eigene Klassenzugehörigkeit und den Klassengegensatz schließlich voll heraus.

So ist auch die Aussage des Kommunistischen Manifests zu verstehen, wonach die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen war. Denn „Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte“ (Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 462), auf die Marx und Engels sich dabei beziehen, standen zwar in einem ständigen Interessengegensatz zueinander, weshalb der Konflikt zwischen ihnen ständig ausbrach. Sie führten diesen Kampf in der Regel jedoch nicht im vollen Bewusstsein über den Klassengegensatz, und schon gar nicht immer mit dem Ziel der Staatsmacht. Dennoch sprechen Marx und Engels hier bewusst von Klassenkampf. Wenn sie ferner ausführen, dass die theoretischen Sätze der Kommunisten „nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung“ (ebd., S. 475) seien, so beziehen sie sich dabei auf den Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, der objektiv auch ohne das Zutun der Kommunisten stattfindet. Wahrhaft revolutionären Charakter kann er jedoch erst durch die führende Rolle der Kommunisten und ihrer Ideen annehmen.

Somit ist es natürlich richtig, dass jeder Kampf letztlich dahin führen muss, die Frage der Staatsmacht und der Revolution auf die Tagesordnung zu bringen. Wird das versäumt, enden die Kämpfe letzten Endes in einer Sackgasse, da sie über einen bestimmten Punkt hinaus keine Forderungen und Losungen mehr aufstellen können, und somit der Politisierung und Ausbildung des Klassenbewusstseins eine Grenze setzen. Dennoch sollte man sich auch vor einer zu starken Verengung des Klassenkampfbegriffs hüten. Der Klassenkampf geht gesetzmäßig und spontan aus der kapitalistischen Produktionsweise hervor, er ist eine Folge des unversöhnlichen Klassengegensatzes.

Es gehört zu den Eigenarten dieses Kampfes, dass er die meiste Zeit über nur von der ausbeutenden Klasse („von oben“) im vollen Bewusstsein über seine Dimension geführt wird, während die ausgebeutete Klasse erst in einem langwierigen und mühsamen Prozess zum Bewusstsein über die Gesetzmäßigkeiten des Kampfes und ihre eigene Rolle darin kommen muss. Dieser Kampf ist aber auch schon Klassenkampf, wenn er sich erst in unterentwickelter oder gar embryonaler Form herauszubilden beginnt – er ist Klassenkampf, weil es ein Kampf ist, der einen Klassencharakter hat. Die Interessen, die angewandten Mittel und Bewusstseinslagen, die in den ökonomischen Kampf einfließen, sind ebenso wie die Hauptkonfliktlinie des Kampfes von der Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft bestimmt.

Dennoch gilt natürlich: Er bleibt ohne die Avantgarderolle der KP „trade-unionistisch“, er bleibt auf den Kampf auf dem Boden des Systems beschränkt und die Perspektive der Revolution wird nicht bewusst gestellt. Gleichzeitig steckt aber auch in rein ökonomischen Kämpfen immer das Potenzial zu politischen Schlussfolgerungen: über den Klassengegner, die Kraft der Organisierung, den Staat, aber auch die Rolle der sozialdemokratischen Gewerkschaften. Eine allzu scharfe Grenze zwischen ökonomischem Kampf und politischem Klassenkampf lässt sich daher nicht ziehen. Tut man das dennoch, kann dies dazu führen, dass die organische Entwicklung, die das Klassenbewusstsein aus den kleinsten Alltagskämpfen über die Organisierung bis hin zum offenen Zusammenstoß mit dem System macht, nicht richtig begriffen wird.

Zuletzt möchte ich auf die Gewerkschaftsfrage eingehen: Die gewerkschaftliche Organisierung ist von besonders entscheidender Bedeutung für den Wiederaufbau der Arbeiterbewegung. Dazu ist eine genaue Einschätzung der bestehenden Gewerkschaften wichtig. Hierzu stellt der Leitantrag fest, dass die Gewerkschaften einerseits sozialdemokratische Richtungsgewerkschaften sind, die mit Staat und Kapital verbunden sind, die Kommunisten bekämpfen und ihre Mitglieder zum Großteil nicht aktivieren (Z. 830f, 835f). Andrerseits heißt es aber auch, sie seien demokratisch strukturiert und die größten Massenorganisationen der Arbeiterklasse (Z. 825f). Hier besteht noch ein gewisser Widerspruch: Wenn die deutschen Gewerkschaften faktisch oftmals gar nicht der eigenständigen Organisierung der Klasse für ihre Interessen dienen, in welchem Sinne sind sie dann Massenorganisationen der Klasse? Sie sind es in dem Sinne, dass sich Massen von Arbeitern über politische Lager hinweg in ihnen organisieren, um ihre Interessen kollektiv vertreten zu können. Sie sind es nicht in dem Sinne, dass die Gewerkschaften wirkliche Selbstorganisierungen der Arbeiter wären, in denen die Klasse selbst ihre Interessen artikulieren und sich demokratisch auf die Mittel des Kampfes einigen würden. Wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und wechselnden Formen dienen die DGB-Gewerkschaften auch der materiellen Bereicherung und Absicherung ihrer eigenen Funktionäre, die sich aus den verbürgerlichten Teilen der Arbeiterklasse rekrutieren, und vor allem dienen sie dem Kapital dazu, den Klassenkampf in geregelte, nicht nur für die Herrschaft der Bourgeoisie selbst, sondern auch für den reibungslosen Ablauf der Geschäftsbeziehungen möglichst ungefährliche Bahnen zu lenken. Zudem leisten sie dem Kapital auch auf ideologischem Gebiet wertvolle Dienste, wie der aktuelle Aufruf des DGB zu den Europawahlen zeigt. Darin wird das reaktionäre imperialistische Gebilde der Europäischen Union ganz im Sinne der herrschenden Ideologie zu einem friedensstiftenden Projekt umgelogen.

Dieser Doppelcharakter der Gewerkschaften, einerseits der Ort zu sein, in dem die Klasse sich organisiert, andrerseits aber in Form und Inhalt ihrer Politik gar nicht dieser Klasse zu dienen, müsste im Leitantrag besser herausgearbeitet werden.

Auch die Schlussfolgerung des Leitantrags, die bestehenden Gewerkschaften zu „wirklichen Einheitsgewerkschaften auf der Grundlage des Klassenkampfs zu machen und sie zu einem wichtigen Antriebsriemen für die Revolution zu machen“ (Z. 847-849), wirft Fragen auf. Unstrittig ist, dass die Arbeit in den bestehenden Gewerkschaften wichtig und notwendig ist und dass wir dabei die vorhandenen Mechanismen der innergewerkschaftlichen Demokratie ausnutzen müssen, so gut es geht. Der Versuch, „eigene“, „rote“ Gewerkschaften jenseits der bestehenden Organisationen aufzubauen, würde unweigerlich in der Selbstisolierung der Kommunisten von der Arbeiterklasse enden, und das nicht nur deshalb, weil die Kommunisten aktuell so schwach sind.

Doch man muss die Frage auch andersherum stellen: Ist die innergewerkschaftliche Demokratie ausreichend, um die Gewerkschaften in wirkliche Kampforganisationen der Klasse transformieren zu können? Die Gewerkschaften sind, wie auch der Leitantrag betont, über vielfältige Beziehungen mit dem Klassengegner verbunden, sie verfügen über differenzierte Fähigkeiten zur Ausgrenzung, Bekämpfung oder Einbindung oppositioneller Elemente. Die Bourgeoisie hat gerade in Deutschland langjährige Erfahrungen damit, die Gewerkschaften zum Abwürgen, Entschärfen und Entpolitisieren von Kämpfen einzusetzen. Sie sind letztlich auch Apparate des bürgerlichen Staates und damit wahrscheinlich nicht grundsätzlich reformierbar.

An einem weiter fortgeschrittenen Punkt des Klassenkampfes wird sich zwangsläufig die Frage stellen, wie die klassenkämpferischen Kräfte in Betrieb und Gewerkschaften gebündelt werden können, wie sie eigene Schlagkraft entwickeln und sich von den auf Klassenkollaboration eingeschworenen Führungen unabhängig machen können. Auf diese Frage können wir wohl heute noch keine konkreten Antworten geben, doch wichtig ist es, die Frage bereits heute richtig zu stellen.

Wenn die SPD anfängt vom Sozialismus zu sprechen…

0

Der Text als pdf

…will sie den Kapitalismus retten

Die Aufregung um die „Sozialismusdebatte“, die der Juso-Chef Kühnert ausgelöst hat, ist lächerlich. Das gehört zur guten Sitte der „Jungsozialisten“, dem Jugendverband der SPD, der nur eine Arbeitsgemeinschaft in der SPD ist und seit jeher dazu dient, der Partei ein radikales und kämpferisches Image zu verschaffen. Gerhard Schröder wollte als Juso-Chef auch enteignen, tat jedoch als Kanzler das genaue Gegenteil: Er schröpfte die Arbeiterklasse mit Hartz I bis IV und zerstörte mit dem ersten deutschen Krieg seit 1945 Jugoslawien. Andrea Nahles tat es ihm als Juso-Vorsitzende in radikalen Sprüchen nach und setzte später die Beteiligung der SPD an der großen Koalition durch.

Die Parteiführung reagiert dementsprechend auf das Interview. Der Vizekanzler und Finanzminister Scholz meinte, Kühnert habe ein wichtiges Thema auch innerhalb der SPD angesprochen. Er finde die Vorschläge zwar falsch, aber das sei die Jugendorganisation und die dürfe das. Die Parteivorsitzende Nahles findet sie auch falsch, betont aber auch, dass die Jusos das dürften. Der SPD-„Linke“ Stegner, stellvertretender Parteivorsitzender, fordert mehr Gelassenheit und meint, der „Juso-Vorsitzende darf radikaler formulieren.“

Der Zeitpunkt der „Sozialismusthesen“ dürfte nicht zufällig gewählt sein. Die SPD ist trotz ihrer Krise eine gut organisierte Partei. Sie strebt seit einigen Monaten einen Linksschwenk an. Dazu sollte das „Sozialstaatspapier“ vom Februar diesen Jahres und die Europawahlkampfrede der Vorsitzenden Nahles dienen, die laut verkündete, die SPD sei jetzt wieder „links“. Diese neue Orientierung ist vermutlich durchaus strategisch durchdacht. Die SPD muss wieder Wähler gewinnen können, um ihre Funktion als Stütze der Herrschaft der Kapitalisten erfüllen zu können. Das „Sozialstaatspapier“ zeigt sehr deutlich, dass die SPD Partei des Kapitals ist und bleiben will. Die Vorschläge sind zum Nutzen der Unternehmen und nicht zum Nutzen der Arbeiterklasse.

Es gibt mehrere Anzeichen, dass sich eine Neuformierung der Sozialdemokratie vollzieht. Die Linkspartei freute sich logischerweise über das Interview. Die Partei hieß schließlich mal „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) – worauf sich auch Kühnert und das Grundsatzpapier der SPD beziehen. Die Grünen versuchten sich in der Wohnungspolitik mit der bedingten Zustimmung zu Enteignungen ebenfalls links zu profilieren. Bahnt sich da die Vorbereitung von Rot-Rot-Grün an? Das vorerst gescheiterte Projekt „Aufstehen“ hatte dieses Ziel ja schon klar formuliert und propagiert. Am 1. Mai waren verstärkt DGB-Reden mit viel Forderungen nach einer „Demokratisierung der Wirtschaft“ zu hören – das alte Konzept des „dritten Wegs“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus (siehe Bolschewiki).

Man sollte sich bewusst machen, wer hier anfängt von Sozialismus zu sprechen. Die SPD ist so klar eine Partei der kapitalistischen Verwaltung und Irreführung der Arbeiterklasse, der Aufrüstung und Kriegsführung, dass es fast absurd erscheint, darauf hinzuweisen. Die SPD ist fest verankert und eingebunden, über vielerlei Fäden mit dem bürgerlichen Staat verbunden. Sie hat nicht dieselbe zentrale Bedeutung für die Kapitalisten wie die CDU, die ihre Stammpartei ist, aber sie hat schon immer – und gerade – in heiklen Situationen wichtige Dienste für sie übernommen.

Jüngere Beispiele wurden erwähnt, auch die „neue Ostpolitik“ und „Annäherung“ in den 1970er Jahren war für die Strategie des deutschen Imperialismus wichtig. Und direkt nach der großen Niederlage der deutschen Kapitalisten 1945 schlug sich die West-SPD auf deren Seite, ihr Vorsitzender Kurt Schumacher verkündete den „Sozialismus als Tagesaufgabe“, half den Kapitalisten bei der Neuerrichtung ihres Staates und bekämpfte die Kommunisten bis aufs Blut. In der Novemberrevolution 1918 verkündete sie, der Sozialismus sei auf dem Vormarsch und erstickte die Revolution.

Ein weiteres Problem ist, was Kevin Kühnert gesagt hat. Er will friedlich in den Sozialismus hineinwachsen, einen Umsturz lehnt er explizit ab. Unter der Kollektivierung von großen Unternehmen, wie BMW, versteht er, dass es zu gleichen Teilen auf die Beschäftigten aufgeteilt wird und nicht mehr einer Familie gehört. Die Marktwirtschaft will Kühnert nicht abschaffen, die Planwirtschaft lehnt er ebenso vehement ab, wie die DDR.

Es handelt sich dabei also nicht um wissenschaftlichen, sondern um utopischen Sozialismus – im besten Falle. Der Kapitalismus soll besser gemacht werden, er soll sogar nach und nach sozialistisch werden, aber die Wirtschaftsordnung soll erhalten bleiben. Während die utopischen Sozialisten des 18. und 19. Jahrhunderts auf Grund der gesellschaftlichen Entwicklung noch nicht erkennen konnten, dass das eine unmögliche Utopie ist, sind Verkünder eines solchen „Sozialismus“ heutzutage eine Farce. Ihre großen Worte dienen nur dazu, die Arbeiterklasse zu verführen und sie von den Karren von Blutsaugern und Kriegstreibern zu spannen.

Die SPD fängt an vom Sozialismus zu sprechen, um den Kapitalismus zu retten, auch wenn gerade kein revolutionärer Ansturm in Deutschland droht. Die nächste Krise rollt heran und immer mehr Menschen sind unzufrieden, glauben nicht mehr an das System. Sie wieder einzufangen, bedarf es verschiedener Versprechen, darunter das des friedlichen Hineinwachsens in den Sozialismus.

Vielleicht wird uns die Debatte nutzen, um mit mehr Menschen über die Eigentumsverhältnisse und die Notwendigkeit des Sozialismus, wie er tatsächlich zu verstehen ist, zu sprechen. In der ein oder anderen Gewerkschaftsversammlung oder im Stadtteil dürfte das Thema jetzt etwas präsenter sein, da wird es nur von uns abhängen, wie gut wir den Taschenspielertrick der SPD erklären können. In jedem Fall müssen wir uns gut vorbereiten und aufstellen, um der möglicherweise anstehenden Neuformierung der Sozialdemokratie (die in Wirklichkeit nur alter Wein in neuen Schläuchen ist) mehr als nur ein Schulterzucken entgegenzuhalten: Nämlich Organisationen, die in der Arbeiterklasse verwurzelt sind, sich nicht von trügerischen Worten blenden lassen und beginnen, konsequente Kämpfe zu führen, sowie ein Programm und eine Strategie, die den Sozialismus nicht als utopisches Ziel, sondern als realistisches und notwendiges Ziel erweist. Denn falls die Kapitalistenklasse die neue alte Sozialdemokratie in ihre Regierungsdienste stellt, ist nichts Gutes für die Arbeiterklasse zu erwarten – siehe Rot-Grün 1998–2005, siehe SPD-PDL in Berlin, siehe die Syriza-Regierung in Griechenland und die „sozialistische“ Regierung des Partido Socialista (PS) in Portugal.

Für eine kämpfende Arbeiterbewegung!

0

Die Texte als pdf

Zeitung zum 1. Mai 2019

Anzeichen einer kommenden Krise

Die Weltwirtschaft wankt wieder. Die Auftragseingänge der Industrie brechen ein, die Produktion in der Automobilindustrie ging bereits im zweiten Halbjahr 2018 um 7,1% zurück. Die Prognose für das Wirtschaftswachstum wurde erneut gesenkt – auf jetzt 0,5% für 2019. Deutschland ist nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt, Italien ist bereits in der Rezession. Und auch China, ein zentraler Absatzmarkt für das deutsche Kapital, schwächelt. Die deutsche Regierung reagiert mit einer „nationalen Industriestrategie“ und will „Champions“ aufbauen, die Steuern für Unternehmen sollen gesenkt werden. Der Kampf um Absatzmärkte und Einflussgebiete geht in die nächste Runde, ebenso wie die Abwälzung der Lasten auf die Arbeiterklasse. Wie tief die Krise werden wird, ist noch nicht zu erkennen – dass die Zeiten härter werden und sich die weltweiten Konflikte zuspitzen, wollen wir in dieser Zeitung anhand einzelner Beispiele deutlich machen: Die drohenden Entlassungen in der Automobilindustrie und das Eindringen von Faschisten und ihrer Ideen in die Arbeiterbewegung wird die gesamte Arbeiterklasse in Deutschland in den nächsten Jahren immer mehr beschäftigen. Die Auswirkungen der Handelskriege zwischen den USA, EU, China und Russland werden die Arbeiter aller Länder zu spüren bekommen, ebenso wie die offenen, zerstörerischen Kriege, die Jahr für Jahr auf der Welt zunehmen. Die Kapitalisten werden, in Anbetracht einer kommenden Krise, die vorhandene Arbeitskraft bis aufs Äußerste auspressen, um ihre Profitraten hoch zu halten – schon jetzt sprechen sie immer lauter von „Flexibilisierung der Arbeit“ und Ausweitung des Arbeitstages auf 12 Stunden.

Wenn „Wirtschaftsweise“, Kapitalisten und Politiker von einer kommenden Krise sprechen, dann stellen sie jedoch nicht die Frage: Wer ist verantwortlich? Denn sie müssten mit dem Finger auf sich selbst zeigen. Und sie stellen nicht die Frage: Was bedeutet eine Krise für diejenigen, die den gesamten Reichtum auf der Erde im Schweiße ihres Angesichts täglich produzieren? Die wichtigste Stimme, die Stimme eben derjenigen, die Stimme der Arbeiterinnen und Arbeiter, die Stimme des Fortschritts kann in Deutschland nur sehr leise vernommen werden.

Die SPD und die EU-Wahl

Umso lauter ist das Getöse ihrer nur scheinbaren Vertreter. Die SPD will angeblich „Hartz 4“ abschaffen und gibt sich als der Heilsbringer der Arbeiter in Deutschland. Für die Sozialdemokratie ist der 1. Mai 2019 jedoch vor allem eine Bühne, um ihren heuchlerischen Wahlkampf für die EU-Wahl am 26.05.19 voranzubringen. Auf einmal wähnt sich die SPD wieder auf Seiten der Arbeiter, obwohl sie seit Jahren zentraler Bestandteil der Regierungskoalition ist und nicht erst seit der Agenda 2010 den Generalangriff auf die Arbeiterklasse organisiert. Sie bekommt bei ihrem heuchlerischen Getue Schützenhilfe von der Führung der DGB-Gewerkschaften.

Die SPD-Minister der vergangenen Jahre, wie Sigmar Gabriel und Olaf Scholz, aber auch EU-Politiker wie Martin Schulz haben die Politik der Spardiktate gegenüber Griechenland und anderen Ländern massiv durchgesetzt und damit den deutschen Banken Milliardengewinne ermöglicht. Die Arbeiter und Rentner in Griechenland sind einer massiven Verarmung unterworfen, die auch von den griechischen Kapitalisten begrüßt und betrieben wird – von einer „neu-sozialdemokratischen“ Regierung unter der Linkspartei Syriza. Die Sozialdemokratie Europas ist ein aktiver Betreiber der arbeiterfeindlichen Politik.

Die EU – Feind der Völker Europas

Der diesjährige 1. Mai steht auch für die DGB-Gewerkschaften ganz unter dem Motto der EU-Wahl. So heißt es in ihrem Aufruf „1. Mai 2019 – Europa. jetzt aber richtig!“:

„Wenn es die Europäische Union nicht gäbe, müsste man sie erfinden.“

Sie sprechen mit hochtrabenden Worten: Es geht um „Lohngerechtigkeit“, „Chancengleichheit“ und „faire Globalisierung“ und die EU solle der Garant dafür werden. Sie sagen jedoch nicht, dass die EU ein Projekt im Interesse der herrschenden Kapitalisten ist und nicht ein Projekt der Völker Europas. Sie sagen nicht, dass die EU verantwortlich für die massenhafte Ausbreitung von Armut und Elend überall in Europa ist, sie sagen nicht, dass die EU mit Waffengewalt Menschen daran hindert, europäischen Boden zu erreichen und Menschen im Mittelmeer massenhaft ertrinken lässt.

Auch die EU-Politiker sprechen von „Chancengleichheit“ und spielen zugleich die Arbeiter gegeneinander aus, erhöhen die Konkurrenz und verschlechtern durch Richtlinien die Arbeitsbedingungen. Das ist die EU, die ganz im Sinne der Regierungen der Mitgliedsstaaten agiert. Bei allen Widersprüchen, die innerhalb der EU aufbrechen, sind sich die kapitalistischen Regierungen darin einig, die Profite zu erhöhen und die Löhne zu drücken. Millionen Menschen, insbesondere in Osteuropa, aber auch in der Bundesrepublik sind betroffen.

Die EU war nie im Interesse der Arbeiter und Völker Europas. Seit ihrer Gründung hat sie die Interessen der Herrschenden verteidigt und auch bei den aktuellen Diskussionen um den Brexit und die EU-Wahl geht es nicht um die Interessen der Arbeiter und Völker.

Die Arbeiterbewegung und damit auch die Gewerkschaften, können nur ernsthaft die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter vertreten, wenn sie sich gegen die EU wenden. Sie müssen diesen Kampf gegen die EU mit dem Kampf für die Macht der Arbeiterklasse selbst verbinden. Denn die Macht der Arbeiterklasse, der Sozialismus, ist der einzige Ausweg aus Verhältnissen, die nur immer mehr Armut und Misere für die Arbeiter und das Volk hervorbringen können. Der Sozialismus ist nicht einfach ein Fernziel, über das abstrakt geredet wird. Doch die Erkämpfung des Sozialismus in Deutschland passiert nicht zufällig, sondern braucht Klärung der Frage des Weges. Es braucht also einer eindeutigen, gemeinsamen Strategie der Arbeiterklasse.

VW, Daimler, BMW – Kommende Umbrüche in der Automobilindustrie

Der Arbeiterklasse in der BRD stehen große Umbrüche bevor. Die Automobilindustrie orientiert immer stärker auf E-Mobilität, die Fertigungsprozesse sollen „digitalisiert“ werden. E-Mobilität heißt, dass die Verbrenner, wie z.B. der Diesel, zukünftig aus der Fertigung verschwinden werden. An ihre Stelle rückt dann der Elektromotor und das hat große Konsequenzen für unsere Arbeitsplätze. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts in Partnerschaft mit den großen Automobilisten und der IG Metall aus dem Jahr 2018 befasste sich mit den Auswirkungen der Fahrzeug-Elektrifizierung. Das Ergebnis: bis 2035 könnte die Beschäftigung allein in der  Antriebsstrangproduktion zwischen 37% und 53% abnehmen. Am stärksten soll es hier die Zulieferer-Industrie treffen, also die Betriebe, die einzelne Bauteile oder Baugruppen herstellen, während die großen Autohersteller mehr Möglichkeiten haben werden, die Auswirkungen zu kompensieren, z.B. durch Ruhestandsregelungen und die Entlassung von Leiharbeitern. Aber auch geografisch gesehen wird sich dieses Szenario unterschiedlich auswirken: die großen Betriebe mit mehreren tausend Beschäftigten sind vor allem in den alten Bundesländern angesiedelt, die „verlängerten Werkbänke“ stehen vor allem im Osten. Dort bahnt sich eine zweite Deindustrialisierungswelle nach 1990 an. Die Umstellung auf E-Mobilität ist somit nicht nur eine Änderung der Technologie, sondern bringt gleichzeitig auch große Rationalisierungseffekte mit sich.

Da kommt die Klimadebatte zur rechten Zeit. Dass es bei der Umstellung auf Elektromobilität den Kapitaleignern um ihre Umsätze und um die Konkurrenz mit anderen kapitalistischen Ländern mit großen Automobilkonzernen geht und nicht um „das Klima“, kann man in der Debatte verfolgen. In der deutschen Industrie hat man jetzt die Befürchtung, nicht mitzukommen und fordert die Politik um Unterstützung. Diese wird ihr gerne gewährt. Subventionen und sonstige Hilfsmaßnahmen sind in der Planung. Die Gewerkschaftsführung hat keinen Blick für die Interessen ihrer Mitglieder, wie wir an den Vorschlägen Jörg Hofmanns (1.Vorsitzender der IG-Metall) sehen können. Anstatt Kampfmaßnahmen gegen die Entlassungen vorzubereiten, hat er sich jetzt schon auf die Zeit danach eingestellt und fordert eine Art Kurzarbeitergeld. De facto ist das eine weitere Subventionierung der Kapitalisten durch Steuern, die wiederum die Arbeiterklasse bezahlt. Die IG Metall-Führung scheint sich hier voll und ganz auf die Sichtweise der Chefetagen der Auto-Branche eingelassen zu haben.

Mit der „Digitalisierung“ als zweiter Komponente der Rationalisierungs-Offensive des Kapitals rückt die „menschenleeren Fabrik“ Stück für Stück näher. Zuerst denkt man an autonom fahrende Gabelstapler, programmierte Roboter und miteinander kommunizierende Maschinen. Doch auch vor der Verwaltung, dem Rechnungswesen usw., macht die Digitalisierung nicht halt. Auch hier sieht das Kapital große Einsparmöglichkeiten. Arbeitsschritte werden zerlegt und sollen zukünftig über die Anwendung von Software erledigt werden. Hiervon werden besonders die Frauen betroffen sein, die traditionell häufiger in diesen Bereichen arbeiten. Neben wenigen Arbeitsplätzen im hoch qualifizierten Bereich wird nicht viel übrig bleiben, außer einfachste und schlecht bezahlte Anlerntätigkeiten in Fertigung und Dienstleistung.

Unter dem Stichwort „Transformation“ versucht sich die IG Metall derzeit in eine gestaltende Rolle einzufinden. Dabei sollen die Betriebsräte, Vertrauensleute und Beschäftigte Konzepte entwickeln, wie die Transformation „menschengerecht“ umgesetzt werden kann. Die zugrundeliegende Frage – wollen wir Bremser oder Gestalter der Transformation sein – ist dabei völlig falsch gestellt. Unsere Fragestellung kann nicht lauten „wollen wir bremsen oder gestalten“. Unsere Frage muss lauten, wollen wir Gewinner oder Verlierer der Transformation sein!

Das Kapital tut nichts, was nicht Profit verspricht. Rationalisierung bedeutet, dass mit weniger Arbeitskraft mehr hergestellt wird. Wir werden arbeitslos gemacht, die Konkurrenz um Arbeitsplätze und der Lohndruck steigen. Dabei waren wir es selbst, die durch unsere Arbeit jene Werte geschaffen haben, die das Kapital bilden, mit welchem die Rationalisierung der Produktion erst ermöglicht wird. Somit dürfen wir es nicht zulassen, dass wir die Leidtragenden dieses Wandels sind. Die Hauptfrage ist, wie wir es durch organisierte Macht schaffen, diese Verhältnisse so umzuwandeln, dass unsere Arbeit nicht dem Profit Weniger, sondern der Entwicklung der ganzen Gesellschaft dient. Das wird nur im Sozialismus möglich sein.

Es stellen sich uns – der Arbeiterklasse in Deutschland – akut folgende Fragen: Was können wir den drohenden Entlassungswellen entgegensetzen? Welche Forderungen müssen hier gestellt werden? Welche Kampfmittel sind angemessen?

Unsere Aufgaben sind:

Erstens: Die geplanten staatlichen Subventionen für die Profite der Automobilindustrie durch politische Aktionen verhindern. Denn diese Subventionen werden aus unseren Taschen bezahlt!

Zweitens: Durch organisierte politische Interventionen verschiedene Teile der Bevölkerung über die privaten Profitinteressen der Kapitalistenklasse und die Möglichkeiten der Produktivkraftentwicklung aufklären.

Drittens: Die DGB-Gewerkschaften, besonders die IG-Metall mit einem hohen Organisationsgrad in der Branche, sollten wir dem Einfluss des Klassengegners entziehen. Das geht nur durch Initiative und Aktivität der Mitglieder von unten und nicht durch Sozialpartnerschaft und Standortlogik.

Viertens: Wir müssen den festen und solidarischen Zusammenschluss der lohnabhängig Beschäftigten vorantreiben. Es ist egal welcher Branche wir angehören oder in welchem Land wir arbeiten, ob wir gerade nur befristet beschäftigt oder gar erwerbslos sind und ob wir noch nicht organisiert sind. Nur geeint als Klasse können wir die kommenden Kämpfe mit mehr Schlagkraft führen und langfristig gewinnen.

Arbeiterbewegung von Rechts? Zum „Zentrum Automobil“

2009 hat sich im Daimler-Werk Untertürkheim mit dem Zentrum Automobil e.V. eine selbsternannte „alternative Arbeitnehmervertretung“ gegründet. Im Hinblick auf die Ziele erweckt das Zentrum Automobil den Eindruck einer tatsächlichen Vertretung der Arbeiter. So schreiben sie: „Hauptanliegen des ZA ist es, die beruflichen, sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen seiner Mitglieder zu wahren und zu fördern.“ Auch die Kritik an der IG-Metall, sie sei zu sehr mit dem „Co-Management“ beschäftigt und lege zu großen Wert „auf enge Zusammenarbeit und gegenseitige Rücksichtnahme“ mit dem Daimler-Konzern könnte genauso gut eine linke Einschätzung sein. Denn eine Kritik an der sozialdemokratischen Haltung der Gewerkschaft, die allzu oft die Interessen der Arbeiterklasse verrät, ist notwendig. Hinter dem Zentrum stehen aber nicht wie die Selbstdarstellung suggeriert nur frustrierte Lohnabhängige, die das Konzept der Sozialpartnerschaft überwinden wollen, sondern vor allem Menschen mit engen Verbindungen zur radikalen Rechten. Sie haben weder in der Vergangenheit noch heute einen klassenkämpferischen Standpunkt im Sinne der Arbeiterklasse vertreten. So saß die Galionsfigur des Zentrum Automobil Oliver Hilburger, bis 2009 Mitglied der Rechtsrockband „Noie Werte“ und Mitgründer des Plattenlabels G.B.F.-Records mit engen Verbindungen zum faschistischen Blood & Honour Netzwerk, bereits seit 2007 für die Liste der Christlichen Gewerkschaft Metall im Betriebsrat. Der Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse ist ebenso notwendig wie der gegen die Sozialpartnerschaft. Das Zentrum Automobil jedoch führt ihn nicht. Vielmehr kann das Zentrum als Teil einer sozialen Basis für die AfD und insbesondere des Höcke-Flügel in der Automobilindustrie betrachtet werden. Letztlich sorgen Faschisten wie vom Zentrum Automobil oder der AfD mir ihrer Politik, ob im Betrieb oder außerhalb, für eine Spaltung der Arbeiterklasse und handeln damit klar im Interesse des Kapitals.

Zur Lage der Arbeiterklasse in Deutschland

Die Arbeiterbewegung ist seit der Niederlage des Sozialismus 1989 massiv geschwächt. Sie hat mit den sozialistischen Staaten ihre eigene Macht als organisierte Klasse verloren. Große Errungenschaften wurden zerstört, überall setzte sofort der Druck auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Massen ein. Diese Offensive der Kapitalistenklasse hält bis heute an.

In Deutschland waren die schwersten Schläge die Hartz-Gesetze, mit denen durch Leiharbeit, Befristungen, Teilzeit und Sozialabbau ein großer Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Millionen arbeiten heute unter widrigen Bedingungen und für Löhne, von denen sie nicht leben können. Die massive Flexibilisierung der Arbeitszeit führt dazu, dass das Leben zerrissen wird, worunter die Familien leiden.

Zugleich stiegen die Vermögen der Reichen deutlich an, insbesondere der Eigentümer von Produktionsmitteln, von Aktienbesitzern und Immobilieneigentümern. Allein die Familie Quandt bezog aus ihrer Aktienmehrheit an BMW im Jahr 2018 1,1 Milliarden Euro fürs Nichtstun – erarbeitet von den Arbeitern bei BMW.

Auf der Seite der Arbeiterklasse sieht die Rechnung schlechter aus: Die Reallöhne gingen besonders zwischen 2000 und 2010 zurück, aber seitdem gibt es auch kaum ein Aufholen, die Abschlüsse sind zu niedrig. Zwischen 2008 und 2018 stiegen die Reallöhne um gerade einmal 1,13 Prozent (Bundesamt für Statistik). Wobei die Einkommen der unteren Lohngruppen zwischen 1995 und 2015 laut Armutsbericht der Bundesregierung von 2015 real sogar gesunken sind. Das ist dem Kurs der Sozialpartnerschaft zu verdanken, aber auch Ausdruck mangelnder Organisierung. Der Organisationsgrad – und damit die Kampfkraft – nimmt immer weiter ab.

Das Ergebnis der Entwicklung: Die Arbeiterklasse ist politisch geschwächt, gesellschaftlich gespalten und muss eine deutliche Verschlechterung der ökonomischen Lage durchmachen.

Was droht? Die weitere Flexibilisierung durch Veränderung des Arbeitszeitgesetzes ist bereits in der Diskussion. Die Sozialdemokratie in Regierung und Gewerkschaftsführungen arbeitet im Sinne des Kapitals daran. Das Ziel: Bessere Verfügung über Arbeitskraft. Die Folge: Ausdehnung der Arbeitszeit und der prekären Arbeitsverhältnisse. Die Tarifabschlüsse mit Wahloptionen zwischen mehr Lohn oder weniger Arbeit sind ein Einfallstor für Flexibilisierung und die weitere Spaltung der Belegschaft.

Was ist zu tun?

Wir als Kommunistische Organisation haben uns das Ziel gesetzt, praktisch Formen der Organisierung der Arbeiterklasse zu schaffen. Dafür haben wir ein zentrales Dokument für unsere nächste Vollversammlung formuliert, das wir zur Diskussion stellen. Wir wollen alle einladen, das Dokument zu lesen und zu kritisieren, Anregungen zu geben.

Marx und Engels haben die historische Rolle der Arbeiterklasse erkannt: Sie muss die Kapitalistenklasse stürzen und ihre eigene Macht errichten, um sich zu befreien. Das ist auch die Erkenntnis der 80 Jahre Sozialismus: Sie kann es und sie erreicht dabei große Fortschritte. Was ist heute notwendig, um in der Arbeiterbewegung diese Erkenntnis zu verbreiten, was muss heute getan werden, um die Organisierung der Arbeiterklasse für dieses Ziel voranzutreiben?

Notwendig sind eigenständige, klassenbewusste Organisationen der Arbeiterklasse, in denen die Aktivität aller entfaltet wird, die unabhängig vom Staat und den anderen Erscheinungsformen der bürgerlichen Herrschaft sind, die Klassensolidarität praktisch erfahrbar machen. Dazu sind Formen der gegenseitigen Hilfe im Betrieb oder im Wohnviertel und des aktiven gemeinsamen Eintretens für die Interessen notwendig.

Die Gewerkschaften spielen dabei eine zentrale Rolle, sie sind die größten Massenorganisationen der Arbeiterklasse. Aber die Sozialpartnerschaft ist dominant. Unser Ziel ist die Politisierung der Gewerkschaftsbewegung, der dort organisierten Arbeiter und unser Ziel ist, mehr Arbeiter in den Gewerkschaften zu organisieren.

Damit sind viele weitreichende Fragen verbunden, die wir systematisch bearbeiten und denen wir durch praktische Erfahrung näher kommen wollen. Und wir wollen uns als Organisation aufstellen, um diese Schritte machen zu können.

Lest das Dokument „Zur Arbeit in den Massen“ und schickt uns Kritik und Anregungen oder kontaktiert uns. Wir freuen uns wirklich über alles, was uns und den Kampf der Arbeiterklasse voranbringen kann.

Buchenwald-Gedenken 2019

0

Dossier: Gesammelte Texte zum Buchenwald-Gedenken 2019

Hier veröffentlichen wir unseren Bericht und weitere Texte vom diesjährigen Gedenken an die Selbstbefreiung und den Widerstand der KZ-Häftlinge in Buchenwald und zum Gedenken an Ernst Thälmann, der in Buchenwald ermordet wurde.

Hier findet ihr die einzelnen Texte:

„Unsere Sache ist gerecht – Der Sieg muss unser sein!“

0

Bericht vom 74. Jahrestag der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald

Am 11. April 1945 befreiten sich die Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald unter Führung des Internationalen Lagerkomitees (ILK) vom faschistischen Schrecken. Um den Opfern des Faschismus, ebenso wie den Widerstandskämpfern und der Tätigkeit des Internationalen Lagerkomitees zu gedenken, fuhren wir am vergangenen Wochenende zur dortigen Gedenkveranstaltung.

Von zwei Genossen über die Gedenkstätte geführt, versuchten wir uns ein Bild davon zu machen, unter welchen Bedingungen die Häftlinge litten, zur Arbeit bis zum Tode gezwungen und systematisch ermordet wurden. Ausbeutung in den an das Lager angeschlossenen Arbeitsstätten, Mord und andere Gräueltaten wurden zur damaligen Normalität. Umso beeindruckender war der von den Häftlingen gegen den faschistischen Terror geleistete Widerstand, sei es durch Sabotageakte in der Kriegsindustrie, durch das Erkämpfen von besseren Bedingungen für die Häftlinge oder die Vorbereitung der Selbstbefreiung. Wir stellten viele Fragen, unter anderem zur Selbstorganisierung der Häftlinge oder zur Stellung der Kommunisten und ihrer Tätigkeit im Konzentrationslager. Wie konnte es möglich sein, selbst in der dunkelsten Stunde einen funktionierenden Apparat aufzubauen und aufrechtzuerhalten durch den ein wirkungsvoller Widerstand stattfinden konnte?

Die offizielle Gedenkveranstaltung konnte uns diese Fragen keineswegs beantworten. Ganz im Sinne des „europäischen Gedankens“ wurde das Gedenken für die bürgerliche Demokratie instrumentalisiert. Grade in Hinblick auf die anstehenden Europawahlen inszenierte sich der bundesdeutsche Staat, dessen Vertreter in einer Vielzahl anwesend waren, als demokratisches Gegenstück zum NS-Faschismus. Der antifaschistische Kampf und die damalige Widerstandsbewegung wurden, trotz heuchlerischem Bezug auf den Schwur von Buchenwald, völlig entpolitisiert. Von der wahren Bedeutung des Antifaschismus wurde abgelenkt und es wurde verschleiert, dass ein antifaschistischer Kampf ein Kampf gegen den Kapitalismus selbst sein muss, da dieser bereits den Keim des Faschismus in sich trägt. Dass der bürgerliche Staat notwendigerweise Armut, Verrohung, eine gespaltene Gesellschaft und letztendlich auch Krieg um des Profits willen hervorbringt, wurde erwartungsgemäß nicht thematisiert.

Im Anschluss ehrten wir gemeinsam mit den Genossen und Genossinnen von der KPD Ernst Thälmann, welcher in Buchenwald in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 ermordet wurde, sowie die antifaschistischen Widerstandskämpfer. Wir erinnerten in einer Rede an den Lebensweg, das Wirken und die gesellschaftlichen Umstände, unter denen Thälmann als wichtigster revolutionärer Führer des klassenbewussten, deutschen Proletariats und Symbolfigur des antifaschistischen Kampfes aktiv war und eben deswegen auf Befehl Hitlers in Buchenwald erschossen wurde. Wir riefen uns ins Bewusstsein, dass es keine Situation geben darf, und sei sie noch so schwierig oder aussichtslos, in der Revolutionäre ihr Ziel aus den Augen verlieren oder aufgeben. Von Thälmann zu lernen, dass es Klarheit zum Aufbau einer revolutionären Organisierung braucht, bedeutet für uns auch das Gedenken an ihn und seine Mitstreiter aufrechtzuerhalten. Es mag zwar im Interesse der deutschen Kapitalisten und ihres Staats liegen, die Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, die KPD und ihre größten Kämpfer in Vergessenheit geraten zu lassen, wir aber ehrten Thälmann, in dem wir versprachen, alles dafür zu tun, dass wir seinen Weg kämpfend weitergehen.

Somit war uns dieser Tag nicht nur Mahnung, sondern gleichfalls ein Moment des Kraftschöpfens. Wir nehmen die Verantwortung wahr, gegen das Kapital als Wurzel des Faschismus zu kämpfen. In Gedenken, an diejenigen, die unter den Gräueln des Faschismus litten, aber ebenso um derjenigen Willen, die einen heldenhaften Widerstand leisteten.

Ernst Thälmann ist niemals gefallen – Dein Kampf ist heute unser Kampf! Wir kämpfen ihn weiter!

Quelle: Denkmal für Ernst Thälmann von Lew Jefimowitsch Kerbel im Berliner Ernst-Thälmann-Park * Bronze auf ukrainischem Marmor, 1981/86 * photo taken by SpreeTom * 15.04.2006 (CC BY-SA 3.0)

„Kameraden, wir sind frei!“

0

Der Text als pdf

Zum 74. Jahrestag der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald

Es war der 11. April 1945 als im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar der faschistische Schrecken sein Ende fand. Es war der Tag, als sich die Häftlinge, unter Führung ihres Internationalen Lagerkomitees (ILK), selbst befreiten. Wichtige Punkte des Lagers wurden besetzt, 125 SS-Leute gefangengenommen und die Verteidigung organisiert. Die bewaffneten Häftlinge kontrollierten das befreite Lager bis zum Eintreffen der US-amerikanischen Truppen und hatten mit ihrer Aktion das Leben von 21000 Menschen gerettet.

So lange von allen Häftlingen ersehnt, so strikt und gründlich war dieser Tag von den bewusstesten von ihnen vorbereitet worden. Denn von Beginn an formierte sich im Lager ein Häftlingswiderstand, angetrieben von Kämpfern aus der Arbeiterbewegung. Besonders hervorzuheben ist hierbei die führende Rolle der kommunistischen Gefangenen im Lager — Walter Bartel, Theodor Neubauer oder Albert Kuntz waren unter ihnen. Auch unterstützt von Widerstandsgruppen der KPD außerhalb des KZ bauten sie illegale Strukturen auf, die mit dem ILK eine zentrale Führung hatten. Von der Sabotage der Kriegsindustrie, über den Kampf für bessere Bedingungen für die Häftlinge, bis hin zur organisatorischen und militärischen Vorbereitung der Selbstbefreiung entwickelte der Lagerwiderstand eine heroische, aufopferungsvolle Tätigkeit.

Fast acht Jahre lang war Buchenwald das größte Konzentrationslager auf deutschem Boden, Ort der Zwangsarbeit und Todesqual für etwa 266.000 Menschen aus allen Ländern Europas — das Grab für 56.000 von ihnen. 1937 angelegt vor allem für politische Gegner des deutschen Faschismus, insbesondere aus der revolutionären Arbeiterbewegung, wurde Buchenwald zu einem hoch entwickelten Komplex, um Menschen einzusperren, zu erniedrigen, zu foltern und durch Zwangsarbeit in den Tod zu treiben. Neben dem Steinbruch gab es hier große Produktionsstätten, die besonders der Herstellung von Waffen für den imperialistischen Krieg und natürlich den Profiten der deutschen Monopole dienten. Hinzu kamen unzählige Außenstellen, wo Häftlinge aus Buchenwald ebenfalls zur Schwerstarbeit gezwungen wurden.

Das Erbe Buchenwalds

Der historische Fakt der Selbstbefreiung und des illegalen Lagerwiderstandes zeigt: Buchenwald steht wie kaum ein anderer Ort für den antifaschistischen Widerstand unter Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Auch die Ermordung Ernst Thälmanns in Buchenwald gehört dazu. Thälmann, selbst aus dem Proletariat stammend und bis zu seiner Verhaftung Vorsitzender der KPD, galt wie kein Anderer als kommunistische Persönlichkeit und Führer der deutschen Arbeiterklasse. Das erklärt, wie die deutschen Faschisten mittels seiner Ermordung im Sommer 1944 den antifaschistischen Widerstand in Deutschland und Europa zu demoralisieren und zu brechen versuchten. Es gelang ihnen nicht, stattdessen waren sie es, die schon ein paar Monate später ihre bedingungslose Kapitulation unterschrieben.

Buchenwald ist Teil unserer Geschichte und bis heute wichtiger Bezugspunkt für den antifaschistischen Kampf. Aber auch über die kommunistische Bewegung hinaus ist die besondere Geschichte des Lagers, vor allem in Ostdeutschland, nicht vergessen. So brachte beispielsweise die 2015 erschienene Neuverfilmung des DDR-Romans „Nackt unter Wölfen“ dies noch einmal zum Ausdruck.

Antikommunismus auf dem Vormarsch

Hatten Buchenwald und seine Bedeutung in der Gedenkpolitik der DDR noch einen wichtigen Platz (z.B. war der Besuch der Gedenkstätte fester Bestandteil des Lehrplans), erleben wir an ihrer Stelle heute eine Geschichtsverdrehung, die ihresgleichen sucht. Bürgerliche Historiker, Politiker von CDU bis Linkspartei, Antideutsche und andere vermeintliche Linke, aber auch die Leitung der Gedenkstätte Buchenwald versuchen seit Jahren, das Gedenken an die Ereignisse im KZ in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Das heißt konkret: Delegitimierung des Lagerwiderstandes und der aktiven Kommunisten bis hin zur Unterstellung, diese hätten mit der SS kollaboriert. Die Selbstbefreiung wird geleugnet, als hätte es sie einfach nicht gegeben und sei ein Erzeugnis der ‚DDR-Propaganda‘. Auf perfide Weise schlagen diese durch die Bank weg bürgerlichen, antikommunistischen Kräfte so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: die Verunglimpfung des antifaschistischen Widerstandes und der DDR.

Gleichzeitig erleben wir eine Entpolitisierung das antifaschistischen Widerstandes generell. Die Bürgerlichen, worunter ebenfalls diverse „linke“ Akteure und Gruppen zu fassen sind, beziehen den Widerstand zwischen 1933 und 1945 in ihr irreführendes Bild mit ein, bei dem „die Demokratie“ und „der Faschismus“ zwei grundsätzlich gegensätzliche Formen sind. Irreführend ist dieses Bild deshalb, weil es von den wahren Wurzeln und Verantwortlichen des Faschismus ablenkt. Der antifaschistische Widerstand ist dann lediglich ein Einsatz für „die Demokratie“ gewesen. Mit Antifaschismus als Teil des Klassenkampfes, wie ihn die KPD und folglich der Großteil des Widerstandes in Deutschland verstanden, hat das wenig zu tun. Das Andenken an den Widerstand im deutschen Faschismus wird so, wenn nicht verschwiegen, zumindest neutralisiert.

Das zeigt sich auch am Beispiel Ernst Thälmann: meist wird seine Ermordung in Buchenwald im offiziellen Gedenken nicht einmal erwähnt. Aber wenn sie ein Andenken findet, dann niemals in ihrer tatsächlichen Tragweite — als Ermordung des Führers des klassenbewussten deutschen Proletariats und als Symbolfigur des antifaschistischen Kampfes, weit über die deutschen Grenzen hinaus.

Antifaschismus heißt Kampf für den Sozialismus

Wir dürfen nicht vergessen, dass der Faschismus eine Form bürgerlicher Herrschaft ist, also eine Möglichkeit für die Kapitalisten, ihre Interessen durchzusetzen und ihre Macht zu erhalten. Nichts fürchten sie mehr, als eine starke revolutionäre Arbeiterbewegung, die ihre Macht ins Wanken bringt. Dementsprechend ist klar, dass die deutschen Kapitalisten und ihr Staat — die BRD — alles tun, um die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung und der KPD in Vergessenheit geraten zu lassen oder, wo das nicht klappt, zu zerschlagen. Dass sie alles tun, um die Erinnerung an den Kampf klassenbewusster Arbeiter gegen das Kapital und seine faschistischen Marionetten für ihre Ordnung unschädlich zu machen. Ihre Geschichtsverdrehung gilt dem konsequenten antifaschistischen Kampf der Häftlinge in Buchenwald und natürlich auch der DDR, als erstem sozialistischen Staat auf deutschem Boden, wo die Arbeiterklasse ihre Herrschaft errichtete und dem Faschismus den Nährboden entzog.

Indem wir den Widerstand und die Selbstbefreiung der Häftlinge von Buchenwald als Teil unserer Geschichte anerkennen und gegen jegliche revisionistischen, antikommunistischen, bürgerlichen Angriffe verteidigen, begreifen wir auch den 74. Jahrestag der Selbstbefreiung nicht nur als traditionelles Gedenken, sondern als politische Verpflichtung für unseren Kampf heute.

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ hieß es einst im Schwur von Buchenwald. Dies bleibt Mahnung, Richtschnur und Auftrag zugleich: im Wissen, dass die Macht des Kapitals die Wurzel des Faschismus ist, muss Antifaschismus heute die Organisierung der Arbeiterklasse gegen die bürgerliche Herrschaft, für den Sozialismus bedeuten.

Im Gedenken der 56.000 in Buchenwald Ermordeten, im Gedenken des Lagerwiderstandes und der Selbstbefreiung, im Gedenken Ernst Thälmanns — für die sozialistische Revolution!